Krystyna Kauffmann

Die Poesie der Landstraße

Marie Goslich (1859-1936)

 

Der Weg ist das Ziel. Im Falle Marie Goslichs ist das zunächst fotografisch gemeint. Denn mit besonderer Sorgfalt lichtete sie tief in die märkische Landschaft führende Pfade ab. Aber auch der Lebensweg der 1859 in Frankfurt (Oder) geborenen Tochter eines Appellationsgerichtsrats ist ein bemerkenswert selbstbestimmter gewesen. Sie unterrichtete in Berlin Französisch und redigierte die Zeitschrift »Körperkultur«, sie war vorübergehend mit dem Dichter Karl Kuhls verheiratet und in Potsdam Schriftleiterin des »Boten für die deutsche Frauenwelt«, sie zog als freie Autorin nach Geltow, starb dort 1936 – und hinterließ vierhundert Glasnegative.
Dass es die überhaupt noch gibt, dafür hat die Heimatforscherin Liselotte Herrmann aus Baumgartenbrück gesorgt. Dass die Aufnahmen nun im Schloss Caputh ausgestellt werden können, ermöglichten eine Kooperation der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten mit dem Heimatverein Caputh e. V. und die Professionalität der Kuratorin Krystyna Kauffmann. Dass sie obendrein noch in einem gediegenen Bild-Text-Band publiziert vorliegen, ist dem Berliner Lukas Verlag zu verdanken und einem Druckkostenzuschuss im Rahmen des Kulturland-Themenjahres »Provinz und Metropole«.
Den Umgang mit Kamera und Labortechnik lernte Marie Goslich erst mit 44, ihr Auge aber hatte sie offenbar schon als dilettierende Zeichnerin geschult. Das verrät die Sicherheit der Kompositionen, das virtuose Akzentuieren mit Licht und Schatten. Egal, ob sie Wasser-und-Wald-Idyllen, arme Wanderarbeiter, bäuerliches Tun, Industriebaustellen oder reichshauptstädtische Mietskasernentrostlosigkeit auf Bromsilber-Gelatine fixierte, diese meist als Illustrationen für Reportagen gefertigten Motive zeugen von Empathie und zeigen Eleganz. Als Fotografin entdeckte Marie Goslich die Poesie in der Tragödie. Als Journalistin beschrieb sie die Tragödien hinter der Poesie. Das irritiert. Doch gerade das Kontradiktorische macht ihr Œuvre, das die Dynamik und Dramatik des Alltags in sozial und politisch kippenden Verhältnissen auf ganz eigene Weise spiegelt, so aufregend.

Frank Kallensee, in: Märkische Allgemeine, 07.08.2008.