Siegfried Mielke (Hg.)
Einzigartig
Dozierende, Studierende und Repräsentanten der Deutschen
Hochschule für Politik (1920-1933) im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Der vorliegende Katalog ist ein Begleitband zu einer
Wanderausstellung der Freien Universität Berlin und der
Gedenkstätte Deutscher Widerstand. Es handelt sich um
eine Ausstellung, die bei der genannten Gedenkstätte ausgeliehen werden
kann. Federführend ist Professor Siegfried Mielke vom
Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU Berlin. Die weiteren
Mitarbeiter (Sebastian Bödeker, Marion Goers,
Stefan Heinz und Matthias Oden) sind Doktoranden des Fachbereichs.
Die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) wurde
1920 in Berlin aufgrund einer Privatinitiative linksliberaler Politiker, die
der Deutschen Demokratischen Partei (DDP) angehörten, gegründet. Sie verfolgte laut § 2 ihrer Satzung die
folgenden Ziele: »Die Verbreitung und
Vertiefung politischer und staatsbürgerlicher Bildung in
allen Schichten der Bevölkerung.« Auch sie
entging 1933 nicht der nationalsozialistischen Gleichschaltung, allerdings
konnte der Prozeß dank Intervention von
Staatssekretär Heinrich Lammers (Chef der Reichskanzlei)
abgefedert und hinausgezögert werden. Die
Hochschule blieb, nachdem alle dem NS-Regime mißliebigen Dozenten entlassen
worden waren, noch einige Jahre bestehen und diente vor allem der Schulung
unterer und mittlerer Funktionäre der NSDAP. Im Jahr
1940 wurde sie Teil der Deutschen Auslandswissenschaftlichen Fakultät (DAWF) der Berliner Friedrich-Wilhelms-Universität, die von dem SS-Mann Franz Alfred Six gegründet und zunächst als Dekan geleitet
worden war. Auf Initiative des Regierenden Bürgermeisters Otto Suhr
wurde die DHfP 1949 wiederbelebt und 1959 als »Otto-Suhr-Institut« der
FU eingegliedert. Im Mittelpunkt des Ausstellungsbandes stehen die Biographien
von Dozenten und Studierenden, die im Widerstand oder in der Emigration aktiv
gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben. Ihre Zahl
ist erstaunlich hoch und beeindruckend. Dazu trug die frühzeitige Öffnung der Hochschule für Dozenten und Lehrer bei, die der Sozialdemokratie bzw. dem
politischen Katholizismus (Zentrum) nahestanden und sich in der
Erwachsenenbildung engagierten, ein Personenkreis, der allerdings erst ab 1930
aufgenommen wurde. Die DHfP war nämlich nicht nur in
politischer Hinsicht bedeutsam, sondern auch in hochschulpolitischer. Im
Prinzip konnte jeder Interessierte die DHfP besuchen, wenn er »die erforderliche Reife und nötige Allgemeinbildung«
mitbrachte. Dann wurde er zu einem 1-2semestrigen Proseminar zugelassen, das
der Vorbereitung des Hauptlehrgangs diente. Dieser bestand aus einer
viersemestrigen Seminaristischen Abteilung, zu der man, wenn man im Besitz des
Abiturs war oder, alternativ, eine politische Schulung durchlaufen bzw. eine
praktisch-politische Tätigkeit ausgeübt hatte, direkt zugelassen wurde. Wer den Seminarteil absolviert
hatte (hier gab es die Auswahl zwischen Sozialpolitischen, Staatsbürgerkundlichen, Volksbildnerischen, Geopolitischen, Eurasischen
oder Ethnopolitischen [bis 1932 Deutschseminar] Seminaren), konnte noch einmal
drei Semester in der Akademischen Abteilung absolvieren, in die man, wenn man
ein abgeschlossenes Studium vorweisen konnte, wiederum direkt aufgenommen
werden konnte. Am Ende stand ein Diplom, mit dem man als Sozialarbeiter,
Gewerkschafts- bzw. Genossenschaftssekretär oder Geschichtslehrer
arbeiten konnte.
Diese offene und vielseitige Ausbildungsstätte entsprach den
Bildungstendenzen der Weimarer Republik und kann als eine Art Vorgriff auf die
heute blühenden Fachhochschulen betrachtet werden. Angesichts
dieser Offenheit verwundert die hohe Zahl der Widerständler nicht, und es verwundert auch nicht, daß sich nur ganze wenige Kuratoriumsmitglieder – Emil Georg von Stauß, Otto Meißner, Hjalmar Schacht und
Friedrich Saemisch – den Nationalsozialisten anschlossen. Allerdings finden sich unter den 280 Lehrenden, deren Namen
ermittelt wurden auch einige Namen von Personen, die im NS-Wissenschaftsbetrieb
prominent waren. Dieser Teil des Bandes ist den Herausgebern offenbar nicht
wichtig gewesen, denn die mitgeteilten Charakterisierungen (meist eine oder
zwei Zeilen) sind unausgewogen und verschleiern mehr, als sie offenlegen. Während die ersten 26 Seiten des Katalogs allgemeine Informationen
zur Gründung und Struktur der DHfP aus der Feder
Mielkes enthalten, ist der anschließende Hauptteil einzelnen
Widerständlern gewidmet. Das sind eindrucksvolle und
vielfach bedrückende Lebensläufe, denn nicht wenige
Ehemalige mußten nach vorangegangenem Leben im Untergrund
Verfolgung, Schauprozeß, Haft in Zuchthäusern und KZs erdulden oder im Exil ein völlig neues Leben beginnen. Die wichtigsten Widerstandsgruppen sind
die »Rote Kapelle« und ihre Vorläuferorganisationen, der Kreisauer Kreis, der 20. Juli, die
Landesgruppen deutscher Gewerkschafter in Großbritannien und Schweden,
sowie in den USA die German Labor Delegation oder der Council for a Democratic
Germany. Nur einige der Porträtierten haben Verfolgung
und Exil überlebt und nach Kriegsende ihre Erfahrungen
entweder dem westlichen oder dem östlichen Teil
Deutschlands zur Verfügung gestellt. Wer den östlichen Teil wählte, wurde meist
schnell enttäuscht, so daß er es vorzog, noch
einmal zu fliehen.
Die Porträts sind nach Gruppen geordnet und bestehen aus
Porträtphoto, Vita, Quellenangaben, die in vielen Fällen durch Dokumente (Lebensläufe, Zeugnisse, Pässe, Passierscheine, Urteile des Volksgerichtshofs, Auszüge aus Publikationen usw.) ergänzt und illustriert
werden. Die blutroten »Schutzhaftbefehle«, die
eine Einweisung in ein KZ anordneten , die vorgedruckten Karten, die Häftlinge aus dem KZ beschreiben und versenden durften, oder die
schnöde telegraphische Todesmeldung aus dem KZ (»innerhalb 24 stunden hierher mitteilen ob leichenbesichtigung erwünscht [...] bezüglich Urnenüberführung mit bestattungsamt
dachau in Verbindung treten Sterbeurkunde standesamt dachau anfordern«) lassen
den Leser / Betrachter auch heute noch erschauern. Entstanden ist ein höchst informativer und zugleich eindrucksvoller Band. Er verdient
seinen Haupttitel Einzigartig in doppeltem Sinne, denn er ist sorgfältig gemacht und liefert einen wichtigen Beitrag nicht nur zur
Erforschung des deutschen Widerstandes, sondern auch zur Geschichte der
Berliner Hochschullandschaft am Übergang von Weimarer
Republik zum Dritten Reich.
Frank-Rutger Hausmann, in:
Informationsmittel (IFB), 2010