Jiri Fajt, Wilfried Franzen, Peter Knüvener (Hg.)

Die Altmark von 1300 bis 1600

Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck und Berlin

Auf dieses Buch hat die Altmark gewartet – als der inoffizielle »Vorläufer«, der im JBLG 61 (2010) von Felix Escher vorgestellte Tagungsband »Die Kunst des Mittelalters in der Mark Brandenburg«, in den Buchhandlungen lag, hoffte man auf ein vergleichbares Werk, das sich der so reichhaltigen Kunst des Mittelalters in der Altmark widmet. Daß man wirklich auf dieses Werk gewartet hat, zeigt der außerordentlich gute Verkauf: Allein in einer Salzwedeler Buchhandlung sind innerhalb eines Vierteljahres über zwanzig Exemplare dieses Werks verkauft worden – bei einem Preis von 78,- Euro eine sehr rege Nachfrage. Der vom Berliner Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte wie gewohnt vorzüglich gestaltete und ausgestattete Band eignete sich – zumal die offizielle Präsentation am 18. Oktober 2011 im Rathaus Stendal stattfand – sehr gut als ansprechendes Weihnachtsgeschenk für Altmark-Freunde, was einen Teil des Erfolgs erklären dürfte. Allerdings habe ich auch gerade aus solchen Kreisen Klagen gehört, daß die westliche Altmark in diesem Band unterrepräsentiert sei, ein Eindruck, den ein Blick ins Inhaltsverzeichnis zu bestätigen scheint: Von 32 Aufsätzen befassen sich acht Beiträge mit allgemein altmärkischen Themen, elf mit Stendal, vier mit Tangermünde, drei mit Werben, jeweils einer mit Lenzen, Wilsnack und Brandenburg an der Havel – die immerhin auch nicht zur östlichen Altmark zu rechnen sind –, dagegen nur drei mit der westlichen Altmark, nämlich jeweils ein Beitrag mit Arendsee, Salzwedel und Osterwohle. An dieser Stelle muß man dann aber darauf verweisen, daß es sich um einen Tagungsband handelt, um die Auswertung einer Tagung zur Kunstgeschichte der Altmark … Es dürfte üblich sein, daß Referenten auf einer wissenschaftlichen Tagung bei der Auswahl ihres Vortragsthemas aus ihrem Forschungsbereich eher dem Tagungsort Reverenz erweisen, als lokale Befindlichkeiten zu bedienen. Wer sich aber nicht auf das Lesen des Inhaltsverzeichnisses beschränkt, wird in den einzelnen Beiträgen weitere Verweise auf Kunstwerke und Befunde auch in der westlichen Altmark finden.
Das Inhaltsverzeichnis veranschaulicht die Verteilung der insgesamt 32 Beiträge auf die sieben Themenbereiche »Die «Altmärker» – Karrieren und Netzwerke«, »Markgräfliche und bischöfliche Repräsentation«, »Wallfahrten: Akteure, Wege und Orte«, »Austausch und Wechselwirkungen«, »Städtische Kultur: Stifter und Künstler«, »Die Reformation: Umbruch oder Kontinuität?« und »Bestand – Restaurierung – Denkmalpflege«. Jeder Themenbereich umfaßt vier bis sechs Beiträge, von denen ich im Folgenden nur eine Auswahl näher vorstellen kann.
Das Vorwort der Herausgeber begründet Stattfinden und Thema der Tagung und erläutert, warum der Anstoß für diese Tagung vom Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig ausging. Ihr Ergebnis ist nicht – wie der Titel dem Betrachter suggerieren mag – als endgültig-abschließende Bearbeitung altmärkischer Kunst in Spätmittelalter und Frühneuzeit zu verstehen, sondern bestenfalls als erster Versuch einer angemessenen Würdigung, der Anregungen für eine intensivere Beschäftigung mit Geschichte und Kunst der Altmark geben will. Aus meiner Sicht ist dieser Versuch überzeugend gelungen.
Unverzichtbar für die Vorstellung des Tagungsthemas und für die Zusammenfassung der vielschichtigen Themenbereiche und Einzelbeiträge ist die umfangreiche »Einführung« der Herausgeber Jiří Fajt, Wilfried Franzen und Peter Knüvener. Wenn diese auch durch einen auf gelblich getöntem Papier gedruckten umfangreichen Bildtafelteil streng von den Einzelbeiträgen getrennt wird, sollte man sie dennoch im thematischen Zusammenhang mit diesen sehen. Selbst wer nur an einzelnen Themen und Beiträgen des Tagungsbandes interessiert ist, sollte die Einführung und den Bildtafelteil – gewissermaßen eine sich an die textliche Einführung anschließende bildliche Einführung – nicht überblättern …
Im ersten Themenbereich »Die «Altmärker» – Karrieren und Netzwerke« werden zunächst in drei Beiträgen Personenverbände untersucht, nämlich Kleriker an den altmärkischen Kollegiatstiften Beuster, Stendal, Tangermünde und Arneburg von Christian Popp …, der hofgesessene Adel der Vogteien Tangermünde und Stendal von Joachim Stephan … und die von 1392 bis 1394 existierende »Alma fraternitas« des Benediktinerinnenklosters Arendsee von Christian Gahlbeck, bevor dann in zwei biographischen Beiträgen die Karrieren des Rechtsgelehrten Johann von Buch von Peter Neumeister und des als Magdeburger Erzbischof verstorbenen Dietrich von Portitz – erwähnenswert erscheint mir hier die ausführliche Darstellung seines Wirkens in Böhmen – von Jiři Fajt und Michael Lindner dargestellt werden.
Im Themenbereich »Markgräfliche und bischöfliche Repräsentation« werden vier Beispiele vorgestellt: eine von Tilo Schöfbeck als möglicher Kurfürstenhof interpretierte Hofanlage in Stendal, repräsentativer Backsteinschmuck an Tangermünder Bauten von Dirk Schumann, ein liturgisches Gewand aus der Stephanskirche Tangermünde von Christa Jeitner und ein vielleicht von Bischof Stephan Bodecker gestifteter Komplex von Glasmalereien im Brandenburger Dom von Eva Fitz.
Der dritte Themenbereich »Wallfahrten: Akteure, Wege und Orte« bringt Beiträge über archäologische Befunde zur wenig bekannten Pilgerstätte Marienberg bei Lenzen von Norbert Gossler, über die Ausstattung der Werbener Johanniskirche, vor allem die Glasmalereien und das Hochaltarretabel, von Wilfried Franzen, über niederländische Glasmalereistiftungen in der Nikolaikirche Wilsnack von Ute Bednarz und einen Überblicksbeitrag über das Wallfahrts- und Pilgerwesen in der Altmark unter dem etwas zu eng gefaßten Titel »Spätmittelalterliche Pilger und ihre Spuren zwischen Magdeburg und Werben« von Hartmut Kühne …
Den Themenbereich »Austausch und Wechselwirkungen« eröffnet ein Beitrag von Damian Kaufmann über Einflüsse von Friesland und Groningen auf den Backsteinbau im Mittelelbegebiet gegen Mitte des 13. Jahrhunderts … Der nächste Beitrag von Hansjörg Rümelin erörtert sich in Architektur und Bauplastik widerspiegelnde Wechselbeziehungen zwischen Lüneburg, Wismar und der Altmark im Spätmittelalter … Die letzten beiden Aufsätze dieses Themenbereichs widmen sich der Herkunft zweier Kunstwerke spätmittelalterlicher Sakralplastik in Stendal und Werben: Peter Knüvener weist für die Doppelmadonna in St. Marien in Stendal eine Magdeburger Werkstatt nach, Jan Friedrich Richter untersucht eine mögliche »hansische« Herkunft – Hamburg oder Lübeck – für das Dreifaltigkeits-Retabel der Johanniskirche in Werben.
Im Themenbereich »Städtische Kultur: Stifter und Künstler« finden sich Beiträge von Ernst Badstübner über den Hochalter von St. Marien in Stendal, von Anja Seliger über das auf 1501 datierte Chorgestühl des Meisters Hans Ostwalt von St. Marien in Stendal, von Mechthild Modersohn über das Stendaler Hieronymus-Retabel von 1511 – während des Dreißigjährigen Krieges als eine Art Beutekunst-Auftragsraub von Truppen der katholischen Liga nach München gebracht, heute im Kunsthistorischen Museum Wien – und von Jan Raue und Jens Christian Holst über bauhistorische Untersuchungen an einer spätgotischen Trinklaube am Ordonnanzhaus in Brandenburg an der Havel …
Den Themenbereich »Die Reformation: Umbruch oder Kontinuität?« eröffnet ein Beitrag von Michael Scholz über die altmärkischen Klöster im 16. Jahrhundert. Der folgende Aufsatz von Ruth Slenczka befaßt sich mit möglichen Ursachen des aufwendigen Innenausbaus der Franziskanerkirche in Salzwedel in den Jahren 1575–1582, auf dessen markantestes Ausstattungsstück, das heute im Danneil-Museum aufbewahrte Weinbergretabel von Lucas Cranach dem Jüngeren, Frau Slenczka näher eingeht. Die weiteren Beiträge befassen sich mit der Scherer-Orgel aus dem Jahr 1580 in der Stendaler Marienkirche (Kerstin Klein), mit Passionszyklen an altmärkischen Emporen (Ulrich Schöntube) und mit der Umgestaltung der Patronatskirche Osterwohle im Jahr 1621 (Christian Schulz).
Den abschließenden Themenbereich »Bestand – Restaurierung – Denkmalpflege« leitet ein Überblicksbeitrag über spätmittelalterliche sakrale Wandmalerei der Altmark von Torsten Arnold und Elisabeth Rüber-Schütte ein. Eine Karte verdeutlicht den erhaltenen Bestand an spätmittelalterlicher Wandmalerei in Kirchen der Altmark und weist Bilderwände sowie Darstellungen des Weltgerichts und des heiligen Christophorus gesondert aus. Diesen drei Gruppen und zusätzlich den Tabernakelfiguren gelten dann die weiteren Ausführungen dieses Beitrags. Drei weitere Beiträge dieses Themenbereichs befassen sich mit Farbuntersuchungen an Schnitzfiguren: Anke Dreyer behandelt eine Dreikönigsgruppe aus St. Marien in Stendal, Wibke Ottweiler ein Kruzifix aus der St. Georgskapelle in Stendal und Werner Ziems geht auf verschiedene Skulpturenfassungen des 14. Jahrhunderts im Gebiet der Mark Brandenburg ein. Die hier abgebildeten Farbrekonstruktionszeichnungen der Schildaer und der Spandauer Madonna finde ich beängstigend und abstoßend; wenn man diese Farbrekonstruktionen mit Tafelmalerei des Spätmittelalters vergleicht, erinnern sie in ihrer plakativen Leuchtkraft eher an Roy Lichtenstein als an Meister Bertram. Ein kurzer Beitrag von Karoline Danz stellt bereits erfolgte bzw. noch ausstehende Konservierungsmaßnahmen an der Innenausstattung altmärkischer Kirchen vor, bevor dann abschließend Gabriele Bark und Silke Junker vom Altmärkischen Museum Stendal auf eine Sonderpräsentation des Altmärkischen Museums unter dem Thema »Kunst des Mittelalters und der frühen Neuzeit« aufmerksam machen, die begleitend zur Tagung stattfand.
Den Anhang bilden ein umfangreiches Literaturverzeichnis, Personenregister, Ortsregister, Autorenverzeichnis, Bildnachweis und Impressum. Ob ein zentrales Literaturverzeichnis für einen Tagungsband bzw. für eine Sammlung von sehr unterschiedlichen Beiträgen verschiedener Autoren die beste Lösung ist, möchte ich nicht entscheiden. Günstig ist auf jeden Fall, daß am Ende der Einzelbeiträge jeweils Anmerkungen gemacht werden, die, wo sie auf Literatur verweisen, zwischen Text und Literaturverzeichnis vermitteln. Wenn solche Anmerkungen fehlen – wie z.B. beim »Brandenburgischen Klosterbuch« –, ist so ein Gesamtliteraturverzeichnis jedenfalls wenig hilfreich.
Da die Herausgeber diesen empfehlenswerten Tagungsband als ersten Versuch einer angemessenen Würdigung und Anregung für weitere Untersuchungen zur Kunst und Geschichte der Altmark verstanden wissen wollen, bleibt abschließend nur der Wunsch, daß diese Anregung auf fruchtbaren Boden fällt und zahlreiche interessante Untersuchungen zur altmärkischen Regional- und Kunstgeschichte nach sich zieht.
Steffen Langusch, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 63 (2012)

 

Gerade wer diese Landschaft schon in manchen Teilen zu kennen glaubte, wird überrascht und beeindruckt sein, in welcher bildhaften Schönheit und interpretatorischen Vielfalt sie nunmehr vorgestellt wird, nachdem der »Vorgängerband« von 2008 (»Die Kunst des Mittelalters in der Mark Brandenburg. Tradition – Transformation – Innovation«) – wenn auch räumlich und thematisch anders ausgerichtet – bereits neue Maßstäbe gesetzt hatte. Das nun vorliegende Werk ist insgesamt eindrucksvoll gelungen, besonders was die enge Zusammenarbeit von Kunsthistorikern und Historikern anbelangt.
Die Einführung der Herausgeber… richtet den Blick auf die eher großräumigen Zusammenhänge, besonders auf die mit dem Wechsel der Herrschergeschlechter der Mark Brandenburg… in die Altmark gelangten Einflüsse von Kunst und Architektur, wie sie sich aus der jeweiligen Herkunft und politischen Zielsetzung ergaben. Sie vergessen dabei aber nicht die Ausstrahlung der kulturreichen benachbarten Regionen… Diesem reichen Panoramagemälde folgt ein Block von »Tafeln« auf 75 großformatigen Seiten. Sie veranschaulichen, wie mittelalterliche Kunst durch moderne Abbildungstechnik ein faszinierendes Gesicht bekommen kann, zu einem »Augenschmaus« wird. Darüber hinaus ist jedem Einzelbeitrag ein Bildteil beigefügt, der so gelungen ist, dass man sich manchmal unwillkürlich fragt, warum man selbst bisher diese Dinge nicht ebenso wahrgenommen hat. Sehen künstliche Augen doch besser als das menschliche Sehvermögen?
Es folgt der in sieben Themenblöcke gegliederte Aufsatzteil, der insgesamt 33 Artikel unterschiedlichen Gewichts umfasst… Den ersten Komplex bilden »Die ›Altmärker‹ – Karrieren und Netzwerke«… Christian Gahlbeck gelingt es, durch eine präzise Untersuchung der Siegel des Benediktinerinnenklosters von Arendsee im Vergleich zum »sigillum alme fraternitatis« dieses Konvents… die weiträumige, wenn auch kurzfristige Vernetzung dieser ungewöhnlichen Bruderschaftsbildung zu »enttarnen«. Peter Neumeister präsentiert in einem material- und kenntnisreichen Problemaufriss den großen Rechtsgelehrten Johann von Buch aus der Altmark, der seiner politischen Bedeutung als Landeshauptmann der Wittelsbacher entsprechend und als Autor seines bedeutenden Rechtskommentars vielfältig in Erscheinung getreten ist…
Der zweite Themenblock befasst sich mit »Markgräflicher und bischöflicher Repräsentation«… Durch einen breit angelegten Vergleich der verschiedenen Baumaßnahmen in Tangermünde um 1450 und 1480… gelangt Dirk Schumann zu dem Ergebnis, dass die Landesherren hier als Bauherren und Architekturgestalter in Erscheinung getreten sind…
»Wallfahrten: Akteure, Wege und Orte« ist der dritte Teil betitelt, den Hartmut Kühne eröffnet. Anschaulich wird hier dargelegt, welchen wichtigen Platz die Altmark im System der Pilgerwege des 15. und frühen 16. Jahrhunderts eingenommen habe…
Der vierte Teil befasst sich mit »Austausch und Wechselwirkungen«… Hans Jörg Rümelin macht auf architektonische Verflechtungen zwischen dem Lüneburger Raum und der Altmark aufmerksam, wie es die »Ziegelmarkenforschung« für die Zeit zwischen 1376 und 1418 ermittelt hat, und ordnet sie in die interessanten hansischen Bezüge ein…
Die fünfte Themengruppe, »Städtische Kultur: Stifter und Künstler«, eröffnet der Beitrag von Ernst Badstübner, der am Beispiel des Hochaltars der Marienkirche von Stendal das Arbeiten nach Mustern in Plastik und Malerei – vermittelt durch Wanderungen, Vorlagenbücher oder auch Mäzene – vor Augen führt…
Unter der Frage »Die Reformation: Umbruch oder Kontinuität?« steht schließlich der Ausblick in das 16. und frühe 17. Jahrhundert. Michael Scholz konstatiert für die Altmark nach Einführung der Reformation eine vorsichtige Kirchenpolitik der Kurfürsten bei Vermeidung radikaler Brüche, besonders für weibliche Konvente…
Der achte und letzte Teil ist Problemen von »Bestand, Restaurierung, Denkmalpflege« gewidmet. Torsten Arnold und Elisabeth Rüber-Schütte erfassen mit der Verbreitungskarte und mit den vorgestellten Beispielen für die Altmark eine relativ reiche Wandmalerei seit dem 14./15. Jahrhundert, nicht zuletzt in Pfarrkirchen, und benennen die Probleme von Erhaltung und Restaurierung… Diesen Band wird man nicht nur mit Gewinn aus der Hand legen, sondern auch gern wieder in dieselbe nehmen, nicht zuletzt um in einigen Fällen verfolgen zu können, was aus den Forschungsprojekten letztlich geworden ist.
Knut Schulz, in:
Jahrbuch fur die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 58, 2012

 

Erstmals beschreibt ein prachtvoller Band die Blütezeit der Altmark während des Mittelalters und zeigt auf, welche enormen Kunstschätze bis heute in der Region erhalten sind.
Fast genau drei Jahre ist es her, dass Kunsthistoriker, Historiker und Restauratoren in Stendal zusammenkamen, um sich auf die Spuren der Kulturregion Altmark von 1300 bis 1600 zu begeben. Das Ergebnis haben sie nun in einem aufwändig gestalteten Buch zusammengefasst. Am Dienstag stellten die Herausgeber Wilfried Franzen und Peter KnüvenerJii Fajt als Dritter war dienstlich in Prag gebunden – gemeinsam mit ihrem Verleger Frank Böttcher vom Berliner Lukas Verlag das drei Kilogramm schwere Werk vor.
Stendals Oberbürgermeister Klaus Schmotz zeigte sich während der Buchpräsentation begeistert und stolz über die einst so reiche Region, deren Blütezeit fast fünf Jahrhunderte zurückliegt. Die Altmark als Ausgangsgebiet für die Mark Brandenburg – gern wird auch der Begriff der »Wiege Preußens« bemüht – erlebte im Mittelalter einen enormen Aufschwung. Wichtige Zentren waren die Hansestädte. »Stendal war damals die bedeutendste Stadt der Mark Brandenburg«, betont Schmotz und belegt dies mit der deutlich höheren Zahl der Stendaler Feuerstellen im Vergleich zu Berlin. Sein Nachsatz klingt fast ein bisschen wehmütig: »Wie sich doch die Zeiten geändert haben.« Die Bemerkung des Kunsthistorikers Peter Knüvener, Stendal sei die »Hauptstadt der Altmark« und daher ja auch Ort der Präsentation, war da sicher ein kleiner Trost.
Doch sind die Zeugnisse der vergangenen Blüte in der gesamten Altmark bis heute erhalten. Der Band »Die Altmark von 1300 bis 1600. Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck und Berlin« lädt ein, sich dieser Zeit zu nähern – und die vielen Kunstschätze in der Region zu entdecken. Oberbürgermeister Schmotz empfiehlt den Band, der auch fester Bestandteil der neuen Stendaler Bibliothek am Mönchskirchhof sein wird, den Altmärkern aufs Wärmste: »Das hat ja auch etwas mit Stolz auf die eigene Heimat zu tun.«
Obwohl es einen dichten und hervorragend erhaltenen Bestand an mittelalterlichen Kunstwerken in der Altmark gibt, standen sie bisher kaum im Fokus der kunsthistorischen Forschung. Dabei verfüge, erläutert Knüvener, ein Großteil über eine »außerordentlich hohe Qualität« und sei von überregionaler Bedeutung.
Dieser kaum vorhandenen Wahrnehmung der Altmark als reiche Kulturregion des Mittelalters wollen die drei Kunsthistoriker mit ihrem Tagungsband entgegenwirken. Verleger Böttcher unterstreicht diese Notwendigkeit, denn: »So ein Schatz muss auch gehoben werden.« Das Buch ist weitaus mehr als ein »Protokollband«. Ergänzt werden die über 30 Aufsätze durch eine sehr aufwändige Fotodokumentation. Knüvener: »Damit endlich mal die Objekte adäquat präsentiert werden, nicht nur in kleinen Schwarzweiß-Bildern.« Das Buch besticht durch seinen Reichtum an Details. »Wir wollten vom Großen ins Kleine gehen und umgekehrt«, erklärt der Kunsthistoriker. Das ist gelungen, die Abbildungen verzaubern mit erstaunlichen Blickwinkeln und Ausschnitten.
Der Band enthält nicht nur die wichtigsten Kirchbauten der Altmark, auch weniger bekannte Kleinode wie die Dorfkirche in Osterwohle werden erläutert. Zusätzlich kommt den beiden großen Sammlungen der Region – der des Altmärkischen Museums in Stendal und des Danneilmuseums in Salzwedel – besondere Aufmerksamkeit zu. Auch Beziehungsgeflechte über die Region hinaus werden beschrieben.
Dass trotz der vielen Jahrhunderte nach ihrer Entstehung so viele Kunstschätze in der Altmark erhalten sind, ist eine besondere Situation. Nach der Reformation gingen die Altmärker mit den katholischen Kunstwerken in den Kirchen offensichtlich sorgsamer um als in anderen Regionen.
Doreen Jonas, in: Volksstimme am 20.10.2011

 

Die Geschichtsschreibung und auch das Geschichtsverständ­nis ist im Land Sachsen-Anhalt für die Zeit des Mittelalters durchaus ottonisch geprägt. Magdeburg, Halber­stadt, Naumburg – alles sehr bedeut­same Orte der Landesgeschichte mit großen Schätzen an Kunst und Kultur. Bei so viel Glanz im Süden des Landes fristet die Altmark im Norden eher ein Schattendasein. Völlig zu Unrecht! Ein kürzlich erschienener, pracht­voll gestalteter Band will die große Bedeutung dieser Region des Landes westlich der Elbe vor allem aus kunst­historischer Sicht ins rechte Licht rücken. Er fasst die Ergebnisse einer Tagung von Historikern, Kunsthistori­kern, Denkmalpflegern, Restauratoren und Archäologen aus ganz Deutschland zusammen, die 2008 im Altmärkischen Museum in Stendal stattfand – und ist viel mehr als »nur« der Protokollband einer wissenschaftlichen Konferenz: »Die Altmark von 1300 bis 1600. Eine Kulturregion im Spannungsfeld von Magdeburg, Lübeck, Berlin« lautet der Titel des drei Kilogramm schweren Bu­ches, herausgegeben wurde es von den Kunsthistorikern Jiři Fajt, Peter Knüve­ner, Wilfried Franzen. Erschienen ist es im Berliner Lukas Verlag.
Der Grund für die mangelnde Wahr­nehmung der Altmark hat verschiedene Ursachen. Dabei war der Landstrich Ausgangsgebiet für die spätere Mark Brandenburg, in der Geschichtsschrei­bung des 19. Jahrhunderts wurde die Altmark gar zur »Wiege Preußens« stilisiert. Ein Bild, das noch heute gern bemüht wird.
Stendal war vor mehr als fünf Jahr­hunderten eine der größten Städte der Mark Brandenburg – Berlin spielte noch keine Rolle. Acht altmärkische Städte gehörten dem wichtigsten Handels­bund des Mittelalters, der international agierenden Hanse, an. Tangermünde fungierte als Residenz Kaiser Karls IV. Sowohl die brandenburgischen Lan­desherren als auch starke regionale Adelsfamilien und ein erstarkendes Bürgertum entwickelten die Altmark zu einer der bedeutendsten Regionen des Mittelalters.
Zeichen ihrer kulturellen Blüte vom 14. bis 16. Jahrhundert sind noch heute vielerorts sichtbar. In kaum einem an­deren Gebiet herrscht so eine Dichte an hervorragend erhaltenen Kunstwerken aus dieser Zeit. Selbstverständlich spie­gelt sich auch hier die alle Lebensberei­che durchdringende tiefe Religiosität der Menschen dieser Zeit wider.
Dass die Region im Norden Sach­sen-Anhalts dennoch kaum wahrge­nommen wird, ist sicher ihrer wech­selvollen Zugehörigkeit geschuldet: Im historischen Verständnis ist die Alt­mark brandenburgisch, politisch ge­hört sie nach der Eingliederung in die Preußische Provinz Sachsen, nun zu Sachsen-Anhalt.
Mit ihrem Band über die Altmark ist es dem Kunsthistoriker-Trio gelungen, eine bisher auch in der wissenschaftli­chen Forschung wenig beachtete Kul­turregion zu beschreiben. Die mehr als 30 Aufsätze untersuchen verschiede­ne Epochen und Aspekte. »Markgräf­liche und bischöfliche Repräsentati­on«, »Wallfahrten: Akteure, Wege und Orte«, »Städtische Kultur: Stifter und Künstler«, »Reformation: Umbruch oder Kontinuität« und auch »Bestand – Res­taurierung – Denkmalpflege« gehören zu den sieben großen Themenbereichen des Buches. Vorangestellt ist eine ein­gängige Einführung in die Geschichte der Altmark.
Diese vielschichtige Herange­hensweise ist besonders beachtens-wert, da noch immer eine umfassende Publikation über die mittelal­terliche Geschichte der Altmark unter Einbeziehung aktueller Erkenntnisse der Forschung fehlt. Auch die große His­torikerin Lieselott Enders hat in ihrem umfangreichen Werk über die Altmark von 2008 dem Mittelalter nur einen kur­zen Abriss eingeräumt.
Seinen außerordentlichen Wert er­hält das Buch durch eine höchst auf­wändige Fotodokumentation. Fast 70 Seiten sind allein der Präsentation alt­märkischer Kunstschätze gewidmet. Schnitzereien voller Lebendigkeit, er­staunliche Glas- und Wandmalereien, Farben mit unglaublicher Leuchtkraft hat der Fotograf Radovan Boček mit sei­ner Kamera eingefangen. Dabei such­te er außergewöhnliche Blickwinkel und schuf auf diese Weise Aufnahmen, die dem Betrachter normalerweise verborgen bleiben. Atemberaubende Schönheiten werden im Großformat präsentiert und zeugen vom Stolz und der Potenz einer Kulturregion. Klug ge­wählte Ausschnitte erlauben Einblicke in kleinste Details – und lassen eine faszinierende Pracht und Kunstfertig­keit erkennen.
Mitherausgeber Peter Knüvener be­gründete die besondere Gewichtung auf die Fotografie, »damit endlich mal die Objekte adäquat präsentiert werden, nicht nur in kleinen Schwarzweiß-Bil­dern«. Ziel sei es gewesen, vom Großen ins Kleine zu gehen – und umgekehrt. Eine wahrhaft gelungene Entschei­dung.
Der Band beschränkt sich keines­wegs nur auf die bedeutenden Kirchen in den kulturellen Zentren der Altmark wie Stendal und Salzwedel, auch we­niger bekannte Kleinode wie die Patronatskirche Osterwohle werden aus­führlich erläutert. Zusätzlich kommt den beiden großen Sammlungen der Re­gion – der des Altmärkischen Museums in Stendal und des Danneil-Museums in Salzwedel – besondere Aufmerksam­keit zu.
Bei gut 550 Seiten kann man schwer­lich von einem »Kunstführer« durch die Altmark sprechen. Das soll es ja auch gar nicht sein. Vielmehr ist es ein (Ver-) Führer in die Geschichte einer Region, verfasst mit großem Fachwissen und gestaltet mit hoher Ästhetik, der zum einen die Lust aufs Entdecken verbor­gener Schätze weckt und zum anderen dafür sorgt, dass diese Kulturregion aus ihrem Schatten heraus und ins rechte Licht gerückt wird.
Doreen Jonas, in: Volksstimme am 26. November 2011