Karl-Heinz Meißner
Die Reglerkirche in Erfurt und ihr Altar
Der sog. Altar der Erfurter
Reglerkirche, ein um 1470 entstandener, zweifach wandelbarer, mit Predella und
Gesprenge versehener Altaraufsatz mit geschnitzter Festtagsseite und zwei
beweglichen, bemalten Flügelpaaren, gehört zu den bedeutendsten Werken der
spätgotischen Kunst in Mitteldeutschland…
Schon die Aufmachung des reich bebilderten, aber mit 102 Seiten nicht besonders
umfangreichen Buches lässt die Intention der Herausgeber erkennbar werden: Der
Leser soll anhand der mehr als 50, von dem Fotografen Lutz Naumann gefertigten
und in guter Qualität reproduzierten Total- und Detailaufnahmen zur Betrachtung
dieses spätgotischen Meisterwerkes eingeladen werden, die komplexen Bildräume
erkunden, die reichen koloristischen Werte bestaunen, aber auch Einzelheiten
der minutiös ausgearbeiteten Malereien und Schnitzereien entdecken, die dem
bloßen Auge bei normaler Ausleuchtung vor Ort verschlossen bleiben.
Mit Karl-Heinz Meißner, einem Theologen und ehemaligen Kunstgutbeauftragten der
evangelischen Kirche in Thüringen, meldet sich ein ausgewiesener Kenner der
Erfurter Kunst und speziell der Reglerkirche zu Wort. In drei 1998, 2002 und
2009 in den Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von
Erfurt erschienenen Aufsätzen hat er sich bereits zur Geschichte des
regulierten Augustinerchorherrenstifts, kurz Regler-Stift genannt, in Erfurt
und seiner Kirche geäußert.
Das hier anzuzeigende Buch ist dreiteilig aufgebaut. Zunächst wird einleitend
die Geschichte des Kirchenbaus und seiner Ausstattung referiert…
Im zweiten Abschnitt, dem eigentlichen Hauptteil des Buches, werden die
einzelnen Bestandteile des Altarwerkes, beginnend mit den äußeren Tafeln,
erläutert. Die Beschreibung beschränkt sich auf die Benennung der Bildthemen
und des bzw. der Dargestellten; bei den Heiligen folgen knappe Angaben zu deren
Legenden. Ikonografische Besonderheiten, wie z.B. die Prophetengalerie oder der
Umstand, dass am Regleraltar abweichend vom allgemeinen Schema zuerst die
Dornenkrönung, dann die Geißelung Christi dargestellt ist, werden zwar benannt,
aber nicht weiterführend diskutiert. Erstaunlich bleibt, dass die Frage nach
einem dem Gesamtwerk zugrundeliegenden theologischen Programm nicht erörtert
wird; Meißner belässt es bei knappen thematischen Ansprachen der einzelnen
Wandlungen.
Der dritte und letzte Abschnitt des Buches widmet sich der kunsthistorischen
Einordnung des Regleraltars und beginnt mit einigen allgemeinen Ausführungen
zum Kunstbegriff und Werkstattbetrieb im späten Mittelalter sowie zur Herkunft
der am Regleraltar nachweisbaren Schmuckmotive. Hinsichtlich der Malerei
unterscheidet Meißner drei Meister: Dem Hauptmeister werden die künstlerisch
herausragenden vier Tafeln der ersten Wandlung zugeschrieben, die Malereien der
äußeren Tafeln und die der Predella hingegen sind Werke zweier weiterer
begabter Meister. Eine Herkunft des Hauptmeisters aus dem Rhein-Main-Gebiet
wird behauptet, aber nicht näher belegt.
Für die Schnitzereien wird die Entstehung in Erfurt stillschweigend
vorausgesetzt; die zum Vergleich herangezogenen Werke datieren zwischen 1464
und 1487 und helfen nur bedingt, Fragen der künstlerischen Provenienz und
zeitlichen Einordnung zu klären. Nach einer etwas unglücklich eingeschobenen
Passage zu den späteren Schicksalen des Altars folgen Anmerkungen zu »weiteren
Werken aus dem Umkreis des Regleraltars«. Sie beziehen sich ausschließlich auf
das malerische Werk des Hauptmeisters, blenden also die reichhaltige Nachfolge
der Schnitzwerkstatt aus. In seiner Argumentation stützt sich der Autor im
Wesentlichen auf die aus einem studentischen Seminar hervorgegangene und von
Wolfgang Kemp 1989 herausgegebene Publikation zum spätgotischen Altar von
Bosserode, einem dem Meister des Regleraltars zugeschriebenen Werk.
Kritisch anzumerken bleibt an dieser Stelle, dass sowohl hier als auch im
Literaturverzeichnis die ältere Forschung, etwa das 1935 erschienene Werk von
Werner Kloos über die Erfurter Tafelmalerei von 1350–1470 und die ungedruckte,
um 1930 entstandene Arbeit von Margarete Riemschneider-Hoerner zu den Thüringer
Altarwerkstätten der Spätgotik keine Erwähnung finden, obgleich beide bezüglich
des Regleraltars Grundlagenarbeit geleistet haben. Auch werden die bisher
leider nur in einem Kurzbericht vorliegenden Ergebnisse einer restauratorischen
Untersuchung unter Leitung von Roland Möller aus den 1970er Jahren zwar
erwähnt, aber die naheliegende Frage, ob der Regleraltar nicht ein Mixtum
compositum darstellt, bei dem Werke unterschiedlicher Provenienz und
gegebenenfalls auch Alters zusammengefügt wurden, nicht gestellt. Es bleibt
also eine Aufgabe künftiger Forschung, mithilfe verschiedener Wissenszweige und
Methoden, naturwissenschaftlicher ebenso wie geisteswissenschaftlicher, dem
Geheimnis dieses wohl bedeutendsten Werks der spätgotischen Kunst in Thüringen
aus der Zeit um 1470 näher zu kommen.
Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist sowohl dem Text- wie dem Bildautor als
auch dem Verlag für die Herausgabe dieses, von kleinen Fehlern abgesehen,
sorgfältig redigierten und reich bebilderten Kunstführers zu danken.
Rainer Müller, auf: www.sehepunkte.de (Mai 2013)
Den vollständigen Beitrag
lesen…
… Das Buch liefert von allen Teilen des Altaraufsatzes Gesamt- und
Nahaufnahmen, teilweise auch Detailaufnahmen. Ein einfühlsamer Text erläutert
die inhaltlichen Zusammenhänge der Darstellungen, dann auch ihre Entstehung
und den Kontext, in dem dieser Altaraufsatz kunsthistorisch einzuordnen ist.
Es wird Wert gelegt auf die geistliche Bedeutung, die die Malerei- und
Schnitzzyklen dem Betrachter ins Herz legen wollen.
In: Jahrbuch für Liturgik und Hymnologie
2012
Der Erfurter Regler-Altar ist fester Bestandteil jeder
einschlägigen Publikation zur Geschichte der Malerei in Deutschland. Doch wenn
von ihm oder vom »Meister des Regler-Altars« gesprochen wird, ist meistens
ganz selbstverständlich nicht die Gesamtheit des mächtigen Retabels im Blick,
sondern es sind nur die vier Gemälde auf den Flügeln der ersten Wandlung
gemeint …
Karl-Heinz Meißner widmet seinen Text, der von durchweg farbigen Abbildungen
nach Aufnahmen von Lutz Naumann aus Coburg begleitet wird, als Erfurter und
Kenner des Werkes nun aber dessen Gesamtheit und beginnt zunächst mit der
Baugeschichte der Reglerkirche selbst, um auch den Aufstellungsort als
historischen Bestandteil des Werkes mit einzubeziehen …
Nach der Erläuterung des Stipes, des Altarblocks mit dem Reliquienfach, und des
Aufbaus des Retabels beginnt der Autor die ausführliche Beschreibung, wobei er
den Schwerpunkt auf die Ikonographie legt. Er betrachtet von außen nach innen
und nennt die bei geschlossenem Altar sichtbaren Flügel die erste Schauseite.
Sie zeigt, gemalt in einer zweigeschossigen Arkatur, insgesamt zwölf Heilige,
zu Dreiergruppen geordnet, in bemerkenswerter, auf die Mitte symmetrisch
bezogener Komposition.
Die erste Wandlung öffnet den Altar und zeigt die »großen Maltafeln«, die
allein dem »Meister des Regler-Altars« zugeschrieben werden … Meißners
Beschreibungen wie auch die sehr gut wiedergegebenen Abbildungen gehen bis ins
Detail.
Als »zweite [?] Schauseite« bezeichnet Meißner den gänzlich geöffneten Altar
mit den geschnitzten Reliefs und Figuren, die sich wie auch die Rahmung in goldener
Pracht darbieten. Es ist auf jeden Fall die Festtagsseite. Dieser materielle
Aufwand war ausschließlich an hohen Kirchenfesten zu sehen, die Schauseite der
ersten Wandlung mit den Tafeln vom Meister des Regler-Altars dagegen wohl nur
zur Passionszeit; die Außenflügel mit den Heiligenreihen wurden alltags
gezeigt, so dass die längste Zeit im Jahr das Retabel geschlossen war.
Seitens der Wissenschaft sind die geschnitzten Teile des Retabels bisher
weniger beachtet worden. Dabei sind sie es, die in der Kunstlandschaft breite
Wirkung gehabt haben, in Erfurt selbst (Taufstein in der Severikirche von 1467)
wie auch in näherer (Arnstadt, Mühlhausen, Sömmerda u.a.) und weiterer Umgebung
(Stendal St. Marien). Die Marienkrönung im Schrein bleibt als
Darstellungstyp über längere Zeit in der Region verbindlich. Die
Baldachinreihen über den Szenen, die von Meißner den Freuden (links Kindheit
Jesu) und Schmerzen Marias (rechts Passion) zugeordnet werden, sind zum
Kennzeichen einer oder mehrerer in Thüringen arbeitenden Schnitzwerkstätten
geworden.
Die Beschreibungen des Autors enden mit der Würdigung des sehr qualitätvollen
Rahmendekors (wieder mit sehr eindrucksvollen Abbildungen) und der Betrachtung
von Gesprenge und Predella (fünf Szenen der Katharinenlegende). Im
Schlusskapitel versucht Karl-Heinz Meißner eine kunsthistorische Einordnung. Er
verweist auf »thüringische und konkret Erfurter Traditionen« (Altar in der
Barfüßerkirche von 1445/46). Die Qualität der vier Haupttafeln wird noch einmal
hervorgehoben und auf mögliche Zusammenhänge mit anderen deutschen
(Rhein-Main-Gebiet) und niederländischen Kunstlandschaften und Meistern (Rogier
van der Weyden) verwiesen …
Ernst Badstübner, in: Jahrbuch für
Erfurter Geschichte, 7 (2012)
Er sei das Herzstück der Kirche, umreißt Pfarrer Johannes Haak die
Bedeutung des Altars in der Erfurter Reglerkirche. Gleichzeitig ist er das
größte erhaltene Retabel in Erfurt überhaupt und einer der herausragendsten
spätgotischen Altäre in ganz Mitteldeutschland. Das Kunstwerk wird jetzt zum
ersten Mal mit einem Bildband umfassend gewürdigt.
Autor Karl-Heinz Meißner, Theologe und Kunstgeschichtler, war schon bei seinem
ersten Besuch in der Reglerkirche vor fast fünfzig Jahren von der Pracht des
mehrfach wandelbaren Retabels beeindruckt. Daran wird für ihn der
mittelalterliche Gedanke erkennbar, dass Gott in der Schönheit lebt: Seine
Herrlichkeit »wird sichtbar an allen Stellen des Altars«, an dem man sich »die
Augen wund sehen« kann, sagt er. Einen Eindruck dieser Schönheit kann der
Betrachter in dem neuen Buch mit fast sechzig farbigen Fotografien von Lutz
Naumann bekommen. Zudem zeigen die Aufnahmen viele Details, die dem Besucher
der Kirche normalerweise verborgen bleiben. Das liegt schlicht an der großen Entfernung
zwischen dem Auge des Betrachters und den Malereien und Schnitzereien.
Überhaupt die Schnitzereien. Wenn Meißner darüber erzählt, kommt er regelrecht
ins Schwärmen. Sie prägen den fünfgliedrigen Flügelaltar. Dessen verschiedene
Bilder sind zu den verschiedenen Zeiten des Kirchenjahrs zu sehen – von der
kargen Seite der Fasten- und Adventszeit bis zur vergoldeten Pracht des
geschnitzten Innersten, die Weihnachten einen besonderen Glanz verleiht.
Karl-Heinz Meißner glänzt mit detailreicher Kenntnis des Altars und seiner
Geschichte. So befanden sich Teile davon bis zum Zweiten Weltkrieg gar nicht im
Besitz der Reglergemeinde, sondern im Erfurter Angermuseum. Und der
ehrenamtliche Archivar der Gemeinde, Hubert Bartnik, ergänzt, dass ein
Altar-Flügel zu DDR-Zeiten sogar nach Berlin transportiert wurde. Das Regime
wollte damit zeigen, wie viel Geld in kirchliche Kulturgüter – zum Beispiel für
Sanierungsarbeiten – gesteckt wurde.
Andere Fragen bleiben trotz umfangreicher Nachforschungen ungeklärt. So ist nicht
genau bekannt, wer den Altar um 1470 schuf. Deshalb ist die Rede vom »Meister
des Regler-Altars«. Verschiedene künstlerische Handschriften lassen darauf
schließen, dass eine ganze Werkstatt, ein Meister und sein Tross von Helfern,
daran gearbeitet hat.
Für das gerade erschienene Buch haben alle Mitwirkenden auf ein Honorar
verzichtet. Viele andere aus der Gemeinde spendeten dafür insgesamt 6500 Euro.
Nur so war es überhaupt möglich, dass das Buch im Lauf der vergangenen Jahre
entstehen konnte, sagt Johannes Haak.
Markus Wetterauer, in: Glaube + Heimat,
01.01.2012