Harald Schwillus und Andreas Hölscher

Band 10: Weltverachtung und Dynamik

Das 1998 vielfach gefeierte Jubiläum des 900. Jahrestags der Gründung des Klosters Cîteaux in Frankreich war für den Lukas Verlag Anlaß, ein neues Forum zur Erschließung der Geschichte, Kunst und Kultur der Zisterzienser zu schaffen, im Hinblick auf den Beitrag der Zisterzienser zur abendländischen Kultur besonders in Ostdeutschland. Inzwischen sind schon zwölf Bände des neuen Forums erschienen mit fundierten Untersuchungen zur Bedeutung des Zisterzienserordens für die wirtschaftliche, kulturelle und geistige Entwicklung in der brandenburgischen Region.
Der hier anzuzeigende Band ist das Ergebnis einer Tagung (13./14. Februar 1998) des Berliner Instituts für Lehrerfortbildung – anläßlich der 900. Wiederkehr der Gründung von Cîteaux – unter dem Thema »Zisterzienser. Brandenburg. Vorpommern«. Diese Tagung war der Auftakt einer Reihe von Veranstaltungen des Erzbistums Berlin zu diesem Thema. Sie war Bestandteil eines Gesamtprojekts, zu dem eine Wanderausstellung unter dem gleichen Titel u.a. in Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Lehnin gezeigt wurde und noch gezeigt wird. Daneben gab es Studienfahrten und Studientagungen sowie Material für Unterricht und Erwachsenenbildung. Als Auftakt des Gesamtprojekts bieten die im vorliegenden Band abgedruckten Vorträge einen allgemeinen Überblick im Sinne einer Einführung in die Geschichte und Bedeutung des Zisterzienserordens. »Weltverachtung« und »Dynamik« sind die beiden Aspekte, unter denen die Autoren des Bandes die zisterziensische Lebensweise analysieren. Auf diese Weise wird die Spannung deutlich, in der die Zisterzienser über Jahrhunderte lebten, einerseits auf der Suche nach Einsamkeit und Kontemplation, andererseits in dem Bestreben, einen Beitrag zu Politik, Wirtschaft und Kultur Europas, gerade auch Ostdeutschlands zu leisten. Wie diese Spannung über Jahrhunderte hinweg im Mittelalter, aber auch nach der Reformation stets neu diskutiert und austariert werden mußte, machen die Beiträge von Klaus Wollenberg und Klaus Wittstadt deutlich. Konzis verfolgt Wollenberg die Stellung des Zisterzienserordens im mittelalterlichen Ordenswesen und dessen Ausbreitung in den deutschsprachigen Gebieten. Besonders berücksichtigt er die Reform des Mönchtums im 10. und 11. Jahrhundert. Dabei widmet er sich auch der Gründung des Zisterzienserordens und der organisatorischen Weiterentwicklung der Ordensstruktur. Wittstadt befaßt sich ergebnisreich mit dem Schicksal der Zisterzienserklöster in katholischen Gebieten nach der Reformation. Im Mittelpunkt seiner Analyse stehen Themen wie die Krise des Ordens im Spätmittelalter, die Reformation als Einschnitt für die Zisterzienser, der Verfall der fränkischen Zisterzienserklöster infolge der Reformation, die fränkischen Zisterzienserklöster im Zeitalter der Gegenreformation und Katholischer Reform, der Gesamtorden im Prozeß der Katholischen Reform, in der Barockzeit und zur Zeit der Aufklärung und Säkularisation.
Die Auswirkungen zisterziensischer Weltverachtung und Dynamik auf das Verhältnis zur Frauenfrömmigkeit und zur architektonischen Gestaltung der Kloster- und Kirchenbauten der Zisterzienser untersuchen Franz J. Felten und Ernst Badstübner. In einer umfassenden und profunden Darstellung geht Felten der Ausbreitung der Zisterzienserinnenklöster im 12. und 13. Jahrhundert nach mit Blick auf die Forschungsgeschichte zu den ältesten Gründungen, auf die ältesten Statuten zu Frauenklöstern, auf die Formen und Bedingungen der Inkorporation durch das Generalkapitel und auf das Urteil bedeutender Zeitgenossen der Zisterzienserinnen (u.a. Jakob von Vitry, Hermann von Tournai, Gilbert von Sempringham, Idung von Prüfening). Die Analyse des statistischen Befunds, der Verlaufskurven der Gründungen von Männer- und Frauenzisterzen, der Generalkapitelsstatuten des Ordens und der Aussagen der zeitgenössischen erzählenden Quellen läßt Felten zu dem eindeutigen Befund kommen, daß die Zahl der Frauenzisterzen im Vergleich zu denen der Männer signifikant weit zurückbleibt. Daß die Spannung von Weltverachtung und Dynamik sich insbesondere auch in der Architektur zahlreicher Zisterzen zeigt, demonstriert eindrucksvoll Badstübner am Beispiel der Zisterzen in Nordeuropa und der Backsteinbaukunst an der südlichen Ostseeküste. Der den Band abschließende Beitrag von Harald Schwillus erhellt in einem sehr informativen Überblick die Geschichte der ehemaligen Zisterzen zwischen Elbe und Oder. Ein Orts- und Namenregister schließt diesen wissenschaftlich fundierten Band, der wichtige Aspekte zur Entwicklung des Zisterzienserordens schlechthin bietet. Fritz Wagner in »Cistercienser Chronik. Forum für Geschichte, Kunst, Literatur und Spiritualität des Mönchtums«, Heft 1/2003