Christopher Oestereich

»Gute Form« im Wiederaufbau
Zur Geschichte der Produktgestaltung in Westdeutschland nach 1945

Diese lesenswerte Kölner Dissertation beschäftigt sich mit einem in der historischen Forschung bisher kaum bearbeiteten Thema, der Produktgestaltung in der Wirtschaftswundergesellschaft. Formensprache, ökonomische Methoden der Produktplanung und des Vertriebs stehen im Mittelpunkt gesellschafts-, kultur- und wirtschaftsgeschichtlicher Fragestellungen. Ausgehend von der Entwicklung des Deutschen Werkbundes (DWB) werden die Bedeutung der Formgebung als Wirtschaftsfaktor, die Entwicklung des Industrial Design, die Einflußnahme und Förderung durch den Staat, die Reaktion der Konsumenten und die Ausbildung an Werkkunstschulen und im Handwerk kenntnisreich dargestellt. Abbildungen von Werkbundausstellungen, von Produkten formschöner Industriegüter, Tabellen über die Entwicklung des gestaltenden Handwerks in der Bundesrepublik und die Ausstattung privater Haushalte mit langlebigen Gebrauchsgütern bieten einen informativen Überblick über die Entwicklung von 1956-1962. Der Verfasser verdeutlicht die ideelle und soziale Dimension der Verbindung von angewandter Kunst und Wirtschaft und ihre wechselseitigen Beziehungen. Als Reformbewegung des Kunstgewerbes am Anfang des 20. Jahrhunderts gegründet und während der NS-Zeit als Objekt der Kulturpolitik instrumentalisiert, stellte der DWB nach 1945 den Bezug zu den Problemen der Nachkriegsgesellschaft her. In allen Besatzungszonen, einschließlich der SBZ, standen der organisatorische Aufbau und die Wiederaufnahme der Tätigkeit kultureller Einrichtungen gleichermaßen zur Überwindung der enormen Zerstörungen auf der Tagesordnung. Die Zerstörungen wurden aber auch als Chance gesehen, »die gebaute Umwelt neu zu gestalten«. Die Untersuchung zeigt neben dem im Sinne des DWB vorbildlichen künstlerisch-gewerblichen Schaffens – von der Architektur bis zur Glas- und Tapetenindustrie – die Entwicklung der gestaltenden Handwerkszweige und ihre Bedeutung für die schöpferische Mitgestaltung des Wiederaufbaus. Für die Durchsetzung des reformerischen Werkbundgedankens im Ausbildungswesen oder die Organisation von Messen und Ausstellungen wurde genau wie für die Förderung des Exportes staatliche Hilfe benötigt. Mit dem wachsenden Einkommen der Bevölkerung entstand für Industrie und Staat ein neues Arbeitsfeld, die Einbeziehung von Verbraucherorganisationen in die Planung der Produktgestaltung. Der Verfasser hat eine wichtige Analyse zur Veränderung der bundesrepublikanischen Gesellschaft der Nachkriegszeit vorgelegt. Hermann-Josef Rupieper in »Das Historisch-Politische Buch«, H. 4/2001

Mit gut einem Kilo Gewicht ist die von Christopher Oestereich vorgelegte Dissertation »›Gute Form‹ im Wiederaufbau« ein ziemlich schweres Buch. Es liest sich nicht gerade leicht. Die Sprache, um ein Höchstmaß an Neutralität bemüht, ist dröge, der über 460 Seiten fortlaufende Text wird von keiner Abbildung, keiner Tabelle unterbrochen. Karge Visualisierungen finden sich erst im Anhang, was die Vermutungen nahelegt, der »Lukas Verlag« habe das Manuskript im Original unverändert übernommen. Das mag zwar gut sein für die Kalkulation, die Lesefreundlichkeit begünstigt es nicht. Daß der Verlag mit dieser sparsamen Publikationspraxis nicht allein steht, sei der Fairness halber hinzugefügt.
Trocken also kommt der Text daher, seine Aufmachung, trotz des lächelnden Ludwig Erhard auf dem Cover, ist kaum attraktiv. Und doch bietet es, sobald man den roten Faden gesichtet hat, eine spannende Geschichte. Hier wird die Entwicklung der Produktgestaltung »im Wiederaufbau« von 1945 bis 1960 betrachtet. Sie verdankt sich, so der akribisch belegte Befund des Verfassers, vor allem dem »Deutschen Werkbund«. Und das nicht von ungefähr. Wer anders als der DWB hätte denn angesichts eines radikalen Neubeginns die Rolle der maßgeblichen Gestaltungsinstanz beanspruchen dürfen?
Nach der Diffamierung seiner Ideen durch die Nationalsozialisten, seiner Auflösung im Jahre 1938 und der Flucht vieler seiner führenden Mitglieder ins Exil oder in die innere Emigration sah er sich nun politisch und moralisch im besonderen Maße legitimiert, die kulturelle Landschaft einer neuen Gesellschaft und ihrer Güterproduktion durch deren adäquate Gestaltung mit zu prägen. Schließlich war schon 1907 die Reformpolitik mit dem Ziel, ein zeitgemäßes Design durchzusetzen, Ursprung und Leitthema der von Architekten, Künstlern, Industriellen, Politikern und Publizisten gegründeten Vereinigung. Bis 1933 waren Teilerfolge zu verbuchen, danach war die Moderne mundtot gemacht. Christopher Oestereich zeigt auf, mit welcher Vehemenz der DWB diese Reformgedanken bereits unmittelbar nach Kriegsende wieder aufgegriffen hat. Und er führt vor Augen, welchen Einsatz seine profilierten Persönlichkeiten auch unter misslichen Bedingungen leisteten. Dieses Engagement setzt sich erstaunlicherweise in gleicher Intensität über nahezu 25 Jahre fort.
Nur ein Kapitel widmet sich allein dem »Deutschen Werkbund«. Oestereich beleuchtet das Konzept der »Guten Form« – auch sie letztlich eine Werkbund-Schöpfung – und untersucht vorrangig, in welcher Gewichtung Wirtschaft, Staat und Verbraucher nach dem Krieg auf die Gestaltung von Industriegütern Einfluß nahmen. Zweifellos engagierten sich DWB-Mitglieder – sozusagen als Doppelagenten – gerade in der Wirtschaft und Politik für eine Anhebung des gestalterischen Niveaus. Es ging ihnen um Öffentlichkeit und darum, Entscheidungsprozesse zu befördern. Sicher, man konnte auch damals die Werkbund-Freunde Heuss oder Erhard nicht pausenlos mit Reformvorschlägen zur Erzeugnisgestaltung bombardieren. Aber das mühsame Geschäft der Überzeugungsarbeit entfiel, war doch »moderne Gestaltung« ein gemeinsames Anliegen. Als berufsübergreifendes Netzwerk hat der »Deutsche Werkbund« in jenen Jahren – mit Hartnäckigkeit und großem Einsatz – für die Produktgestaltung eine Menge erreicht. Dazu zählt neben der Konzeption und Gründung des »Rates für Formgebung« vor allem die mit vielen Rückschlägen bestrafte Etablierung von Werkkunstschulen als Ausbildungsstätten von Industrie-Designern. Und für eine kurze geschichtliche Periode galt auch die »Gute Form« als das Gütesiegel einer offiziell sanktionierten Gestaltung.
Wie dies alles bewerkstelligt wurde
und wer, wann, mit wem sich wofür verbündete, das geht vorrangig aus den Fußnoten hervor. Hier offenbaren sich die unerschrockenen Akteure, darunter Kurt Schwippert, Wilhelm Wagenfeld, Heinrich König und Jupp Ernst. Als profund recherchierte Hommage ist Christopher Oestereichs Buch dem DWB, den kulturgeschichtlich interessierten wie auch den passionierten Fußnotenlesern zu empfehlen. Gerda Müller-Krauspe in »FORM. Zeitschrift für Gestaltung«, 6/2000, S. 6, auch in englischer Übersetzung.