Clemens Bergstedt:

»Ein Festungsturm im Angesicht des Feindes«

Zur Frühgeschichte des Bistums Havelberg

Das Bistum Havelberg war nicht nur eine kirchliche Institution, sondern auch ein weltliches Fürstentum. Das weltliche Herrschaftsgebiet der Havelberger Kirche lag vor allem im Landstrich zwischen Elbe, Elde und Dosse, der seit der Mitte des 14. Jahrhunderts Prignitz genannt wird. Von der Macht des Bistums zeugen dort die mächtigen Kirchenbauten in Havelberg und Wilsnack sowie Wehranlagen wie die Plattenburg oder die Burg in Wittstock. Unter Einbeziehung neuer Forschungsergebnisse wird die dreihundertjährige Entwicklung des Bistums als Wechselspiel zwischen Reichs-, Landes- und Regionalgeschichte beschrieben.
in: »Märkische Allgemeine Online«, 19. Januar 2009

Die intensive Beschäftigung mit der Geschichte des Bistums Havelberg in den letzten Jahren konzentrierte sich fast ausschließlich auf den Gründungszeitpunkt der Diözese im 10. Jahrhundert und den engen Zusammenhang mit der Entstehung des Brandenburger Nachbarsprengels. Sucht man einen Überblick über die Havelberger Bistumsgeschichte, so muß man bis zu Gottfried Wentz zurückgehen, der 1933 das Bistum Havelberg im Rahmen der Germania Sacra untersuchte. Der Potsdamer Historiker Clemens Bergstedt hat sich nun der Aufgabe angenommen, die Frühgeschichte der Havelberger Kirche bis zum Ende des 13. Jahrhunderts neu darzustellen und will damit insbesondere den landes- und regionalgeschichtlich interessierten Laien ansprechen. Trotz des enormen Quellenmangels, der sich aus dem weitgehenden Verlust des Havelberger Bischofs- und Domstiftsarchivs ergibt und sich auch auf die Zeit nach der Wiedererrichtung des Bistums um 1150 erstreckt, gelingt Bergstedt eine gut lesbare Bistumsgeschichte. Er stellt in seinem Band die bruchstückhaften und fragmentarischen Kenntnisse, die sich aus den wenigen Schriftzeugnissen rekonstruieren lassen, in einen umfassenden Kontext von landes- und reichsgeschichtlichen Ereignissen und Entwicklungen. Er erreicht so eine komplexe und geschlossene Darstellung, die mit der Schilderung der Ostpolitik Ottos des Großen und ihrem Scheitern im Slawenaufstand 983 beginnt. Bergstedt trägt die wenigen Belege zusammen, in denen Havelberg zwischen 983 und 1150 Erwähnung findet und verknüpft sie mit dem sich Schritt für Schritt verstärkenden Druck auf das westslawische Gebiet. Dabei schildert er die Aktivitäten der polnischen Herrschaft ebenso wie die von Magdeburg aus initiierten Kirchengründungen in Leitzkau und Jerichow. Er behandelt ausführlich die deutsche Herrschaftsnahme in der Prignitz als Folge des Wendenkreuzzugs von 1147 und schließt seine Darstellung mit der ersten schweren Auseinandersetzung zwischen Bischof und Markgraf an der Wende zum 14. Jahrhundert.
In der Frage nach dem Zeitpunkt der Havelberger Bistumsgründung – bisher von der großen Mehrheit der Historiker auf das Jahr 948 datiert – hat sich Clemens Bergstedt inzwischen auf die von ihm bereits 1997 vorgeschlagene Neudatierung festgelegt und tritt jetzt für den Sommer 965 ein. Er identifiziert den vom Straßburger Bischof Erchanbald (965–991) geweihten Slawenbischof Turo mit dem ersten Havelberger Bischof Dudo und hält die polirische Situation nach dem Tod des Markgrafen Gero 965, die zu einer Umstrukturierung der Nordmark führte, für den plausibelsten Zeitpunkt zur Errichtung des Bistums. Da aber von einer zeitgleichen oder zumindest zeitnahen Gründung der Havelberger und Brandenburger Kirche auszugehen ist, steht und fällt das Havelberger Datum mit der Datierung der Originalurkunde für die Brandenburger Gründung. So bleibt als Hauptargument der Verweis auf die Thesen von Helmut Assing zur Spätdatierung der Brandenburger Stiftung, die bisher sicher nicht als Forschungskonsens betrachtet werden können. Neue Argumente bringt Bergstedt nicht in die Debatte ein, was von einer Überblicksdarstellung nicht unbedingt zu erwarten war. Aber auch nach der jüngst erweiterten Beweisführung von Assing verbleibt erheblicher Diskussionsbedarf, angesprochen seien hier nur die Fragen nach einer Einordnung der auf 965 datierten Bistumsgründungen in den Plan zur Errichtung des Erzbistums Magdeburg sowie die nicht ausreichend geklärte Motivation für eine Rückdatierung um knapp 20 Jahre. Der Quellen- und Literaturanhang bei Bergstedt enthält einen Verweis auf die Gegenposition von Dietrich Kurze und zeigt nur dem aufmerksamen Leser, daß die Forschungsdiskussion um eine Neudatierung der Entstehung der Brandenburger und Havelberger Diözesen keineswegs entschieden ist.
Bergstedt verzichtet – sicher auch mit Blick auf den anzusprechenden Leserkreis – auf eine genaue Analyse der kopial überlieferten und verfälschten Gründungsurkunde für das Bistum Havelberg. Ein Vergleich mit den königlichen Bestätigungsdiplomen aus den Jahren 1150 und 1179 hätte allerdings einige begriffliche Ungenauigkeiten verhindern können. So liest man bei der Beschreibung der Rechte und Besitzungen des Bistums bei seiner Gründung, daß das Hochstift »auf jeden Fall … die Hälfte der Burg und Stadt Havelberg« erhielt. Bergstedt übernimmt damit aus der Gründungsurkunde die Formulierung »medietatem castri et civitatis Havelberg«, die für das 10. Jahrhundert anachronistisch ist und in den Bestätigungsurkunden des 12. Jahrhunderts ebensowenig auftaucht wie in dem im Original erhaltenen Diplom für Brandenburg. Das Begriffspaar »castrum et civitas Havelberg« ist vielmehr ein wichtiges Fälschungsindiz und muß mit den Versuchen des Bischofs in Zusammenhang gebracht werden, Anteil an der städtischen Entwicklung Havelbergs im 12./13. Jahrhundert zu erlangen. Ein solcher Anteil stand den Bischöfen zwar zu, da ihnen auch in der ursprünglichen Formulierung, die aus den anderen genannten Urkunden erschlossen werden kann, ein Anrecht auf die Hälfte der Burg mit dem zugehörigen Burgort verliehen wurde. Letztendlich konnte sich aber der Brandenburger Markgraf aus seiner stärkeren Position in der Stadt durchsetzen. Ein Verweis auf die schnelle Entwicklung der Siedlung unterhalb des Dombergs auf der heutigen Havelinsel zu einer markgräflichen Markt-, Zoll- und Münzstätte wäre sicher hilfreich für das Verständnis der Auseinandersetzungen zwischen Bischof und Markgraf im 13. Jahrhundert.
Irritierend ist auch, daß der Autor mehrfach ausdrücklich erklärt, er wolle das Bistum Havelberg in seiner Funktion als »weltliches Fürstentum« untersuchen. Auch ein mit Reichsgut ausgestattetes Bistum ist kein weltliches, sondern ein geistliches Fürstentum.
Alles in allem ist es aber sehr zu begrüßen, daß nun auch für den historisch Interessierten ein Buch vorliegt, das die Quellenbelege und Literatur zur Havelberger Kirche bis in das 13. Jahrhundert zuammenfaßt und einen gut lesbaren Überblick über die Frühgeschichte des Bistums bietet.
Christian Popp im »Jahrbuch für Brandenburgische Landesgeschichte«, 52. Bd., Berlin 2001, S. 198/199

Wann wurde das Bistum Havelberg gegründet - 946 oder 948? Vielleicht gar erst 965? Seit 100 Jahren gibt es den Streit der Historiker um die Stiftungsurkunde des Bistums, wird die Echtheit der von Otto I. ausgestellten und nur in einer Abschrift von 1667 erhaltenen Gründungsurkunde angezweifelt. Neue Nahrung erhielt er im Vorjahr durch eine Arbeit von Clemens Bergstedt. [...] Bergstedt hat sich intensiv mit der Bistumsgeschichte beschäftigt. Er geht von einer Analyse der politischen Situation im rechtselbischen Gebiet um die Mitte des 10. Jahrhunderts aus, die durch ständige Unruhen und Kämpfe mit den Slawen gekennzeichnet war – also denkbar schlechte Voraussetzungen für die Bildung eines Missionsbistums bot. Erst um 965 – so meint er – hatte sich die Lage beruhigt. Die slawischen Stämme erkannten die deutsche Herrschaft an und zahlten Tribut. »Eine Datierung auf das Jahr 965 paßt viel besser zu den politischen Verhältnissen in den Gebieten zwischen Elbe und Oder als auf die Jahre 946 oder 948«, schreibt der Autor. Seine These versucht er durch eine Neuidentifizierung des »Slawenbischofs« Tuto zu untermauern [...]. Der eigentliche Schwerpunkt des Buches liegt aber auf der Darstellung der Geschichte des Havelberger Hochstifts und der Machtverhältnisse in der heutigen Prignitz. [...] Mit einer nahezu verwirrenden Anzahl von Daten, Fakten und Personennamen versucht Bergstedt, das Wirken der überregionalen Kräfte in der Prignitz [..] sichtbar zu machen und die 300jährige Entwicklung des Bistums als Wechselspiel zwischen Reichs- Landes- und Regionalgeschichte darzustellen. Bergstedts Buch – man hätte sich eine bessere Ausstattung gewünscht – ist reich illustriert und enthält ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis. Es ist zweifellos für jeden Heimatfreund ein interessantes und lesenswertes Werk. Edgar Steiner in der »Havelberger Volkstimme«, 03.02.2001

Von diesem Band des Potsdamer Historikers kann man zu Recht behaupten, daß er eine Lücke in der Geschichtsschreibung der Prignitz und der Mark Brandenburg füllt. Clemens Bergstedt spannt mit seiner gründlich recherchierten, auf umfangreichen Quellen- und Literaturstudien basierenden sowie brillant analysierten Untersuchung zur Frühgeschichte des Bistums Havelberg einen Bogen von der Gründung des Bistums Havelberg im 10. Jahrhundert bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Seine dabei m.E. zu Recht aufgestellten und wissenschaftlich begründeten neuen Thesen zu wesentlichen politischen Ereignissen der frühen märkischen Geschichte, wie zum Beispiel der Gründung des Havelberger Bistums oder der Herrschaftsbildung in der Prignitz, werden der Landesgeschichtsforschung mit Sicherheit neue und deutliche Impulse geben und wohl auch eine kontroverse Diskussion in Fachkreisen hervorrufen, die eine veränderte Betrachtungsweise der Entstehungsgeschichte der Bistümer Brandenburg und Havelberg verlangen. [...] Überzeugend gelingt es Bergstedt darzustellen, daß das Havelberger Bistum nicht nur kirchliche Institution, sondern auch ein weltliches Fürstentum war, das einen entscheidenden Anteil am Erfolg der Christianisierung und Kolonisierung der Prignitz im Verlauf des 12. Jahrhunderts und an der Herrschaftsbildung in dieser Region hatte und als solches stets auch auf wandelnde Kräfteverhältnisse reagieren mußte. Bergstedts großer Verdienst ist es, diese Entwicklungen und Zeitabläufe erstmals in umfassender und detailreicher Form im Kontext der Reichs- und Landesgeschichte ausführlich darzustellen, so daß viele komplizierte, vor allem politische Zusammenhänge und Abläufe der hochmittelalterlichen Ostkolonisation deutlicher und damit der historisch interessierten Allgemeinheit besser zugänglich gemacht werden. [...]Das umfangreiche Quellen- und Literaturverzeichnis birgt zusätzlich quasi eine aktuelle umfassende Bibliographie zur deutschen Reichs- und Kirchenpolitik des 10. bis 14. Jahrhunderts. Das Buch schließt eine Lücke in der Regionalgeschichtsschreibung für die Prignitz und die Mark Brandenburg selbst und ist allen, die sich für die Frühgeschichte dieser Landschaften interessieren, dringend zu empfehlen. Torsten Foelsch im Mitteilungsblatt der Landesgeschichtlichen Vereinigung für die Mark Brandenburg e.V., 101. Jg., Nr. 3, 9/2000