Barbara Felsmann
Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint
Kindheit in der DDR
– Erinnerungen an die Jungen Pioniere
Es gab blaue und rote Halstücher,
Ausweise, einen Pioniergruß, Fahnenappelle und eine Pionierrepublik – die lag
am Werbellinsee. Und es glich einer Auszeichnung,
dorthin delegiert zu werden. Die Pionierorganisation war in der DDR über vier
Jahrzehnte so eng mit der Schule verzahnt, daß fast jeder, der im Osten
aufgewachsen ist, persönliche Erinnerungen an »die Pioniere« hat. Die
Strukturen der Schule wurden genutzt, um die Organisation fest zu installieren
und die Mitgliedschaft als selbstverständlich erscheinen zu lassen. Pionierveranstaltungen
waren so oft auch Klassenveranstaltungen, von denen die wenigen Nichtmitglieder
dann automatisch ausgeschlossen waren.
Die Meinungen über die Pioniere gehen auseinander: Die einen vergleichen sie
mit der Hitlerjugend, andere sehen viele positive Seiten. Erinnerungen an Pionierlieder,
Klassenfahrten und erste Liebe kreuzen sich mit denen an erzwungene
Mitgliedschaft und militärische Rituale. Wann immer das Thema Pioniere zur
Sprache kam, siebte die Journalistin Barbara Felsmann starkes Interesse bei
Gesprächspartnern in Ost und West. So begann sie auch schon kurz nach der
Wende, persönliche Erinnerungen zu sammeln. In ihrem Buch kommen so
beispielsweise die Brüder Karl und Paul Maercker zu
Wort, die sie schon 1991 interviewt hatte. Damals waren die beiden zwölf und
zehn Jahre alt; ihre Erinnerungen sind noch unverbraucht und entsprechend
detailliert.
17 solche Gespräche mit ganz unterschiedlichen Menschen aus verschiedenen
Generationen, die in unterschiedlichen Phasen der DDR selbst einmal Pionier oder
eben kein Pionier gewesen sind, ergeben zusammen ein vielschichtiges Bild. Es kommen nicht nur ehemalige Schüler zu Wort, sondern auch die
Lehrerin und der Schuldirektor, Pionierleiter und mit Wilfried Poßner auch ein führender Pionierfunktionär, dessen
Textbeitrag sich über weite Strecken wie ein Rechtfertigungsversuch für seine
frühere Funktion liest. Ein interessanter Anhang mit zahlreichen Wort- und
Bilddokumenten liefert dazu Hintergrundinformationen zur Geschichte der
Pionierbewegung.
Aufschlußreich ist beispielsweise die Geschichte des titelgebenden Liedes vom
kleinen Trompeter, an das sich wohl jeder ehemalige Pionier erinnern kann. Das
Lied ist im Ursprung auf ein Soldatenlied des Ersten Weltkriegs zurückzuführen
und gehörte leicht abgewandelt seit den 20er Jahren ebenso zum Liedgut der
kommunistischen Arbeiterbewegung, wie es in einer ähnlichen Version im
Liederbuch der SA stand.
Die Dokumente und Materialien sprechen weitgehend für sich, wie der fiktive
Brief eines elfjährigen Schülers »an den Bundeskanzler Dr. Adenauer« (1951)
belegt. Die militärische Kommandosprache der Appellordnung, die Gebote und
Gesetze der Pioniere sowie Auszüge aus einem Pioniergruppentagebuch einer 4.
Klasse von 1974/75 ergänzen und illustrieren darüber hinaus die Berichte der
Interviewpartner aus ihrer DDR-Schulzeit.
Inwieweit der Titel glücklich gewählt ist, mag eine Geschmacksfrage sein. Auch
hinterläßt die Zusammenstellung der Gespräche und Dokumente den Eindruck einer
gewissen Beliebigkeit. Dennoch vermitteln die unterschiedlichen Stimmen, die
hier zu Wort kommen, ein umfassendes Bild der Organisation, die für die meisten
Menschen in den neuen Ländern ein Stück Lebensgeschichte bedeutete.
Jörg Jacob in »Das Parlament«
vom 20./27. Juni 2005
Am 13. Dezember 1948
wird in Weimar auf Beschluß des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend (FDJ)
der Verband der Jungen Pioniere gegründet. Den Vorsitz übernimmt Margot Feist,
Erich Honeckers spätere Ehefrau. Sie leitet die Pionierorganisation bis 1954
und ist danach im Ministerium für Volksbildung tätig, das sie von 1963 bis zum
Ende der DDR als Ministerin führt.
Für all jene, die in der DDR aufwuchsen, sind mit dieser Organisation viele und
durchaus nicht nur – wie man vermuten könnte – negative Kindheitserinnerungen
verknüpft. Wer die Pionierzeit – vielleicht sogar seine eigene – schmäht, sie
als Rekrutierungsbasis für SED-Nachwuchs und klassenbewußte Sozialisten oder
reines Gehirnwäscheprogramm verantwortlich zu machen versucht, stößt mitunter
auf heftige Gegenwehr, die posthum die Funktion jener Einrichtung verbrämt und
verklärt. Das fängst meist mit den schönen Liedern an (wobei einige davon
tatsächlich zu Herzen gingen, auch von den Texten her) und endet beim angeblich
schmucken, uniformierten Aussehen der kleinen DDR-Bürger, die ihr Halstuch so
keck zu tragen wußten. Gemeinsam erlebte staatliche Vergangenheit bedingt im
Nachhinein keineswegs einheitliche Aussagen. Immer war das engere Umfeld, das
persönliche Empfinden für den Lebensweg entscheidend.
Die Materialsammlung der 1956 geborenen freien Journalistin Barbara Felsmann
(die in der DDR nach zweieinhalb Jahren Lehrertätigkeit das Handtuch warf, weil
ihre Vorstellungen von Erziehung andere waren) enthält aus Gesprächen
hervorgegangene Reflexionen von ehemaligen Pionieren, aber auch von Personen,
die sich dieser staatlichen Organisation konsequent entziehen konnten. Zu den
Gesprächspartnern gehörten u.a. der letzte
Vorsitzende der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, Wilfried Poßner (»Die Pioniere sollten eine Partei der Kleinen
sein.«), die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni (»Ich
gehörte zum Inventar des Kinderfernsehens.«), die Schriftsteller Thomas Brussig (»In meiner Kindheit war alles so aufgeräumt.«) und
Katja Lange-Müller (»Wir interessierten uns mehr für den ersten Koitus als für
Ulbricht ablösende Honeckers.«), die Malerin Isolde Gorsboth
(»Ich hatte... auch Flugträume.«), der Dissidentenpfarrer Dietmar Linke (»Durch
diese Erfahrungen sind mir ungeheure Kräfte zugewachsen.«), der Leiter der
»Jungen Pioniere« in der Bundesrepublik von 1949–1951, Manfred Kapluck (»Wir haben viel Solidarität erfahren.«), der
Selbständige Hans-Jürgen Kraus (»Etwas für die Gemeinschaft zu tun ist
befriedigender, als sich an ein Bündel Banknoten anzukuscheln.«) und die
Schwester der Herausgeberin, die Germanistin Corinna Sylvester (»Da war Ende
der Fahnenstange, da warst du der Feind.«).
Wie Mosaiksteinchen setzen sich diese heterogenen Lebensgeschichten zusammen.
Ansatzpunkt für das Buch war ein Feature der Autorin zum gleichen Thema beim
ORB/SFB im Jahre 1998 sowie die weiterführende Idee, jene »Zwangstöpfung
Pionierorganisation, in der die Kinder zu Anpassern
erzogen wurden«, wie Felsmann sagt, einmal ausführlicher zu dokumentieren: »Ich
habe mich seit Anfang 1998 mit Menschen unterhalten, die in unterschiedlichen
Phasen der DDR selbst einmal Pionier oder eben kein Pionier waren. Aber auch
mit Schuldirektoren, Lehrern.«
Jürgen K. Hultenreich, in: DeutschlandArchiv, Heft 1/2005
Die Journalistin Barbara Felsmann legt mit diesem Buch eine von
der Hans Böckler
Stiftung finanzierte Zeitgeschichtsdokumentation
vor, mit der die bisher kaum beachteten
Erfahrungen der Pionier-Zeit für die politische Kindheitssozialisation dokumentiert werden sollen. Neben umfangreichen Bild- und Textdokumenten wie Zigarettenbildern, dem Statut und einem Pioniergruppentagebuch findet sich im Anhang eine Chronologie der Pionierorganisation der DDR. Letztere ist
allerdings dem Handbuch für
Freundschaftspionierleiter entnommen
und weist damit auf das geschichtspolitische
Manko dieses Buches hin. Keines der
siebzehn von Felsmann geführten Interviews wird historisch kontextualisiert, ebenso wenig wie
es Hinweise auf die Interpretationskriterien für die abgedruckten Interviews
gibt. Sowohl die Auswahl der
Interviewpartner, die Interviewführung,
die Interviewsituation und last but not least die Transkription sind Interpretationen, d.h.
subjektive Lesarten eines Themas.
Gewinnen könnten die Interviews durch eine
Reportageform, durch das Beschreiben der Beobachtungen, die Barbara Felsmann
bei den Interviews gemacht hat, das Nachvollziehen der Interviewsituation. So
bleiben die Texte als
Materialsammlung zu sehr im leeren Raum stehen, denn trotz der beigefügten Dokumente wünscht man sich als Leser doch ein paar Hinweise, die die
Bedeutung der Interview-Äußerungen
erklären.
Der unkommentierte Abdruck von
durchaus interessanten Interviews war für die klar eingegrenzte Milieustudie [derselben Autorin zum Berliner
Stadtbezirk] Prenzlauer Berg angebracht und bezog daraus seine Spannung. Bei einem
Herrschaftsinstrument jedoch wie der politischen Kinder- und Jugendarbeit stolpert man sofort über die fehlende analytische
Einbindung der Zeitzeugendokumentation
sowie die Vermeidung der Darstellung der Positionierung der Autorin. Einen Hinweis auf die
Positionierung gibt im Geleittext Klaus-Dieter Felsmann: »Das Gute meinend wurde so das
Böse an der Macht
gehalten.« Dies kommt praktisch einer Verharmlosung
des Charakters der Organisation gleich, und findet sich so allerdings nur in wenigen der
Interviews wieder.
Barbara Felsmanns Anliegen ist es, ein breites Spektrum
der Erfahrungen mit den Jungen Pionieren abzubilden,
und die Prägungen aus dieser Zeit für das spätere Leben festzuhalten. Das ist ihr auch gelungen –
allerdings mit den vorher genannten methodischen Abstrichen. Besonders
im Gedächtnis bleiben die zahlreichen Brüche in den Erfahrungsberichten, die
auf die mitunter ausweglos erscheinende Konflikthaftigkeit von kindlicher politischer Sozialisation hinweisen.
Die biografische Kontextualisierungen der Berichte zeigen, daß das Pioniersein
ein fester Bestandteil von Kindheit in der DDR gewesen ist. Das Buch macht die
breite Palette möglicher Erfahrungen mit den Pionieren nachvollziehbar. Felsmann befragt Funktionäre und Pionierleiterinnen, sowie ehemalige Pioniere und auch
Personen, die sich dem Gruppenzwang
zu entziehen versuchten. Es gibt einige Berichte von Pionieren, die in
den frühen Jahren der DDR heimlich und gegen
den Willen ihrer Eltern Pioniere wurden.
Ein begeistertes Mitglied des
Pionier-Kabaretts Blaue Blitze war Carmen Maja-Antoni. Das Interview mit ihr wird begleitet von Originaltexten dieses politischen Kinder-Kabaretts. Katja Lange-Müller gehört zu den
wenigen Pionieren, die die Herkunft des Lieds vom Kleinen Trompeters als
SA Lied kennen – von ihrer Oma. »… beim ›Kleinen Trompeter‹ habe ich nicht geweint, ich
wußte einfach zu viel darüber.« Der
Originaltext geht auf ein Soldatenlied des
1. Weltkriegs zurück und lautete im
Liederbuch der SA: »Von all unsern Kameraden / war keiner so lieb und so gut / wie unser Sturmführer Wessel / ein lustiges Hakenkreuzlerblut…« Die
Interviews mit dem ehemaligen Funktionären Wilfried Poßner,
dem letzten Pionier-Chef der DDR, und dem westdeutschen Pionierarbeiter und guten Freund Margot Honeckers, Manfred Kapluck, zeigen
dagegen ein pausbäckiges Verhältnis
zur eigenen Vergangenheit, das sich durch zahlreiche Dankesbriefe von Pionieren zu legitimieren versucht.
Die Erlebnisgeschichten im Buch
sind immer wieder von
Disziplinierungsgeschichten durchzogen: Die Teilnahme an den Pionierlagern schildern die Interviewten in
der Regel als
erlebnisreich, aber auch als militärisch straff organisiert.
Die Kinder wurden in den organisatorischen Ablauf
des Pionierlebens eingebunden, in den Lagern wie an der Schule. Diese Elemente der Kinderarbeit trugen dazu bei, daß sich die Kinder als kleine Erwachsene
fühlen konnten, sie wurden wichtig
genommen, allerdings auch dann, wenn sie sich verweigerten. »Daß man
eine Verantwortung hat. Also daß man als
jemand zählt. Und auch, daß man als Pionier
den Kommunismus unterstützt.« Resümiert wird
zum jährlichen Manöver Schneeflocke: »Es
lief vielleicht unter einem falschen Namen,
aber die Sache an sich hat Spaß gemacht.« Deutlich wird, daß über die Erlebnispädagogik die
Kinder in die Regeln der Hierarchie eingeübt und spielerisch an das Ziel
Leistung herangeführt werden sollten. Das vermittelten auch die Patenbrigaden
und die Lernpatenschaften: »…daß man manchmal die Leute ein bißchen schubsen
und zu ihrem Glück zwingen muß.« Das »Immer bereit« war die Umschreibung für ein Immer-Beschäftigt-Sein:
neben der alltäglichen gegenseitigen Indoktrinierung zählten dazu die
Arbeitsgemeinschaften und Altstoffsammlungen. Die geordnete Hierarchie begann mit dem 13. Dezember jedes Jahr für jede erste
Klasse neu: Mit der Pionieraufnahme begann die Zeit ständiger Kontrolle, die mit Lob und Tadel
arbeitete. Die Pionier-Appelle mußten auch von Nicht-Pioniere mitgemacht werden, so wie die Parteilehrjahre auch von parteilosen
Lehren besucht werden mußten.
Zugespitzt könnte man formulieren, daß Diktaturen nicht funktionieren, wenn sie keine Kinder- und Jugendarbeit aufbauen und instrumentalisieren und über
diesen Weg die Elternhäuser beeinflussen. Das Private – die Kindheit –
wird politisch. Die Hierarchie dient dem Heranziehen
und Üben von Eliten ebenso wie dem Üben von Disziplin und williger Leistungserfüllung. Die Uniformierung bringt ein Zugehörigkeitsgefühl und eine
persönliche Aufwertung mit sich. Im Unterschied zur Hitlerjugend war die Pionierorganisation strukturell und
personell in die Schule eingebunden. Die Aneignung von Wissen konzentrierte sich allerdings auf die
Naturwissenschaften. Diese wurden
ebenso wie der Sport leistungsorientiert betrieben.
Felsmann bestätigt das bereits von Leonore Ansorg4
vermutete individuelle Ausbrechen aus den
vorgegebenen Erziehungsaufträgen. Ihre Berichte zeigen, welche Konsequenzen dies auf der lebensweltlichen Ebene
hatte, während Ansorg
die Ziele und Funktionen der politischen Organisation Junge Pioniere
untersucht. Eine analytische Studie, die die
engen Grenzen der Makro- wie der Mikroebene
überschreitet, d.h. eine Beschreibung der Mesoebene –
die Analyse der Wechselwirkungen von Individuum und Institutionen – steht noch aus. Interessant ist die
Differenz der beiden Autorinnen in Bezug auf die politische Bewertung der Jungen Pioniere: Während Ansorg
die Erfolglosigkeit des
Pioniermodells gerade mit dem Zusammenbruch
des Systems begründet, kann man bei Felsmann herauslesen, daß das System gerade wegen der politischen
Kindheitssozialisation gestürzt worden sei. Die Sozialisation zu kritischen und politischen Menschen bekam eine
Eigendynamik, wenn die DDR an ihren eigenen Maßstäben gemessen und damit
abgeschafft wurde.
Katharina Gajdukowa
in: »Horch und Guck«, H. 46, 2004(2), S. 90–91
Den Knoten konnte keiner,
jedenfalls keiner von den Jungs. Mit einem hochkomplizierten Geschlinge
zwischen knautschiger Schlipsbindung und Seemannsgarn sollte das blaue Halstuch
vorschriftsmäßig verkrüppelt werden – für die Hände eines ganz normalen Schülers
der ersten Klasse ein Ding vollkommener Unmöglichkeit. Mädchen allerdings
hatten ein geheimes Talent dazu, den Pionierknoten zu binden. Wie Mädchen auch
stets die ernsthafteren Angehörigen der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«
waren: Sie klebten die Beitragsmarken ordentlich in ihren Mitgliedsausweis,
während die Jungen sie lieber in den Hosentaschen herumtrugen, bis sie
nirgendwo mehr kleben blieben. Und manche von ihnen konnten die »Zehn Gebote
der Jungpioniere« tatsächlich nicht nur auswendig aufsagen. Nein, ihr ganzes
Auftreten kündete vom Vorsatz, ein ödes Gebot wie »Wir Jungpioniere lernen
fleißig, sind ordentlich und diszipliniert« an jedem Tag zu leben.
Wie Corinna Sylvester, die als sechstes Kind einer
Akademikerfamilie Ende der 60er Jahre Mitglied der Pioniere und bald danach
Gruppenratsvorsitzende wurde. Als eine von 17 Zeitzeugen berichtet die heute
45jährige Berlinerin in Barbara Felsmanns Buch über ihre »Kindheit in der DDR«
(Untertitel), die natürlich auch eine Kindheit im Schoß der »sozialistischen
Massenorganisation der Kinder in der DDR« (Pionier-Statut) war. Die studierte
Germanistin Sylvester erzählt, wie sie »Trommel« las und mit einer Konkurrentin
um die Wiederwahl in den: Gruppenrat zickte. Wie sie
Kampflieder schmetterte und Ferien in der Pionierrepublik »Wilhelm Pieck«
machen durfte. Erinnerungen, die andere Ex-Pioniere teilen. Hans-Jürgen Krause.
der Anfang der 50er noch gegen den Widerstand seiner Eltern Mitglied wurde.
Waltraut Berger, die genau weiß, wie es war, wegen schlechter
Leistungen Gefahr zu laufen, einen Gruppenleiter-Balken vom Ärmel ihrer
Pionierbluse zu verlieren. Oder der Schriftsteller Thomas Brussig,
dem die Altstoffsammlungen für die internationale Solidarität im Gedächtnis
geblieben sind: »Aus unerfindlichen Gründen habe ich das gern gemacht.« Es ist ein Vexierbild aus privaten Erinnerungssplittern,
das Barbara Felsmann in jahrelanger Arbeit zusammengetragen hat. Obwohl ihr
Bundestagspräsident Wolfgang Thierse noch vor Beginn der Recherchen abriet:
»Wer soll das Lesen? Pioniere! Kindheit! Für diesen Kinderkram interessiert
sich doch niemand!«
Oder gerade. Während andere Bereiche des Lebens in
der DDR längst mit erschöpfender Gründlichkeit erforscht wurden, blieben die
Pioniere bislang unentdeckt Je nach Standpunkt durften sie so nach Belieben
dämonisiert oder gerühmt werden – faktenfern, aber vor Überzeugung glühend. Die
einen beklagten die Militarisierung der Allerjüngsten, die Fahnenappelle
abhielten, zackige Grüße tauschten und noch vor mehrsilbigen Worten das
Funktionieren im Kollektiv einübten. Die anderen lobten das behütete
Heranwachsen in Ordnung, Sicherheit und mit klaren humanistischen Idealen. So
einfach aber ist es nicht, verraten die von Barbara Felsmann protokollierten
Aussagen der einstigen Pioniere. Denn die Außenansicht der Pionierorganisation,
die nach Meinung ihres Vorsitzenden Winfried Poßner
»eine Partei der Kleinen« hatte sein sollen, unterscheidet sich von der aus
Erlebnissen gespeisten Innensicht derer, die dabei gewesen sind. Für Pioniere
wie Carmen-Maja Antoni »spielte der ideologische
Hintergrund eine völlig untergeordnete Rolle«. Die Pioniere, das war eine Art
Fortsetzung des Klassenverbandes in Bluse und Halstuch, ein Fröhlichsein und
singen, bei dem einzig die Tatsache, daß mancher Mitschüler nicht mitmachen
durfte, für Irritationen sorgte. Doch selbst die, die draußen bleiben mußten,
scheinen darunter kaum gelitten zu haben. »Ich wußte, daß ich da nicht
mitmachen will«, erinnert sich Uwe Kraeusel, als
Pfarrerssohn ein kleines bißchen Außenseiter. »Ich war aber nie ausgegrenzt«,
sagt er, »ich habe das Klassenleben mitgeprägt.«
So wenig der Blick der Nicht-Pioniere im Zorn zurück
geht, so wenig fröhliche Verklärung findet sich in den Erzählungen der
ehemaligen Halstuch-Träger. Pioniersein, das hieß Zeitungsstudium, Maidemo und
Appell, das hieß aber auch Spielen, Disko und Bastelnachmittag. Und je weiter
die Gewichte von oben in Richtung Ideologisierung verschoben wurden, um so
weniger ideologisch geprägt war das Alltagsleben. Gleichgültigkeit löste die
Emphase der Anfangsjahre ab. Angehörige der letzten Pionier-Generation wie Karl
Maerker, 1990 zwölf Jahre alt, waren für Thälmann-Kult und Halstuch-Verehrung
schließlich nicht mehr zu erreichen. »Weil diese Pioniertücher ja aus Synthetik
waren«, sagt der heute 25jährige, »und das war wirklich unangenehm zu tragen.«
Steffen Könau
in der »Mitteldeutschen Zeitung« am 3. Juli 2004
Der Titel mag vielleicht manchen Leser
befremden: »Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint.«
Aber es irrt, wer hier eine nostalgisch-rührselige Rückschau vermutet. Sechzehn
überaus spannende Beiträge mit ganz unterschiedlichen Erinnerungen an Kindheit
in der DDR bilden das Kernstück des reichlich illustrierten Bandes, dem
dankenswerter Weise eine Chronik zur Geschichte der Pionierbewegung sowie eine
Auswahl zeitgeschichtlicher Dokumente beigefügt worden sind. Im einleitenden
Essay läßt Klaus-Dieter Felsmann historische Ereignisse Revue passieren,
gepaart mit eigenen Eindrücken und Wertungen: »Wir wollten unsere Träume
verwirklichen; und es war soviel Kraft in uns, mit der wir hofften, etwas
bewegen zu können. Doch es gab da nichts zu bewegen. Alles war organisiert,
alles bereits gerichtet …« Ähnliches erlebten viele begeisterte
Altstoffsammler. Manche wollten »irgendwann mal raus aus der Haut«. Andere
suchten die berühmte Nische. Viele paßten sich an. Überwiegend ist dennoch das
Gefühl, etwas Sinnvolles erlebt und getan zu haben. Und nicht wenige wünschen
sich heute für ihre Kinder ein Äquivalent für eine sinnvolle und kostengünstige
Freizeitbeschäftigung. Negativ erinnert werden Rituale, Formen der
Disziplinierung, generell Formalismus. Kaum einer kennt noch die Zehn Gebote
der Jungen Pioniere, niemand sehnt sich nach Fahnenappellen, Pionierbluse oder
-hemd zurück und schon gar nicht nach den langweiligen Versammlungen mit
plattem Agitationsvokabular. Aber es gibt auch Positives zu erinnern.
Carmen-Maja Antoni (Jg. 1945) lobt die Arbeit im
Pionierkabarett »Blaue Blitze«, der ehemalige Direktor der Pestalozzi-Oberschule
in Meißen, Horst Kraus (Jg. 1920), verweist mit Stolz auf die 28
Arbeitsgemeinschaften der Kinderorganisation.
Die Mitgliedschaft bei den Pionieren war die Regel. Zu Worte kommt in diesem
Band auch die Ausnahme: Kinder, deren Eltern eine Mitgliedschaft ihrer
Sprößlinge ablehnten. Dies brachte nicht selten Nachteile in der späteren
Ausbildung ein, so etwa für Pfarrer Dietmar Linke (Jg. 1944). Für eine andere
Art von Lebensbrüchen steht der Fall von Corinna Sylvester (Jg. 1959). Auf
Grund ihrer guten Zensuren zur Gruppenratsvorsitzenden bestimmt, verschlang sie
regelrecht Bücher wie »Timur und sein Trupp« oder
»Mohr und die Raben von London«, las die »Trommel« und die »FRÖSI«, trainierte
Ballett im »Haus der Jungen Pioniere« und wurde in die Pionierrepublik »Wilhelm
Pieck« delegiert. Ausgerechnet in diesem Kinderparadies setzte ihre kritische
Sicht auf die DDR ein. Verliebt in einen jungen Italiener, bekam sie bald zu
spüren, daß die propagierte Völkerfreundschaft nur begrenzt auszuleben war.
Ihre Fragen zum gewaltsamen Ende des Prager Frühlings und später zum
Eurokommunismus wertete man in der Schule als provokant und ließ sie
unbeantwortet. Ähnliche Erfahrungen machte sie während des Studiums und als
Lehrerin; 1984 verließ sie die DDR.
Die Herausgeberin hat auch Beiträge von zwei Funktionären dem Band
hinzugesellt. Wilfried Poßner (Jg. 1949) skizziert
seinen Aufstieg vom Pionier zum obersten Pionierleiter der DDR. Als er dieses
Amt übernahm, stellte er schnell die enge Verzahnung zwischen der Kinderorganisation
und dem mächtigen Volksbildungsministerium fest – ein Machtverhältnis, an dem
nicht zu rütteln war. Ebenso wenig wie an manchen schon damals »überholten«
Formen und Methoden der Kinderarbeit. Die von ihm geschilderten Reformvorhaben,
nehmen sich dennoch – mögen sie seinerzeit noch Sprengkraft besessen haben –
eher bescheiden aus. Über die Jungen Pioniere in Westdeutschland berichtet
Manfred Kapluck.
»Zum Begreifen von Geschichte«, so Klaus-Dieter Felsmann eingangs des Buches,
»bedarf es der Mühen des differenzierten Blicks, der immer auch mit
Infragestellung eigener Gewissheiten etwas zu tun
hat. In diesem Sinn bieten die in diesem Buch vorgestellten Lebensgeschichten
einen hervorragenden Ansatzpunkt, um im Vergleich zu ihnen sich seiner jeweils
eigenen Geschichte und damit seiner selbst zu vergewissern.«
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Michael Herms im »Neuen Deutschland«
(Politisches Buch), 17. Juni 2004
Politiker und
Intellektuelle haben die Deutschen in Ost und West wiederholt aufgefordert,
einander ihre Lebensgeschichten zu erzählen und damit der angeblich drohenden
Entfremdung entgegenzuwirken. Diesem Ziel fühlt sich wohl auch Barbara Felsmann
verpflichtet. Ihr Buch bringt achtzehn in Gesprächsform dargebotene
Erinnerungen von DDR-Bürgern an Kindheit und Jugend, insbesondere an die Jungen
Pioniere, die Kinderorganisation der kommunistischen Freien Deutschen Jugend
(FDJ). Nicht alle Gesprächspartner können überall auf eigene Erfahrungen
zurückgreifen. Vor allem Kinder aus christlichen Elternhäusern gehörten oft
dieser Organisation nicht an. Die Verweigerung geschah zwar selten
demonstrativ, wurde aber fast immer von Schule und SED als Absage an die
sozialistische DDR verstanden und mit Ausschluß vom Studium, manchmal sogar von
der Teilnahme an Klassenfahrten geahndet. Ansonsten gab es bei den Kindern die
unterschiedlichsten Reaktionen.
Für die einen, oft aus kommunistischen Elternhäusern stammend, waren die Jungen
Pioniere der schönste Teil der Kindheit mit Bastelnachmittagen, Abenteuerurlaub
und der Chance, frühzeitig für andere Verantwortung zu übernehmen. Andere
nahmen die Jungen Pioniere als Erscheinung wahr, die kaum bleibende Eindrücke
hinterließ, weil man die ganze kommunistische Erziehung in der DDR als
unvermeidliches Übel betrachtete, dem man durch Wegducken zu entkommen
trachtete. Hin und wieder wurden auch die klassenkämpferischen und
antiwestlichen Parolen geglaubt, aber das galt wohl immer nur so lange, bis die
Pubertät mit ihrem Mißtrauen gegen die Welt der Erwachsenen auch den Unterschied
zwischen Theorie und Praxis in der DDR ins jugendliche Bewußtsein hob.
Wie oft im Leben verklärt die Erinnerung einiges – und dann wird besonders der
Gegensatz zur heutigen Jugendpolitik im wiedervereinigten Deutschland
herausgestellt, wo der Jugend statt beaufsichtigten Freizeitheimen nur das
Wartehäuschen an der Bushaltestelle als Versammlungsort und statt Spiel und
Sport nur der Drogenkonsum bleibe. Immerhin, aus der Rückschau lehnen selbst
die einstigen Pionierleiter unter den Gesprächspartnern das militaristische
Getue bei den allwöchentlichen Appellen mit Meldung durch den
Gruppenratsvorsitzenden an den Direktor der Schule, Flaggenhissung und
Gruß-Zeremoniell ab. Da sich die Erinnerungen erfreulicherweise meistens nicht
auf die Jungen Pioniere beschränken, sondern alle Facetten des Lebens in der
DDR umfassen, kann auch der westdeutsche Leser viel über System und Alltag in
der DDR erfahren. Gerade ihm, aber auch den Jugendlichen im heutigen
Ostdeutschland, die sich für die Vergangenheit ihrer Eltern interessieren, ist
das Buch nicht zuletzt wegen der lesenswerten Einleitung von Klaus-Dieter
Felsmann zu empfehlen.
Allerdings hat Barbara Felsmann den Ehrgeiz, nicht nur ein Erinnerungsbuch,
sondern mindestens auch eine Materialsammlung für eine politische Geschichte
der Jungen Pioniere zu veröffentlichen. Dem dient, neben einem fast hundert
Seiten umfassenden Anhang, unter anderem der Beitrag von Wilfried Poßner, dem letzten Vorsitzenden der Jungen Pioniere in der
DDR, der mitteilt, er habe »nicht schlechthin Vorsitzender und Sekretär des
Zentralrats« der FDJ sein wollen, »ich wollte Poßner
sein«. Deshalb habe er zu den wenigen gehört, die ihre Reden selbst geschrieben
haben. Die mitgeteilten Beispiele seiner Grußworte lassen aber nicht den
Eindruck zu, das sei ihrer Qualität zugute gekommen. Von Manfred Kapluck, dem Vorsitzenden der Jungen Pioniere in
Westdeutschland in den Jahren 1949 bis 1951, erfährt man, daß seine
Organisation in den siebziger Jahren – »günstig beeinflußt auch durch die '68er
Bewegung« – in der alten Bundesrepublik einen »großen Zulauf« gehabt habe und
»bis zum Zusammenbruch der DDR eine bewegende Kinderorganisation« gewesen sei.
Richtig an dieser Aussage ist wohl nur, daß auch die Jungen Pioniere im Westen
die SED-Führung erhebliche Summen in harter Währung gekostet haben. Ansonsten
war ihr Wirken kaum erfolgreicher als das der DKP.
Der Anhang ist nur bedingt brauchbar. Zahlreiche Beispiele illustrieren die
allgegenwärtige politische Indoktrination in Schulbüchern und Jugendpresse der
DDR, das »Reglement der Pionierorganisation ›Ernst Thälmann‹« unterstreicht die
Rolle der Jungen Pioniere in der vormilitärischen Ausbildung. Die
Begriffserklärungen sind nützlich. Mißglückt sind dagegen die 15 Seiten »Aus
der Geschichte der Pionierbewegung«, die Propagandaschriften der DDR entnommen
sind. Es fehlt jedoch ein kritischer Abriß der Geschichte der kommunistischen
Kinderorganisationen.
Detlef Kühn in der »Frankfurter
Allgemeinen Zeitung« (Politische Bücher), 2. Juni 2004
… »aber hurra brüllst
du!« – Von Visionen und Illusionen, ihrem Mißbrauch
und ihrem Verlust
Dieses Buch handelt davon – Barbara Felsmann hat dokumentarisch Erinnerungen an
Kindheit in der DDR und vor allem an das Pioniersein gesammelt und legt das
Ergebnis nun mit »Beim kleinen Trompeter habe ich immer geweint« vor. Es sind
Erinnerungen so verschiedener Personen wie die der Schauspielerin Carmen-Maja Antoni, des früheren Vorsitzenden der Pionierorganisation
Wilfried Poßner oder des Autors Thomas Brussig. Daneben, gibt es aber auch die sprachlich
bedrückenden Betrachtungen eines Schuldirektors oder die Erfahrungen eines
Pfarrerssohnes im Konflikt zwischen Dabeiseinwollen
und dem Verbot der Eltern. Pionier zu sein war in der DDR so alltäglich wie Zugfahren oder Frühstücken. Alle haßten die Fahnenappelle,
aber nur wenige hinterfragten die Ziele der Pionierorganisation, bemerkten
deren Instrumentalisierung für Parteizwecke oder stellten gar Vergleiche an mit
ähnlich ritualisierten Verbänden in der Nazizeit. Dieses Buch gibt einen spannenden
Querschnitt durch das Dasein in der DDR, vereint Mitläufer und Aufbegehrende
zwischen zwei Buchdeckeln. Alle Erinnerungen gehen über den Rahmen des
Pionierseins hinaus, reflektieren das Danach bis in die heutige Zeit.
Ausgesprochen gelungen ist die Verbindung mit entsprechenden Originaltexten; so
findet man u.a. das Lied »Unsere Heimat«, das
Gelöbnis der Jungpioniere, Altstoffsammellisten, Kabarettexte,
als Anhang dann noch etwas zur Geschichte der Pionierbewegung, das Statut oder
Ausschnitte aus einem Pioniertagebuch. Man kann sich bei der Lektüre dem
Nachsinnen über das eigene Pioniersein nicht entziehen – was immer es mit einem
angerichtet hat.
Kathrin Krautheim, in: hermann. das magazin aus cottbus, Mai 2004
An den Jungen
Pionieren scheiden sich bis heute die Geister. Sind sie für die einen das
DDR-Machtinstrument zur Dressur schutzloser Kinderseelen, sind sie für die
anderen die Wirklichkeit gewesene Konsequenz der PISA-Studie.
Ein immer noch unsicheres Gelände also, auf das sich die Journalistin und
Autorin Barbara Felsmann mit ihrem Erinnerungs- und Sachbuch begab.
Ihr materialreicher Band überzeugt durch eine scheinbar einfache Idee: die
Bestandsaufnahme. Denn ein Gespräch über die Jungen Pioniere scheitert
inzwischen oft an unhintergehbaren Klischees der Verdammung oder der
Idealisierung. So umreißt der Band zunächst, was war. Die Geschichte der
Pionierbewegung seit den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts – auch die
der alten BRD – wird in einem Abriß ebenso dokumentiert wie Protokolle, Statuten
und Gesetze, aber auch Leserbriefe an die »FRÖSI« oder Wandzeitungen,
Pioniergruppentagebücher und sogar die Zigarettenbildserie »Junge Pioniere«.
Die Autorin vermittelt auf diese Weise gewissermaßen die historisch begründete
»Außenseite« der Organisation, und zwar ganz bewußt von oben nach unten, von
der politischen Leitung der Jungen Pioniere bis hinunter zur einzelnen
Pioniergruppe.
Wie aber wirkte das, was war? Mit anderen Worten: Was war wirklich? Da das die
große Frage ist, konfrontiert Barbara Felsmann die denkbar widersprüchlichsten
Erfahrungen, wie sie ihr in ausführlichen Gesprächen begegneten. So entsteht
ein vielfarbiges Bild von der »Innenseite« der Jungen Pioniere; vielfarbig –
nicht farbenfroh, aber auch nicht grau. Diese individuellen Erinnerungen an die
Jungen Pioniere machen bewußt, wie wenig man über die Gesellschaft der DDR
erfährt wenn man ihre Geschichte zu begreifen sucht entweder anhand von
offiziellen Dokumenten der Staatsmacht oder aber anhand von Oberflächenerscheinungen
des Alltags (von »Ata« bis »Zetti«). Die Erinnerungen
von Einzelnen garantieren freilich nicht die Erkenntnis von Wirklichkeit. Es
muß eine Auswahl stattfinden, und Auswahl ist immer Wertung. Doch eins wird man
der Autorin, die in den 70er Jahren in Rostock studierte, nicht vorwerfen
können: daß die Auswahl unter Zuhilfenahme von Scheuklappen geschah. Die
ehemalige »Pilei« (Pionierleiterin) und der letzte
Vorsitzende der Pionierorganisation, Wilfried Poßner,
kommen ebenso zu Wort wie die Schriftsteller Katja Länge-Müller und Thomas Brussig, aber auch der Pfarrerssohn, der nicht Pionier war.
Diese Bestandsaufnahme versteht sich nicht als abschließend, sondern lädt den
Leser zu eigenen Erinnerungen ein. Vieles wird er bestätigen können, manches
wird er ergänzen wollen. Barbara Felsmanns Buch reduziert die Wirklichkeit der
Jungen Pioniere nicht auf eine einfache Wahrheit. Und es verhilft zu einem
genaueren Blick auf das eigene Leben – bevor das, was war, unwirklich wird.
Wolfgang
Gabler, im »Nordkurier« am 30. April/1. Mai
2004 und ähnlich in der »Ostsee-Zeitung« am 15./16. Mai 2004
Die DDR erfreut sich eines ungebrochenen Interesses von
Filmemachern und Buchautoren. Barbara Felsmann, Mitherausgeberin eines Bandes
über den Betrieb in Prenzlauer Berg vor 1989, hat jetzt Erinnerungen
herausgegeben von Menschen, die einst Junge Pioniere waren. Diese JP abgekürzte
Organisation erfaßte Kinder ab dem sechsten Lebensjahr. Ziel des Verbandes war
die sozialistische Erziehung, mithin: die politische Indoktrination. Barbara Felsmanns
Band umfaßt Berichte von eineinhalb Dutzend Menschen, es sind Schriftsteller
darunter, eine Schauspielerin, ein Pfarrer; die Indoktrination hat gelegentlich
funktioniert und meist nicht, die Erinnerungen sind manchmal sentimental,
manchmal erbittert, manchmal komisch.
rsr [Rolf Schneider] in der »Berliner
Morgenpost« am 14. April 2004
»Dann gab es noch ein
Lied, das handelte vom kleinen Trompeter Fritz Weineck. Das ist so eine
sagenumwobene Figur, irgendwie war er der Batman in den Geschichten der DDR« –
Karl Maercker, Jahrgang 1979, hatte noch ziemlich
viele Details im Kopf, als die Ostberliner Autorin Barbara Felsmann ihn und
seinen zwei Jahre jüngeren Bruder Paul nach den Erinnerungen an die Zeit als
Junger Pionier fragte. Das Gespräch fand schon 1991 statt, und es zeigt wie
kein anderer Beitrag in dem von Felsmann erarbeiteten kleinen Kompendium über
die Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, wie Kinder – zumindest in den letzten
Jahren vor der »Wende« – deren Wirken wahrgenommen haben. Die beiden Jungen
lebten zum Zeitpunkt des Interviews schon seit zwei Jahren in Wien und fanden
das Schulleben dort letztlich nicht so viel anders als im mecklenburgischen
Neubrandenburg. Das was jetzt der Klassensprecher ist, war der
Gruppenratsvorsitzende, fanden sie.
Alle anderen Beiträge in dem Buch sind in den letzten zwei Jahren – ebenfalls
aus Gesprächsaufzeichnungen – entstanden. Der Jüngste unter den Befragten war
zu diesem Zeitpunkt Ende zwanzig, der Älteste jenseits der achtzig. In den
Kindheitserinnerungen überlagern sich Erinnerungen mit später gewonnenen
Überzeugungen. Weniger spannend sind die Geschichten dadurch nicht. Sie zeigen
aus den verschiedensten Blickwinkeln die Entstehungsbedingungen, Defizite und
Errungenschaften des ersten sozialistischen Versuchs auf deutschem Boden. Und
sie führen noch mal so richtig schön vor Augen, warum das Ganze 1990 so sang-,
klang- und widerspruchslos von der Bildfläche verschwand.
Bemerkenswert ist das Bemühen der Autorin, gesellschaftliche Verhältnisse so
komplex wie irgend möglich abzubilden. Sie ist weit davon entfernt, Sympathie
für den untergegangenen Staat und seine Repräsentanten zu empfinden, und
betont, sie habe lange vor dem Mauerfall begriffen, daß die Widersprüche der
DDR »systemimmanente« gewesen seien. Gleichzeitig war die »hanebüchene
Undifferenziertheit«, mit der die Westmedien die Ostdeutschen als
ferngesteuerte, deformierte Masse ohne Individualität darstellten, für sie ein
wesentlicher Beweggrund, das Buch zu schreiben.
Und so läßt sie nicht nur die oppositionelle, ewig pubertierende
Schriftstellerin Katja Länge-Müller, ihren Kollegen Thomas Brussig
und einen Pfarrerssohn zu Wort kommen, sondern auch den alten Schuldirektor,
der offenbar vierzig Jahre lang niemals an sich selbst gedacht hat, die Schauspielerin
Carmen-Maja Antoni, die derzeit am Berliner Ensemble
Brechts »Mutter« ist und bereits mit zwölf eine versierte Darstellerin des
DDR-Kinderfernsehens war, und Menschen aus der Nachkriegsgeneration, für die
die Freizeitangebote der Pionierorganisation ein großes Geschenk und die
vermittelten Werte faszinierend waren.
Sogar der letzte Vorsitzende der Pionierorganisation, Wilfried Poßner, taucht plötzlich wieder auf, und Manfred Kapluck, der zwischen 1949 und 1951 Chef der »Jungen
Pioniere« in der BRD war – bis zum Verbot von KPD und FDJ – berichtet von der
Arbeit für Kinder und Jugendliche unter den Bedingungen des Kalten Krieges und
des militanten Antikommunismus.
Auf die insgesamt siebzehn autobiographischen Darstellungen folgt ein
umfangreicher Anhang mit einem geschichtlichen Abriß zur Geschichte der
Pionierbewegung. Er beginnt nicht erst mit der Gründung der späteren
DDR-Organisation am 13. Dezember 1948 und der Ernennung von Margot Feist
(später: Honecker) zur Vorsitzenden, sondern mit der Entstehung der ersten
kommunistischen Kindergruppen Anfang der zwanziger Jahre. Weiter finden sich
jede Menge Dokumente, Auszüge aus Reden, Darstellungen von Ritualen,
Abbildungen von Abzeichen – und nicht zuletzt die »Gebote« der Jung- und
Thälmannpioniere, die den Kindern, hätte sie je jemand wörtlich genommen,
völlig Unmögliches und teilweise Unsinniges abverlangten. Nur die jüngsten
Interviewpartner von Barbara Felsmann erwähnten sie überhaupt und konnten sich
noch vage an deren Inhalt erinnern. Paul Maercker:
»Eins war da noch: Pioniere sollen immer fröhlich und lustig sein.« Ein paar sehr vernünftige Grundsätze – Friedfertigkeit,
Solidarität, Antiimperialismus – kommen in den Geboten durchaus vor, allerdings
in der gruseligstmöglichen Verpackung. Bis zum Ende
der DDR waren in den Pionierausweisen Sätze wie »Wir Jungpioniere treiben Sport
und halten unseren Körper sauber und gesund« oder »... lernen fleißig, sind
ordentlich und diszipliniert« zu lesen. Diszipliniert – was für ein Wort für
eine Erstklässlerin. Für mich klang es damals
irgendwie vielversprechend, und es war eine Herausforderung, es korrekt
aufzuschreiben.
Wilfried Poßner hat, nachdem er 1985 zum Chef der
Pioniere berufen wurde, versucht, zumindest in formaler Hinsicht etwas herumzureformieren, die ganze Organisation kindgerechter zu
gestalten und die Überfrachtung mit für den Nachwuchs noch völlig
unverständlichen politischen Inhalten etwas abzubauen. Das war gut gemeint und
völlig harmlos, wie er selbst findet. Aber es wurde übelgenommen. Von Margot
Honecker, von 1963 bis zum DDR-Ende Ministerin für Volksbildung, und von Egon
Krenz, damals noch Erster Sekretär des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend
(FDJ). In den Buchbeiträgen wird eines wieder einmal mit aller Unerbittlichkeit
klar: Mit ihrem zwanghaften Bestreben, alles zu kontrollieren, das Nachplappern
von Losungen statt eigenständiges Denken zu fördern, hat die DDR-Führung den
geistigen Niedergang des Landes maßgeblich verursacht. Auch an der ökonomischen
Talfahrt dürfte die mentale Verfassung der Gesellschaft nicht unwesentlichen
Anteil haben. Man zog sich ein Heer von Opportunisten und Zynikern ebenso heran
wie erbitterte Gegner des Systems.
Jana Frielinghaus
in der »jungen welt« vom 25. März 2004
Nicht nur wer sich mit der Literatur ostdeutscher Autoren
beschäftigt, sollte auch die alltäglichen Verhältnisse besser kennen lernen,
die das Leben prägten.
Stellen wir uns eine Frage vor, die über die Teilnahme an der Endrunde in einem
Quiz entscheidet, etwa so: Ordnen Sie die folgenden Organisationen nach dem
Alter der Mitgliedschaft: A: Junge Pioniere, B: Freie Deutsche Jugend, C:
Thälmann-Pioniere, D: Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Wer das
Ergebnis nicht kennt, ist wahrscheinlich entweder nach 1989 geboren und/oder
aus Westdeutschland. Dabei tut es gut, sich neben der bunten »Ostalgiewelle« in Film und Fernsehen, deren Spaßcharakter
den Informationswert zumeist weit überwiegt, in Ruhe mit einem Buch voller
gegensätzlicher Stimmen zur ostdeutschen Vergangenheit befassen zu können.
Diese Meinungsvielfalt läßt den einfachen Schluß zu: Es war letztendlich eine
Charakterfrage, was man aus der Begegnung mit staatstragenden und -treuen Organisationen wie den »Jungen Pionieren« gemacht
hat.
Dem mehr oder eher weniger informierten Westdeutschen möge nach dem Lesen das
allzu leichte (Ver-)Urteilen vergehen, dem Ostdeutschen die in der Distanz
offenbar zunehmende entspannt-verharmlosende Haltung
– »Aber schön war es doch!« – ebenso. Daher war es
wichtig, daß etwa Falko Henning bei der Präsentation des Buches in Berlin einer
aufkommenden, säuselnden »Freundschaft!«-Stimmung
entgegentrat mit der Bemerkung: »Ich glaube nicht, daß diejenigen, die bei den
Jungen Pionieren waren, die besseren Menschen geworden sind.«
Nein, eine bunte Mischung sind sie geworden, wie in den Zusammenfassungen der siebzehn Gespräche deutlich wird, die die Herausgeberin Barbara Felsmann u.a. mit Katja Lange-Müller und Thomas Brussig geführt hat. Informativ ergänzt werden die lebendigen Selbstzeugnisse durch Dokumente und Fotos, die je nach Veranlagung der Leserschaft ebenso zu Sentimentalität wie zu Bauchschmerzen führen können. In jedem Fall aber zeigt die Gegenüberstellung der vielen Stimmen, die zwischen wehmütiger Erinnerung und harscher Ablehnung zum Teil weit auseinanderliegen, daß eine gemeinsam erlebte staatliche Vergangenheit als Rahmenbedingung keineswegs eine einheitliche Gehirnwäsche oder ein Ausgeliefertsein an die Verhältnisse bedeutet, sondern das persönliche Empfinden und das engere Umfeld prägt(e) – wie im sogenannten Westen auch – den Lebensweg.
Olaf Selg in »Titel-Magazin für Literatur und Film«
Mit dem Erinnern ist das so eine Sache: Allzu gern wird
schöngeredet, umgewertet, ausgespart, insbesondere, wenn man versucht, über die
eigene Kindheit zu sprechen. Wenn ich also hier schreibe, ja, auch ich bin
Pionier gewesen, liegt es am Datum. Daß ich außerdem recht weit gesprungen bin,
ist wohl erst im nächsten Jahr von Belang …
Am 13. Dezember 1948 wurde auf Beschluß der 17. Tagung der
FDJ der Verband der Jungen Pioniere gegründet. Margot Feist (später Honecker)
leitete die Organisation bis 1954. Im August 1990 wurde die Pionierorganisation
»Ernst Thälmann« aufgelöst. Was aber lag dazwischen? Die Freie Journalistin
Barbara Felsmann (Jahrgang 1956) ist dieser Frage nachgegangen und
veröffentlichte jüngst eine Materialsammlung unter dem Titel »Beim kleinen
Trompeter habe ich immer geweint«.
Diese enthält unter anderem Gesprächsnotizen mit ehemaligen
Pionieren und mit Menschen, die aus verschiedenen Gründen diese
Organisationsform ablehnten. Zu den Gesprächspartnern gehören Wilfried Poßner, der letzte Vorsitzende der Pionierorganisation, der
Schriftsteller Thomas Brussig, die Schauspielerin
Carmen-Maja Antoni, die Malerin Isolde Gorsboth und die Schriftstellerin Katja Lange-Müller.
Ergänzend sind der Dokumentation Fotografien, historische
und persönliche Dokumente sowie ein umfangreicher Anhang beigefügt. Dieser
enthält neben einem recht willkürlichen Sammelsurium aus Marschordnungen,
Abbildungen von Orden, Flaggen, Ausweisen, Kinderaufsätzen und anderem
illustren Erinnerungsmaterial einen sehr informativen Abriß über die Geschichte
der Pionierbewegung in Deutschland. Wußten Sie zum
Beispiel, daß es bereits im Jahr 1926 eine Kinderzeitschrift mit dem Namen
»Trommel« gab? Oder daß die Roten Jungpioniere im Jahr 1929 für Schulspeisung,
Spielplätze und höhere Löhne für ihre Väter demonstrierten? Daß im August 1929
13 deutsche Arbeiterkinder am 1. Welttreffen der Arbeiter- und Bauernkinder in
Moskau teilnahmen?
Barbara Felsmanns Intention ist es offensichtlich nicht, auf
der Ostalgiewelle zum Ruhm zu schwappen, obwohl
gerade die Pionierbluse am wohl trainierten Leib einer Eiskunstläuferin
kürzlich eine gewisse öffentliche Aufwertung erfuhr. Die Autorin wagt sich auf
den Grat zwischen Daten und lebendiger Geschichte, sie läßt die persönliche
Sicht ihrer Gesprächspartner gelten. Das ist viel, denn es belebt ein Stück Historie,
das bisher wenig differenziert dargestellt oder gänzlich umgangen wurde.
Was denkt man heute bei Worten wie Appell, Flagge, Agitator,
Gruppenrat? Was empfindet man? Nur Abscheu, Restriktion, Langeweile? War da
noch etwas anderes, vielleicht der erste Kuß im Ferienlager? Der Stolz über
eine Urkunde oder den Goldenen Schneemann?
»Ich habe diese Ostherkunft«, schreibt Thomas Brussig, »und werde sie nicht los. Aber trotzdem bin ich
deshalb nicht der Anwalt des Ostens oder der Kronzeuge in der Ost-West-Frage,
so wie es die Journalisten gerne hätten. […] Ich bekomme zum Beispiel ständig
von Plattenfirmen CDs mit Pionier- und DDR-Kampfliedern zugeschickt,
wahrscheinlich in der Hoffnung, daß ich sie für einen Film verwende. Ich kann
damit überhaupt nichts anfangen, das sind Kuriosa meines Kindheitskosmos’, über
die ich mich höchstens noch totlachen kann.«
Zu jenen Kuriosa gehört zum Beispiel auch, daß die
Geschichte der Pionierorganisation auf Zigarettenbildern (!) dokumentiert
wurde. Oder daß auf den Fahnenappellen gefordert wurde: »Heißt Flagge!« Dieser grammatikalischen Besonderheit bin ich später nie
wieder begegnet. In den zehn Geboten der Jungpioniere gab es mehrmals die Worte
helfen und lieben. Im Fahnenspruch der Thälmann-Pioniere ist wieder von Liebe
die Rede. Überhaupt wirkt, mit dem jetzigen Abstand betrachtet, die damalige
»organisierte« Sprache ziemlich hölzern, in ihren Zusammenhängen unsinnig, sei
es in Reden, Anweisungen, Aufsätzen, Gedichten und Liedern, die noch heute wie
auf Knopfdruck abrufbar sind, zum Beispiel: »… und wir lieben die Heimat die
schöne, und wir schützen sie, weil sie dem Volke gehört, weil sie unserem Volke
gehört« oder »… Denn die Welt braucht dich, genau wie du sie. Die Welt mag ohne
dich nicht sein …«
Bürger im westlichen Teil der Republik wagen gern den
Vergleich der Pioniere mit der Hitlerjugend. Oft geschieht dies aus
Unwissenheit, zuweilen liegt diese Parallele aber auch in der wenig
differenzierten Sprache dieser Organisationen.
Beim Lied vom kleinen Trompeter habe ich nie geweint, weil
ich mir einfach nicht vorstellen konnte, daß man in einer so stürmischen Nacht
so fröhlich beisammensitzt, und bei einem so fröhlichen Spiel eine so
feindliche Kugel geflogen kommt. Das ging schon deshalb nicht, weil unser Leben
»so aufgeräumt war«, wie Thomas Brussig es treffend
beschreibt.
Undine
Materni in der »Sächsischen Zeitung« am 13.12.2003
13. Dezember 1948:
Auf Beschluß der 17. Tagung des Zentralrates der Freien Deutschen Jugend wird der
Verband der Jungen Pioniere gegründet. Zur Vorsitzenden wird Margot Feist
ernannt. Später wird sie Erich Honecker heiraten und von 1963 bis zum Ende der
DDR Minister für Volksbildung sein. Wäre die Mauer nicht gefallen, hätte heute
die Pionierorganisation 55. Geburtstag Mit dieser Organisation sind viele
Kindheitserinnerungen all jener Generationen verbunden, die die DDR bewußt
erlebt haben. Und weil die Kindheit schön war und die Lieder zu Herzen gehend
waren (»Beim Kleinen Trompeter habe ich immer geweint«, so der Titel), wird
posthum oft die Funktion jener Einrichtung verklärt, die klassenbewußte
Sozialisten heranziehen sollte.
Deutlich wird dies in jenen Erinnerungen, die Barbara Felsmann über die
Kindheit in der DDR gesammelt hat. Eine lesenswerte Sammlung persönlicher
Eindrücke, die die ganze Bandbreite von dem, was blieb, aufzeigt – und zwar von
den Jahrgängen 1920 bis 1981, von Lehrern, Pionierleitern bis hin zum
Schriftsteller Thomas Brussig, von Gläubigen und
Desillusionierten, von Jungpionieren und solchen, die nie dieser Organisation
angehörten.
Eine ganze Reihe von Dokumenten zeigen auf, wie die Jungen Pioniere geprägt
wurden. Da gibt es den auftragsgemäßen und mit »1« benoteten Kinderbrief an
Adenauer 1951 (»Ich hoffe, daß Sie sich alles noch einmal überlegen und von
jetzt ab alles für den Frieden tun«) ebenso wie die pflichtgemäße Darstellung
der eigenen Entwicklung, die eine Abiturientin 1980 schrieb.
Frieden und Gerechtigkeit – das waren die zwei Säulen des ideellen Konstruktes
DDR, sagt Klaus Dieter Felsmann im Vorwort. Diese menschlichen Sehnsüchte seien
jedoch »zur Legitimierung jeglichen machtpolitischen Handelns zynisch
mißbraucht« worden. Er empfiehlt das Buch von Barbara Felsmann mit dem Hinweis,
daß die vorgestellten Lebensgeschichten Anlaß zur Selbstvergewisserung böten,
macht aber auch klar, daß »wir nicht zum Ewigen Pionier geboren« seien, auch
wenn manchem heute diese Vorstellung »ganz kommod scheinen mag«.
Sonja Scheller, Jahrgang 1955, war Lehrerin in der DDR. Zu ihrer Zeit wurden
Wehrunterricht – »ein wirklich schwarzes Kapitel im DDR-Schulwesen« – und
Zivilverteidigungslager eingeführt. »Wenn heutzutage einige Leute der
Pionierorganisation nachweinen«, sei ihr das »völlig unverständlich«, denn: die
schönen Erinnerungen seien nicht Sinn und Zweck jener Organisation gewesen, die
vor allem glauben machen wollte, die Partei habe immer recht …
Gerlinde Sommer in der »Thüringer
Landeszeitung« am 13.12.2003