Livia Cárdenas
Friedrich
der Weise und das Wittenberger Heiltumsbuch
Mediale
Repräsentation zwischen Mittelalter und Neuzeit
Das 1509 gedruckte
und mit Holzschnitten von Lucas Cranach versehene Wittenberger Heiltumsbuch gehört zu den künstlerisch bedeutendsten
Büchern des frühen 16. Jahrhunderts. Livia Cárdenas
hat sich in ihrer Magisterarbeit, die 1999 an der Berliner Humboldt-Universität
eingereicht wurde, die Aufgabe gestellt, das Heiltumsbuch
genauer zu analysieren und die ehrgeizige Verbindung Kurfürst Friedrichs des
Weisen mit dem Reliquienschatz in der Wittenberger Schloßkirche
herauszuarbeiten. Entstanden ist eine gut lesbare, wissenschaftlich fundierte
und mit vielen Abbildungen versehene Buchausgabe.
Das Wittenberger Heiltumsbuch stand im Dienste der
Herrschaftsrepräsentation. Der Titelkupferstich mit Kurfürst Friedrich und
Herzog Johann, der Einleitungstext und die oft abgebildete Außenansicht der
Wittenberger Schloßkirche dienten dazu, Friedrich den Weisen als religiösen
Menschen, als Universitätsgründer, als Bauherrn der neuen Residenz und als
Besitzer einer kostbaren Reliquiensammlung vorzuführen. Den Grundstock des Heiltums, darunter einen Dorn der Dornenkrone Christi,
hatte der Kurfürst von den Askaniern übernommen. Der
durch Friedrich den Weisen erheblich vergrößerte Reliquienschatz, der 1520
einen Ablaß von 1902 202 Jahren und 270 Tagen versprach, wurde im Chor der
Schloßkirche aufbewahrt und im Rahmen von Heiltumsweisungen
den Gläubigen öffentlich gezeigt. Die im Heiltumsbuch
vorgenommene Anordnung der Reliquien in Gängen entspricht der Abfolge der Heiltumsweisungen. Wie die Autorin überzeugend darstellt,
läßt sich eine inhaltliche Bedeutungssteigerung zum Ende jedes einzelnen Ganges
und zum Ende des Buches hin beobachten. Der letzte Gang zielte darauf ab, die
Kindheits- und Passionsgeschichte Jesu vor Augen zu führen. In theologischer
Hinsicht ist interessant, welchen Stellenwert die alttestamentlichen Reliquien
einnahmen, die vor allem aus typologischen Gründen in die Sammlung aufgenommen
wurden. So gab es Ruß aus dem Feuerofen, in den Nebukadnezar die drei Jünglinge
geworfen hatte, Reste des brennenden Dornbuschs, Manna aus der Wüste und
Reliquien der Propheten Elias, Daniel und Jonas. Der erste Gang des Heiltumsbuches beginnt programmatisch mit dem
Elisabethglas, denn die Wettiner glaubten sich mit der hl. Elisabeth von
Thüringen verwandt. Dieses Glas, heute in Coburg, ist der einzige überlieferte
Gegenstand der vor 1530 vernichteten Reliquiensammlung. Wie die Reliquiare
ursprünglich ausgesehen haben, zeigen die Federzeichnungen im Weimarer
Skizzenbuch (Thüringisches Hauptstaatsarchiv), mit denen sich zuletzt Katharina
Flügel in ihrer unveröffentlichten Habilitationsschrift beschäftigt hat. Durch
Gegenüberstellungen der Zeichnungen im Skizzenbuch und der Holzschnitte im Heiltumsbuch veranschaulicht Cárdenas,
daß Lucas Cranach bei der Bildwiedergabe eigene Interpretationen und
Veränderungen vorgenommen hat. Um die Gegenstände zu vergegenwärtigen, wurden
die Reliquiare modernisiert und die Statuetten verlebendigt.
Interessant erscheint die Beobachtung, daß das Heiltumsbuch
wie ein moderner Ausstellungs- oder Sammlungskatalog wirkt, denn die dem
Katalogteil vorgeschaltete Einleitung beschreibt die Geschichte der Sammlung.
Die Vermutung der Autorin, Friedrich der Weise habe die Reliquien auch als
Kunstgegenstände betrachtet, muß jedoch in Frage gestellt werden. Warum wurden
dann die Reliquiare, nachdem sie ihre religiöse Bedeutung verloren hatten, ohne
Bedenken eingeschmolzen?
Das Buch enthält sehr viele, gut ausgewählte Abbildungen der Wittenberger
Reliquiensammlung. Darüber hinaus wäre es sicher ein Gewinn gewesen, wenn man
die Buchausgabe mit einem vollständigen Nachdruck des Heiltumsbuches
von 1509 verbunden hätte.
Matthias Donath in » Neues Archiv für
sächsische Geschichte«
Zu Beginn des 16. Jahrhunderts erlebte
die Reliquienverehrung in Mitteldeutschland mit den »Heiltümern«
zweier benachbarter Fürsten einen Höhepunkt, dem rasch ein steiler Absturz
folgten sollte. Die Parallelen zwischen den Reliquiensammlungen des sächsischen
Kurfürsten Friedrich der Weise und des Magdeburger Erzbischofs Albrecht von
Brandenburg liegen offen zutage. Beide konnten eine bisher nicht gekannte Masse
von Heiligenpartikeln zusammentragen, beiden gelang es, für die Teilnehmer an
ihren Reliquienfesten attraktive Ablässe zu erlangen, und beide präsentierten
ihre Sammlungen dem Publikum in gedruckter Form, in reich bebilderten
sogenannten »Heiltumsbüchern«. Dem älteren der beiden
Druckwerke, dem Wittenberger Heiltumsbuch des
sächsischen Kurfürsten, widmet die Berliner Kunsthistorikerin Livia Cárdenas nun eine kleine Monographie, die auf ihrer 1999
abgeschlossenen Magisterarbeit beruht. Der Untertitel macht deutlich, daß es
der Autorin nicht nur um eine kunsthistorische Einordnung der von Lucas Cranach
gefertigten Holzschnitte des Buches, sondern auch um funktionale Gesichtspunkte
des Werkes geht, das in dieser Form nur in den ersten Jahrzehnten des 16.
Jahrhunderts entstehen konnte. Demzufolge gliedert sie die Arbeit in die
Kapitel »Der historische Hintergrund«, »Form und Struktur« sowie »Funktionale
Aspekte«.
Friedrich der Weise konnte beim Aufbau seines »Heiltums«
an Traditionen seiner askanischen Vorgänger
anknüpfen, die 1353 an ihrer Burgkapelle in Wittenberg ein Kollegiatstift
errichtet und für dieses 1398 den bedeutenden Portiuncula-Ablaß
vor Assisi erwirkt hatten. Nachdem Wittenberg infolge des Aussterbens der
Askanier zunächst an Bedeutung verloren hatte, wurde es von Friedrich im
Gefolge der Leipziger Teilung gleichsam als »Symbolort«, als Vorort des eigentlichen
Kurfürstentums reaktiviert und zum Mittelpunkt seiner
Herrschaftsrepräsentation. Der planmäßige Aufbau der Reliquiensammlung begann
vermutlich 1507 und ging verhältnismäßig schnell vonstatten, so daß bereits
1509 das gedruckte Heiltumsbuch vorgelegt werden
konnte.
Wie seine Vorgänger seit dem späten 15. Jahrhundert ist das Wittenberger Heiltumsbuch in sogenannte Gänge gegliedert, innerhalb
derer die einzelnen Partikel aufgezählt und mit Abbildungen der Reliquiare
versehen wurden – im vorliegenden Fall in acht, die hierarchisch aufsteigend
aufeinander folgen. Innerhalb der Gänge ist eine eindeutige Ordnung nicht zu
erkennen, allenfalls eine Steigerung der Bedeutung zum Ende hin. Durch
Vergleich mit den Skizzen des sogenannten Weimarer Skizzenbuchs, die wohl die
Vorlagen zu den Holzschnitten bildeten, kann die Verfasserin die
gestalterischen Grundsätze Cranachs nachzeichnen. Während die Skizzen sich
verhältnismäßig nah an den Originalobjekten bewegt haben dürften (erhalten ist
nur ein Gegenstand, das Glas der hl. Elisabeth, das diese These stützt), nahm
der Holzschneider teilweise erhebliche Veränderungen vor, die eine lebendigere
Darstellung zum Ziel hatten, gelegentlich die Gefäßform in szenische
Darstellungen auflösten. Auf der anderen Seite werden im beschreibenden Text
die Gefäße und ihr materieller Wert hervorgehoben; beinahe wird der Inhalt in
den Hintergrund gedrängt.
Die Verlagerung des Schwerpunktes von den Reliquien auf die Reliquiare, die
sich übrigens auch in den Beschreibungen des Heiltums
Albrechts von Brandenburg findet, war ein neuer Zug im Wittenberger Heiltumsbuch und weist auf die Funktion des Buches als
Objekt der landesherrlichen Repräsentation, auf die auch das Titelkupfer mit
der Darstellung des Kurfürsten und seines Bruders Johann hindeutet. In dem Heiltumsbuch präsentiert sich der Kurfürst als »religiöser
Landesvater«, der für das Seelenheil seiner Untertanen Sorge trägt, indem er
sie an reichen Ablässen teilhaftig werden läßt, gleichzeitig aber auch am Ort
der Heiltumsweisung für die memoria seiner Familie
sorgt. Auf der anderen Seite ist allerdings eine gewisse Profanisierung
des Mediums nicht zu verkennen, das in seiner Gestaltung die Züge eines
Sammlungskataloges aufweist, und schließlich enthielt die durch das Buch
propagierte Heiltumsweisung auch immer eine
wirtschaftliche Komponente.
Gewiß, nicht jedes der hier referierten Ergebnisse ist unbedingt neu, wie die
Literaturzitate der Verfasserin zeigen, doch stellen ihre gründliche Analyse
des Buches und der Blick auf Vergleichsbeispiele auch ältere Erkenntnisse zum
Wittenberger Heiltum noch einmal auf soliden Boden.
Ein klarer Gedankengang und eine klare Sprache tun ein übriges, um das Werk
auch für den »Nicht-Kunsthistoriker« gut lesbar zu machen. So bildet der kleine
Band eine gelungene Synthese aus kunsthistorischer und historischer
Betrachtung, die zeigt, daß es mitunter lohnt, eine Magisterarbeit im Druck
vorzulegen.
Michael Scholz im »Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands«,
Bd. 48(2002)