Christof Römer (Hg.)

Evangelische Landeskirchen der Harzterritorien in der frühen Neuzeit

(= Harz-Forschungen 15)

 

 

Mit der 2003 im Lukas Verlag erschienenen Publikation liegen – um zwei Beiträge erweitert – die Vorträge der vom Arbeitskreis Kirchengeschichte des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde und vom Archiv der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen gemeinsam durchgeführten gleichnamigen Tagung im September 2001 in Kloster Drübeck in gedruckter Form vor. Die politische Kleinräumigkeit und die Territorienvielfalt des historischen Harzraumes ermöglicht es, unterschiedliche Verlaufsmodelle der Reformation und unterschiedliche Gestaltungen von Landeskirchlichkeit vorzustellen. Im Mittelpunkt der Tagung wie der Aufsätze stand bzw. steht nicht der Verlauf der Reformation, sondern die Frage nach den Strukturen landeskirchlicher Verhältnisse, die sich in der Ausbildung von Konsistorien, der Pfarreiorganisation, der Regelung von Lehrfragen und der Ausbildung der Pfarrer zeigen. Vom Fürstentum Anhalt über die Grafschaft Mansfeld und die stolbergischen Harzgrafschaften, das Fürstbistum Halberstadt, die Universität Helmstedt und die Reichstadt Nordhausen bis hin zum Eichsfeld spannt sich der geographische Bogen. Inhaltlich reichen die Themen vom Konzept der Konfessionalisierung über die Herausbildung evangelischer Kirchenregimente, die Pfarrerausbildung an der Universität Helmstedt, die Begründung evangelischer Landeskirchlichkeit im Fürstbistum Halberstadt und im kurmainzischen Eichsfeld bis hin zum religiösen Gegensatz zwischen katholischem Reichsstift und evangelischer Reichstadt in Nordhausen.
Die Tragfähigkeit des Konzepts der Konfessionalisierung, in der neueren Forschung verstanden als Konfessionsbildung resp. -konflikt verbunden mit innerer Staatsbildung, erprobt Werner Freitag am Beispiel des Fürstentums Anhalt im 16. Jahrhundert. Er weist das Aufkommen eines neuen Herrschaftsverständnisses bei den anhaltischen Fürsten nach, das seinen äußeren Ausdruck u. a. im Residenzenbau und der Erweiterung des Wappens fand, im Inneren sich in einer Parallelität von Kirchen- und Verwaltungsreform zeigte. Die Kirchenordnung von 1545 und das Amt des Superintendenten (zur Ausbildung von Konsistorien kam es in Anhalt nicht) waren Ausdruck eines landesherrlichen Kirchenregiments, das Eingriffe in die Patronatsrechte des Adels und die städtische Kirchenhoheit zur Folge hatte und sich über die Disziplinierung der Pfarrer und die Sozialdisziplinierung der Gläubigen fortsetzte. An ausgewählten prägnanten Beispielen belegt Freitag, daß das Konzept der Konfessionalisierung für Anhalt greift, und verweist zugleich auf noch ausstehende genauere Forschungen, insbesondere auch auf lokaler Ebene.
Das evangelische Kirchenregiment der Grafen von Mansfeld und die Ausbildung einer mansfeldischen Landeskirche untersucht Günther Wartenberg. Die territoriale Zersplitterung der Grafschaft Mansfeld in Vorder-, Mittel- und Hinterort hatte eine unterschiedliche Haltung und einen unterschiedlichen Verlauf der Reformation zur Folge. Während Mittel- und Hinterort unter Gebhard VII. und Albrecht VII. sich schon früh der Reformation öffneten (wenn auch ohne sie offiziell einzuführen), stieß sie bei Hoyer VI. von Vorderort auf Ablehnung. Erst nach dessen Tod (1540) konnten sich die Regenten der seit 1536 sechs Teillinien 1542 auf die Durchführung einer Reformation verständigen. Auf der Grundlage des Eislebener Vertrags vom 18. Februar 1546 kam es in der Folgezeit zur Herausbildung einer gesamtmansfeldischen Landeskirche und eines landeskirchlichen Regiments. Dies zeigte sich in der Berufung eines Superintendenten, der Einrichtung eines Konsistoriums und dem Erlaß einer Kirchenordnung. Verglichen mit anderen lutherischen Territorien vollzog sich diese Entwicklung in Mansfeld – trotz des direkten Einflusses Luthers – über einen deutlich längeren Zeitraum.

Mit dem Kirchenregiment der Grafen von Stolberg und den Anfängen der Konsistorien in den stolbergischen Harzgrafschaften befassen sich Monika Lücke und Jörg Brückner. Nach ersten reformatorischen Ansätzen 1525-1528 mit schon weitreichenden Zugeständnissen in den Bauernkriegsartikeln (1525) und der Einführung von Schul-, Hochzeits- und Feiertagsordnungen wurde die Reformation in den stolbergischen Grafschaften erst nach dem Tode Graf Bothos 1538 offiziell eingeführt. Mit dem Verbot der Visitation durch ihren sächsischen Lehnsherrn und der Ernennung von Superintendenten gelang es den Stolbergern, den Einfluß der Wettiner weiter zurückzudrängen. Die eigentliche Errichtung eines Konsistoriums in den stolbergischen Grafschaften läßt sich hingegen nicht konkret datieren, obgleich der Begriff in den Quellen des 16. Jahrhunderts schon gebraucht wird. Dem Beitrag angefügt ist die Transkription eines im Bestand »Stolberg-Wernigerode« im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt überlieferten Schriftstücks mit den Originalunterschriften aller Pfarrer, Rektoren, Lehrer, Schuldiener, Diakone und Archi-diakone der Grafschaften Stolberg und Wernigerode, die 1579/80 die Konkordienformel unterschrieben haben. Die Namen wurden, soweit ermittelbar, ergänzt durch Lebensdaten und Angaben zum Werdegang.
Die »Reformation als Bildungsimpuls und Bildungsereignis« stellt Inge Mager in ihrem Beitrag über die Pfarrerausbildung an der Universität Helmstedt dar. Um als mündiger Gläubiger Bibel, Katechismus und Gesangbuch lesen und nach dem Glauben leben zu können, bedurfte es bei Pfarrern und Gläubigen gleichermaßen der Lese- und Schreibfähigkeiten. Um solche zu fördern, kam es in reformierten Territorien verstärkt zur Einrichtung öffentlicher Volks- und Lateinschulen sowie zur Reform und zum Ausbau der Universitäten mit der Tendenz zur Errichtung von Landesuniversitäten zur Rekrutierung der Pfarrer. Am Beispiel der ersten evangelischen Blankenburger Superintendenten untersucht Mager die Rolle der Universität Helmstedt als Ausbildungsstätte für die Geistlichen der Harzgrafschaften.
Am Beispiel Halberstadts untersucht Christof Römer die Entstehung einer evangelischen Landeskirchlichkeit in einem geistlichen Fürstbistum und konstatiert sie als eigenständigen Typus neben den evangelischen und altgläubigen Konfessionsstaaten. So könne für Halberstadt eine Verzahnung von Konfessionalisierung und innerer Staatsbildung nicht festgestellt werden, da trotz eines radikalen Autoritätsverfalls der bischöflichen Landesherrschaft seit 1540 und eines eindeutigen Bekenntnisses der protestantischen Landesherren 1561 und 1591 diese ihre Landeshoheit nicht wesentlich stärken konnten. So kam es in Halberstadt erst spät, nämlich nach dem Anfall an Brandenburg (ab 1648/50), zu einem Ende der Mitregierung des Domkapitels und zur Begründung einer evangelischen Landeskirche.
Das Neben- und zunehmend Miteinander von katholischem Stift und evangelischer Reichsstadt beschreibt Arno Wand sehr anschaulich am Beispiel Nordhausens. Kam es auch nach dem Augsburger Religionsfrieden zunächst immer wieder zu Angriffen gegen das Stift, das seinen Status nur mit Hilfe kaiserlicher Schutzbriefe aufrechterhalten konnte, so fand man nach dem Dreißigjährigen Krieg allmählich zu einem, wenngleich nicht immer spannungsfreien Modus vivendi, der in einem 1718 zwischen Reichsstift und Reichsstadt geschlossenen Rezeß manifestiert wurde.
Thomas T. Müller ergänzt mit seinem Beitrag zur »Evangelischen Landeskirchlichkeit im vormals kurmainzischen Eichsfeld 1802-1806« am Beispiel der Errichtung evangelischer Gemeinden in Heiligenstadt und Duderstadt die Beiträge des Bandes um interessante Aspekte aus der Zeit unmittelbar vor dem Ende des Alten Reichs. Während Preußen 1803 mit der Übergabe einer der bedeutendsten katholischen Kirchen des Eichsfelds – der Heiligenstädter Martinskirche – an die neugegründete, kleine evangelische Gemeinde der Stadt ein deutliches politisches Zeichen setzen konnte, erhielt die wesentlich größere Duderstadter evangelische Gemeinde (dort machten die Protestanten immerhin ein Drittel der Bevölkerung aus) erst 1807 unter König Jerome von Westphalen eine eigene Kirche zugesprochen.
Dem Harzverein ist mit dieser Publikation wieder einmal ein profunder Beitrag zur Regionalgeschichte gelungen. Es bleibt nach diesem ertragreichen Ansatz sehr zu wünschen, daß sich die Ankündigung im Tagungsprogramm verwirklichen läßt und die Beiträge Vorarbeiten für ein Lexikon der Harzterritorien sind.
Angela Erlbacher in: »Jb. Für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands«, Bd.51/2005

 

Die vorliegende Veröffentlichung geht auf eine Tagung des Harz-Vereins zurück. Dessen Vorsitzender, der das vorliegende Buch herausgab, weist in seiner Einleitung auf die Vielzahl meist kleinerer Territorien hin, die den Harzraum in der Frühen Neuzeit prägten. Mit der Reformation, die in diesem Gebiet den Katholizismus bis auf Restbestände beseitigte, prägte sich der territoriale Fleckenteppich auch im Kirchenwesen aus. Folglich entwickelten sich die »Landeskirchen« in den einzelnen Territorien unterschiedlich, auch wenn gemeinsame Grundtendenzen erhalten blieben. Die Vielfalt vor dem Hintergrund verbindender Grundtendenzen wird in der Publikation gut deutlich, nicht zuletzt durch die verschiedenen methodischen Zugänge der Vf. Werner Freitag bietet zunächst am Beispiel des Fürstentums Anhalt einen Überblick über das Konzept der Konfessionalisierung. Dieses Fürstentum eignet sich gut als Beispiel für die Konfessionalisierung, weil die Fürsten hier nach 1580 das reformierte Bekenntnis weitgehend durchsetzen konnten: Freitag skizziert den unterschiedlichen Zugriff auf die Städte, den landsässigen Adel und die ,Kirchenbedienten'. – Günther Wartenberg informiert über das evangelische Kirchenregiment der Mansfelder Grafen, das – in abgeschwächter Form – bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Bestand hatte, obwohl die Grafschaft nach der Sequestration der Güter durch Kursachsen und das Erzstift Magdeburg 1580 zwischen diesen beiden größeren Nachbarn aufgeteilt wurde. Trotz der Nähe zu Wittenberg und der Förderung reformatorischer Predigt durch Luther gelang es erst seit 1540 und endgültig erst nach 1552, eine landeskirchliche Struktur mit verbindlichen Ordnungen zu schaffen. – Monika Lücke und Jörg Brückner stellen gemeinsam das Kirchenregiment der Stolberger Grafen dar; den Stolbergern gelang es besser als den Mansfeldern, eine funktionierende Konsistorialverwaltung aufzubauen. Dabei nutzten sie die Einführung der Reformation, um den Einfluß ihrer Lehnsherren, vor allem der Wettiner, weiter zurückzudrängen. Daß diese aber die Grundlinien der Kirchenpolitik weiter bestimmten, zeigt die Zustimmung der Grafen und der Theologen in ihrem Territorium zur Konkordienformel. Die Vf. publizieren dazu auch die Liste derjenigen, die hier die ersten Unterschriften leisteten. – Inge Mager skizziert die Bedeutung der Universität Helmstedt. Nach einer knappen Übersicht über die Bedeutung von Humanismus und Reformation für die Ausbildung der Gelehrten im 16. Jahrhundert schildert sie die Gründung des Obergymnasiums in Gandersheim, das 1574 nach Helmstedt verlegt und dort zur Volluniversität ausgebaut wurde. Damit war eine gediegene Theologenausbildung möglich; welche Chancen diese Ausbildung den Theologen in den Harzgrafschaften bot, stellt sie überblickartig anhand der ersten Superintendenten in der Grafschaft Blankenburg dar. – Den Übergang eines Stifts in ein evangelisches Territorium beschreibt Christof Römer unter dem Titel »Ringen um die Begründung einer evangelischen Landeskirche in einem Fürstbistum: Halberstadt 1517–1591«. Er zeigt, wie die Autorität des Bischofs allmählich zerfiel, eine gemeindemäßige Kirchenorganisation entstand und wie die Landstände, vor auch die Städte, dabei kirchliche Rechte beanspruchten und gegen den Bischof bzw. Landesherren durchsetzten. Unter diesen Bedingungen wurde eine verbindliche gemeinsame evangelische Kirchenstruktur für das Territorium erst nach dem Beginn des 17. Jahrhunderts aufgebaut, obwohl die Fürstbischöfe seit 1561 protestantisch waren. Zu Recht fragt Römer, ob man die Reformation in derartigen ,Kirchenstaaten' nicht als eigenständigen Typus neben den evangelischen und altgläubigen Konfessionsstaaten kennzeichnen muß. – Arno Wand faßt seine große Arbeit über das Reichsstift Nordhausen in dem Aufsatz »Reichsstift und Reichsstadt Nordhausen im konfessionellen Zeitalter« präzise zusammen; er schildert den mühsamen Weg, auf dem das Stift, das mit Hilfe des Kaisers altgläubig blieb, und die evangelisch gewordene Reichsstadt lernten, einen modus vivendi zu finden, der bis zum Ende des 18. Jahrhunderts prekär blieb. – Den Schluß bildet ein Aufsatz von Thomas T. Müller: »Die evangelische Landeskirchlichkeit im vormals kurmainzischen Eichsfeld 1802–1806«. Konkret geht es um die Einrichtung des evangelischen Gottesdienstes und die Zuweisung eines Kirchengebäudes an die Protestanten in Heiligenstadt (1803) und in Duderstadt (1806–1808). Auffällig ist dabei, daß in Heiligenstadt, wo die Zahl der Protestanten sehr klein war, die Übergabe einer großen Kirche an die Protestanten problemlos verlief, während in Duderstadt, wo die Protestanten seit der Gegenreformation rund ein Drittel der Einwohner ausmachten, die Übergabe einer Kirche an die protestantische Gemeinde viel schwieriger war. – Dieser knappe Überblick über diese Veröffentlichung zeigt, wie sinnvoll die Initiative des Harz-Vereins war, sich mit dem Kirchenwesen im Harz zu beschäftigen. Die Aufsätze laden zu weiteren Forschungen und Vergleichen ein - eine solche Einladung ist bekanntlich ein gutes Zeugnis für eine Veröffentlichung.
Jahrbuch der Gesellschaft für niedersächsische Kirchengeschichte, Nr. 101/2003