Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg
Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg 1902–1945
Ein Lebensbild

 

Buchtip in »Volksblatt Kultur & Journal« ,( Würzburg) vom 03.05.2005 und Pressedienst Ordinariat Würzburg Nr. 17 vom 27.April 2005

 

 

Es ist nicht weniger als ein Lebenswerk, das Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg im Alten Amtshaus vorstellte: die Biographie ihres Vaters Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg (1902–45). Jahrzehntelang konnte und wollte sie dieses Buch nicht schreiben. Erst nach dem Tode ihrer Mutter war der Weg frei für das Lebensbild dieses Widerstandskämpfers im Dritten Reich. Bis zur Buchpräsentation sollten aber dennoch mehrere Jahre ins Land gehen. Um so mehr freute sich Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg, daß sie an der Seite ihres Verlegers Dr. Frank Böttcher aus Berlin nach zweimaliger gesundheitlicher Verschiebung das Buch in ihrer und der Heimatstadt ihres Vaters vor zahlreichen interessierten Zuhörern vorstellen durfte. Bürgermeister Bruno Altrichter nannte die Buchpräsentation eine besondere Freude für die Kreisstadt und verwies auf das günstig gelegene Datum der Präsentation, da in der kommenden Woche dem Todestag von Jakob Preh gedacht wird, der ebenfalls in den letzten Kriegstagen des Zweiten Weltkriegs ums Leben kam.
Mit ihrem Lebensbild möchte die Autorin ihren Vater vor dem Vergessen bewahren. Verleger Dr. Frank Böttcher verwies in seiner Rede auf die Fülle von Veröffentlichungen zum Thema Widerstand im Dritten Reich in den letzten Jahren. Der Lukas Verlag, der von ihm geleitet wird, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Beteiligten rund um das Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 in ein objektives Licht zu rücken. Mit der Biographie von Karl Ludwig von und zu Guttenberg gelingt nach Meinung Böttchers der Autorin der Spagat zwischen dem intimen und familiären Blick der Tochter auf den Vater und dem objektivierenden Blick der studierten und promovierten Historikerin. In einigen exzellent formulierten Gedanken über die Biographie verwies Dr. Böttcher auf den Umgang mit Geschichte in der früheren DDR, wo Historie politisch geprägt und einseitig gelehrt wurde. Daß dies in Westdeutschland ebenso der Fall war, das dachte sich Böttcher in Zeiten der Teilung der deutschen Staaten zwar nicht, mußte es aber dann um so betrübter nach der Wiedervereinigung feststellen. Gerade die Aufarbeitung der Geschichte des Widerstands im Dritten Reich wurde lange in der Bundesrepublik sträflich vernachlässigt. Erst in den siebziger Jahren setzte das nationale Gedächtnis ein, und nochmals viel später wurde nicht nur der Heldenepen rund um die Weiße Rose gedacht.
Karl Ludwig von und zu Guttenberg gehört nicht in die Reihen derer, die das Attentat des 20. Juli 1944 geplant und ausgeführt haben. Jedoch war der einstige Besitzer der Salzburg nie ein Freund, sondern immer ein Gegner der Nationalsozialisten. »Er liebte die Salzburg seit seinen Kindertagen«, sagte Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg in ihrer eindrucksvollen Rede. Noch in der Gefangenschaft in Berlin hatte er ein Bild der Burg stets in seiner Zelle. Guttenberg, der im August 1944 verhaftet und in der Nacht vom 23. auf den 24. April von Angehörigen der SS unter bis heute ungeklärten Umständen und ohne Prozeß ermordet wurde, pflegte Freundschaften unter anderem zu Hans von Dohnanyi, Ulrich von Hassel und Klaus Bonhoeffer. Er war in der Verwaltung des Oberkommandos der Wehrmacht in Berlin unter Admiral Canaris beschäftigt, wo sich eine aktive Widerstandsgruppe formierte. Guttenberg arbeitete hier stets geschickt im Hintergrund, ohne jedoch einen Tyrannenmord explizit zu denken und zu formulieren. Dem konservativen Widerstand aus den Reihen des alten Adels, dem Guttenberg zuzuordnen ist, lag ein solches Denken weitestgehend fern.
Das Lebensbild ihres Vaters zu schreiben, war der Autorin erst dann möglich geworden, als sie nach dem Tode ihrer Mutter Therese Benedikta von und zu Guttenberg Zugang zu den Unterlagen ihres Vaters bekam. In vielen Tagebuchaufzeichnungen und Notizblättern sind die Kontakte zu weiteren Widerstandskämpfern immer wieder genau verzeichnet. Nach dem heutigen Stand der Forschung, darauf wies Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg ausdrücklich hin, läßt sich erst heute ein komplexes Bild von Karl Ludwig von und zu Guttenberg zeichnen. Daß dem in die Geschichte des Widerstands gegen das Dritte Reich eingegangenen Freiherrn in Bad Neustadt heute kaum mehr gedacht wird, merkte die Autorin nachdrücklich an.
[st] in der »Rhön- und Saalepost« vom 5. April 2004

 

Wenn Kinder über ihre Eltern schreiben, ist das nicht unproblematisch. Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg hat eine Biographie ihres Vaters vorgelegt, des im Widerstand gegen den Nationalsozialismus umgekommenen Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, die den allermeisten Fallstricken erfolgreich ausgewichen ist. Sie schreibt ganz offen aus der Erzählperspektive der überlebenden Tochter und markiert klar jene Stellen ihres Textes, die subjektive Wertungen enthalten. Dem Buch kommt zugute, daß die Autorin Zugang zum Nachlaß ihres Vaters hatte und damit auf eine breite Quellenbasis aufbauen kann.
Guttenberg stammte aus einem uralten bayerischen Adelsgeschlecht, war lange überzeugter Monarchist und zeit seines Lebens gläubiger Katholik. In der Spätphase der Weimarer Republik gab er eine kleine Zeitschrift mit dem Titel »Monarchie« heraus, die zu Beginn des Dritten Reiches verboten, bald aber durch eine ähnliche Publikation unter dem Namen »Weiße Blätter« ersetzt wurde – diese konnten immerhin bis 1943 erscheinen. Guttenberg verpflichtete namhafte Autoren zur Mitarbeit; der wichtigste und regelmäßigste unter ihnen war gewiß Reinhold Schneider, aber auch Rudolf Alexander Schröder, Werner Bergengruen und Jochen Klepper schrieben für Guttenbergs Blatt, später zudem Ulrich von Hassell. Geschickt und einfühlsam erläutert die Autorin dem mit dem Leben unter der Diktatur nicht mehr vertrauten Leser, wie Guttenberg zwischen den Zeilen, durch die Kombination verschiedener Nachrichten oder durch den Abdruck historischer Betrachtungen, einer geistigen Opposition ein Sprachrohr verschaffte.
1941 wird Guttenberg Sonderführer in der Zentralabteilung des Amtes Ausland/Abwehr im OKW und so unmittelbarer Mitarbeiter einer Zentralfigur des militärischen Widerstands, des Generalmajors Hans Oster. Guttenberg, der aus seiner bisherigen Tätigkeit vielfältige Kontakte besitzt, bringt jetzt den Politiker Goerdeler und den Diplomaten Hassell miteinander in Verbindung, macht Fabian von Schlabrendorff aus der Opposition im Oberkommando der Heeresgruppe Mitte mit dem früheren Chef des Generalstabs des Heeres Generaloberst Ludwig Beck bekannt. Der Kreisauer Kreis verdankt ihm die Kontakte zu Jesuiten wie P. August Rösch und P. Alfred Delp. Aber Guttenberg lernt auch neue Freunde kennen: neben Oster selbst vor allem Hans von Dohnanyi und Justus Delbrück. Sein eigenes Denken schärft sich an den parlamentarisch-demokratischen Ansichten der beiden ebenso wie an ihrer protestantischen Herkunft.
In den Kern der Verschwörung des 20, Juli wird Guttenberg nicht einbezogen. Er gilt als notorisch unpünktlich, reise- und gesprächsfreudig, wohl auch etwas unzuverlässig – also nicht gerade als Idealtyp des Verschwörers. Zudem aber hat die weitgehende Übernahme des Amtes Ausland/Abwehr durch den Sicherheitsdienst der SS es notwendig gemacht, Guttenberg aus Berlin weg nach Zagreb zu versetzen, wo er zu einem der Vertrauten des Deutschen Bevollmächtigten Generals in Kroatien, Glaise von Horstenau, geworden ist. Aber selbst von dort spinnt der umtriebige Baron seine Fäden: zum Grafen Marogna-Redwitz bei der Abwehr in Wien, zu Konrad Kardinal Graf von Preysing in München, zu Ulrich Graf von Schwerin-Schwanenfeld und anderen Hitlergegnern.
Nach dem gescheiterten Staatsstreich vom 20. Juli 1944 wird auch Guttenberg verhaftet. Schon vorher war er in den unterschiedlichsten Zusammenhängen in das Visier der Gestapo geraten. Guttenberg wußte wohl zu wenig, um den Ermittlern Wesentliches verraten zu können, obwohl er gefoltert worden ist. Wie viele Abwehrangehörige wird Guttenberg erst kurz vor Eintreffen der feindlichen Armeen ermordet – wahrscheinlich am 24. April 1945 in den Trümmern von Berlin.
Früher hätte man eine so stark personenbezogene Arbeit – vor allem aus dem familiären Umfeld – in der Fachwissenschaft belächelt. Zu sehr richtete sich das Interesse allein auf die politischen und gesellschaftlichen Ziele der nationalkonservativen Opposition. In den letzten Jahren ist aber in der Widerstandsforschung deutlich geworden, welche zentrale Rolle persönliche Beziehungen, gemeinsames religiöses und sittliches Herkommen beim Aufbau der auf Staatsstreich und Kriegsbeendigung ausgerichteten Verschwörung gespielt haben. Zum Verständnis dieses komplexen Geschehens ist die Kenntnis der familiären und biographischen Verknüpfungen wichtig. Daraus gewinnen Bücher wie das der Baronin Bottlenberg-Landsberg über ihren Vater Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg ihren Wert. Winfried Heinemann in der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 17. Oktober 2003Ein Grab gibt es nicht. Die Nazis haben ihren Vater nach monatelanger Haft und Folter erschossen. Das geschah im April 1945, ohne Prozeß, ohne Todeserklärung, ohne Grab. Doch wenn es schon keinen Gedenkstein gibt, muß die Erinnerung anders bewahrt bleiben. Also hat eine 73jährige Essenerin jetzt ein Buch geschrieben: über ihren Vater, den fast vergessenen Widerstandskämpfer Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg.
Ganz im Essener Süden, direkt am Baldeneysee, wohnt die Freiherrin mit ihrem Ehemann. Das über 200 Jahre alte Haus ist von Efeu überwachsen, im Garten blühen Dutzende Rosenstöcke. Im Schatten sitzt Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg und gießt vorsichtig Sahne aus einem kleinen silbernen Kännchen in den Kaffee. Daß sie auf einem gewaltigen Schloß im Süden Deutschlands aufgewachsen ist, glaubt man ihr anzumerken – obwohl sie sich mit einem schlichten »Bottlenberg« vorstellt.
Nach dem Geschichtsstudium heiratete sie ihren heutigen Ehemann Heidenreich und zog mit ihm in das dornröschenhafte Haus am Baldeneysee. Über 40 Jahre ist das her. 40 Jahre, in denen sich die Katholikin an der Ruhr engagierte. Oberin beim Malteser Hilfsdienst war sie, Stadtverbands-Vorsitzende der katholischen Frauengemeinschaft und aktiv in der Elternbildung. Auch Führungen durch die Villa Hügel hat die Freiherrin angeboten.
Aber es waren auch 40 Jahre, in denen sie sich immer quälte mit den Gedanken an ihren Vater, den Widerständler. »Ein Buch über ihn zu schreiben, war mir mein Leben lang ein Anliegen«, sagt die Freiherrin mit leicht fränkischem Zungenschlag. Aber all die Jahre war da auch die Angst, daß der ganze Schmerz wieder hochkommt. Und die Mutter wollte nicht recht mit ihr reden: »Es gibt nichts über den Vater«, lautete immer wieder die Antwort.
Also blieben verschiedene Briefwechsel und die von ihrem Vater herausgegebenen »Weißen Blätter«, einem Kristallisationspunkt des konservativen Widerstands gegen die Nazis. Und die Tagebücher, die der Tochter zeigen, wie stark der Widerstand ihren Vater vewandelt hat: vom überzeugten Monarchisten zum kämpferischen Demokraten. »Er mußte erst mühsam lernen, daß er seinen Eid gegenüber dem ›Führer‹ brechen durfte«, sagt Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg und fügt hinzu, man möge den Kaffee nicht kalt werden lassen: »Die Gegenwart braucht auch ihr Recht
Kurz vor Kriegsende geriet ihr Vater immer mehr ins Visier der Nazis. Sie versetzten ihn nach Kroatien und verhafteten ihn bald darauf: am 20. Juli 1944. Danach blieben ihm nur noch neun Monate zu Leben. Als er von der Gestapo ermordet wurde, war die Tochter Maria Theodora 14 Jahre alt. Und bekam keine Todeserklärung, kein Grab für ihren Vater.
Jetzt gibt es wenigstens ein Buch zum Andenken. Ein Andenken in zwei Teilen: Mal als Tochter geschrieben, subjektiv, voller Gefühl. Und mal als Historikerin, sachlich-distanziert.
Christian Rabhansl in der »Neuen Ruhrzeitung« (Lokalausgabe Essen) vom 24.08.2003

 

Die Biographie ist der – durchaus gelungene – Versuch, Leben und Wirken des Widerstandskämpfers Freiherr von und zu Guttenberg aus der Perspektive der Tochter, also immer mit dem Blick auf den eigenen Vater darzustellen. Ein wohl riskanter Versuch, weil die Gefahr naheliegen könnte, einiges zu verzerren, in einem leuchtenderen Licht nachzuzeichnen, als es der Wirklichkeit entspricht. Doch daß genau dies nicht geschieht, daß immer und an jeder Stelle eine große Distanz zum »Sujet« gewahrt wird, die Distanz der historisch geschulten Geisteswissenschaftlerin – das macht den Wert dieses Buches aus. Doch muß man sogleich hinzunehmen, das wesentliche Anliegen der Verfasserin besteht darin, das Wirken ihres Vaters im NS-Widerstand der drohenden Vergessenheit zu entreißen. Sie kann daher auch auf zahlreiche Quellen – vor allem auf die Tagebücher ihres Vaters – zurückgreifen, wodurch sich das Bild rundet.
Es ist ein Leben aus der geborgenen Sphäre des fränkischen Adels, tief in Gedanken und Grundsätzen monarchistischen Denkens verhaftet. 1918 war eben für zahlreiche Bürger eine wohl wesentlich einschneidendere Zäsur als die Stunde »Null« nach 1945. Das mag für »nur« an demokratische Perspektiven gewöhnte Ohren ein wenig fremd klingen; und die Verfasserin versucht daher auch immer wieder sehr behutsam, die Quellen aus der damaligen Sicht zu erschließen, sie nicht mit den heutigen Augen zu lesen. Denn – das steht wohl auch als eine Art Fazit des Lebens des Freiherrn von Guttenberg – wenn die Autorin anmerkt: »Geschichte war für ihn die Möglichkeit, die Gegenwart an der Vergangenheit zu messen. Geschichte half ihm, Entscheidungen zu treffen. Dort fand er die Werte im Leben der Menschen, die es erforderten, sie gegebenenfalls unter Einsatz des eigenen Lebens zu schützen«.
Markanter Höhepunkt ist dabei die Schilderung, welches Schicksal die von Guttenberg herausgegebenen »Weißen Blätter« (bis 1943) nahmen. Es war eine Zeitschrift, in der sich schon in den dreißiger Jahren der geistige Widerstand – wohlgemerkt: aus der geschichtlichen Erfahrung heraus – zu formieren begann. Reinhold Schneider, dessen 100. Geburtstag soeben gefeiert wurde, war der wohl wichtigste Autor, daneben noch Jochen Klepper. Beiden ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet. So kam dann auch von Guttenberg – wie selbstverständlich, obwohl er nie eine einzige Zeile in den später verbotenen »Weißen Blättern« geschrieben hat – zum Widerstand, mit Canaris, Goerdeler, dem Kreisauer Kreis, aber vor allem ist es die Freundschaft mit Hans Oster, Hans von Dohnanyi und Justus Delbrück, die das Wirken Guttenbergs auf das nachhaltigste beeinflußt haben. Die an diesen Stellen von der Verfasserin nachgezeichneten Lebensbilder der Freunde sind beeindruckend, weil sie versucht, das Menschliche, das Verbindende in Sprache und Geisteshaltung, die Persönlichkeiten herauszuarbeiten. Nicht die bekannten historischen Daten stehen im Vordergrund, sondern der Versuch, Geschichte aus der persönlichen Nähe, aus der Betroffenheit, wie wir heute sagen würden, nachzuzeichnen, vor allem eben aus der dokumentierten, aber auch aus der nur erahnten und nachgefühlten Erlebniswelt ihres Vaters. Dann folgt die Tätigkeit von Guttenbergs im heutigen Zagreb, seine Verhaftung (1944), die Folter und – das ist nicht belegt und auch nicht belegbar – seine Ermordung, über die bis heute keine Details bekannt sind. Doch es ist das aus vielen Schilderungen bekannte Gefängnis in der Lehrter Straße in Berlin, das hier wieder lebendig wird. Und es sind die Namen von Bonhoeffer, Hans Lilje, Leber, Beck, um nur einige zu nennen, das Gefängnis, die Folter als Endstation im Leben des Freiherrn von Guttenberg.
Es entsteht das Bild eines Aristokraten, der immer wieder versucht, seine Freunde und alle durch seine Verhaftung Gefährdeten zu schützen. Es lohnt, sich von der Verfasserin auf diesem Weg führen zu lassen. Denn von Guttenberg besaß – das zeichnet wohl seine Größe aus – die seltene Gabe, Menschen zusammenzuführen, sie auf ein gemeinsames Ziel hin auszurichten, es war ein »Leben aus Beziehungen« – vom Herausgeber einer Zeitschrift bis hin zum Widerstand, welches hier geschildert wird. Freilich, es sind nicht Beziehungen als »connections« oder als »Vernetzung«, wie man sie heute im reichen Maß kennt, die ja vor allem dem eigenen beruflichen Fortkommen dienen und so nur nützlich sind. Nein, es sind die menschlich-freundschaftlichen und die persönlichen »Beziehungen«, welche einer tragenden Idee gewidmet sind – gegen den Gewaltherrscher und seine Ideologie, in der Perspektive seiner Tochter geschildert, der der Vater genommen wurde, weil er getreu seinen Idealen – zusammen mit anderen gleichgesinnten Freunden – gehandelt hat. Anders gesagt und wie in dem lesenswerten Vorwort von Peter Steinbach und Johannes Tuchel nachzulesen, es war bei von Guttenberg die »Distanz« als Triebfeder seines Handelns, gewahrt aus »Traditionen, die in den Gedanken des Rechtsstaats und der Verantwortungsethik, der Mitmenschlichkeit und der Verantwortung für die ›deutschen Dinge‹ im Sinne eines von Fichte übersetzten kategorischen Imperativs von Kant wurzeln.«
Friedrich Graf von Westphalen in »Die Tagespost«, Nr. 85, 19. Juli 2003

 

Echten Widerstand gegen die Nazi-Barbarei gab es nur von der politischen Linken, von Kommunisten, Sozialisten, vielleicht noch aus kirchlichen Zirkeln. »Ein Vorurteil, das sich besonders in den 60er und 70er Jahren vertiefte und so gut zum damaligen Zeitgeist paßte«, erklärt Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg. Auch als Konservativer, der wenig mit der Weimarer Demokratie im Sinn hatte, habe man von Anfang an gegen den Nationalsozialismus sein können, behauptet die älteste Tochter von Karl Friedrich Freiherr von und zu Guttenberg (1902–1945). »Selbst wenn mein Vater in den frühen 30er Jahren noch überzeugter Monarchist war, riet er seinen Freunden damals aus christlicher Überzeugung davon ab, Mitglied in der NSDAP zu werden.« Als Sproß aus unterfränkischem katholischem Uradel mißtraute Guttenberg der »braunen« Massenbewegung – schon lange, bevor sie 1933 an die Macht kam. Und mußte es – wenige Tage vor dem Ende des Dritten Reichs – mit dem Leben bezahlen. Denn zwei Wochen nach dem 20. Juli 1944 wurde auch der Adlige aus dem Widerstandskreis der Abwehr um Admiral Canaris verhaftet: Zusammen mit Goerdeler und anderen hochrangigen Regimegegnern saß er bis Ende April 45 in der Lehrter Straße in Berlin und war vermutlich eines der letzten Opfer des Staatsterrors, der ganz Europa mit sich in den Abgrund ziehen wollte. Nach dem 24. April 1945 verliert sich jede Spur des Vaters. Einen Schau-Prozeß vermieden die Nazis, wie bei allen Mitgliedern der Abwehr. »Sie hätten womöglich verbrecherische Taten offenbaren können
Dies weist die Tochter, die seit 1958 in Essen lebt – als Ehefrau von Heidenreich Freiherr von dem Bottlenberg-Landsberg – in einem eindrucksvollen Buch nach. »Ein Lebensbild« nennt die promovierte Germanistin und Historikerin die Recherche über ihren Vater. Frei von Verzerrungen und Heldenverehrung analysiert sie Verbindungen, die seit Mitte 1941 einen organisierten Widerstand des Militärs erst ermöglichten.
Warum sie das Buch jetzt erst schrieb? »Ich habe mich jahrelang bewußt wenig mit der Geschichte des Widerstands auseinandergesetzt, Filme und Literatur darüber vermieden. Der Gedanke daran, was mein Vater im Gefängnis durchgemacht hatte, war mir so schrecklich, daß ich lieber nichts darüber hören wollte Wie stand der Vater zum Tyrannenmord? »Zunächst lehnte er ein Attentat auf Hitler ab. Er glaubte an den Rechtsstaat und daran, daß man Hitler vor ein ordentliches Gericht stellen müsse, um eine ähnliche Mythenbildung wie die Dolchstoßlegende zu verhindern. Als katholischer Christ war es für ihn zudem ein tiefreligiöses Problem, wie für viele Männer des 20. Juli
Sauber unterscheidet die 1930 geborene Maria in persönliche Erinnerungen in der »Ich-Form« und in wissenschaftlich distanzierte Untersuchungen einer Historikerin. »Natürlich will ich meinem Vater auch ein Denkmal setzen«, gesteht sie freimütig. Denn außer großen Porträts und Kurz-Infos im Gedenk-Zentrum in der Berliner Stauffenberg-Straße erinnert keine Plakette, keine Skulptur, kein Straßenname an den Freiherrn von und zu Guttenberg. Immerhin zählten zu dessen Mitstreitern und Freunden Hans von Dohnanyi, Justus Delbrück, Helmuth J. Graf von Moltke, Canaris und Männer aus dem Stauffenberg-Kreis. Ebenso Carl Friedrich Goerdeler und Jochen Klepper, der zahlreiche Artikel in den »Weißen Blättern« veröffentlichte. Diese Zeitschrift, die mit geschickten Formulierungen die NS-Zensoren umspielte, gab von Guttenberg ab 1934 heraus, da die Nationalsozialisten seine Reihe »Monarchie« verbot. Darin hatte Guttenberg versucht, auch in der Weimarer Republik monarchisches Denken aufrechtzuerhalten. Wenn seine Tochter, die bis vor kurzem in der Erwachsenenbildung des Erzbistums Essen tätig war, das heute auch mit dem kritisch historischem Blick beurteilt, so bittet sie doch um Verständnis: »Viele dachten in den 20ern, daß das deutsche Volk kurz nach dem Kaiserreich noch nicht reif für eine parlamentarische Republik war.«
Zahlreiche persönliche Fotografien reichern das Buch über den Widerstand ebenso an wie der Anhang, der sich wie das Who is Who früherer deutscher Herrscherhäuser liest. Daß daraus kein Adelsschmöker wird, garantieren die in zehn Jahren zusammengetragenen Ergebnisse besonders über die »Weißen Blätter«, die heute als Widerstands-Schrift anerkannt sind.
Michael-Georg Müller in der »Welt am Sonntag«, Regionalausgabe NRW, am 20. Juli 2003

 

Es ist eine traurige Geschichte. Sie handelt von Aufrichtigkeit, Verrat und Hinrichtung im Dritten Reich nach dem 20. Juli 1944. Eine Essenerin schrieb sie, damit ihr Vater und der Terror gegen Andersdenkende nicht vergessen werden. Es ist mithin eine gute Geschichte.
Dornröschenhaft-verwunschen sieht es aus, dort, wo Maria Theodora Freifrau von dem Bottlenberg-Landsberg (72) mit ihrem Ehemann Heidenreich (82) lebt, und so ein bißchen an Harry Potter erinnert der Eingang zu ihrer Wohnung unter der Treppe eines Hauses am Baldeneysee. Der Familie, uralter Essener Adel, gehörte einst Schloß Baldeney, was aber schon eine Weile her ist. Ein ruhiges, lauschiges Eckchen also für die gebürtige Süddeutsche, wo man das Leben im Garten ungestört genießen und sich gut zurückziehen könnte.
Genau das tut die Freifrau nicht. Als sie vor vierzig Jahren durch ihre Heirat an die Ruhr kam, engagierte sie sich in der katholischen Kirche. War Oberin beim Malteser Hilfsdienst, Stadtverbands-Vorsitzende der kath. Frauengemeinschaft, Vorsitzende der kath. Schulelternschaft, Referentin in kirchlichen Verbänden. In Geschichte und Germanistik hat sie in München promoviert. Ein Stück lebendige Geschichte liegt in der Familie selbst: Ihr Vater gehörte zum Widerstandskreis des 20. Juli 1944 und wurde von den Nazis umgebracht.
Ihr Vater: Das war Karl Ludwig Freiherr von und zu Guttenberg, Offizier im Oberkommando der Wehrmacht, Abwehr-Abteilung Canaris. Ein überzeugter Monarchist, Gründer der »Weißen Blätter«, für die unter anderem Werner Bergengruen und Jochen Klepper schrieben. Ein Konservativer, der den Nazis rein gar nichts abgewinnen konnte.

Die Abneigung war gegenseitig. 1943 fiel er der Gestapo auf, wurde ins kroatische Zagreb, dem damaligen Agram, versetzt, diente als Kurier von Berlin nach Wien. Insgeheim knüpfte er Kontakte zum Widerstand, hielt Verbindungen zum bürgerlich-zivilen Kreisauer Kreis, zur Heeresgruppe Mitte, zu den Gebrüdern Bonhoeffer, half mit, die Opposition zu vernetzen. Die Kinder wußten von alldem nichts. »Er war ein warmherziger, humorvoller, den Kindern zugewandter Vater«, sagt seine Tochter.
Die Gestapo wusste von alldem. Sie brachte ihn ins KZ, die SS liquidierte ihn ohne Prozeß zwei Wochen vor Kriegsende in der Nacht vom 23. auf den 24. April 1945. Es gibt weder eine Todeserklärung noch ein Grab.
Maria Theodora war 14 Jahre alt, als sie ihren Vater erschossen. »Es gibt nichts über den Vater«, hatte die Mutter den Kindern immer wieder gesagt. Nach dem Krieg war das kein Einzelfall: Man schämte sich, wenn jemand »gesessen« hatte – wenn es auch in einem KZ gewesen war. Hatte er denn nicht Gesetze gebrochen – wenn es auch die eines Mörderregimes waren? Hatte er nicht die Regierung verraten mitten im Krieg – wenn es auch die Diktatur der Faschisten war? Nein, darüber sprach man nicht.

Sie schreibt darüber.
Schreibt teils in der Ich-Form, ganz aus Sicht der Tochter. Schreibt teils als nüchterne Historikerin, die Fakten und Details zusammenträgt, von Helmuth James Graf von Moltke, Justus Delbrück, Hans von Dohnányi. »Ich will mit dem Buch der These widersprechen, daß die Konservativen die Steigbügelhalter der Nazis waren«, sagt Maria Theodora von dem Bottlenberg-Landsberg. »Schließlich war mein Vater konservativ
Sie hat das Buch aber auch geschrieben, weil sie ihren Vater liebt, wie nur eine Tochter ihren Vater lieben kann. Mit all ihrem Schmerz über das Leid, das man ihm antat, und bis über den Tod hinaus. Weil man einen solchen Menschen einfach nicht vergessen darf. Und deshalb zieht sie sich eben nicht zurück in ihr lauschiges Eckchen, da unten am See.
Bernd Kassner in der »Westdeutschen Allgemeinen« (WAZ), Lokalteil Essen, am 14. Juli 2003 sowie am 17. Juli 2004 in der Gesamtausgabe