Gustav-H. H. Falke

Mozart oder: Über das Schöne

 

Sich schreibend über etwas klarwerden und es damit auch anderen klarmachen oder anderen etwas erklären wollen und sich dabei zuallererst selbst darüber klarwerden, das ist nicht der schlechteste Impuls zum Schreiben. Mit seinem Buch will der Philosoph Gustav Falke »Rechenschaft ablegen über seine grenzenlose Begeisterung für Mozarts Musik«, womit er ja alles andere als allein steht. Was ist das Geheimnis dieser Musik, solche sich offenbar nie verbrauchende Begeisterung zu erregen?
Anders als Bach, Händel und Haydn und darin allenfalls Beethoven vergleichbar hat Mozart nie eine»Renaissance« erlebt, sondern ist mit dem Tode sofort in einen geradezu kultischen Nachruhm eingegangen. Mit dem »Schönen« zielt Falkes Buch auf den Kern dieses Geheimnisses. Mozarts Musik ist »schön« in einem neuen, gesteigerten Sinne: Schönheit ist, was sie in allererster Linie anstrebt.
Was also ist Schönheit, was lässt sich dieser Musik als das Ideal ablesen, das ihrem Schöpfer vorschwebte? Form, Prägnanz, Gestalt, Klarheit, Fasslichkeit: Mozart ist ein Klassizist. Die Elemente der schönen Gestalt sind der aus dem Geist des Tanzes geborene zweitaktige Puls und achttaktige Periodenbau, Bewegung in Form antwortend aufeinander bezogener Gesten. Tanzgeborene Bewegung kennzeichnet auch Händels Musik, aber Mozart steigert den antwortenden Bezug zu starken Kontrasten, zu einer, mit Heraklit zu reden, »gegenstrebigen Fügung«: Darin ist Mozarts musikalischer Klassizismus neuartig.
Aber nicht nur die Form, auch der Inhalt soll schön sein. Hat Musik einen Inhalt? Hier greift Falke überraschenderweise auf den schottischen Moralphilosophen Adam Smith zurück, den er als Musiktheoretiker entdeckt. Musik ist Ausdruckskunst; was sie ausdrückt, sind Gefühle. Zwar soll Musik auch »schlechte« Affekte ausdrücken können wie Zorn, Hass und Neid, wenn auch nie so, dass sie das Ohr beleidigt, aber der eigentliche Gegenstand musikalischen Ausdrucks ist die Skala der »guten« Affekte zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt. Mozarts vornehmstes Ausdrucksmittel ist die Melodie; Rhythmus, Harmonie, Kontrapunkt treten dahinter zurück. Er reiht Melodie an Melodie in schier unerschöpflichem Einfallsreichtum; seine Musik lebt von der Ausdruckskraft und dem Kontrast dieser Melodien; er will »für aller Gattung Leute« schreiben und kombiniert das Hohe und das Niedrige, das Höfische und das Sakrale, das Strahlende und das Innige, das Tragische und das Buffoneske: Mozarts Musik spricht viele Sprachen – und immer im Rahmender ausbalancierten, perspektivisch gegliederten Form.
Das Gegenstück zu Mozarts italienisch geprägtem Klassizismus ist eine Linie, die von Johann Sebastian und Carl Philipp Emmanuel Bach über Haydn in die Romantik führt. Ihr Prinzip ist die »Introspektion«. Das ist die motivische Arbeit, Introspektion als Ausleuchten aller Winkel und Ecken eines Themas, wie es Haydn auf die Spitze treibt, oder auch wie bei Johann Sebastian Bach in der Fugen- und Kanonkunst, wo das Thema sich selbst begleitet, oder schließlich als seelische Introspektion wie bei Carl Philipp Emanuel Bach, wo es um die »Letztinstanzlichkeit« des eigenen Fühlens geht.
Hier ist, auf christlichen Grundlagen, nicht Schönheit, sondern Authentizität das angestrebte Ziel.
Auch bei Mozart gibt es Sturm und Drang, gibt es eine expressive, ja geradezu expressionistische Phase, so wie andererseits auch Haydn seine »introspektiven Grenzgänge« immer wieder in »klassizistische Normalisierungen« einbindet. Die Wiener Klassik entsteht aus der »Selbstkritik des Klassizismus« durch Expressivität, so wie die Weimarer Klassik aus der Selbstkritik des Sturm und Drang durch formale Bändigung. Darin, in der Grundsätzlichkeit der Auseinandersetzung mit gegenstrebigen, letztlich auf den Gegensatz von Christentum und Antike zurückgehenden Traditionen, sieht Falke das Erfolgsgeheimnis der deutschen Kultur im späten achtzehnten Jahrhundert.
Zwei Stichworte fehlen mir in Falkes Charakterisierung von Mozarts Stil. Das eine ist die von Thrasybulos Georgiades hervorgehobene Diskontinuität, die durch Bruch und Plötzlichkeit Präsenz erlebbar macht, den Einbruch von Gegenwart in den Fluss der Zeit. Bruch ist mehr als Kontrast – und auch das steht im Gegensatz zur bachschen »Ausspinnung«. Aber vielleicht geht Haydn darin sogar .weiter als Mozart.
Das andere Stichwort ist das Erhabene, das in der Ästhetik der Zeit das Gegenstück zum Schönen bildet (und nicht »Hässlichkeit«). Das Erhabene ist das Schaudervolle, Überwältigende, Beängstigende. Diese Kategorie wurde Mozart nicht nur religiös vermittelt – Falke zitiert die einschlägigen Motive im Requiem und im »Don Giovanni« –, sondern auch durch die Freimaurerei. Die Rituale der Freimaurer führen den Neophyten durch Nacht zum Licht, von Desorientierung zu Neuorientierung und bemühen für die Inszenierung der Nacht und der Desorientierung die Arsenale des Erhabenen. Gerade in den ab Ende 1784 entstandenen Werken entwickelt Mozart auch hierfür eine Sprache; die Einleitung des Quartetts KV 465, die maurerische Trauermusik KV 477 und manches im »Don Giovanni« und in der »Zauberflöte« streben nicht »Schönheit« an, sondern die Schauder des Erhabenen.

Gibt es bei dem frühverstorbenen Mozart einen »Spätstil«? Kündigt sich vielleicht darin die Romantik an, lässt sich vermuten, wohin das weist und wie Mozart um 1800 komponiert hätte? Kein Mozart-Liebhaber, den diese Fragen nicht beschäftigen. Falke weiß auch hier eine Antwort. Blässe, Sehnsucht, Distanz sind die Stichworte. »Das klassische Ideal wird zur fernen Erscheinung In Briefen der Zeit spricht Mozart von Leere und Kälte, von einem »gewissen Sehnen, das nie befriedigt wird«. Das Beispiel, das sich hier aufdrängt, ist jener Takt des Terzettino Nr. 10 in »Cosi fan tutte« auf das Wort »desir«, der die schärfste Dissonanz zu Gehör bringt, die Mozart je komponierte. Falke zitiert dies nicht, aber er Zitiert ansonsten» auf Schritt und Tritt.
Nach der hier gegebenen Kurzfassung seiner Gedanken könnte man denken, er bewege sich in Klischees und konventionellen Dualismen, und so wäre es, wenn nicht jede seiner zahllosen zum Teil höchst subtilen Beobachtungen zu Phrasierung und Metrik, Ausdruck und Gestalt an Beispielen höchst sensibel und sprachmächtig illustriert wäre. Freilich wird gerade dadurch sein Buch schwer lesbar, denn er zitiert nicht den Text, wie er durch Notenbeispiele darstellbar wäre, sondern konkrete Interpretationen, verkörperte, nicht abstrakte Musik. Wie soll man das nachvollziehen?
Der ideale Leser muss nicht nur Mozarts Gesamtwerk im Kopf haben, sondern dazu noch in den zitierten Einspielungen. Man müsste dem Buch eine CD im MP3-Format mit allen zitierten Passagen beilegen und am besten auch noch den digitalisierten Buchtext selbst mit Links zu den entsprechenden Klangbeispielen. Was wäre das für eine Schule des Hörens! Aus dieser Lektüre ginge jeder verwandelt hervor und könnte Feinheiten wahrnehmen, die ihm bislang verborgen blieben. So bleibt es bei der Bewunderung für Falkes ebenso präzise wie suggestive Formulierungskunst.
Jan Assmann in »Frankfurter Allgemeine Zeitung« vom 8. Januar 2007

 

Der Autor ist Philosoph – das macht die Lektüre nicht leicht, garantiert aber unverbrauchte Gedanken zu seinem Objekt. Den weit gespannten und geradezu suspekten Begriff des »Schönen« beleuchtet Gustav H.H. Falke als moralische Kategorie der Wiener Klassik unter dem Primat des »Wahrhaftigen« – und untermauert dies erstaunlicherweise mit einem Mozart-Zeitgenossen, den man vor allem als bedeuten den Ökonomen, aber nicht als Musiktheoretiker kennt: Adam Smith. Ein origineller Ansatz, der allerdings erkämpft werden will, zitiert Falke doch seinen Gewährsmann ausschließlich im englischen Original. Falkes Wissen und Assoziationen sind von überbordendem Reichtum. Das eröffnet einerseits spannende interdisziplinäre Seitenblicke, liest sich andererseits äußerst sprunghaft: hier Hegelsche Ästhetik, dort eine musikwissenschaftliche Analyse oder ein Interpretationsvergleich. Letzterer unter besonderer Berücksichtigung von Sándor Végh. Ihn zeigt Falke als Dirigenten, der eine Traditionslinie von Mozart bis Bartók spannt – »Die Schönheit der Moderne« heißt denn auch sein letztes Kapitel.
Von sprachmächtiger Intensität sind Falkes analytische Betrachtungen zu Mozarts Metrik, Artikulation oder Phrasierung. Da beiwerden winzige Bausteine unter die Lupe genommen und in geschliffener Brillanz untersucht, doch Aufwand und Nutzen scheinen nicht immer im rechten Verhältnis. Auch die selbstreferentiellen Verweise des Autors auf seine Publikationen zu Bach und Brahms hätten etwas straffer ausfallen können. Dennoch: Schreibt man über so heikle Termini wie »Ausdruck von Gefühlen«, »Liebe« und »Sehnsucht« bei Mozart, landet man schnell bei populärwissenschaftlichen Peinlichkeiten. Falkes Formulierungen aber sind von ebenso präziser wie emphatischer Klugheit.
Kerstin Schüssler-Bach in »Fono Forum«, Dezember 2006

 

[…] Der Philosoph Gustav Falke hat nach einer Brahms- und einer Bach-Monographie ebenfalls punktgenau zum Jubeljahr ein Mozart-Buch auf dem Markt plaziert. Falkes musikalischer Betrachtungsansatz setzt sich dabei nur punktuell mit dem einschlägigen musikwissenschaftlichen Diskurs oder Fragen der Textphilologie auseinander; er ortet seinen Ausgangspunkt vielmehr in genuin subjektiven Hörerfahrungen, die mitunter durch Formanalysen oder Tonträgervergleiche gestützt werden. Methodischer Ansatz des Autors ist der historisch vergleichende Blick auf den künstlerischen und philosophischen Umgang mit dem, was wir als das »Schöne« bezeichnen, und den Gefühlen, die es in uns auslöst. Zweifellos gehört Mut dazu, über etwas zu sprechen, was heute (durchaus im Gegensatz zu Mozarts Lebenswelt) nur mehr als Privatangelegenheit empfunden wird, weil es nicht objektivierbar erscheint. So geht Falke einen konsequenten Schritt weiter, indem er den analytischen Befund »schön« aus der zeitgenössischen Wahrnehmung heraus rechtfertigen will.
Hierbei beschränkt sich Falkes mitunter originell gedachtes Interpretationsgebäude jedoch weitgehend auf philosophiegeschichtliche Aspekte: So erläutert er beispielsweise ausführlich die Gedanken des – für die deutsche Aufklärung in ihrer Wirkung vielfach unterschätzten – Adam Smith. Mit Smith bestimmt Falke das ästhetisch »Schöne« als Nachahmung des moralisch Guten, eine »schöne« Musik als Ausdruck von Gefühlen, die wir in der Wirklichkeit als moralisch richtig bejahen (9). Was beim Versuch einer Übertragung solcher Ideen auf Mozart freilich gänzlich unberücksichtigt bleibt, sind die spezifischen Rezeptionsbedingungen solchen Denkens in Süddeutschland und Österreich, wo sich nur ein genau bestimmbarer Teil des aufklärerischen, so gut wie gar kein Element des klassisch-romantischen Philosophiediskurses der Zeit (und wenn, dann mit erheblicher Verspätung) verbreitete. Es wäre historisch wesentlich fruchtbarer, eine Diskussion der Smithschen Wahrnehmungsästhetik aus dem modernen Geist der Empfindsamkeit etwa im Hinblick auf das in mancher Hinsicht anglophile Denken Joseph Haydns oder Muzio Clementis zu führen, die Brücken zu Mozart sind dagegen in vieler Hinsicht brüchig. Der Übergang vom »klassischen« zum »romantischen« Schönheitsideal, den Falke erläutert, setzt gleichwohl hier an: Das normative »klassische« Ideal als anschaulicher Ausdruck angemessener und maßvoller Gefühle gerät – laut Falke – ins Wanken in dem Maße, in dem Mozart mit Komponisten empfindsamer oder präromantischer Prägung in Berührung kommt, denen es primär um »Authentizität« gehe. Die »Wiener Klassik« könne deshalb als Versuch gelten, normative Gesetzmäßigkeit mit expressiver »Authentizität« zu vereinbaren. Mozarts Kraft zur Synthese, so führt der Autor aus, ermattet aus lebensgeschichtlichen Gründen, und das »klassische« Ideal kehrt im »Spätwerk« nunmehr als Gegenstand der Sehnsucht zurück. Zielpunkt der Untersuchung des Autors ist die Behauptung, daß im Streit um das klassische oder romantische Ideal bei Mozart eine neue, moderne Form von Schönheit entstehe, an die die Moderne anknüpfen könne. Schön ist dabei, was in den vielen und disparaten Gefühlen des modernen Menschen eine wie immer auch temporäre und fragmentarische Ordnung herstellt.

Falkes Essay gründet – auch noch in seinen kritischen Einlassungen – auf einem hegelianischen Klassik-Begriff, ohne daß er diesen selbst in seiner historischen Tauglichkeit für Mozart hinterfragen würde: Denn immerhin ist er dem Komponisten erst in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts quasi rückwirkend angetragen worden. Und erst seine Nachwelt hat im Geiste eines Idealismus, der Mozart fernlag, nach dem Dialektiker im Komponisten gesucht – etwa mit Hilfe einer nationalpolitisch konstruierten Parallelisierung von Weimarer und Wiener Klassik. Auf sie versucht auch Falke immer wieder abzuheben, ohne die gravierenden geschichtlichen Differenzen zwischen Weimar und Wien in genügendem Maße zu berücksichtigen: Die Ansätze einer genuin klassischen Ästhetik bei Karl Philipp Moritz und Christian Gottfried Körner, die eine Nähe zur Weimarer Klassik suchten und an Schiller und Kant anschlössen, bezogen sich zwar ebenfalls auf Mozart, blieben in ihrer Bindung an die tatsächliche Musik des Komponisten aber unverbindlich und abstrakt. Vom Musikalischen Spaß bis zum Don Giovanni oder Cosifan tutte arbeitet gerade der »späte« Mozart mit einer Subversion, Ironie und Multiperspektivität der Sprachmittel, die jeden synthetischen Erklärungsansatz selbst (nachgerade antizipativ) zu verspotten scheint. Die Dialektik von Konstruktion und Ausdruck, mit der Falke die Vielfalt seines Gegenstandes zu scheiteln sucht, bietet trotz einer farbigen und lebendigen Beschreibung der musikalischen Sachverhalte ein letztlich zu holzschnittartiges Rahmen modell, um dem beständig überraschenden Mozart ernsthaft beikommen zu wollen. Falkes Geschichtstheorie ist anregend und in sich schlüssig aus einem Teil des zeitgenössischen Diskurses und eigenen scharfsinnigen Beobachtungen zusammengesetzt; mit der historischen Person oder der Musik Mozarts aber wird man nicht wirklich viel davon in Einklang bringen können.[…]
Matthias Schmidt in »Musik und Ästhetik« Oktober 2006

 

Für einen Liebhaber der Musikwissenschaft und der Philosophie – das Wort »Dilettant« klingt im Deutschen zu pejorativ – ist der Einstieg in dieses Buch zunächst einmal sehr mühsam. Zu sehr brilliert der Autor, der sich als Intimkenner des Mozartschen Oeuvres von Kindesbeinen an bezeichnet, mit seiner immensen Belesen- und Behörtheit (venia sit verbo!) in des Meisters Werk, daß einem die K-Zahlen (gemeint ist das Köchel-Verzeichnis) nur so um die Ohren fliegen. Seine Kenntnisse sind so intim, daß er alle Naslang Querverweise von einzelnen Takten auf andere in zeitlich äußerst disparaten Opera bringt; und man muß das Bedürfnis, diese Angaben in der eigenen Gesamtausgabe zu veri- oder falsifizieren, schnell unterdrücken, da an der Korrektheit der Angaben wohl nicht zu zweifeln ist. Nur so läßt sich vermeiden, daß der Lesefluß unterbrochen wird. Und dieser ist bei der schnörkellosen, dennoch eleganten Diktion des Autors ein Genuß! Dabei wird den Sprachkenntnissen des Lesers jedoch einiges abverlangt, da sich manchmal Zitate in Englisch und Französisch geradezu häufen (Italienisch und Spanisch kommen auch vor), ohne daß eine Übersetzung oder deutsche Zusammenfassung gegeben werden.
Doch die Mühe lohnt sich. In einem langsamen, aber stetigem Argumentationsduktus, der streckenweise immer wieder durch Ruhezonen philosophischer Betrachtungen unterbrochen wird, entwickelt der Autor seinen Begriff vom Schönen, den er aus der klassischen griechischen Philosophie herleitet, durch die Jahrhunderte seiner Anverwandlungen bis in die Neuzeit verfolgt und in der Musik Mozarts als dem Zeitlos-Schönem festmacht, das seine Wurzeln aus der Vergangenheit bezieht und bis in die sogenannte Moderne hineinwirkt. Dabei stößt er manche musik-wissenschaftliche Doktrin vom Sockel, wie z.B. Alfred Einsteins Verständnis der Mozartschen späten Klavierkonzerte als »Ausdruck des Kampfes zwischen Individuum und Gesellschaft« oder Mozarts angebliche Affinität zur Form der barocken Fuge (mit deren Apotheose im letzten Satz der Juppiter-Sinfonie), die doch nur als Pflicht-Kotau vor dem archaisierenden Geschmack des Wiener Hofes zu verstehen ist. Immer wieder bringt er dabei als Gewährsmänner auch Wissenschaftler, die im bearbeiteten Genre zunächst exxotisch anmuten wie der englische Ökonom Adam Smith, in dessen Nachlaß sich aber bemerkenswerte, zu dessen Lebzeiten unveröffentlichte Schriften zur Musik-Ästhetik finden.
Einige Positionen des Autors sind dabei durchaus auch angreifbar, wie z.B. die Neigung zur biographisch hinterlegten Psychologisierung der Mozart-Opern. So wird die Trama von »Così fan tutte« als Verherrlichung der treuen Liebe aufgefaßt, wo heute jeder Regisseur die Unmöglichkeit von Beziehungskonstanz und Kommunikation hineininterpretiert, oder der Auftritt der Komtur-Statue im »Don Giovanni« wird platt-ödipal gleichgesetzt mit Leopold Mozarts unerwartetem Erscheinen in Wien, wie es das Klischee des »Amadeus«-Filmes ausspielt. Auch fehlt der Hinweis bei der Behandlung der »Mattigkeit« in Mozarts Spätstil, daß neben den psychologischen durchaus auch körperliche Faktoren mitgepielt haben könnten wie die chronische Nierenkrankheit, die H. C. Robbins Landon als Todesursache angibt.
Nach einer langen, z.T. mühsamen Wanderung kommt der Leser zum letzten Kapitel des Buches mit der Überschrift »Die Schönheit der Moderne«. Hier faßt der Autor noch einmal seine Hypothesen in einfachen, aber schönen Worten zusammen als Quintessenz seines Buches: Mozarts Kunst ist es, unregelmäßig und doch zugleich faßlich zu komponieren, so daß eine »Musik-Architektonik« entsteht, die das klassische Ideal von der »Vielfalt in der Einheit« darstellt. Die Faßlichkeit wird erreicht durch die Synthese von Kontrasten in der Komposition, wobei die Architektonik letztendlich dem Tanz und dem Lied entspringt. Denn Mozart wußte als fanatischer Tänzer, daß diese abgeschlossenen Musikformen durchaus Irregularitäten enthalten, die in eine Einheit der Form gebracht werden können (nachweislich mehr noch in der rand- als in der zentraleuropäischen Musik). Und so kann seine Musik auch als Spiegelung der menschlichen Seele verstanden werden, die die verschiedensten Affekte eines einzigen Individuums in sich vereinigt.

Dr. Ruppert Rentz in »in WLA-online-Archiv«, 45. Jahrgang 2006/2

 

Der Philosoph Gustav Falke hat nach einer Brahms- und einer Bach-Monographie ebenfalls punktgenau zum Jubeljahr ein Mozart-Buch auf dem Markt plaziert. Falkes musikalischer Betrachtungsansatz setzt sich dabei nur punktuell mit dem einschlägigen musikwissenschaftlichen Diskurs oder Fragen der Textphilologie auseinander; er ortet seinen Ausgangspunkt vielmehr in genuin subjektiven Hörerfahrungen, die mitunter durch Formanalysen oder Tonträgervergleiche gestützt werden. Methodischer Ansatz des Autors ist der historisch vergleichende Blick auf den künstlerischen und philosophischen Umgang mit dem, was wir als das »Schöne« und den Gefühlen bezeichnen, die es in uns auslöst. Zweifellos gehört Mut dazu, über etwas zu sprechen, was heute (durchaus im Gegensatz zu Mozarts Lebenswelt) nur mehr als Privatangelegenheit empfunden wird, weil es nicht objektivierbar erscheint. So geht Falke einen konsequenten Schritt weiter, indem er den analytischen Befund »schön« aus der zeitgenössischen Wahrnehmung heraus rechtfertigen will. […]
Matthias Schmidt in »Musik & Ästhetik«, Heft 39/2006

 

In ihrem ästhetischen Empfindungsreichtum, ihrer Verwurzelung in der Philosophie, ihre Gedankenfülle und ihrer sprachlichen Präzision sind die Komponisten-Monographien von Gustav-H. H. Falke einzig denen Theodor W. Adornos vergleichbar – und gehen dennoch vollkommen andere Wege. In der nach Büchern Brahms und Bach nunmehr dritten Veröffentlichung »Mozart oder Über das Schöne« verfolgt Falke sein Projekt einer Musikgeschichte als Geschichte des Ausdrucks von Gefühlen weiter. Dabei verfährt er sowohl analytisch wie auch philosophisch ausführlicher als zuvor. Er widmet sich hingebungsvoll den metrischen Verhältnissen in Mozarts Musik, er untersucht erschöpfend ästhetische Konzepte von Adam Smith bis Hegel, er befaßt sich eingehend mit den Mozart-Interpretationen des Dirigenten Sándor Végh.

Aber wie diese Teile ineinander greifen sollen, erhellt sich nicht immer. Zuweilen scheint auch die analytische Basis zu schmal: So interessant die Untersuchungen zu Mozarts Metrik auch sind, sie bilden einen zu schmalen Sockel, um auf ihm eine Theorie des Zusammenhangs von Mozarts Musik zu errichten. Dennoch ist Falkes Buch eines der gewichtigsten im Mozart-Jahr. Nicht nur wegen der Entdeckung Adam Smiths, des Autors des »Reichtums der Nationen«, als bedeutendem Musiktheoretiker; nicht nur wegen seiner aller Jubiläums-Generosität spottenden Freude an der Durcharbeitung seiner Gedanken. Sondern weil Falke vor dem Hintergrund einer reichen Bildung das Wagnis einer subjektiven Perspektive eingeht und damit zu reicheren, kontroverseren und damit interessanteren Ergebnissen gelangt, als es die Musikwissenschaft sich träumen läßt.

W. Fuhrmann/Peter Uehling in »Berliner Zeitung« vom 23. Januar 2006