Johannes Cramer, Peter Goralczyk, Dirk Schumann (Hg.)

Bauforschung – eine kritische Revision

Historische Bauforschung zwischen Marketing und öffentlichem Abseits

 

»Die historische Bauforschung ist in die Jahre gekommen«, leiten die Herausgeber das Buch ein, das kritische Beiträge zur Methodik der Bauforschung mit praktischen Beispielen kombiniert. Offensichtlich spielen sie damit aber nicht auf Bauforschung im Rahmen der Ausgrabungswissenschaftern an, wie sie von Architekten wie Koldewey und v. Gerkan seit den 1920er Jahre entwickelt wurde, sondern auf die Neu- und Weiterentwicklung der (historischen) Bauforschung, wie sie seit 1975/76 durch eine studentische Arbeitsgruppe für Bauforschung und Dokumentation in Marburg (heute: freies Institut für Bauforschung) und unabhängig davon durch das Landesamt für Denkmalpflege Bayern angewandt wurde. Letztlich gehen wohl alle aktuellen deutschen Bauforschungsvorhaben außerhalb der reinen Architektenausbildung auf eine dieser Grundlagen zurück.
Die Frage, »Was ist Bauforschung, scheint für das Selbstverständnis vieler Beteiligter tatsächlich ein wichtiges Problem zu sein. Abgrenzungsdiskussionen in den 1990er Jahren, »Der Bauforscher sei selbstverständlich ein historisch geschulter Architekt« (Manfred Schuller 1989 in der Einleitung seines Buches über den Regensburger Dom), war die eine Position, »der Bauforscher sei ein architektonisch geschulter Kunsthistoriker« (Verfasser sinngemäß in der Einleitung zur Habilitationsschrift »Einführung in die historische Bauforschung«, 1993), die provozierende Gegenthese. Doch was damals nach einem Streit um die Vereinnahmung der Bauforschung aussah, wirkt sich heute gegenteilig aus. Wer den Bauforscher der Architektur zubilligt, macht ihn automatisch zur Hilfskraft, denn Planung und Bestandserfassung sind ja nie Selbstzweck, sondern dienen der Restaurierung, die vom bauforschenden Architekten nicht selbst durchgeführt wird. Wenn Abgrenzungen eine größere Rolle spielen als Inhalte, überlebt sich die Bauforschung rasch, wie etwa bei der Koldewey-Gesellschaft.
Die kunsthistorische Sehweise hat sich dadurch zu einer breiteren Grundlage der Bauforschung aufgeschwungen, wenn sie definiert, Bauforschung betreibe derjenige, der mit einer umfassenden Methodik Bauwerke untersucht und – im Sinne geisteswissenschaftlicher Fragestellungen – erklären kann. Den umfassenden Anspruch unterstreicht in diesem Bande insbesondere Ernst Badstübner und schildert ihn am Beispiel einiger mitteldeutscher Kirchen sowie des Wartburg-Palais.
Ein weiteres Zitat aus dem Vorwort des Bandes klingt fast wie das Pfeifen im Walde, wenn die Herausgeber formulieren: »Die Zeiten, in denen man unter Bauforschung vor allem ein verformungsgetreues Aufmaß oder lediglich eine umfangreiche Fotodokumentation verstand, sind vorbei Genau dies scheint eben nicht der Fall zu sein. Aus aktuellen Gutachten, etwa der Deutschen Forschungsgemeinschaft, zeigt sich überdeutlich, daß es einige offenbar aus der Architektur stammende Bauforscher gibt, die Forschungsergebnisse nur auf der Grundlage des Aufmaßes beurteilen können. Eine in diesem Sinne fehlgeleitete Aufmaßideologie stellt sich inzwischen als schwerer Schaden für die Bauforschung – und für die zu erforschenden Objekte - heraus.
Extrembeispiel einer besonders intensiven Bauaufnahme mit einem besonders geringen Aussagewert ist das verformungsgetreue Aufmaß des Einsteinturms in Potsdam. M. Donath meint, »die Hauptmasse der gewonnenen Informationen [sei] für die denkmalpflegerischen Maßnahmen ohne Belang«. Tatsächlich befinden wir uns hier nicht mehr im Bereich der historischen Bauforschung, sondern in dem der technischen Bauforschung, also der Materialprüfung, für bau-historische Fragestellungen praktisch ohne Aussagewert. Niemand, der künftig eine kunsthistorische oder architekturgeschichtliche Abhandlung über den Einsteinturm schreibt, muß auf dieses Aufmaß zurückgreifen. Wie ergebnisorientiert Bauforschung sein kann, zeigt demgegenüber in diesem Band der Beitrag von Michael Scheftel, der vom Aufmaß mehrerer Häuser auf dem Münzenberg in Quedlinburg ein umfassendes Bild der ehem. Klosterkirche zu geben vermag, die in diesen Häusern als verbauter Rest erhalten ist.
Die Diskussion um Aufmaße und deren Qualität ergab sich um 1980 nicht wegen der archäologischen Untersuchungen bei griechischen Tempeln, sondern im Zusammenhang mit Sanierungsmaßnahmen und Bauuntersuchungen in Mitteleuropa, vor allem bei den zahlreichen in das Blickfeld der Denkmalpflege und letztlich der Kunstgeschichte und Volkskunde gelangten Bürger- und Bauernhäuser. Hier hatte man die Extreme einerseits eines »Architektenaufmaßes«, bei dem von vorneherein alle Maße zur Rechtwinkligkeit sowie Mauern und Wände zu einer einheitlichen Wandstärke begradigt wurden und andererseits der von einem archäologisch arbeitenden Architekten erarbeiteten Zeichnung auf Karton, bei dem selbst Abbruchkanten des Putzes minuziös dokumentiert wurden, aber weder bauhistorische Schlußfolgerungen gezogen waren, noch der sanierende Architekt die für ihn wichtigen Angaben klar ersehen konnte.
Mehrere Autoren sprechen nicht nur die Stellung der Bauforschung an, sondern verweisen ausdrücklich auf die Frustration einiger aus dem Fach Architektur stammender Bauforscher, als Wissenschaftler nicht hinreichend akzeptiert zu sein. Ausdrücklich verweist darauf Stefan Breitling in einem Beitrag unter dem Titel »Wenn dem Kunstwissenschaftler der Gegenstand und dem Bauhistoriker die Worte fehlen«. Ausdrücklich verweist er darauf, daß zur Bauforschung auch das Auswerten und die Kritik der Sprach-, Schrift- und Bildquellen gehört. Konsequenterweise kritisieren mehrere Beiträge die Beschränkung von Bauuntersuchungen auf das Einzelobjekt, so daß der Zusammenhang außer Acht bleibt, ja womöglich sogar auf Einzelaspekte ohne die Chance auf einen wirklichen Überblick reduziert wird.
Die Frage nach der Eigenständigkeit der Bauforschung behandelt schließlich nochmals Stefan Breitling, der die Auffassung von Hannes Eckert, Joachim Kleinmanns und Holger Reimers unterstreicht, Bauforschung sei ein eigenes Fach und die Beispiele, in denen der Bauforscher selbst seine Ergebnisse vermittelt, also positive Beispiele, hervorhebt. Doch in dieser Diskussion steckt ein Mißverständnis. Bauforschung als eigenes Forschungsfach zu etablieren, ist gar nicht erforderlich, denn zum einen benötigt es die Interdisziplinarität, die ein einzelner Forscher üblicherweise gar nicht aufbringen kann, zum anderen müssen sich die Ergebnisse in einem wissenschaftlichen Kontext einbringen lassen, der die Forschungen hervorgerufen hat. Geht es um die Bauuntersuchung eines Baudenkmals für die Denkmalpflege, sind in der Regel geisteswissenschaftliche Aspekte ebenso erforderlich wie die Lieferung technischer Grundlagen für die Wiederherstellung – die Spreu teilt sich hier vom Weizen unabhängig einer fachlichen Eingrenzung oder Offenheit. Ergebnisse erweisen sich relativ schnell als brauchbar oder unbrauchbar, wenn man in der einen oder anderen Weise mit ihnen zu arbeiten hat, und dann ist die Frage nach der fachlichen Herkunft unerheblich.
Der Tagungsband enthält nicht nur Beiträge zur Diskussion um die Bauforschung in der Öffentlichkeit, sondern auch solche zur Verfeinerung der Methodik der Forschung, beispielsweise zu Fragen und Problemen der Dendrochronologie (Thomas Eissing, Tilo Schöfbeck). Mehrere der Beiträge äußern sich am Beispiel ausgewählter zumeist brandenburgischer Bauten. Neben der Diskussion, auf die wir hier umfangreicher eingegangen sind, gibt es also weitere Gründe, dieses Buch zu erwerben und zu lesen. Den Herausgebern sei daher ausdrücklich gedankt für diesen umfassenden Beitrag zum Verständnis und Selbstverständnis der Bauforschung.
G.-Ulrich Großmann (Germanisches Nationalmuseum,nürnberg) in: sehpunkte, Ausgabe 6/2006, Nr. 7/8

 

Für Denkmalpflege und Architekturgeschichte ist sie längst unentbehrlich geworden: die Bauforschung. Als sanierungsvorbereitende Untersuchung stellt sie »dringend benötigte Informationen über Bauzeit, Denkmalwert, Konstruktionszusammenhänge und Schadensalter« zur Verfügung. So Stefan Breitling in seinem Beitrag »Wenn dem Kunstwissenschaftler der Gegenstand und dem Bauhistoriker die Worte fehlen«, der in dem Buch »Bauforschung – eine kritische Revision« nachzulesen ist. Doch trotz ihres unbestrittenen Bedeutungszuwachses seit dem legendären Denkmalschutzjahr 1975 beklagen Bauforscher, »daß ihnen und ihrem Fach zu wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird Daß Bauforschung vielfach nur auf ihre Rolle als Hilfswissenschaft reduziert wird, liegt nach Breitlings Einschätzung zum einen an dem mangelnden wissenschaftlichen Profil zu anderen Wissenschaftszweigen, aber auch an einer »merkwürdigen Sprachlosigkeit« ihrer Vertreter. Und die besteht zu Unrecht, wie die Lektüre des spannenden und vielfältigen Buches verdeutlicht, das aus einer gemeinsamen Tagung des Brandenburgischen Landesamtes für Denkmalpflege und dem Fachbereich Architektur der TU Berlin hervorgegangen ist. Mehrere grundsätzliche Beiträge zur Stellung der Bauforschung und ihrem Selbstverständnis werden durch »klassische« Präsentationen von Bauforschungsergebnissen ergänzt. Die Spannbreite reicht dabei von der mittelalterlichen Burg Ziesar (Beitrag Detlef von Olk) bis zur Auslagerung der Ausstattung des Palastes der Republik (Beitrag Christiane Oehmig). Ernst Badstübner berichtet aus der Position eines Kunsthistorikers am Beispiel norddeutscher Backsteinbauten über die Begegnung mit der Bauforschung, während Ulrich Großmann auf mögliche Fehler bei computergestützten Aufmaßen hinweist. Mit seinem überzogenen Vorwurf, die Bauforschung habe »ein starres dogmatisches System von Methoden und Arbeitsweisen aufgebaut, das den Gewinn von Erkenntnissen gelegentlich mehr zu behindern droht als zu fördern verspricht«, steht Matthias Donath allerdings vergleichsweise allein in der Veröffentlichung.
Deutlich hebt Johannes Cramer die Chancen der Bauforschung hervor, daß die »Gesellschaft doch eine kaum zu befriedigende Sehnsucht nach Geschichte« hege. Anstelle beliebiger und oft noch schlecht gemachter Kopien bietet die Bauforschung die einzigartige Chance, Geschichte an authentischen Bauwerken erlebbar zu machen, deren Nutzungsschichten und Veränderungen aufzuzeigen und zu erläutern, um – und das ist Cramers Forderung – »ihre Ergebnisse kreativ in den Planungsprozeß« einzubringen.
Jürgen Tietz in »Bauwelt«, Heft 39/2005

 

Am Anfang war die Baustruktur.
So ließe sich die gemeinsame Geschichte von historischer Bauforschung und Archäologie beginnen. Es folgte jedoch eine sowohl parallel als auch divergent verlaufende Entwicklung von Forschungs- und Dokumentationsmethoden, so daß schon im 18. Jahrhundert eine Grenze über das Objekt der Forschungsbegierde verlief, es in »Bau« und »Boden« teilte. Diese imaginäre Demarkationslinie »Über-dem-Boden / im-Boden« hat zwei autarke wissenschaftliche Disziplinen hervorgebracht, deren Trennung sich (zumindest in der Bundesrepublik Deutschland) bis in den Alltag der praktischen Denkmalpflege zieht. Neben unbestreitbar erfolgten Spezialisierungen der Methoden der Forschung und Dokumentation half diese zeitweise wohl gepflegte Trennung so manchen größeren Sinnzusammenhang zu vernebeln. Diesem Mißstand abzuhelfen ist das bereits im Vorwort erklärte Ziel des Herausgebers Dirk Schumann und der Autoren.
Am Beginn des Buches stehen methodisch-theoretische Betrachtungen über die bereits vorhandenen Schnittstellen und möglichen gemeinsamen Fragestellungen beider wissenschaftlicher Ansätze. Dabei erscheinen Notwendigkeit und Nutzen der Verknüpfung so sinnfällig, daß die bisher selten vorgefundene Durchführung beinahe verwundern muß. Vielleicht ist deswegen zur Ermutigung der ganz überwiegende Teil des Buches der Praxis gewidmet. In drei Abschnitten werden exemplarisch Arbeitsweisen aufgezeigt, die in beiden Fächern angesiedelt sind und wo die Verknüpfung zu einem breiteren und präziseren Wissen über historische Bausubstanz geführt hat. Die Palette reicht dabei von einzelnen Materialuntersuchungen, wie z.B. histori-schen Putzen, bis hin zu städtebaulichen Strukturen in Stadtkernen, von naturwissenschaftlichen Datierungsmöglichkeiten bis zu modernen Darstellungstechniken. Aus diesem Ansatz brechen nur die Beiträge von Stefanie Wagner und Blandine Wittkopp zur Befunddokumentation im jeweils separaten Bereich von Bauforschung und Archäologie aus, die man sich im Hinblick auf das Anliegen des Buches vielleicht kombiniert und untereinander abgeglichen gewünscht hätte. Die Stärken des Buches sind in den anschaulichen, weil bereits umgesetzten, Fallstudien zu sehen.
Im Fazit scheint es außer Zweifel, daß aus der sinnvollen Kombination der Disziplinen mehr als die Summe der einzelnen geschöpft werden kann. Da das Maß der Erhaltung von historischer Substanz stets vom Werteverständnis und Erhaltungswillen der am Bau Beteiligten abhängt, muß Denkmalpflege immer von umfassender Kenntnis profitieren. Insofern darf man das Buch sicher als Aufforderung für die Umsetzung im denkmalpflegerischen Alltag der Bauuntersuchung sehen. Der vorliegende Band beschränkt sich (aus verständlichen Gründen) auf die Problematik der Erforschung an sich und spart die brisante Fragestellung aus, wie die Denkmalpflege mit der Fülle an Informationen umgeht bzw. umgehen kann.
Die Frage, ob die fast erdrückende Quantität historischer Schichten bei oftmals schwierig gegeneinander abzuwägender Qualität lähmt, unreflektierten Erhalt oder Reduktion des Bestandes auf eine vermeintlich vollständigste oder gar ursprünglichste Schicht bewirkt, dürfte aus Sicht der an Denkmalpflege Beteiligten von großem Interesse sein. Vor dem Hintergrund der bundesweit anzutreffenden Tendenzen zu Strukturveränderungen in den Landesdenkmalämtern erscheint ein Ausloten der möglichen Synergien von Bau- und Bodendenkmalpflege aber auch der strukturierte Umgang damit als dringendes Desiderat. Die Zeit ist reif und der Weg bereitet, einige trennende Aspekte der Disziplinen Bauforschung und Archäologie hinter sich zu lassen und, soweit sinnvoll, zu den gemeinsamen Wurzeln der Baustrukturen zurückzukehren.
S. H. in »Denkmalschutz und Denkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern«, Heft 10/2003, S. 69/70