Eva-Mongli-Vollmer
Das Atelier des Malers

Die Diskurse eines Raums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts

 

»Wie zeitspezifisch war das Atelier mit seiner aufzeigenden diskursiven Identität – mit dieser Frage beschäftigt sich Eva Mongi-Vollmer in ihrer Dissertation zum ›Atelier des Malers‹ und den Diskursen eines Raums in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Studie beschränkt sich auf den deutschsprachigen Raum, so daß die Fragestellung noch einmal an Präzision gewinnt. Gleichzeitig scheint sich die Arbeitshypothese zu bestätigen, daß es ebenso eine Differenz zur Zeit der Romantik gibt, in der das Atelier als »weltabgewandter Weiheraum« und »intimer Inspirationsraum« fungierte, wie auch zur Wende zum 20. Jahrhundert, wo sich ein anderer Diskurs abzuzeichnen begann und sich die soziale Stellung – und damit auch die symbolische Funktion – des Künstlers noch einmal verändert.
Die Materialbasis ist reich: Die Autorin kann sich auf Atelierdarstellungen in Ausstellungskatalogen, auf illustrierte Unterhaltungszeitschriften, Künstlerbiographien, auf ein erweitertes Feld kunstpublizistischer Neugründungen des 19. Jahrhunderts beziehen und sich sowohl bildlicher wie textlicher Quellen bedienen. Damit wird jedoch auch die Schwierigkeit deutlich, das heterogene Material sinnvoll zu strukturieren, argumentativ zu ordnen und auszuwerten.
Eva Mongi-Vollmer bedient sich deshalb des von Deleuze und Guattari in die Raumdiskussion eingeführten Begriffs des ›Gefüges‹; die Schichtung und Verschränkung verschiedener Diskursebenen ist ihr bewußt, und sie wird im weiteren den spezifischen Reiz ihrer Arbeit ausmachen. Für Mongi-Vollmer ist der Atelierraum nämlich auch Zeichen einer Existenz ›des Espaces autres‹ (Foucault), zu denen er sich ebenso oppositionell wie supplementär verhält: Er ist Treffpunkt von Kunst, Künstler, Publikum, Kritikern und Literaten; er übernimmt Aufgaben für die geistige Reproduktion der bürgerlichen Gesellschaft; er ist von dieser bürgerlichen Umgebung zugleich abgehoben und auf das Engste verknüpft – bedeutend wird damit die Schnittfläche von öffentlich und privat, wie sie beispielsweise von Werner Busch für das Atelier der ersten Jahrhunderthälfte thematisiert wurde.
Die Vielschichtigkeit des Ateliers als ›Gefüge‹ bestimmt die systematische Besonderheit des Raumes, sie läßt Rückschlüsse auf den Künstler, aber auch auf die bürgerliche Gesellschaft Deutschlands zu. Damit zeichnet es sich durch die Eigenschaft aus, sich auf eben jenes Umfeld zu beziehen, »aber so, daß sie die von diesen bezeichneten oder reflektierten Verhältnisse suspendieren, neutralisieren oder umkehren« (Foucault). Die Autorin versucht also einen strukturellen Zugang zu ihrem Arbeitsgebiet; der im Weiteren wie folgt realisiert werden soll: indem sie aus dem reichen Material bestimmte Themengebiete herausfiltert und die eigentliche Gestalt des Ateliers als eines ›Gefüges‹ aufzeigen bzw. den signifikanten Themen des Ateliers nachspüren möchte.
Folgende Schwerpunkte tun sich dabei auf: 1. die Identifikation von Künstler, Werk und Atelier, 2. die Frage nach dem Schaffensakt im Arbeitsraum, 3. die Diskussion um die Freiheit des Künstlers und die bürgerliche Öffentlichkeit als Bezugsgröße, 4. der Künstler als Vorbild für das bürgerliche Publikum, das Atelier als Modell des bürgerlichen Wohnraums, 5. die Funktion des Ateliers, die gesellschaftliche Position festzulegen und ablesbar zu machen.
Den einzelnen Schwerpunkten entsprechen die Kapitel des Buches und lösen einander ab, ohne immer wirklich ineinander überzugehen. Das kann man als Strategie des Buches lesen, die Komplexität der Problemstellung aufzuzeigen, es kann aber auch Zeichen für die tatsächliche Schwierigkeit der argumentativen Vernetzung sein. »Das Atelier scheint stets auf etwas Anderes zu verweisen [...]. Das Atelier wird zerschnitten in eine funktionale und eine reale Ebene, es zerfällt durch grundverschiedene Betrachterstandpunkte in ein Innen und ein Außen [...]. Diese Lesart zu ändern, ist das Ziel der vorliegenden Arbeit. Hier soll weder nach bestimmten Ateliertypen, noch nach Künstler- und Betrachterperspektiven unterschieden werden, es soll nicht die Wahrheit von der Fiktion dividiert werden. Vielmehr soll die Komplexität des Ateliers dadurch erfaßt werden, daß eine diskursive Identität erstmals Berücksichtigung findet. Das Objekt Atelier wird gar erst durch das Registrieren dieser Diskurse und ihrer Vernetzung untereinander entstehen und seine Bedeutung innerhalb des kulturellen Feldes kann erst dadurch geklärt werden (28 f). Der Leser mag skeptisch bleiben, was die tatsächliche Synthese einer fiktiven und realen Ebene des Diskurses angeht. Die enge Vernetzung einzelner Ebenen jedoch wird deutlich aufgezeigt, und das ist ein großes Verdienst dieser sorgfältigen Arbeit.
Von der Forschung unterscheidet sie sich durch eine grundsätzliche Verschiebung der Fragestellung: Bislang, so Mongi-Vollmer, ging man von dezidiert unterschiedlichen Ateliertypen wie dem Atelier des Bohémien, des Salonmalers, dem nur als Treffpunkt genutzten Atelier der Impressionisten aus; bislang gab es eine Bündelung durch Kategorien, durch Sammelbezeichnungen; bislang gab es auch keine Untersuchung des deutschsprachigen Raumes, also keine regionale Einschränkung, dafür aber eine Scheidung von Ateliers in bestimmte Typen (21 f).
Die Studie soll diese Einschränkungen wettmachen bzw. durch klare Zielsetzungen präzisieren. Das gelingt mehrmals, doch sicherlich nicht immer. Zuweilen verliert sich die Autorin nämlich in (durchaus unterhaltsamen) Anekdoten; das Material rückt zu sehr in den Vordergrund, wird lediglich aufgereiht oder erscheint beliebig. Überhaupt liegt die Gefahr des Buches in eben dieser additiven Zusammenstellung heterogener Befunde, die sich durch die strukturierende Idee des ›Gefüges‹ nicht immer – nicht inhaltlich und auch nicht methodisch - zusammenhalten lassen.
Die Autorin ist sich dieser Gefahr zwar bewußt und versucht, darin das Merkmal eines beweglichen Zusammenhangs der einzelnen Ebenen auszumachen. Eine solche Analyse überzeugt jedoch nicht an jeder Stelle, weil sich das gesammelte Material zu widersprechen beginnt, Verschiedenes gleichzeitig bedeuten bzw. ganz unterschiedliche Funktionen einnehmen kann, und sich dies kaum mehr unter den vorgegebenen Kapitelüberschriften subsumieren läßt. Die Bandbreite reicht von banalen Äußerungen und Selbststilisierungen der zitierten Künstler und Atelierbesucher bis zu hochkomplexen Fragen gesellschaftlicher Identität und Alterität, und so zerfällt der Text in verschiedene Perspektiven und zuweilen auch in verschiedene Sprachstile.
Das bedeutet zwar nicht, daß wir es mit einem unsicher geschriebenen Buch zu tun haben - ganz im Gegenteil zeichnet es sich durch einen schwungvollen Duktus aus und ist wunderbar zu lesen. Die Brüchigkeit liegt vielmehr im Kern der Anlage selbst, dessen Vielschichtigkeit der Aufbau des Buches nicht immer gewachsen ist. »Das Phänomen Atelier verdichtete sich in einem Moment, zu dem das Künstlerdasein sich in Relation zur bürgerlichen Gesellschaft zu definieren suchte«, erkennt Mongi-Vollmer ganz richtig und legt als Beleg ihre sorgfältige, intelligente Arbeit vor. Es wird aber auch die Schwierigkeit deutlich, ein Kräftefeld oder bewegliches ›Gefüge‹ – den diskursiven Raum des Ateliers in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts – in die logische Ordnung eines Buchs zu bringen und dennoch weiter changieren und pendeln zu lassen.
Karin Leonhardt in »sehepunkte«, 04/2006

 

Die Werkstatt des Künstlers ist ein sagenumwobener Ort: Ein Raum, in dem Geheimnisse gehütet werden, ein Ort Welt abgeschiedener Zurückgezogenheit und Konzentration ebenso wie lasziver Ausschweifungen der Boheme - kurz: die ideale Folie für die Projektionen des Publikums. Im 19.Jahrhundert wurde aus der Werkstatt des Künstlers ein Verkaufsraum und eine Bühne der Selbstinszenierung. Künstlerfürsten wie Hans Makart in Wien, Franz von Lenbach und Franz von Stuck in München verstanden es, ihren Werken in Wohnhaus und Atelier einen Rahmen zu bauen, der dem Besucher den Rang ihrer Kunst eindrücklich nachvollziehbar machte. Das Atelier – ein Begriff, der sich im deutschen Sprachraum erst im 19.Jahrhundert durchsetzte - konnte die ärmliche Kammer des verkannten Genies sein, das passend eingerichtete Atelier eines Fachmalers oder die Gemäldesammlung eines Malergenies, die in Konkurrenz zu den Sammlungen seiner Kunden trat.
Die Fragestellung, was ist ein Atelier und wozu dient es, scheint aus heutiger Sich einfacher, als sie es für eine Zeit ist, in der dieser Raum erst definiert wurde. Als Werkstatt für einen Maler kann zunächst jeder Raum in spontaner Umnutzung dienen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts begannen sich vor allem die Vertreter der verschiedenen Gattungen der Malerei auch spezielle Arbeitsräume zu schaffen, Räume mit großen Fenstern mit Nordlicht, aber auch Räume, deren Ausstattung bereits die Kulisse für die zu inszenierenden Gemälde abgaben. Der Marinemaler umgab sich mit Booten und Schiffsausstattung, der Historienmaler mit Kostümen und Antiquitäten.
Eva Mongi-Vollmer baut daher ihre Untersuchung dieses Raumtyps auf einer Fülle von Quellen auf: Berichte über Ateliers und Atelierbesuche, Photographien, für die die Arbeitsräume in Szene gesetzt worden waren, Karikaturen, die über das Leben und Treiben in den Ateliers viel erzählen können, Künstlerromane und nicht zuletzt eine Vielzahl von Gemälde mit Titeln wie »Besuch im Atelier«, »Die Modellpause« sowie zahlreiche Selbstportraits bei der Arbeit, die das Atelier zum Gegenstand nehmen. Das Material bietet viele Überraschungen, so war sich Franz von Lenbach nicht zu schade dafür, in einem Modellatelier der »Ausstellung für Maltechnik« im Münchner Glaspalast 1893 öffentliche Malvorführungen darzubieten. Die Gliederung des Buches nach unterschiedlichen Aspekten – der Raum, die Organisation der Arbeit, Atelierrituale, das Atelier als Vorbild für den Sammler und als Spiegel der gesellschaftlichen Situation der Künstler – entfaltet die Diskurse um diesen Raum anekdoten- und abwechslungsreich, so daß sie zu einer spannenden Kulturgeschichte der Kunst dieser Zeit wird.
Andreas Strobl in: »Kunstbuchanzeiger«, 09/2004