Claus-Heinrich Gattermann

Der Ausländereinsatz im Landkreis Osterode 1939–1945

(= Harz-Forschungen 18)

 

Der Landkreis Osterode am Harz war zwischen 1939 und 1945 Einsatzort von über 20 000 Ausländern, die dort für die deutsche Rüstung und Versorgung arbeiteten. Im Auftrag des heutigen Landkreises Osterode hat der Göttinger Historiker Claus H. Gattermann die Geschichte des Einsatzes dieser Menschen aufgearbeitet. Sein Buch beschreibt die politischen, ökonomischen und sozialen Aspekte mit einer Vielzahl neu erhobener, sonst kaum zugänglicher Daten. Das Buch stellt die politischen und demographischen Rahmenbedingungen dieses Einsatzes dar. Arbeitgeber und die betroffenen Arbeiter, ihre Rekrutierung und ihre Lebensumstände werden vorgestellt.
Sehr interessant sind die Feststellungen Gattermanns zum Umgang der deutschen Bevölkerung mit diesen Menschen. Aus der Befragung mit Zeitzeugen ergab sich nämlich eine gewisse Einheitlichkeit in ihren Aussagen. Mehrere Befragte gaben an, sie selbst hätten Ausländern durchaus freundlich gegenübergestanden und – in einer Art von Widerstand gegen das NS-System – ihnen Brot zugesteckt oder anderweitig geholfen. Stets wußten die Befragten aus zweiter oder dritter Hand von bestimmten Greueln in den Lagern zu berichten. Aber – und das hält Gattermann für das eigentlich Bemerkenswerte – sie selbst, eigene Verwandte und eigene Vorfahren sollen immer korrekt mit den Ausländern umgegangen sein. Mit anderen Worten: Die Täter waren verschwunden. Gattermann hat festgestellt, daß die deutsche Bevölkerung in der Regel bereit war, die Ausländer gleichgültig oder kollegial zu behandeln – nicht als Untermenschen im Sinne der nationalsozialistischen Vorgaben. Dies änderte sich aber dann, wenn Deutsche und Ausländer miteinander in Konkurrenz traten bzw. wenn die deutsche Bevölkerung auch nur geringfügige Nachteile erlitt. Beispielsweise hatten Besuche von Ostarbeitern in Friseurstuben zu Wartezeiten für die deutschen Kunden geführt. Folge war ein Verbot für Ostarbeiter, deutsche Frisierstuben zu besuchen. Gerade solche Kleinigkeiten, die doch in einem gewissen Widerspruch zu der zuvor gemachten Beobachtung stehen, machen die Sache sehr interessant.
Gattermanns Studie ist gut lesbar, er verzichtet auf das in ähnlichen Arbeiten dem Leser zugemutete Betroffenheitsdeutsch. Ein absolut an der untersuchten Sache selbst orientierter Beitrag ohne Referenz an eine politische Korrektheit. Der Ausländereinsatz im behandelten Landkreis dürfte ähnlich dem in anderen Gegenden Deutschlands gewesen sein. Insofern ist dieses Buch von überregionaler Bedeutung – gerade auch was die kleinen aber feinen Unterschiede zwischen staatlicher Ideologie und persönlichem Handeln im Alltag anbelangt.
F. Roland und A. Richter, in: eigentümlich frei, 7. Jg., Nr. 40, 2004, S. 48/49