Livia Cárdenas/Dirk Schumann

Das mittelalterliche Altarretabel der Moritzkirche in Mittenwalde



Die kleine Monographie, die aus einem Festschrift-Beitrag hervorgegangen ist, beschäftigt sich mit einem ungewöhnlichen Kunstwerk. Das inschriftlich auf 1514 datierte Hochaltarretabel enthält in seinem Mittelschrein eine ältere, nach Ausweis eines Zunftzeichens in Antwerpen gefertigte Beweinungstafel, um die herum das Retabel geschaffen wurde. Anhand der aufgebrachten Wappen läßt sich als Stifterin die Kurfürstin Elisabeth von Brandenburg, geborene Prinzessin von Dänemark, identifizieren, die Ehefrau Kurfürst Joachims L, die später gegen den Willen ihres Mannes zur Reformation übertrat.
Anknüpfend an Forschungen von Hannelore Sachs aus den 1980er Jahren gehen die Autoren davon aus, daß das Retabel nicht für die Mittenwalder Kirche hergestellt wurde, sondern sich ursprünglich im Dominikanerkloster in Colin befand. Cárdenas und Schumann können anhand einer Untersuchung der Ikonographie des Altars diese These untermauern; in den vier bisher nicht identifizierten Mönchsfiguren vermuten sie die Ordensheiligen Dominikus, Petrus Martyr, Thomas von Aquin und Vinzenz Ferrer. Allerdings ist die Identifizierung keineswegs sicher, so daß eine vermutete Verbindung der Ikonographie des Altars zu Reformbewegung innerhalb des Ordens etwas spekulativ erscheint.
Interessant bleibt die Frage, ob das Retabel anläßlich der 1536 erfolgten Umwandlung der Cöllner Dominikanerkirche in die Kirche eines weltlichen Kollegiatstifts, das Kurfürst Joachim II. nach dem Vorbild des Neuen Stifts in Halle gründete, in der Kirche verblieb oder bereits zu diesem Zeitpunkt nach Mittenwalde kam. Die Verfasser neigen der ersten Möglichkeit zu. Auch wenn die Kirche nach Stiftsgründung durch einen Passionszyklus aus der Werkstatt des Lukas Cranach neu ausgestattet wurde, ist dennoch eine Integration älterer Kunstwerke möglich. So könnte das Retabel auf dem Kreuzaltar vor dem Lettner, für den Andreas Tacke 1992 in seiner Arbeit über die Passionszyklen in Halle und Berlin-Cölln kein anderes Bild nachweisen konnte, sogar einen herausgehobenen Platz im Zyklus erhalten haben. In diesem Falle wäre es wohl erst nach 1615, der Entfernung des Kreuzaltars aus der Domkirche, nach Mittenwalde gekommen. Freilich bleibt dies eine, wenn auch reizvolle, Vermutung – Tacke selbst ging von einer restlosen Entfernung der Altäre der Dominikaner im Jahr 1536 aus.
Jedenfalls wirft der kleine Band ein interessantes Schlaglicht auf die »Wanderungen« und die »Nachnutzung« spätmittelalterlicher Altäre in der Folge der Reformation. Im übrigen sei angemerkt, daß nicht nur die mögliche Zugehörigkeit des Altars zum Cöllner Passionszyklus eine Verbindungslinie von Mittenwalde zum Erzstift Magdeburg in sich trägt. Auch das Patrozinium der Kirche, der heilige Mauritius, weist nach Magdeburg, wo er als Bistumspatron fungiert. Immerhin räumlich nicht allzu weit entfernt ist das Gebiet um Jüterbog, das seit den 1160er Jahren vom Magdeburger Erzbischof kolonisiert wurde, so daß eine Übertragung des Patroziniums von dort nicht ausgeschlossen ist.

Michael Scholz in: »Jb. Für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands«, Band 51/2005