Geertje Andresen

Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin
Oda Schottmüller
1905 ‑ 1943

Die Arme dürr in die Luft geworfen, die Hände spitz wie Vogelklauen gekrallt, die kahle Maske mit asiatisch vorspringenden Backenknochen überm Kopf, das Kinn auf die Brust gefallen: Wer die expressiven Fotos der Tänzerin Oda Schottmüller sieht, dem gehen ihre wie in Stein gemei­ßelten Gesten nicht mehr aus dem Sinn. Wie Fleisch gewordene Holzschnitte der Expressionisten wirken die kunstvoll komponierten und ausgeleuchteten Dokumente des Werks einer Tänzerin, die niemals in der ersten Reihe stand. Gerade das aber macht Geertje Andresens minuziös recherchierte Biographie Die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin Oda Schottmüller» 1905–43 so spannend. Nicht den Höhen und Tiefen eines etablierten Tanzstars heften wir uns auf 300 reich bebilderten Seiten auf die Fersen, sondern dem Weg einer schöpferisch offenbar hoch begabten Tänzerin, die – vom Ausdruckstanz Rudolf von Labans und Mary Wigmans herkommend – von Glück sagen konnte, wenn sie in den Berliner Variétés der 30er jähre sporadisch Engagements fand und deren erfüllendsten künstlerischen Erlebnisse Wehrmachtstourneen in die besetzten Gebiete waren: ein Stück unglamouröser Alltags- und Sozialgeschichte des Tanzes der 20er bis frühen 40er Jahre.
Dabei macht die Biographie beispielhaft deutlich, welchen Einfl
üssen und Problemen ein durchschnittliches Künstlerinnenleben In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ausgesetzt war. Das beginnt mit den Tanten, die Prestige und Ökonomische Sicherheit nicht in der Ehe suchten, Sie studierten als Gasthörerin Deutschland, promovierten im Ausland, da Preußen Frauen erst ab 1908 zum Studium zuließ, und machten unter Hindernissen Karriere. Odas Mutter hingegen wurde psychisch krank, die Tochter ein Opfer preußischer Brachialpädagogik, von der sie sich erst auf der Odenwaldschule wieder erholte. Kindheit und Jugend prädestinierten sie für die Lebensreform-Bewegung, die sich in einer weiteren Variante auf dem Monte Veritá bei Ascona kennen lernte. Körper, Geist und Seele sollten in der freien Bewegung zu neuer Harmonie finden. Schottrmüller besuchte heimlich moderne Tanzschulen, während sie auf Wünsch der Familie die seriösere Ausbildung an staatlichen Kunstgewerbeschulen absolvierte.
Fortan f
ührte sie das Leben einer Doppelbegabung. Die Bildhauerei prägte die Gestik der Tänzerin. Ein wesentlicher Bestandteil ihres Tanzes waren die ausdrucksvollen Masken, die sie für sich selber schuf.
Das »Dritte Reich« begann verhei
ßungsvoll: Der Exodus jüdischer Tänzer entspannte den Arbeitsmarkt, das »artifizielle« Ballett wurde staatlicherseits abgelehnt, der »deutsche« Ausdruckstanz kräftig gefördert Auch Oda Schottmüller profitierte davon. Doch gegen Gleichschaltung und Bevormundung rebellierte sie. Als Mitglied eines kommunistisch eingestellten Freundeskreises wurde sie 1942 verhaftet, ein jähr später in Plötzensee enthauptet. Ihre Gefängnisbriefe und Kassiber sind in der vorliegenden Biographie fast vollständig abgedruckt.
Boris Kehrmann in »Spielplan-Magazin der Theatergemeinde Berlin«, Heft 02, 2007

 

Nur wenige werden sie kennen: die Tänzerin, Bildhauerin und Nazigegnerin Oda Schottmüller, Ein einziges Buch widmete sich bisher dieser Künstlerin, die von Norbert Molkenbur und Klaus Hörhold 1983 in der DDR veröffentlichte Monografie. Seither hatte sich die Quellenlage jedoch verbessert, und nun hat die Theaterwissenschaftlerin Geertje Andresen mit ihrer Ende 2005 erschienenen, umfangreichen und gründlich recherchierten Publikation dieser Entwicklung Rechnung getragen.
Nicht von der Beschäftigung mit Tanz, sondern über ihre Arbeit in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand in Berlin kam Andresen zu Thema und Buch. Anlass war eine Ausstellung zur »Roten Kapelle«, unter diesem Begriff fasste die Gestapo eine Gruppe von Widerstandskämpfern zusammen, der sie auch Oda Schottmüller zuordnete. Die Nazis argwöhnten eine von Moskau gesteuerte Spionageorganisation, tatsächlich war es eine Gruppe von Regimegegnern. Oda Schottmüller wurde unterstellt, ihr Atelier für Funkverbindungen mit dem Feind im Osten bereit gestellt zu haben, beweisen konnte man ihr nichts. Dessen ungeachtet wurde sie zum Tode verurteilt und am 5. August 1943 hingerichtet.
Als einziges Kind von Dorothea (geb. Stenzler) und Kurt Schottmüller wurde Oda Marie Margarete am 9. Februar 1905 in Posen geboren. Das kleine Mädchen erlebte eine ernsthafte Krankheit der Mutter sowie 1913 die endgültige Trennung von ihr. Der Vater starb, als sie 14 Jahre alt war. In der Odenwaldschule freundete sie sich 1922 mit ihrem Mitschüler Klaus Mann an, er schrieb über sie: »Sie konnte phantastische und krasse Tänze aufführen; ebenso phantastisch und krass konnte sie zeichnen und malen Zum damaligen Zeitpunkt wollten beide Tänzer werden, doch Oda Schottmüllers Weg zum Tanz ist lang … Erst 1928 beginnt sie heimlich in der Berufsausbildungsklasse der Schule von Berthe Trümpy und Vera Skoronel in Berlin – beides Schweizerinnen. Bald darauf beginnt sie, auch in der Bildhauerei Unterricht zu nehmen. Doch erst im Jahr 1934, im Alter von 29 Jahren, zeigt sie ihre eigenen Tanzschöpfungen erstmalig einem großen Publikum.
Das Erschütternde an diesem Buch sind einerseits die Briefe Oda Schottmüllers aus dem Gefängnis, vor allem an ihre Freundin, das »geliebte Katzentier«. Und andererseits parallel dazu die Dokumentation des unausweichlichen Schicksals, das in Gestalt dieses eigentlich lächerlichen, weil unhaltbaren Prozesses gegen sie voranschreitet. Dass es tatsächlich möglich war, im Namen des Gesetzes solche Willkür zu verüben, erzeugt heute immer noch ohnmächtige Wut. Und dass immer noch so viel Unbekanntes aus der Zeit des Dritten Reiches zu Tage befördert werden kann, zeigt nur, wie schwer wir uns nach wie vor mit der Aufarbeitung tutn. Ein wichtiges Buch, das eine große Lücke schließt.
Dagmar Fächer in »Tanz und Gymnastik« 3, 2006

 

In der Adventszeit vor fünfundsechzig Jahren begann die Lage für Hitlers Armee schwierig auszusehen. Das »Unternehmen Barbarossa«, der Plan, die sowjetische Großmacht mit einem Blitzangriff zu besiegen, war gescheitert. Am 11. Dezember erklärte Deutschland auch noch den Vereinigten Staaten den Krieg.
Just in diesen Tagen nahmen die deutsche Funkabwehr und die Gestapo in Belgien die Spur europaweit agierender Widerstandskreise auf. In Brüssel wurden Funker verhaftet, die in Kontakt zu Moskau gestanden hatten. Die Widerstandsgruppe trug den Namen »Rote Kapelle«.
Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen aber ahnten in Berlin noch nicht, wie nah das Unglück war, wie bald die Verhaftungen und Ermordungen der befreundeten Widerstandskämpfer beginnen würden. Stattdessen erträumten sie, ermutigt vom Verlauf des Vielfrontenkrieges, für die Nachkriegszeit »eine sozialistische Regierung der Arbeiter und Soldaten und der werktätigen Intelligenz«. Zur »Roten Kapelle« zählte auch die Bildhauerin und Tänzerin Oda Schottmüller.
Als das Schicksal des Kreises praktisch schon besiegelt war, trat sie gerade – am Nikolaustag 1941 – eine Wehrmachtstournee an, die sie nach Holland, Frankreich und Italien führen sollte. Oda Schottmüller war mit einem Regimegegner befreundet, der denselben Namen trug wie ein später berühmter SPD-Politiker: Kurt Schumacher. Durch ihn wurde sie in die Kreise der Hitler-Feinde eingeführt.
Schottmüller, die viele ihrer Solotänze mit selbst gestalteten Masken vorführte, war mit Libertas Schülze-Boysen befreundet, die auch einen längeren Aufsatz über die künstlerische Doppelbegabung schrieb, zählte aber nie zu den in die gefährlichsten Aktionen Eingeweihten der »Roten Kapelle«. Es ist ganz unklar, ob von ihrer Atelierwohnung wirklich Funksprüche des Widerstands abgesetzt wurden. In der Charlottenburger Reichsstraße ging sie der bildhauerischen Arbeit an ihren Porträtbüsten noch 1942 ungestört nach und plante einen neuen Kammertanzabend.
Im Anschluß an ihre Wehrmachtsauftritte In Italien – die sie absolvierte, um ihren Lebensunterhalt zu sichern – verlebte sie sogar noch Urlaubswochen im Süden. Schottmüller tanzte in Italien vor Soldaten, denen meist mir die Hälfte ihrer anspruchsvollen und nicht selten düsteren Tänze gefiel, als der Funker Johann Wenzel von der »Roten Kapelle« in Brüssel verhaftet wurde. Wenzel hatte ein halbes Jahr zuvor lnformationen Schulze-Boysens nach Moskau gesendet. Nun brach er unter furchtbarsten Folterqualen zusammen und ließ sich zur Entschlüsselung der geheimen Botschaften für die Gestapo zwingen. Das war der Anfang vom Ende der »Roten Kapelle«.
Am 28. Januar 1943 wurde neben vielen vor, mit und nach ihr die Tänzerin Oda Schottmüller zum Tode verurteilt. Geringes »Mitwissen und Nichtanzeigen«, »Solidarität mit ihren Freunden«, wie ihre Biographin Geertje Andresen schreibt, bedeuteten ihr Ende. Ein Gnadengesuch, das sie schließlich doch stellte, wurde abgelehnt. Am 5. August 1943 richtete der Henker Oda Schottmüller am Abend mit fünfzehn anderen Widerstandskämpfern, hin. »Sei tapfer«, hatte die 1905 geborene, auf der Oberwaldschule eng mit Klaus Mann befreundete junge Frau ihrer als »Mein lieber kleiner Teo!« adressierten Mutter noch geschrieben: »denk daran, daß Du wieder eine gute Zeit erleben wirst«. Weder ihre Vernehmungsprotokolle noch die Urteilsbegründung sind erhalten.
Wiebke Hüster in »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« vom 29. Dezember 2006

 

Davon träumt jeder Sammler: Er schlendert über den Flohmarkt und entdeckt den Nachlass eines Menschen, der prominent war, aber heute vergessen ist. So geschehen bei Oda Schottmüller, einst Tänzerin und Bildhauerin: eine seltene Kombination kreativer Beschäftigung. Schottmüller gehörte in den 30er und 40er Jahren zu den bekannten Vertretern des Ausdrucks- und Maskentanzes in Deutschland und war auch als Bildhauerin gefragt. In ihrem Nachlass, den ein Ehepaar auf einem Berliner Flohmarkt entdeckte, fanden sich neben Zeugnissen, Briefen und Arbeitsbüchern Fotografien von Tanzproben. Eine Holzmaske vor dem Gesicht, tanzt Schottmüller mit ungewöhnlichen Bewegungen. Ungewöhnlich auch die Titel der Tänze: »Henker«, »Seltsame Stunde«, »Die Fremde«. Aus ihrer Körpersprache spricht Selbstbewusstsein. Dabei war Zweifel ihr Begleiter.
Oda Schottmüller, 1905 geboren, verlebte eine schwierige Kindheit in Posen und Danzig; der frühe Tod des Vaters und die psychische Erkrankung der Mutter machten aus ihr ein labiles Wesen, das bei der Tante in Berlin nicht glücklich wurde und erst 1922 in der reformpädagogischen Odenwaldschule aufblühte. Zu ihren Freunden gehörte Klaus Mann.
Ihre Ideen, die sie während ihrer Tanz- und Bildhauerausbildung an reformpädagogisch orientierten Schulen in Berlin verfeinerte, rettete Schottmüller in das NS-Reich. Sie konnte ihren Solo-Tanz fortsetzen, weil Tanz als »Ausdruck gesunder Volkskraft« galt. So trat sie im Kulturprogramm zu den Olympischen Spielen 1936 auf. Doch Schottmüller pflegte nicht nur ihre Doppelbegabung, sie führt auch ein Doppelleben. Einerseits fertigte sie eine Büste von Carin Göring, der ersten Frau von Reichsmarschall Hermann Göring. Andererseits hatte sie Kontakt zum Berliner Freundes- und Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen, von den Nazis »Rote Kapelle« genannt. Als der Kreis im Spätsommer 1942 aufflog, wurde auch Oda Schottmüller verhaftet.1943 wurde sie hingerichtet. Geertje Andresen gelingt mit der Biografie eine eindrucksvolle Doppelgeschichte: Sie erzählt das tragische Leben der Künstlerin Oda Schottmüller und die Geschichte des Ausdruckstanzes in beklemmenden Zeiten.

Lars-Broder Keil in »Berliner Morgenpost« vom 29. September 2006

 

Sie wurde im August 1943 mit weiteren 15 Nazigegnern in Berlin-Plötzensee hingerichtet, wegen angeblicher Beihilfe zum Hochverrat und »Feindbegünstigung«. Die Künstlerin Oda Schottmüller war »offenkundige Gegnerin der Nationalsozialisten« und den Mitgliedern der sog. »Roten Kapelle« freundschaftlich verbunden, der Widerstandsgruppe um Hans Coppi und Harro Schulze-Boysen. Über die zu ihrer Zeit bekannte Ausdruckstänzerin, der »Tänzerin mit der Maske«, und Bildhauerin hat die Autorin ein faszinierendes Porträt geschrieben, mit vielen unbekannten Bildern und Dokumenten. Die Leserin erfährt von der Lebensreformbewegung auf dem Monte Verità, von den künstlerischen Tendenzen wie vom Widerstand und von der Suche einer unabhängigen Frau nach dem Sinn des Lebens. Während der Naziherrschaft konnte Oda Schottmüller zum Teil noch Erfolge als Tänzerin verbuchen, »im Spannungsfeld von Anpassung und Selbstbehauptung; von Konformität und Nonkon-formität«, wie es Hans Coppi in seiner Einführung über die Doppelexistenz als Künstler im Widerstand schreibt.
fh in »Wir Frauen«, Herbst 3, 2006

 

Diese Publikation möchte man nicht aus der Hand legen. Sie folgt dem individuellen und künstlerischen Lebensweg der eigenwillig suchenden Doppelbegabung einer jungen Frau, die, früh auf sich allein gestellt, über viele Umwege ihren persönlichen Weg als Künstlerin geht. Oda Schottmüller war offensichtlich keine dezidiert politisch geprägte oder interessierte Frau, wohl aber ein frei denkender Mensch mit wachem Blick für das konfliktreiche gesellschaftliche Umfeld, in dem sie nach ihrem Platz suchte. Geertje Andresen (bis 1995 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand) nennt ihre umfangreich gegliederte Publikation »Oda Schottmüller – ein Lebensbericht«. Als Mitarbeiterin an der umfangreichen Ausstellung »Die Rote Kapelle« (1992) bemerkte sie ein Rezeptionsdefizit in Bezug auf diese junge Künstlerin in der bundesdeutschen Geschichtsschreibung. Sie macht sich auf eine Spurensuche, studiert neue Quellen und läßt den Leser Seite für Seite teilhaben an ihrem Interesse an dieser talentierten und fantasiebegabten Frau, die sich bis an ihr gewaltsames Lebensende menschlich und künstlerisch behauptet. Die Autorin zielt dabei absichtsvoll auf das Singuläre als Teil der Zeitgeschichte.
Über die Beziehung zu dem kommunistischen Bildhauer Kurt Schumacher kam Oda Schottmüller Ende der 30er Jahre in Kontakt mit dem Berliner Freundes- und Widerstandskreis um Harro Schulze-Boysen, in dem gefeiert, freimütig künstlerische wie politische Fragen diskutiert, und zugleich Informationen ausgetauscht, ausländische Sender gehört, Verfolgten geholfen und Aktionen gegen die Nazidiktatur vorbereitet wurden. Dies war zugleich Resultat eigener künstlerischer Überzeugungen wie Reflex auf gesellschaftspolitische Veränderungen im faschistischen Deutschland speziell in Berlin der 30er Jahre. Im Spätsommer 1942 verhaftete die Gestapo Harro Schulze-Boysen, Kurt Schumacher, Arvid Harnack, Oda Schottmüller und etwa 120 weitere Personen. Die Gestapo hatte diesem Kreis den Fahndungsbegriff »Rote Kapelle« zugeordnet, verdächtigt der Spionage für die Sowjetunion. Oda Schottmüller wurde angeklagt, ihr Atelier für Funkversuche nach Moskau zur Verfügung gestellt zu haben. Das Reichsgericht verurteilte sie zum Tode: Am 5. August 1943 wurde Oda Schottmüller enthauptet. Die letzte Buchseite zeigt Oda Schottmüller (in einem Schwarz/Weiß-Foto von Gyula Pap) als ›Henker‹ mit Maske, hochgereckten Armen und Fingern wie Krallen. Darunter bewegende Zeilen ihres Abschiedsbriefes an ihre Tante Hilti (Hiltgart Vielhaber). Lakonisch sachlich beschreibt die Autorin das Ende und konfrontiert den Leser mit der der Dualität menschlichen Lebens – als Individuum und gesellschaftliches Wesen. »Oda Schottmüller wurde gemeinsam mit Adam Kuckhoff, Maria Terwiel und Hilde Coppi als siebte von insgesamt sechzehn Menschen um 19.18 Uhr enthauptet. Der Henker brauchte 45 Minuten für diese Arbeit. Die Leichen aller Toten wurden der Anatomie in der Charité übergeben. Ein Grab gibt es für keinen von ihnen (S. 302)
Dieses wichtige Buch ist ein hochzuschätzender Beitrag sowohl für die deutsche Tanzgeschichtsschreibung als auch für die detaillierte Untersuchung der Zeit- und Kunstgeschichte. Es porträtiert Künstlerpersönlichkeiten im Kreis der »Roten Kapelle«, von denen Hans Coppi eingangs anmerkt: »Im Spannungsfeld von Anpassung und Selbstbehauptung, von Konformität und Nonkonformität, lebten sie die Doppelexistenz als Künstler im Widerstand mit allen damit verbundenen Paradoxien (S. 15) Überaus anschaulich und lesenwert in ihrer Fülle an Informationen entstand in enger Zusammenarbeit mit dem Deutschen Tanzarchiv Köln, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand Berlin und wichtigen anderen Archiven und Einzelpersonen eine Veröffentlichung, die ein Gewinn darstellt für alle Schüler, Studenten, Tanzschaffende und Tanzbegeisterte, die nicht nur an der Oberfläche künstlerischer und gesellschaftlicher Fragen interessiert sind. Das Buch über Oda Schottmüller macht Geschichte erlebbar und verweist mit seinen Fragen zu Bildung, Ausbildung, Überleben als freie Künstlerpersönlichkeit, Behauptung künstlerischer Visionen, Kritikfähigkeit, Opportunismus, sozialer Kommunikation zugleich immer auf unsere Gegenwart. Das Buch bereitet schwierigste gesellschaftliche und individuelle Entwicklungen bis in kleinste Informationen auf. Die Auflistung der recherchierten Zeitungs- und Zeitschriftenartikel, Aufsätze und Archivalien, die 515 Anmerkungen und das umfangreiche Namensregister unterstreichen die wissenschaftliche Aussagekraft.
Das umfassend recherchierte Buch fußt auf bisher unveröffentlichten Archivalien, Fotodokumenten und dem auf einem Berliner Flohmarkt entdeckten Nachlaß von Oda Schottmüller. Die Autorin entwirft auf 300 Seiten nicht nur einen fesselnden Lebensbericht sondern zugleich ein detailgenaues historisches, kunstgeschichtliches und politisches Zeitpanorama von der Weimarer Republik über die historische Zäsur der Machtergreifung der Nationalsozialisten bis in die die Zeit des 2. Weltkrieges. Geertje Andresen befragte wichtige Zeitzeugen und konnte auf eine Fülle von Dokumenten zurückgreifen, die den Lebensweg wie das künstlerische Schaffen der Bildhauerin und Ausdruckstänzerin mehr als nur fragmentarisch erhellen. Die schwierige Kindheit in Posen und Danzig, der Tod des Vaters, Krankheit der Mutter, die Übersiedlung zur Tante nach Berlin, Odas Jahre im »Paradies« der reformpädagogischen Odenwaldschule, 1928 der späte Beginn ihrer Tanzausbildung an der Tanzschule von Berthe Trümpy und Vera Skoronel in Berlin-Wilmersdorf, parallel ihr Studium in der Bildhauerklasse von Milly Steger im »Verein der Berliner Künstlerinnen«, Oda Schottmüllers erste Masken- und Kostümentwürfe sowie Porträtbüsten an der modernen Itten-Schule sind faktenreich eingebettet in die Ausführungen zum modernen Tanz in Deutschland und Berlin der 20er Jahre.
Oda Schottmüller war 28 Jahre alt, als die Nazis am 30.1.1933 an die Macht kamen. Die Hälfte ihres bisherigen Lebens war von unterschiedlichen Reformbewegungen der 20er Jahre geprägt, die eine ganzheitliche Entwicklung der Persönlichkeit zum Ziel hatten. Wie, so fragt die Autorin, konnte sie sich in dem totalitären Staat als Tänzerin etablieren und als Bildhauerin behaupten?
Die Autorin untersucht die gesellschaftlichen genauso wie die individuellen Bedingungen, die nach dem ersten Solo-Auftritt (Tanz-Matinee am 11. 3. 1934 im Theater am Kurfürstendamm mit »3. Suite in Masken: Zauberer und Verzauberte«) zu einem künstlerischen Aufschwung Oda Schottmüllers als Tänzerin wie Bildhauerin führten. Zugleich offeriert das Kapitel eine Fülle an Informationen über Arbeitskollegen und politisch engagierte Freunde: die Bildhauer Fritz Cremer, Kurt Schumacher, den umfangreichen Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen, ihren Korrepetitor, den Komponisten Kurt Schwaen. Die Kapitel zum Tanz im Dritten Reich mit seinen organisatorischen Veränderungen, ästhetischen und politischen Ausrichtungen, der neuen Prüfungsordnung Tanz, den Tanzfestspielen 1934 und 1935, der Entwicklung vom Bewegungschor zum Thingspiel, die Olympischen Sommerspiele 1936 und der Ausdruckstanz, die Begabtenförderung im Rahmen der »Berliner Kammertanz-Veranstaltungen« und der »Stunde des Tanzes«, die »Fachschaft Tanz der Reichstheaterkammer« erläutern das Bedingungsgefüge [nicht nur] für Oda Schottmüllers Leben und berufliches Überleben im Krieg. Im Juni 1941 publizierte Oda Schottmüller nach ihrem fünften erfolgreichen Solo-Abend mit positiven Kritiken einen [noch heute merkenswerten] Artikel »Über Tanzmasken« in der renommierten Monatsschrift »Der Tanz«.
Zeitgleich arbeitete sie an Büsten des Staatsschauspielers Paul Bildt, der Schriftstellerin Ilse Molzahn sowie von Carin Göring (der ersten Frau Reichsfeldmarschall Görings) im Auftrag ihres ehemaligen Lichterfelder Lyzeums. Einen Tag vor dem Überfall Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion wurde Oda Schottmüller am 20. Juni 1941 mit der Mitgliedsnummer 68175 in die Fachschaft Tanz der Reichstheaterkammer aufgenommen. Dies ermöglichte ihr (wie anderen Künstlern, interessant sind hier die abgedruckten Berichte der Tänzerin Ilse Meudtner über Auftritte im besetzten Holland) die bezahlte Teilnahme an Wehrmachtstourneen. Oda Schottmüller reiste von Dezember 1941 bis März 1942 nach Holland/Frankreich und von April 1942 bis Juni 1942 nach Italien, das sie so begeistert, das sie einen dortigen Urlaub anschloß. Während Oda Schottmüller in Italien tanzte, bereiteten die Berliner Freunde und eine unabhängig davon agierende Gruppe jüdischer Jugendlicher um Herbert Baum Aktionen gegen die propagandistische Ausstellung »Das Sowjetparadies« vor, und am 18. Mai 1942 konnten viele Berliner Klebezettel »Das Naziparadies« an den Hauswänden lesen. Verhaftungen folgten in Berlin einschließlich der des »Rote Kapelle«-Funkers Johann Wenzel in Brüssel. Nach ihrer Rückkehr traf sich Oda Schottmüller in Berlin am 13. Juli 1942 ein letztes Mal mit Kurt Schwaen. Am 28. Juli 1942 erschien ein Fotoporträt über sie in »Die junge Dame«. Für Frühjahr 1943 hatte sie bereits einen Vertrag für eine Solo-Tournee durch Ostpreußen geschlossen. Sie war beglückt und voller Tatendrang.
Am 31. August 1942 wird Harro Schulze-Boysen im Reichsluftfahrtministerium verhaftet, am 7. September Arvid und Mildred Harnack im Urlaub auf der Kurischen Nehrung, am 12. September werden Hans und Hilde Coppi, Kurt und Elisabeth Schumacher, Adam und Greta Kuckhoff ebenfalls des Hochverrats angeklagt und in das Gestapohauptquartier Prinz-Albrechtstraße 8 überführt. Oda Schottmüller wird am 16. September verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, ihr Atelier für Funkkontakte zur Verfügung gestellt zu haben. Zusammen mit 41 weiteren Frauen, die von den Nazis dem Fahndungskomplex »Rote Kapelle« zugeordnet wurden, wird sie in Einzelhaft im Polizeigefängnis am Alexanderplatz inhaftiert.
Am 25./26. Januar 1943 wird Oda Schottmüller im Prozeß der »Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und Feindbegünstigung« angeklagt, für schuldig erklärt, im März in das Gerichtsgefängnis Kantstraße und im Mai 1943 wie alle anderen weiblichen Verurteilten des Fahndungskomplexes »Rote Kapelle« in das Frauengefängnis Barnimstraße überstellt. Am 21. Juli 1943 wird ein Gnadengesuch der Angehörigen der Widerstandsgruppe Harnack/Schulze-Boysen abgelehnt. Am 5. August 1943 wird Oda Schottmüller in Plötzensee enthauptet.
Erhalten sind die hier erstmals abgedruckten Kassiber, auf denen Oda Schottmüller drastisch, menschlich und ganz ohne Pathos den skandalösen Prozeß vor dem Reichskriegsgericht schildert, in dem es zu keiner Zeit um die Aufklärung eines wahren Sachverhalts gegangen ist. Diese 1992 von der Autorin aufgefundenen Selbstzeugnisse sind der Ausgangspunkt für die vorliegende Publikation. Zweifelsfrei war Oda Schottmüller eine offenkundige Gegnerin der Nationalsozialisten, betont Geertje Andresen zieht aber aus ihren Untersuchungen der vorliegenden Quellen das Fazit: »Während nun jedoch wesentliche Prägungen und die tragische Entwicklung ihres Lebensweges deutlich werden, scheint sich ihre aktive Beteiligung an Widerstandsaktivitäten zum Sturz des NS-Regimes auf die Frage zu begrenzen, ob ihr Atelier tatsächlich für Funkversuche genutzt wurde. Zweifel daran sind geblieben, Beweise gibt es nicht (S. 23)

Dr. Karin Schmidt-Feister in »tanznetz.de« vom 04.06.06

 

Für den 5. August 1943 war in der Berliner Hinrichtungsstätte Plötzensee wieder einmal eine Massenexekution angesagt. Sechzehn vom Reichkriegsgericht wegen Widerstandes gegen das faschistische Regime zum Tode verurteilte Frauen und Männer standen auf der Liste des Henkers. Um 19.18 Uhr, so vermerkt das exakt geführte Protokoll des Massenmordes, wurde als siebente die 1905 geborene Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller enthauptet.
Die Hingerichteten gehörten zum Kreis der als »Rote Kapelle« in die Geschichte eingegangenen Widerstandsgruppe, die im September 1942 in die Fänge der Gestapo geraten waren. Oda Schottmüller war am 16. September verhaftet worden. Aus ihrem Berliner Atelier seien Funksprüche der »Roten Kapelle« nach Moskau gesendet worden, lautete die Begründung. Sie wurde der Beihilfe zur »Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Feindbegünstigung« angeklagt. Am 26. Januar 1943 wurde sie zum Tode verurteilt.
Geertje Andresen hat nun eine fesselnde Monographie über Schottmüller vorgelegt. Bereits 1999 hatte sie gemeinsam mit Hans Coppi (Sohn des Widerstandskämpfers H.C., d. Red.) eine umfassende Arbeit über die »Rote Kapelle« unter dem Titel »Dieser Tod paßt zu mir. Harro Schulze-Boysen - Grenzgänger im Widerstand« veröffentlicht. Bei der Vorbereitung einer Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand waren der Autorin Kassiber in die Hände gefallen, die Oda Schottmüller nach ihrer Verurteilung geschrieben hatte. Beeindruckt von der »Aufrichtigkeit und Geradlinigkeit dieser Berichte« wollte Andresen mehr wissen als das, was aus diesen Berichten zu erfahren war.
Als Material standen eine 1983 in der DDR erschienene Monographie und ein DEFA-Film von 1987, die Schottmüller als Mitglied der »Roten Kapelle« würdigen, und der auf einem Berliner Flohmarkt entdeckte Nachlaß zur Verfügung. Durch umfassende eigene Recherchen konnte Andresen nun ein beeindruckendes Bild dieser Frau vermitteln. Mit Hilfe zahlreicher Quellen zeichnet die Autorin Schottmüllers Weg in all seinen Widersprüchen nach. Die »Tänzerin mit der Maske« war den Mitgliedern der »Roten Kapelle« durch Freundschaft, vor allem zu dem Kommunisten Kurt Schuhmacher, verbunden. Sie genoß als »offenkundige Gegnerin der Nationalsozialisten« ihr Vertrauen, ohne in die direkten Aktivitäten eingebunden gewesen zu sein. »Auf der Suche nach dem Sinn des Lebens« fand sie ihre Erfüllung im Ausdruckstanz und in der Bildhauerei. Vor allem mit dem Ausdrucktanz bewegte sie sich nach der Machtübertragung an das faschistische Regime immer hart an der Grenze des die existenzbedrohenden Verdammnisurteils der »Entartung«.
Ob Hans Coppi, einer der führenden Köpfe der Widerstandsgruppe, tatsächlich, wie in der Anklage behauptet, um die Jahreswende 1941 /42 mehrfach Funkversuche nach Moskau auch aus dem Atelier von Oda Schottmüller unternommen hat und dabei von ihr unterstützt wurde, lasse sich heute nicht mehr klären, konstatiert die Autorin. Denn Anklageschrift, Vernehmungsprotokolle und Urteilsbegründung in ihrem Verfahren sind nicht erhalten geblieben. Auch die Protokolle über Hans Coppi, der während der Verhöre schwer gefoltert wurde, existieren nicht mehr. In ihrem letzten Brief an die Mutter, verfaßt kurz vor ihrer Hinrichtung am Abend des 5. August, heißt es: »Sei tapfer, denk daran, daß Du wieder eine gute Zeit erleben wirst«.
Hans Daniel in »Junge Welt«, 19. Mai 2006

 

»Dieser Tod paßt zu mir...«, hieß ein 1999 erschienenes Buch, das Geertje Andresen gemeinsam mit dem Berliner Historiker Hans Coppi, Sohn des von den Nazis ermordeten Ehepaars Hans und Hilde Coppi, verfaßte. Dieser Tage präsentierte die Theaterwissenschaftlerin im Berliner Brechthaus eine neuen Arbeit, mit der sie das umfassende Thema »Rote Kapelle« wieder aufgenommen hat – diesmal allerdings konzentriert auf eine Person: die Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller. Bei der Erarbeitung einer Ausstellung in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand über diese antifaschistische Widerstandsgruppe waren ihr Kassiber einer Frau in die Hände gefallen, »deren Namen ich nie zuvor gehört hatte«, wie sie gesteht. Beeindruckt »von der Aufrichtigkeit und Gradlinigkeit dieser Berichte« wollte Geertje Andresen mehr wissen als das, was in diesen Kassibern über einen »skandalösen Prozeß vor dem Reichskriegsgericht, in dem es nie um die Aufklärung wahrer Sachverhalte gegangen ist«, zu erkennen war.
Die »Tänzerin mit der Maske« hatten bereits eine 1983 in der DDR erschienene Monographie und ein DEFA-Film zu würdigen gewußt – als mutiges Mitglied der so genannten Roten Kapelle. Aus ihrem Berliner Atelier seien Funksprüche nach Moskau gesendet worden. Unter dieser Beschuldigung war sie am 16. September 1942 verhaftet worden. Am 12. September hatte die Gestapo bereits Hans und Hilde Coppi, Kurt und Elisabeth Schuhmacher, Adam und Greta Kuckhoff sowie etwa 120 weitere Personen festgenommen. Oda wurde der »Beihilfe zur Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens und wegen Feindbegünstigung« angeklagt, am 22. Dezember vom Reichskriegsgericht schuldig gesprochen und zum Tode verurteilt.
Die umfangreichen Recherchen der Geertje Andresen wurden durch einen Glücksfall seltener Art außerordentlich begünstigt: Auf einem Berliner Flohmarkt entdeckten die Sammler Susanne und Dieter Karl den Nachlaß Oda Schottmüllers: Schulbücher, Verträge, Arbeitsbücher, Testament, einen handschriftlichen Abschiedsbrief an die Mutter und eine Fülle von Tanzfotos und Abbildungen ihrer Skulpturen. Sie erwarben den gesamten Nachlaß und stellten ihn dem Deutschen Tanzarchiv in Köln leihweise zur Verfügung. Geertje Andresen hat aus alldem nun ein Gesamtwerk gemacht, das dem Leser ein faszinierendes Bild der Jahre 1933 bis 1945 und der Oda Schottmüller vermittelt.
Ihre Kindheit war überschattet durch die Krankheit der Mutter und den frühen Tod des Vaters. Von einem »dramatischen Lebensgefühl« sprach Geertje Andresen bei der Vorstellung des Buches. Sie schildert sie als »sensibel«, aber auch »labil«, immer »auf der Suche nach dem Sinn des Lebens«. Den fand sie schließlich im Tanz, exakter im Ausdruckstanz, und in der Bildhauerei. Vor allem mit dem Ausdruckstanz bewegte sie sich nach der Machtübertragung an die Nazis immer hart an der Grenze des Verdammnisurteils »Entartung«. Sie arrangierte sich mit dem Regime, nicht zuletzt auch aus existentiellen Gründen. Für sie trifft zu, was Hans Coppi in der sachkundigen Einführung generell zum Thema »Künstler in der ›Roten Kapelle‹« schreibt: »Im Spannungsfeld von Anpassung und Selbstbehauptung, von Konformität und Nonkonformität, lebten sie die Doppelexistenz als Künstler im Widerstand und allen damit verbundenen Paradoxien.« Ausführlich wird dieser Weg nachgezeichnet. Ein zweiter Strang der Darstellung im Buch führt zu den Frauen und Männern, die als »Rote Kapelle« dem Regime widerstanden, konspirative Zirkel bildeten und schließlich Informationen über die deutschen Kriegs- und Überfallpläne auf die Sowjetunion an Moskau sandten. Vieles davon ist bekannt, auch die Namen der Beteiligten. Oda Schottmüller war jenen durch zahlreiche Freundschaften, vor allem mit dem Kommunisten Kurt Schuhmacher, vielfach verbunden. Sie genoß ihr Vertrauen, ohne in deren Handlungen eingebunden zu sein. In der Anklage war Oda Schottmüller vorgeworfen worden, Hans Coppi habe um die Jahreswende 1941/42 mehrfach Funkversuche auch aus ihrem Atelier unternommen, »um endgültig die Verbindung mit Moskau aufzunehmen«. Sie habe ihn dabei unterstützt. Ob dies tatsächlich so war, »wann dies geschehen sein soll, ob sie anwesend war oder überhaupt davon wußte, läßt sich heute nicht mehr klären«, konstatiert die Autorin. Was Coppi, »der während der Verhöre schwer gefoltert wurde, tatsächlich ausgesagt hat, wissen wir nicht, weil auch diese Verhörprotokolle nicht erhalten sind«, überdies müsse »der Wahrheitsgehalt einer unter Folter erpressten Aussage erheblich angezweifelt werden«. Dies sei heute nicht mehr überprüfbar. Als Oda Schottmüller am 16. September verhaftet wurde, war bei der Durchsuchung des Ateliers jedenfalls kein Funkgerät gefunden worden. Der Komponist Kurt Schwaen, der 1935 wegen illegaler Tätigkeit für die KPD inhaftiert war und nach der Entlassung aus der Zuchthaushaft lange Zeit für sie als Korrepetitor gearbeitet hat, wird hier mit der Bemerkung zitiert, ihre Ablehnung des Regimes habe weniger einem politischen Bewußtsein, sondern mehr der Intuition entsprochen. Wer allerdings die von Geertje Andresen gefundenen Kassiber aus der Zeit nach ihrer Verurteilung liest, darunter den Hohn und Spott ausgießenden Bericht über das Verfahren vor dem Reichskriegsgericht, die »bezahlten Kreaturen«, die dort »Recht« sprachen, lernt eine starke Frau kennen, umgetrieben von der Sorge, vor Gericht noch einmal diesem »Dunstkreis von Rohheit und Bestialität ausgeliefert zu sein«. »Ich habe nichts mehr zu verlieren«, schreibt sie gefaßt an anderer Stelle. Und in ihrem letzten Brief an die Mutter heißt es: »Sei tapfer, denk daran, daß du wieder eine gute Zeit erleben wirst.« Als siebte von insgesamt 16 Regimegegnern wird Oda Schottmüller am 5. August 1943 um 19.18 Uhr in Plötzensee enthauptet. Für den Massenmord benötigte der Henker 45 Minuten. Ein Grab gibt es für keinen von ihnen«, lautet der letzte Satz des Buches.
Hans Canjé in »Neues Deutschland«, 25. März 2006

 

 

Das Deutsche Tanzarchiv Köln präsentiert aus Anlaß des 100. Geburtstags der Tänzerin und Bildhauerin Oda Schottmüller die einzig erhaltenen Dokumente ihres Lebens und Wirkens, darunter bislang unbekannte Fotografien, ein Zeugnis ihrer bildhauerischen Tätigkeit sowie Dokumente der Haftzeit. Begleitend zur Ausstellung »+ nicht klein beigeben« entstand eine Sensation in Buchform. Das Sammlerehepaar Susanne und Dieter Krahl fand den Nachlaß der wenig bekannten Maskentänzerin auf einem Berliner Flohmarkt. Daraus und anderen Quellen entwickelte Geertje Andresen eine Monographie, die keine ist, sondern eine so detaillierte Einsicht in die NS-Zeit mittels der Protagonistin Oda Schottmüller, daß man die 350 Seiten in einem Zug weg liest. Andresen wahrt angesichts der Unzahl von Lücken im Material herrliche Distanz, schweift nie ab, sondern treibt bis zu Schottmüllers Ermordung als angebliches Mitglied der »Roten Kapelle«, einer von den Nazi so getauften Widerstandszelle, die »Verstrickung« deutscher Tänzerinnen in die Höhen einer so differenzierten Tatsachen-Reportage, daß es zu einem Musterbeispiel gelungener historischer Recherche und sprachlich ein Meisterwerk geworden ist.

Arnd Wesemann in »Ballettanz«, Heft 01, 2006

 

Mit dieser Monographie zu einer vergessenen Künstlerin setzt der Berliner Lukas Verlag seine verdienstvolle Reihe zu Persönlichkeiten des Widerstands fort, die ihn zurecht mit einem Buch über Emmi Bonhoeffer 2005 einen Bestseller-Erfolg brachte. Doch dieses Buch fällt aus der Reihe. Oda Schottmüller war keine aktive Widerstandskämpferin, allein die Zugehörigkeit zum Freundeskreis um Harro Schuize-Boysen und Arvid Harnack genügte dem barbarischen Nazi-Regime zur Verhängung und Vollstreckung des Todesurteils an ihr. Versuche der Gruppe um Schuize-Boysen und Harnack, die Sowjetunion vor einem Angriff zu warnen, wurden von den Nazis als Spionagezelle »Rote Kapelle« dargestellt und mit aller Brutalität verfolgt. Die Autorin dieses Buches erreicht mehr als eine weitere Darstellung zum deutschen Widerstand. Ihr gelingt ein Zeitbild der intellektuellen Szene in Berlin zu dieser Zeit, durch die beiden künstlerischen Begabungen Oda Schottmüllers bedingt, vor allem auf Tanz und Bildhauerei bezogen, beides künstlerische Ausdrucksformen, die damals besondere Beachtung fanden.
in »Berliner Kulturbrief«, Januar /Februar 2006

 

Sie war eine großartige Bildhauerin und phantastische Ausdruckstänzerin. Ihre Beziehung zum kommunistischen Bildhauer Kurt Schumacher brachte sie in Kontakt mit dem Freundeskreis um Harro Schulze-Boysen und in den Widerstand gegen die Nazis. Eine berührende Biographie der 1943 ermordeten »Oda Schottmüller« hat Geertje Andresen verfasst
in »Neues Deutschland« vom 26./27.11.2005