Christiane Schmoll (Hg.)
Alexander Schmorell, Christoph Probst
Gesammelte Briefe
Der Band hat bei Erscheinen große Beachtung gefunden. Die
Überraschung besteht darin, dass sich hier eine unerwartet andere Perspektive
auf die »Weiße Rose« und den persönlich-familiären und politischen Kontext
eröffnet. Für die Widerstandsforschung hat er erhebliche Bedeutung. Dies ist
natürlich durch die Dokumente, die Briefe Alexander Schmorells
und Christoph Probsts, bedingt. Es hängt aber auch mit der Leistung der
Herausgeberin zusammen, einer ausgewiesenen Expertin für das Thema. Frau Moll
hat den Korrespondenzen eine zweihundertsechzigseitige
»Biographische Einführung« vorangestellt, die keine Frage offen lässt und
zugleich eine Gesamtgeschichte der »Weißen Rose« aus Sicht der beiden
Protagonisten bietet. Hinzu kommen ausführliche Erläuterungen zu den einzelnen
Stücken, wobei es sich oft geradezu um kleine Exkurse zu den angesprochenen
Sachverhalten handelt. Auch wird man durch detaillierte Informationen zu den
Widerstandsaktivitäten, die ja in den Briefen höchstens angedeutet werden
konnten, genauestens über den Stand der Dinge unterrichtet. Es wäre billig, der
Herausgeberin wegen ihrer Akribie Vorwürfe zu machen.
Wohl muss man nicht unbedingt über die Theologie von Johannes Müller aufgeklärt
werden, nur weil Probst im März 1941 einmal ein
Wochenende auf Schloss Elmau verbringt. Auch des
Inhaltes von Dickens’ Pickwickier-Roman, den Schmorell ein paar Wochen später liest, hätte man nicht
erinnert werden müssen, um den entsprechenden Brief auffassen zu können. Aber
in der Summe entsteht doch gerade durch solche Informationen ein Bild vom
geistreichen, lebendigen, lebensfrohen Dasein dieser jungen Menschen, das den
Boden für ihre Entschlossenheit, ihren Mut und ihre
Bereitschaft zum äußersten Risiko im Kampf gegen das Böse bildete. Die Briefe
selbst belegen im Übrigen in aller Deutlichkeit, dass die oft vorgetragene These
von der Entpolitisierung der Weißen Rose-Gruppe schlechterdings unzutreffend ist und sich einer
fragwürdigen Konzentration auf Hans und Sophie Scholl verdankt. Insofern ist
die Publikation gut geeignet, einer unhistorischen Mythenbildung durch präzise
Sacharbeit entgegenzuwirken. Gerade auf diesen Aspekt legt die Herausgeberin
großes Gewicht. Bedenkenswert ist schließlich auch der Hinweis, mit der sie den Band eröffnet: »Widerstand gegen Diktaturen führt in
der Regel nicht zum Sturz eines diktatorischen Regimes.« Er wird aber in der »postdiktatorischen«
Folge zum Bezugspunkt historischer (und man kann ergänzen: moralischer)
Reflexion. Weshalb und in welchem Sinne die »Weiße Rose« einen solchen
Bezugspunkt bildet und auch noch in ferner Zukunft bilden wird, hat dieser Band
erneut gezeigt.
Matthias Wolfes, in: Das Historisch-Politische
Buch, 61. Jahrgang (2013)
Der Widerstand der »Weißen Rose« wird bis jetzt weithin als
Widerstand der Geschwister Hans und Sophie Scholl
dargestellt. Das ist falsch. Es schmälert das Heldentum der Geschwister Scholl ja keineswegs, wenn man der historischen Wahrheit die
Ehre gibt und die gleichwertige Beteiligung von Alexander Schmorell,
Christoph Probst, Willi Graf und Kurt Huber und anderen in die Forschung mit
einbezieht und in der Öffentlichkeit auch bekannt macht. Im Gegenteil: Die
Verdienste der gesamten Widerstandsgruppe sind erst ganz zu ermessen, wenn der
Einsatz und die Verästelungen aller Beteiligten berücksichtigt werden. Ein
entscheidender Schritt hierzu ist nun mit der Herausgabe der gesammelten und
ungekürzten Briefe von Alexander Schmorell und
Christoph Probst erfolgt. Erstmals werden alle
erhaltenen Briefe in der vorliegenden Edition der
Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die Adressaten der Briefe waren überwiegend
Verwandte, Freunde und andere Nahestehende. Die einfühlsamen Briefe der beiden
Schreiber belegen ihre ideale Gesinnung und ihren
konsequenten Charakter schon lange vor dem aktiven Widerstand. Die 158 Briefe
und Dokumente Schmorells beginnen 1936 und enden mit
dem Tag der Hinrichtung am 13.07.1943. Von Christoph Probst liegen 178 Briefe und Dokumente vor; sie stammen noch
teilweise aus der Kindheit, von 1928 bis zur Hinrichtung am 22.02.1943. Aus
Christoph Probsts Briefen ist die Hinwendung zum katholischen
Glauben klar erkennbar. So war es folgerichtig, dass er im Gefängnis sofort um
einen katholischen Geistlichen bat, um die Heilige
Taufe zu empfangen, für die er sich schon lange vorbereitet hatte. Seine Kinder
hatte er schon taufen lassen. Alexander Schmorell war
russisch-orthodox. Sein Glaube vertiefte sich während der Kerkerhaft. Man sieht
an den Abschiedsbriefen beider, dass sie als Christen
aufrecht und mit freudigem Gottvertrauen in den Tod gingen. Die Edition dieser Briefsammlung wird durch die umfassende biographische
Einführung besonders wertvoll. Alle Quellen sind sorgfältig recherchiert und
belegt. Die Arbeit der Herausgeberin Christiane Moll ist großartig. An dieser
Arbeit kommt künftig niemand vorbei, der über den Widerstand der »Weißen Rose«
arbeiten will.
Eduard Werner, in: DER FELS, 5/2012
In der Fülle an
Publikationen zur Genesis der »Weißen Rose« findet man zu Alexander Schmorell und Christoph Probst nur
spärliche Angaben. Diese Lücke wurde nun von Christiane Moll durch jahrelange
Recherchen und die akribische Sichtung und Auswertung der 3330 erhaltenen
Briefe der beiden Antifaschisten geschlossen. Die Briefe geben Einblick in ihr Denken, Fühlen und Handeln im Rahmen der
Widerstandsgruppe »Weiße Rose«
Im Vorwort des Bandes geht Prof. Dr. Johannes Tuchel auf die unterschiedliche
Deutung und Wertung zur Reflexion der Gruppe »Weiße
Rose« ein. Er verweist auf unverständliche Lücken bei der Erforschung und
Wahrnehmung der Widerstandsgruppe und den oberflächlichen Umgang mit den
Quellen zur »Weißen Rose«. Tuchel hebt hervor, dass in der vorliegenden Edition
»Alexander Schmorell und Christoph Probst
jetzt in insgesamt mehr als 300 Dokumenten selbst zu Wort« kommen.
Weiterlesen in der Online-Ausgabe der antifa…
Günter Wehner, in: antifa
3–4/2012
Die Geschwister Hans und Sophie Scholl
haben ihren festen Platz im kulturellen Gedächtnis der deutsche Gesellschaft –
nicht erst seit dem für einen Oscar nominierten Film von Mai Rothemund aus dem Jahr 2005. Viel weniger bekannt sind zwei
andere und auch wichtige Mitglieder der Widerstandsgruppe der »Weißen Rose«:
Alexander Schmorell und Christoph Probst.
Sie bezahlten ebenfalls ihr Eintreten gegen den
Nationalsozialismus mit dem Leben. Obwohl beide ganz unterschiedliche familiäre
Hintergründe besaßen, verband den 1917 geborenen Schmorell
und den zwei Jahre jüngeren Probst seit Schulzeiten
eine enge Freundschaft.
[…] Auf dem Münchener Neuen Realgymnasium freundete sich Schmorell mit
Christoph Probst an, der ebenfalls aus einem bürgerlichen Elternhaus stammte,
dessen Eltern jedoch getrennt lebten. […] Nach dem
Abitur nahmen Probst und Schmorell 1939 ein
Medizinstudium auf, das durch Zeiten beim Militär unterbrochen wurde. Beide
entwickelten eine immer stärkere Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus
und dem Krieg. Im Sommersemester 1941 schloss Schmorell
eine folgenreiche Freundschaft mit einem Kommilitonen: Hans Scholl
teilte Schmorells Haltung zum Nationalsozialismus.
Beide bestärkten sich in ihren Grundüberzeugungen. Und
es sollte kein Jahr vergehen, bis die neuen Freunde zu den treibenden Kräften
bei der Entstehung der Weißen Rose wurden. Schmorell
stellte dann den Kontakt zwischen Hans Scholl und
Probst her und gewann seinen Jugendfreund für Widerstandsaktionen.
Christiane Moll, eine ausgewiesene Kennerin der Geschichte der »Weißen Rose«,
hat jetzt auf fast tausend Seiten alle erhaltenen Briefe von Probst
und Schmoreil vorbildlich ediert und kommentiert.
Außerdem liefert sie in ihrer umfangreichen Einleitung
eine Parallel-Biographie der beiden Mitglieder der »Weißen Rose«, die wichtige
neue Erkenntnisse zur Geschichte dieser Widerstandsgruppe enthält und ältere
Veröffentlichungen korrigiert. So kann Frau Moll beispielsweise unter
Rückgriff auf erst jüngst zugänglich gewordene Briefe aus der Familie Scholl nachweisen, dass Alexander Schmoreil
und Hans Scholl schon im August 1941 und nicht erst unmittelbar vor der ersten
Flugblattaktion der »Weißen Rose« im Frühsommer 1942 vom beginnenden Holocaust
erfuhren und dass ihrer Entscheidung zum Widerstand ein langes inneres Ringen
vorangegangen war. Ebenso widerlegt sie die These von Detlef Bald, dass erst die Ostfront-Erfahrungen von Hans Scholl
und Alexander Schmorell die »Weiße Rose« vom
passiven, unpolitischen zum aktiven, politischen Widerstand geführt haben.
Wer bei der Lektüre der Quellen ein ausführliches Abwägen von Argumenten für
und gegen den Widerstand erwartet, der wird die Edition
enttäuscht aus der Hand legen. Denn so klar, wie die Mitglieder der »Weißen
Rose« in Flugblättern die Verbrechen der Nationalsozialisten beim Namen
nannten, werden an keiner Stelle der Briefe die politischen und moralischen
Vorstellungen der Mitglieder der Widerstandsgruppe deutlich. Denn die
Briefschreiber mussten damit rechnen, dass die Korrespondenz in falsche Hände
fiel. Der Reiz der Briefe liegt vielmehr darin, dass sie
einen – man möchte fast sagen – intimen Blick auf die Entwicklung junger
Menschen während der Zeit des Nationalsozialismus ermöglichen und Heranwachsende
zeigen, die sich intensiv mit Kultur auseinandersetzten und zunehmend größere
Distanz zur nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« aufbauten.
Dank der Kommentierung kann der Leser Persönlichkeitsentwicklung von
Zentralfiguren der »Weißen Rose« nachvollziehen und darüber hinaus Verständnis
für jene Schwierigkeiten entwickeln, vor denen Historiker stehen, die den Widerstand
in Diktaturen erforschen. Denn wesentliche Aspekte finden gerade im Verborgenen
statt und sind quellenmäßig nur extrem schwierig zu fassen. Erst durch ein »Zusammenpuzzlen« verstreut überlieferter Informationen und
scharfes quellenkritisches Hinterfragen können gesicherte
Erkenntnissen gewonnen werden. Christiane Moll leistet diese mühsame
Arbeit vorbildlich.
Christopher Dowe,
in: FAZ am 26.11.2011
»Unsere höchsten Führer – alle – haben in ihren
Gesichtern eher den Ausdruck wilder Tiere als von Menschen.« Diese Äußerung vom
1. Mai 1937 zu seinen ersten Arbeitsdiensterfahrungen markiert definitiv
den Abschied Alexander Schmorells von seiner
jugendlichen Begeisterung für das System der Hitlerjugend und sie markiert den
Beginn einer radikalen Abkehr von aller Nazi-Ideologie
und -Praxis. Er schrieb das an seine Freundin Angelika Probst,
kurz nachdem er Abitur gemacht und seinen Arbeitsdienst begonnen hatte.
Alexander Schmorell und Christoph Probst
bildeten zusammen mit Hans und Sophie Scholl sowie Willi Graf den engsten Kreis
der studentischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose«. Die fünf
haben 1942/43 vor allem mit Flugblättern von München aus das
nationalsozialistische Regime bekämpft und sind deshalb 1943, zusammen mit dem
eine Generation älteren Kurt Huber, der das sechste und damit letzte Flugblatt
verfasst hatte, hingerichtet worden.
Die Münchener Historikerin Christiane Moll hat jetzt nach jahrzehntelangen
Recherchen in einem Werk von fast tausend Seiten 300 Briefe an und von Schmorell und Probst heraus
gegeben. Da die Briefe auf den ersten und zweiten Blick sehr »privat«, manchmal
intim und wenig politisch wirken, hat sich die Herausgeberin der Mühe
unterzogen, sie historisch und politisch zum Sprechen
zu bringen. So hat sie die einzelnen Dokumente nicht nur ausführlich
kommentiert, sondern sie hat auch die ganze Edition mit Biografien
von Schmorell und Probst
versehen, wie es sie in dieser Genauigkeit bisher nicht gab. Damit ist es
möglich geworden, auch diese beiden zentralen Repräsentanten der »Weißen Rose«,
die bisher in der einschlägigen Literatur im Schatten der Geschwister Scholl standen, in ihren Persönlichkeiten und Motiven besser
verstehen und würdigen zu können.
Alexander Schmorell wurde am 16. September 1917,
nur wenige Tage vor der Oktober-Revolution, in der
russischen Stadt Orenburg am Ural geboren. Seine
Mutter, die ein Jahr nach seiner Geburt starb, war Russin. Der Vater stammte
aus einer deutschen Familie, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert ins Land
gerufen worden waren. Die Familie musste in Folge der Revolution 1921 das Land
verlassen und siedelte sich danach in München an. Dennoch blieben in ihr die russische Sprache und die bürgerliche Kultur des
vorrevolutionären Russland lebendig. Obwohl Alexander Schmorell
in Russland nur in seinen ersten vier Lebensjahren und dann erst wieder 1942
für drei Monate als Soldat gewesen war, lebte »das alte Russland« in ihm als
Mythos und romantische Sehnsucht fort. Dieses Russland war für ihn das absolute
Gegenbild zum westlichen Materialismus und vor allem auch zum Nazi-Staat.
Christoph Probst (geboren am 6. November 1919 in
Murnau in Oberbayern) und Schmorell gingen ab dem
Schuljahr 1935/36 in die gleiche Klasse des Münchener »Neuen Realgymnasiums«
und wurden enge Freunde. Zu dieser Freundschaftsbeziehung gehörte auch Probsts
ältere Schwester Angelika, in die sich Schmorell
leidenschaftlich verliebte. Der Briefwechsel zwischen den beiden bildet ein
Kernstück der Edition. Auch die Probst-Geschwister
stammten aus einer bildungsbürgerlichen Familie, deren Lebensstil und Prägungen
weitgehend Gegenwelten zum NS-Staat darstellten. Aus den widerständigen
Gefühlen wurden ab 1942 politische Taten, und zwar im engen
Freundschaftsbund mit Hans und Sophie Scholl. Schmorell war mit Hans Scholl
Verfasser der ersten vier Flugblätter der »Weißen Rose«, die Ende Juni/ Anfang
Juli 1942 in der elterlichen Wohnung von Schmorell
hergestellt und an je etwa 100 Adressaten verteilt bzw. verschickt wurden. Das
fünfte Flugblatt verfasste Hans Scholl allein, das
sechste Kurt Huber. Nachdem die Geschwister Scholl
ohne Wissen von Probst und Schmorell am
18. Februar 1943 in der Münchener Universität das letzte Flugblatt
verteilt hatten, wurden sie verhaftet, bald danach auch Schmorell
und Probst. Die Scholls und Probst,
dessen jüngstes von insgesamt drei Kindern 14 Tage vor der Hinrichtung geboren
worden war, wurden am 22. Februar, Alexander Schmorell
am 13. Juli 1943 hingerichtet. Probsts Frau Herta, geb.
Dohrn, lebt heute noch, scheint sich aber an dieser Edition nicht beteiligt zu haben.
Zwei Anmerkungen:
Um als Leser den Überblick zur zeitlichen Abfolge der Weiße-Rose-Geschehnisse
bzw. zu den Biografien der Protagonisten nicht zu
verlieren, wäre eine Zeittafel hilfreich gewesen.
Im Gegensatz zu den Materialien rund um die Geschwister Scholl
aus dem Nachlass von Inge Aicher-Scholl, die im
Münchener »Institut für Zeitgeschichte« liegen und im Internet zugänglich sind,
waren und sind weitgehend die biografischen
Materialien zu Probst und Schmorell noch nicht
zugänglich. Vieles liegt heute im Münchener »Weiße-Rose-Institut«
(nicht zu verwechseln mit der »Weiße-Rose-Stiftung«)
und soll demnächst über das Bayerische
Hauptstaatsarchiv in München zugänglich gemacht werden.
Silvester Lechner,
in: Mitteilungen Nr. 55 (2011)
Alexander Schmorell und Christoph Probst bildeten zusammen mit Hans und Sophie Scholl sowie
Willi Graf den engsten Kreis der studentischen Widerstandsgruppe »Weiße Rose«.
Die fünf haben 1942/43 vor allem mit Flugblättern von
München aus das nationalsozialistische Regime bekämpft und sind deshalb 1943,
zusammen mit dem eine Generation älteren Kurt Huber, der ein sechstes Flugblatt verfasst hatte, hingerichtet
worden. Die Münchener Historikerin Christiane Moll hat 300 Briefe an und von Schmoreil und Probst zusammen mit
ihren Biografien und Kommentaren zum historischen
Umfeld veröffentlicht. Damit ist es möglich geworden, auch diese beiden Widerständler,
die bisher in der Weiße-Rose-Literatur im Schatten
der Geschwister Scholl standen, verstehen und würdigen
zu können.
Alexander Schmorell wurde am 16. September 1917
in der russischen Stadt Orenburg am Ural geboren.
Seine Mutter war Russin. Der Vater stammte aus einer deutschen Familie. Die
Familie musste in Folge der Revolution 1921 das Land verlassen und siedelte
sich danach in München an.
Dennoch blieben in ihr die russische Sprache und die
bürgerliche Kultur des vorrevolutionären Russlands lebendig. Obwohl Alexander Schmorell in Russland nur in seinen ersten vier
Lebensjahren und dann erst wieder 1942 für drei Monate als Soldat gewesen war,
lebte »das alte Russland« in ihm als Mythos und tiefe Sehnsucht fort. Dieses
Russland war für ihn das absolute Gegenbild zum westlichen Materialismus und
vor allem auch zum Nazi-Staat.
Christoph Probst und Schmorell
waren Schulkameraden und wurden enge Freunde. Zu dieser Freundschaft gehörte
auch Probsts ältere Schwester Angelika, in die sich Schmorell
leidenschaftlich verliebte. Der Briefwechsel zwischen den beiden bildet das
Kernstück der Edition. Auch die Probst-Geschwister
stammten aus einer bildungsbürgerlichen Familie, deren Lebensstil und Prägungen
weitgehend Gegenwelten zum NS-Staat darstellten.
Aus den widerständigen Gefühlen wurden ab 1942 politische Taten – in enger
Freundschaft mit Hans und Sophie Scholl. Schmorell war mit Hans Scholl
Verfasser der ersten vier Flugblätter der »Weißen Rose«, die Ende Juni/Anfang
Juli 1942 an je etwa 100 Adressaten verteilt wurden. Die Scholls
und Probst wurden am 22. Februar, Alexander Schmorell am 13. Juli 1943 hingerichtet.
Silvester
Lechner, in: Südwest Presse am 3.11.2011
Alexander Schmorell und
Christoph Probst sind vieles - nur keine Randfiguren
des Deutschen Widerstandes. Und dennoch kennt heute so gut wie keiner ihre Namen. Ganz anders verhält es sich hingegen mit Hans
und Sophie Scholl: Sie stehen für den bürgerlichen
Jugendwiderstand gegen die nationalsozialistische Diktatur in Deutschland. Ihre
Namen sind jedem ein Begriff. Doch sie handelten
nicht allein. An ihrer Seite waren neben Willi Graf
und Kurt Huber auch Alexander Schmorell (1917–1943;
Mitbegründer der Weißen Rose) und Christoph Probst (1919–1943). Beide waren
wichtige Stützen der Münchner Widerstandsgruppe.
In einer Edition der Historikerin Christiane Moll
erscheinen nun über 300 Briefe der beiden Widerstandskämpfer.
68 Jahre nach den »Weiße-Rose«-Prozessen
und werden die authentischen Quellen ungekürzt der Öffentlichkeit zugänglich
gemacht. Moll hofft, »dass sich nun die Sicht auf die Widerstandsgruppe «Weiße
Rose» etwas auflockern wird«. Schmorell und Probst bekommen endlich »eine Stimme und ein Gesicht«. Nicht
nur das Bild der Öffentlichkeit ist durch die Konzentration auf die Geschwister
Scholl verzerrt - auch die Wissenschaft legte den
Fokus allzu lange auf das Geschwisterpaar. Doch der verselbstständigte
Mythos der Geschwister Scholl hat nichts mit der
historischen Realität zu tun.
Begonnen hatte alles im Juni 1941, als Schmorell, der
seit der Schulzeit mit Probst befreundet war, Hans
Scholl kennen lernte. Gespräche und Diskussionen genügen ihnen
bald nicht mehr. Zusammen mit den Sophie Scholl, Willi
Graf und dem Universitäts-Professor Kurt Huber formieren sie den engsten Kreis
der Widerstandsgruppe »Weiße Rose«. Ab Sommer 1942 arbeiten sie
gemeinsam an sechs Flugblättern. In ihnen rufen sie
die Bevölkerung zum passiven Widerstand gegen das Nazi-Regime auf. In
nächtlichen Aktionen schreiben sie im Februar 1943 mit
Teerfarbe Parolen wie »Nieder mit Hitler«, »Hitlers Mörder« und »Freiheit« an
Münchner Gebäude.
Am 18. Februar 1943 werden die Geschwister Scholl beim
Verteilen von Flugblättern erwischt und verhaftet. Probst fliegt anschließend
ebenfalls auf und wird am 22. Februar 1943 mit Hans
und Sophie Scholl hingerichtet.
[…]
Erst 2002 kam das Projekt zur Edition zustande und
wäre ohne Zustimmung der Nachkommen beider Familien nicht möglich gewesen, die
die handschriftlichen Stücke aus ihrem Privatbesitz zur Verfügung stellten,
erklärt Moll. Den 158 bzw. 178 Briefen von Schmorell
und Probst stellt sie einen biografischen
Überblick voran, der sich erstmals ausführlich und differenziert mit den
Akteuren der »Weißen Rose« beschäftigt.
Vieles, wie die Repressionen und Verbrechen des NS-Regimes, auch ihre Fronterlebnisse, bleiben in den Briefen ungenannt.
Schließlich mussten sie während ihres Militärdienstes
jederzeit mit Postzensur rechnen. »Oft haben die Briefe einen unpolitischen
Inhalt und sind trotzdem nur an der Oberfläche harmlos«, so die Historikerin.
So lässt sich mit Hilfe der Briefe ein neuer Blick auf die Geschichte der »Weißen
Rose« werfen; ihre Vorgeschichte und die
Ereignisgeschichte werden um wichtige Fakten ergänzt. Das Buch schließt die
Lücke, die in der Forschung zu Probst und Schmorell besteht. Und vielleicht treten beide damit auch
aus dem Schatten von Hans und Sophie Scholl.
Carmen Schucker,
in: Der Tagesspiegel am 21.09.2011
Die
Besprechung von Bernd Heimberger auf Literaturmarkt.info ist hier
nachzulesen.
»Sonntag spielen wir Indianer, darauf freue ich
mich sehr.« Christoph Probst ist ein achtjähriger
Knirps, als er diese Zeilen kurz vor Pfingsten 1928 an seine Mutter richtet. 15
Jahre später schreibt er ihr aus der Todeszelle im
Gefängnis München-Stadelheim: »Eben erfahre ich, dass ich nur noch eine Stunde
Zeit habe.« Die Münchner Historikerin Christiane Moll hat jetzt 175 Briefe des
gebürtigen Murnauers veröffentlicht, dem 1943 ein
Flugblattentwurf zum Verhängnis wurde, das er für die Widerstandsgruppe Weiße Rose verfasst hatte. »Hitler und sein Regime müssen
fallen, damit Deutschland weiter lebt«, ist Probst
überzeugt, der zeitweise auch in Murnau lebte. Neben seinen Briefen hat Moll
auch Schriftstücke von Probsts Freund und Mitstreiter Alexander Schmorell veröffentlicht. Hinzu kommt eine umfangreiche
Einführung in beide Lebensläufe.
Während »in der Öffentlichkeit, in der Literatur und auch in den Filmen zumeist
das Geschwisterpaar Hans und Sophie Scholl als
Hauptprotagonisten wahrgenommen, ja die Geschichte der Weißen Rose mit ihnen
gleichgesetzt wurde, stehen in diesem Band ihre beiden Freunde Alexander Schmorell und Christoph Probst im Mittelpunkt«, erläutert
Moll, die zahlreiche Studien zur Weißen Rose publiziert hat.
Ihr zufolge schickte Probst einen Großteil der Briefe
an seine Stiefmutter Elise, die in Ruhpolding lebte. »Seit dem plötzlichen Tod
seines Vaters im Alter von 50 Jahren Ende Mai 1936 verband ihn eine enge und
vertrauensvolle Beziehung zu ihr«, weiß die
Historikerin. In gewisser Weise habe sich Probst
nunmehr für sie verantwortlich gefühlt, obwohl er erst 16 Jahre alt gewesen
sei. »Oft kommt der Schmerz, den Vater hier auf Erden verloren zu haben,
ungeheuer stark über mich«, schreibt er im Juni 1936 der Stiefmutter und fragt
sich: »Ob ich in meinem Leben noch einmal einem so großen Menschen begegnen
werde?«
Zahlreiche Briefe schickte »Christel« auch an seine ältere Schwester Angelika.
Ein Großteil von Probsts Schreiben ist aus den Kriegsjahren 1939 bis 1943
datiert. »Sie geben zumeist Zeugnis von seinem alltäglichen Leben als
Medizinstudent und Luftwaffenangehöriger, der entweder zum nebenberuflichen
Studium beurlaubt war oder als Sanitätsunteroffizier kaserniert leben musste«,
erklärt Moll. Im Januar 1943 hört Probst heimlich eine
deutschsprachige BBC-Sendung. Diese gibt ihm den Anstoß, den erwähnten
Flugblattentwurf zu verfassen.
So unterschiedlich Probst und Schmorell
»in ihrem Charakter und Temperament auch waren, so zeigen ihre Briefe sie vor
allem als junge, lebensfrohe, nachdenkliche, aber auch übermütige und
phantasievolle Studenten, die voller Sehnsucht auf eine selbstbestimmte Zukunft
in Frieden hofften«, schreibt Moll.
Roland Lory, in: Murnauer
Tagblatt Nr. 156 am 9./10. Juli 2011