Clemens Bergstedt, Heinz-Dieter Heimann, Knut Kiesant, Peter Knüvener, Mario Müller, Kurt Winkler (Hrsg.)

Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen

Die Mark Brandenburg im späten Mittelalter
Begleitband zum Ausstellungsverbund »Von Raubrittern und Schönen Madonnen« 2011/2012

 

Der vorliegende Band setzt die Reihe beeindruckender großformatiger Veröffentlichungen fort, die seit dem Brandenburgischen Klosterbuch (2007) in bewährter Zusammenarbeit von Landesgeschichte und regionaler Kunst- und Baugeschichte zur mittelalterlichen Mark Brandenburg erschienen sind. Es handelt sich um den Begleitband zu mehreren Ausstellungen, die als Verbund an verschiedenen Orten ab September 2011 stattfanden…
… »Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen« soll ein Bild der Mark Brandenburg im späten Mittelalter gezeichnet werden, das manches bisherige Geschichtsbild infrage stellt. »Raubritter« und »Schöne Madonnen« sollen als »einprägsame Geschichtsbilder und Epochenkennzeichen« den Leser bei der »Neuaneignung der mittelalterlichen Geschichte Brandenburgs«, näherhin »der Zeit zwischen ›Schwarzem Tod‹ und Reformation vom 14. bis ins 16. Jahrhundert«, begleiten. Tatsächlich bezieht der Band auch die gesamte Zeit der Herrschaft der Wittelsbacher (seit 1323) mit ein…
Die Quitzows spielen eine maßgebliche Rolle im Rahmen des Ausstellungsverbundes und im vorliegenden Band bei der Darstellung des Anliegens, überkommene Geschichtsbilder infrage zu stellen, da in einer in der Öffentlichkeit weit verbreiteten Sicht auf das (späte) Mittelalter das Bild von den »märkischen Raubrittern« mit den Brüdern Dietrich und Johann von Quitzow als Prototypen dominiert. Clemens Bergstedt korrigiert dieses in dem einleitenden Beitrag »Von Raubrittern« wie auch in einer weiteren Untersuchung (»Schuldscheine und Intrigen – Aufstieg und Fall der Quitzow-Brüder«)… Das zweite Titelschlagwort, die »Schönen Madonnen«, wurzelt nicht in einem überkommenen Geschichtsbild, sondern eröffnet einen Neuzugang zum Verständnis der spätmittelalterlichen Mark. Peter Knüvener, ausgewiesener Spezialist für die spätmittelalterliche Skulptur und Malerei in der Mark Brandenburg, zeigt, dass es sich bei den »Schönen Madonnen« um einen Typ von Madonnen handelt, der sich wohl von Böhmen aus verbreitete und den man als Inbegriff einer gotischen Skulptur auch in der Mark Brandenburg betrachten kann. Sie stehen »für die weit ausspannenden, bisweilen internationalen Netzwerke«, in die die Mark, »lange Zeit vor Friedrich dem Großen eine reiche Kulturlandschaft«, eingebunden war. Zu den vom Autor vorgestellten Kunstwerken gehören auch bisher nahezu unbekannte, wodurch der Blick auf manche neue Zusammenhänge geöffnet wird.
Das erste Kapitel wird vervollständigt durch folgende Beiträge. Mit der »Entdeckung der Alten Stadt« widmen sich Hathumar und Ludger Drost den Überresten eines einst blühenden mittelalterlichen Städtewesens, denen heute vorzugsweise touristischer Wert beigemessen wird, da diese Stadtkerne kaum mehr ihre Jahrhunderte lange zentrale wirtschaftliche Funktion als »Markt« zurückerhalten werden. Kurt Winkler schildert »die Musealisierung der Mark Brandenburg im 19. Jahrhundert« mit der Einrichtung des Märkischen Provinzialmuseums, der Tätigkeit von Ferdinand Quast als preußischem Denkmalkonservator und der Denkmalinventarisierung (Bergaus Inventar). Heinz-Dieter Heimann betont mit der »Erfindung des Mittelalters« die Zeitbedingtheit des Blickes, etwa heute in der Form der Neu- oder Wiederaneignung des Regionalen.
In seinem einleitenden Beitrag in die Herrschaftsgeschichte schildert Heimann »die Mark Brandenburg im Herrschaftsgefüge der Dynastien der Wittelsbacher und Luxemburger« … Gegen die verbreitete Ansicht von der unter Markgraf Jobst herrschenden Anarchie, auf die gewissermaßen als Notwendigkeit die Herrschaftsübernahme durch die Hohenzollern hätte folgen müssen, deutet Heimann andere Entwicklungsmöglichkeiten an, indem er auf die Gegenkräfte hinweist, die sich im Land selbst bildeten, neben den größeren Städten bestimmte Adelsfamilien wie die Gans von Putlitz und die Quitzows, die zumindest die Berücksichtigung ihrer Interessen verlangten…
»Die ersten hohenzollerischen Markgräfinnen und Markgrafen von Brandenburg« behandelt Mario Müller. Es ist begrüßenswert, dass die Frauen der Herrscherfamilien – soweit es angesichts der Quellenlage möglich ist – gleichberechtigt berücksichtigt werden und nicht nur als Randfiguren im Text erscheinen. In dem umfangreichen Abschnitt »Heiratspolitik« wird die Situation der Ehefrauen, Witwen und Töchter lebendig geschildert, im Übrigen stehen verständlicherweise die Markgrafen im Vordergrund. Nützlich ist im Anhang die Zusammenstellung der Daten für die brandenburgischen Markgrafen aus den Häusern Wittelsbach, Luxemburg und Zollern mit ihren Ehefrauen und den für die märkische Geschichte bedeutsamen Kindern…
»Religiöses Leben in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg« beschreibt Mario Müller als Einführung zum Kapitel »Vor und hinter Kirchentüren«. Angesichts der heute in weiten Kreisen der Bevölkerung mangelnden Kenntnisse ist dieser Überblick für das Verständnis des spätmittelalterlichen Brandenburg unentbehrlich … Das »Pilgerziel Wilsnack« war vom Ende des 14. bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts der bedeutendste Wallfahrtsort nicht nur in der Mark, sondern im nördlichen Europa. Jan Hrdina und Hartmut Kühne bieten neue Erkenntnisse über die »Anfänge eines europäischen Wallfahrtsortes«…
Drei grundlegende Beiträge von Joachim Stephan zur Situation der Bevölkerung in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg leiten die beiden Kapitel »In der Stadt…« »… und auf dem Land« ein. In »Stadt und Bürger« gibt der Autor zunächst einen Überblick über »die Städtelandschaft der Mark Brandenburg«, die sich durch große Ähnlichkeit der Städte auszeichnet, die überwiegend in der um 1320 ausklingenden »mittelalterlichen Stadtgründungswelle« entstanden. In der Schilderung der Situation der Städte im späten Mittelalter stellt er sowohl »die räumliche Struktur der Stadt« als auch ihre verschiedenen Bevölkerungsgruppen vor. Er beschließt den Beitrag mit der Darstellung der »Unterwerfung der Städte durch die Hohenzollern«, einer der wichtigsten Veränderungen im behandelten Zeitraum. Als Ergänzung in wirtschaftlicher Hinsicht kann der »Kampf um freie Wasserstraßen« dienen, den Sascha Bütow am Beispiel der Stadt Perleberg zeigt, für die seit 1307 eine Reihe von aussagekräftigen Quellen vorliegt. Er stellt die Konkurrenzsituation zwischen Gewässerstau zur Energiegewinnung (Wassermühlen) und freier Schifffahrt auf der Stepenitz zur Elbe (vor allem für Getreidetransporte) vor, ebenso die technischen Maßnahmen, um diese über Flutrinnen in Übereinstimmung zu bringen, und schließlich den Kampf der Stadt gegen von Anderen errichtete Hindernisse…
Die dauerhaften Bauten auf dem Land sind die Dorfkirchen. Marcus Cante bietet einen knappen, aber grundlegenden Überblick über die Entwicklung des ländlichen Kirchenbaus in der Mark: von den Feldsteinkirchen des hochmittelalterlichen Landesausbaues in der überwiegenden Zahl der Dörfer über die Stagnation in der Bautätigkeit im 14. bis hin zu den Neubauten von Steinkirchen im 15. Jahrhundert, häufig, wie im früh christianisierten Havelland, an der Stelle von Holzbauten. »Neue Formen im brandenburgischen Dorfkirchenbau«, die in der Forschung bisher kaum beachtet wurden, stellt er mit den spätgotischen Dorfkirchen vor, die durch Größe und baulichen Aufwand besonders hervorragen und bei denen der im dörflichen Kirchenbau bislang nicht übliche Backstein Verwendung fand. Die von Städten, Domkapiteln, adligen oder patrizischen Familien (zur repräsentativen Selbstdarstellung) in Auftrag gegebenen Bauten und ihre Ausstattung legen Zeugnis ab von der Stabilisierung der politischen Verhältnisse und der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Als Einzelbeispiele werden die Dorfkirchen im havelländischen Tremmen und in Briesen bei Cottbus mit ihren Wandmalereien vorgestellt…
»Die Königsberger Marienkirche und ihre Kunstschätze« stellen Peter Knüvener und Dirk Schumann vor, die sich um die Kunst- und Baugeschichte der Mark unter Einschluss der einst brandenburgischen Neumark wie der Altmark bereits große Verdienste erworben haben. Die Kirche ist nach Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in den letzten Jahren weitgehend rekonstruiert worden. Sie ist ebenso wie die Katharinenkirche in Brandenburg »aufs Prächtigste mit Backsteinornamenten verziert« und hatte wohl denselben Baumeister, nämlich Hinrich Brunsberg aus Stettin…
Evelin Wetter bietet die Einführung in die künstlerische Gestaltung der Mark: vom askanischen Erbe und dem wittelsbachischen »Zwischenspiel« über die böhmischen Luxemburger (mit der Burg Tangermünde als Residenz), das kirchliche Engagement und die Herrschaftskonsolidierung der Hohenzollern sowie die städtische Repräsentation bis zur Darstellung der Verluste infolge der Reformation… Zwei Gattungen aus der Zeit der Hohenzollern werden eigens vorgestellt: »Höfische Stoffe und gestickte Bilder« von Christa Jeitner und die eindrucksvolle »Glasmalerei in der Mark Brandenburg« von Frank Martin. »Fränkische Vorbilder für die Malerei in der Mark Brandenburg unter den ersten Hohenzollern« hatten, wie Robert Suckale betont, trotz des herausragenden Kunstzentrums Nürnberg, für die Mark anders als für Sachsen nur eine geringe Bedeutung. Er erklärt dies mit dem Gegensatz zwischen den hohenzollernschen Burggrafen und der Stadt Nürnberg. Dagegen können Kinga Krasnodębska und Peter Knüvener lange vergessene Verbindungen im Bereich der Kunst zwischen »Pommern« und der »Mark Brandenburg«, namentlich der Uckermark und Neumark, aufzeigen und auf Beziehungen zu Westfalen hinweisen, über die auch Einflüsse aus Süddeutschland in die Mark vermittelt wurden. Wie bereits Knüvener und Wetter betont haben, können manche märkische Kunstwerke weitreichende Handelsbeziehungen widerspiegeln…
Zusätzlich werden Einzelobjekte vorgestellt, so der »Heinersdorfer Kelch – ein Meisterwerk spätgotischer Goldschmiedekunst und Zeugnis europäischer Kunstbeziehungen im 15. Jahrhundert« von Lothar Lambacher, das »Sakramentshaus des St. Marien-Doms in Fürstenwalde – Hauptwerk kirchlicher Ausstattungskunst zu Beginn des 16. Jahrhunderts in der Mark Brandenburg« von Hartmut Krohm, die »Erztaufe der St. Marienkirche in Stendal« von Bettina Seyderhelm, das »Chorgestühl in der Wusterhausener St. Peter und Paulskirche« von Anja Seliger, der »Berliner Totentanz« in der Berliner Marienkirche von Birgit Zacke und die »spätmittelalterlichen Gestaltungen am Chorscheitel der Frankfurter Marienkirche« durch Außenskulpturen und -wandmalerei von Jan Raue, als Zeugnis der Einbeziehung des städtischen Raumes in die Selbstdarstellung bürgerlicher Familien »in den Fußstapfen der Landesherren«. In diesen Beiträgen werden in der Regel Datierung, Erläuterung des Bildprogramms, Einordnung in die zeitgenössischen Zusammenhänge, Herkunft des Objektes bzw. des Künstlers ursprüngliche Bestimmung und Stiftermotivation berücksichtigt.
Bemerkenswert ist die Tatsache, dass auch spezielle Einblicke in die Herstellung von Kunstwerken geboten werden. So stellt Werner Ziems die »märkischen Flügelaltäre« des 14. bis 16. Jahrhunderts als »Gesamtkunstwerke« und ihre Erhaltung mit der Technik ihrer Herstellung, späteren Veränderungen und heutigen restauratorischen Bemühungen vor. »Woher kommen die Sandsteine der märkischen Kunstwerke?« fragen Jörg Bowitz und Angela Ehling und beantworten die Frage auf der Grundlage der Provenienzanalyse mittels Infrarotspektroskopie (NIR-Spektroskopie): Es dominierte der Sandstein aus Bernburg an der Saale, für den gute Transportmöglichkeiten zu Wasser bestanden, gefolgt von dem aus Seehausen (südwestlich von Magdeburg), der zuerst von der Magdeburger Dombauhütte genutzt wurde.
Im letzten Kapitel führt Birgit Zacke in »Bildung und Dichtung in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg« ein. Sie bemüht sich um eine »ausgewogene Auswahl aus allen Bereichen der Literatur« und bietet damit einen zusätzlichen Beitrag zur Vorstellung der mittelalterlichen Mark als »Kulturland«. Es ist bemerkenswert, dass die herausragenden Beispiele für die höfische (Otto IV. als Minnesänger) wie für die geistliche Dichtung (Wichmann von Arnstein) aus askanischer Zeit stammen. Die politischen Lieder des späten Mittelalters singen das Lob der Markgrafen und Kurfürsten. Mit Johannes von Buch stellt Zacke einen der bedeutendsten Rechtsgelehrten der mittelalterlichen Mark Brandenburg (aus dem 14. Jh.) und seine Hauptwerke, die »Buchsche Glosse« zum Sachsenspiegel und »Richtsteig Landrechtes«, vor.
Beobachtungen und Überlegungen »zu den mittelalterlichen Anfängen des Theaters in der Mark Brandenburg« bietet Wolfgang Jansen: von fahrenden Spielleuten bis zu geistlichen Passions- und Osterspielen…
Ein eigenes Kapitel ist dem Kriegswesen gewidmet. Uwe Tresp bietet einleitend einen Überblick über »Kriegswesen und Kriegführung in der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg«, einschließlich der Burgen und des städtischen Militärwesens. Als Einzelbeispiele folgen die »Hussiten vor Bernau« (1432) von Tresp, die Kämpfe zwischen »Herzog Johann II. von Sagan« und den »Markgrafen von Brandenburg« im Rahmen des Glogauer Erbstreits (1478) von Mario Müller und der Sieg Markgraf Friedrichs I. über die Quitzows (1414) im Bild des Liedes »Und wenn es ein Jahr Fürsten regnen würde« des Brandenburger Notars Niklas Upschlacht von Clemens Bergstedt. Den Band abschließend, wirft Knut Kiesant noch einmal einen kritischen Blick auf die mittelalterlichen Ritter, und zwar als »Räuber und Helden« in den »Ritter-Abenteuern in der deutschen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts«, ein Bild, »das die deutsche Kultur- und Literaturgeschichte bis in die Gegenwart prägt«.
Das vorgestellte Werk vereint Überblicksdarstellungen und Spezialbeiträge mit Einblicken in den Fortgang der Forschung und zeichnet auf diese Weise ein vielfältiges Bild von der Struktur und Kultur der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg. Zu ihrem Verständnis trägt auch die reiche Bebilderung bei. Es ist ebenso zu begrüßen, dass – mitunter auch längere – Quellenpassagen in den Text eingefügt worden sind, die lateinischen, mittelnieder- und mittelhochdeutschen jeweils mit nebengestellter hochdeutscher Übersetzung. Beim Scannen aus Drucken des 19. Jahrhunderts muss allerdings darauf geachtet werden, dass das Lang-s in der Wiedergabe nicht als f erscheint … Als kleine sachliche Korrekturen seien angemerkt: Ferdinand Quast hat nicht die Stadt Frauenberg, sondern Frauenburg (heute Frombork) im Ermland beschrieben. Die tödliche Verwundung Herzog Kasimirs III. von Pommern vor Königsberg/Nm. (Chojna) ereignete sich nicht 1376, sondern 1372 im Kampf gegen Markgraf Otto von Brandenburg aus dem Hause Wittelsbach (nicht Otto V.). In formaler Hinsicht ist zu bemerken, dass in dem insgesamt vorzüglich gestalteten Band an einer Stelle die Reihenfolge der Seiten nicht korrekt ist: die Seite 242 muss zwischen 245 und 246 eingefügt werden. Angemerkt sei am Rande, dass der Rezensent sich an Fälle wie »die Finanzkraft ... gegen zu rechnen« der neuen deutschen Rechtschreibung nicht mehr gewöhnen wird. Diese abschließenden Bemerkungen sollen und können den hohen Wert des vorliegenden Bandes nicht mindern. Man vermisst allein ein Register, namentlich ein Ortsregister. Es ist überaus erfreulich, dass unter maßgeblichem Einsatz des Lehrstuhls für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Potsdam (Heinz-Dieter Heimann) und unter Beteiligung einer Vielzahl von Fachleuten aus den beteiligten Disziplinen ein wichtiges Werk zur Geschichte und Gestalt der spätmittelalterlichen Mark Brandenburg entstanden ist.
Winfried Schich, in: Jahrbuch für brandenburgische Landesgeschichte, Bd. 63 (2012)

 

Ein auf den ersten Blick rätselhafter, folglich erklärungsbedürftiger Buchtitel! »Dialog« meint: »Moderne trifft Mittelalter« zwecks »Neuaneignung der mittelalterlichen Geschichte Brandenburgs« (so die Herausgeber). Raubritter und Schöne Madonnen stehen für die Vielfalt landes- und kulturgeschichtlicher Aspekte des späten Mittelalters, das auch als »Vorabend der Reformation« gesehen wird – das Reformationsjubiläum 2017 wirft seinen Schatten voraus. Die beiden Titelstichworte verweisen aber zunächst auf die drei Ausstellungen des Jahres 2011, deren gemeinsamer Begleitband 55 meist reich und fast ausnahmslos farbig bebilderte Beiträge (von 41 Autorinnen und Autoren) versammelt: die Neupräsentation der Mittelaltersammlung der Stiftung Stadtmuseum Berlin, »Märkische Kunst – Bilderwelt des Mittelalters« im Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam und »Die Quitzows im Bild der märkischen Geschichte« im Museum Bischofsburg Ziesar…
Die »Schönen Madonnen«, vordergründig das rhetorische Gegenstück zu den »Raubrittern«, stehen beispielhaft für die – nicht erst im 15. Jahrhundert, sondern bereits in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts eingeleitete – Einbindung der Markgrafschaft Brandenburg in »internationale Beziehungsgeflechte« politischer, wirtschaftlicher und eben auch künstlerischer Art, die »eine reiche Kulturlandschaft« entstehen ließen, wie Peter Knüvener einleitend betont. Er und andere Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker haben in den letzten Jahren nicht wenige Bauwerke, Skulpturen, Tafelbilder und andere Kunstwerke regelrecht wiederentdeckt und ihre teils erstaunlich hohe Qualität erkannt, wobei es sich bei dem heutigen Bestand nur noch um den mehr oder weniger geringen Rest dessen handelt, was vor dem Dreißigjährigen Krieg (und anderen Katastrophen) einst vorhanden gewesen ist.
Auf die … unter der Überschrift »Neue Marksteine« [zusammengefassten Beiträge] folgen sieben weitere Abschnitte… Sie enthalten zunächst einleitende Beiträge, die in den Themenbereich einführen, und dann eine jeweils unterschiedliche Anzahl von Aufsätzen zu Spezialthemen… [Die einleitenden] Artikel wenden sich ganz offensichtlich nicht an Mediävisten, sondern an Mittelalter-Interessierte. Für diese Zielgruppe sind mehrfach Quellen wie Urkunden oder kurze literarische Texte vollständig im Wortlaut und mit neuhochdeutscher Übersetzung in den Gang der Darstellung integriert. Im Gegensatz dazu werden in einigen der Spezialbeiträge fachwissenschaftliche Diskussionen fortgeführt, deren Kenntnis vorausgesetzt wird.
Dennoch – oder gerade deshalb – dürfte hier wohl jede/r Leser/in seine bzw. ihre Entdeckungen machen: zum Beispiel einen Wilsnacker Siegelstempel im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg…; farbige Abbildungen von seit 1945 verschollenen Glasmalereien aus der Marienkirche in Königsberg in der Neumark…; Wandmalereien (um 1515) an der Außenwand(!) des Chorscheitels der Frankfurter Marienkirche, die bis 1990 hinter barocken Epitaphien verschwunden waren…; das »Wencksternsche Wasserschloss« in Kietz (Prignitz), ein neuerdings untersuchter Adelssitz des 15. Jahrhunderts; oder die ersten Ergebnisse einer neuen naturwissenschaftlichen Methode zur zerstörungsfreien Bestimmung der geographischen Herkunft des Sandsteins, aus dem spätmittelalterliche Skulpturen hergestellt worden sind… Diese – ganz subjektive und nur aus Platzgründen getroffene – Auswahl beinhaltet keine Bewertung, sondern soll zur eigenen Lektüre dieser wie auch der übrigen Artikel einladen.
Natürlich kann ein solcher Sammelband einerseits nicht alle denkbaren Aspekte seines Themenbereichs behandeln, und andererseits sind Überschneidungen, vereinzelt auch Widersprüche zwischen einzelnen Beiträgen unvermeidlich… Gelegentlich ist auch einmal ein Detail inhaltlich zu beanstanden…
Auch die Zahl der Tipp-, Druck- und sonstigen formalen Detailfehler hält sich insgesamt in sehr engen Grenzen, allerdings häufen sie sich gelegentlich in lateinischen Zitaten und Fachausdrücken…

Ungeachtet solcher [und anderer] kleinen Pannen handelt es sich um ein reich mit Bildern ausgestattetes Lesebuch, in dem übrigens auch die drei Ausstellungsplakate sowie sinnvollerweise zwei orientierende Karten abgedruckt sind: vorn »Die Mark Brandenburg um 1500« …, hinten »Klöster, Stifte, Domkapitel und Kommenden im Gebiet der Mark Brandenburg und des Markgraftums Niederlausitz in den Grenzen von 1575 sowie der Bundesländer Brandenburg und Berlin«… Dem Gemeinschaftswerk ist – im Interesse der beabsichtigten »Neuaneignung« im Sinne der Würdigung und Erhaltung der spätmittelalterlichen Kunstschätze – zu wünschen, dass es ein breiteres Publikum auch außerhalb akademischer Spezialistenkreise erreicht.
Christiane Schuchard, in:
Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 58, 2012

 

Der Berliner Lukas-Verlag hat einen opulenten Band herausgebracht: »Im Dialog mit Raubrittern und Schönen Madonnen« und dafür namhafte Historiker und Kunstgeschichtler als Autoren gewonnen. Die Beiträge des Bandes laden zur Neuaneignung der mittelalterlichen Geschichte Brandenburgs ein. In Erzählungen und Bildern erfahren die Leser von fast vergessenen Akteuren und von Kunstschätzen, die lange nur in den Museumsdepots standen.
Es geht um die Zeit zwischen dem »Schwarzen Tod«, der Pestzeit im 14. Jahrhundert, und der Reformation im 16. Jahrhundert in Brandenburg. In acht Kapiteln und über 50 Beiträgen erfährt der Leser von Lebensformen in einer fernen Welt, von einer Welt in Bewegung – im wechselnden Horizont der Kirchen und Burgen, der Städte, Dörfer und Höfe weltlicher und geistlicher Herren, von religiösen Bewegungen und Ansprüchen, künstlerischen Neuerungen und Glanzpunkten. Hinzu kommen Themen aus Literatur- und Militärgeschichte, die bisher selten in einem solchen Zusammenhang dargestellt wurden.
Dabei können interessante Entdeckungen gemacht werden. So sind in dem Buch Skulpturen des aus der Zeit um 1390 entstandenen gotischen Altar der Sankt-Jacobi-Kirche abgebildet, die im 19.Jahrhundert bei der Kirchenrenovierung entfernt wurden und sich heute in der Wustrauer Kirche befinden. Peter Knüvener stellt dazu fest, dass in der Prignitz »ein üppiger Reichtum an Kunstwerken« vorliegt.
Die Perleberger Holzfiguren weisen Beziehungen zu einem Altar aus der Lübecker Petrikirche auf, der als niederländisches Importwerk angesehen wird. Peter Knüvener merkt an: »Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die künstlerische Situation der Hansestadt Perleberg, die im Mittelalter einen weit über den engeren Umkreis hinausgehenden Handel betreibt und deren Bürger es sich leisten konnten, ihre Kirchen mit Kunstwerken aus weit entfernten Zentren auszuschmücken.«
In anderen Beiträgen werden die Kunstschätze im Havelberger Dom und in der Wilsnacker Wunderblutkirche gewürdigt, deren Entstehung dem Reichtum zu verdanken ist, welche durch die Wallfahrten in die Prignitz kam. Es handelt sich hier um den Havelberger Lettner, um Statuen, Glasfenster und Altäre. Das Pilgerziel Wilsnack wird ausführlich in einem zwölfseitigen Artikel von Jan Hrdina und Hartmut Kühne vorgestellt.
Neben dem Thema Kirchenkunst stehen die Städte und der Adel im Mittelpunkt der Untersuchungen. Die Wittstocker Burg samt Stadtbefestigung und die Dabernburg gehören zu den eindrucksvollsten erhaltenen Beispielen städtischer Wehranlagen des Mittelalters in Brandenburg. Die Burgruine von Kletzke und die Plattenburg finden ebenfalls im Buch Erwähnung. Ein Beitrag widmet sich der Binnenschifffahrt am Beispiel von Perleberg. Der Aufstieg und Fall des Adelsgeschlechts der Quitzows, das in Quitzow, Quitzöbel, Kletzke und Rühstädt zu Hause war, wird in einer Untersuchung beleuchtet.
Gordon Thalmann, Mitarbeiter der Denkmalbehörde im Landkreis, stellt das Wencksternche Wasserschloss in Kietz als Adelssitz vor. Es lohnt sich also für jeden historisch interessierten Prignitzer, dieses Buch in die Hand zu nehmen.
Wolfram Hennies, Märkische Allgemeine Zeitung, 4./5. Februar 2012