Plattdeutsche Singspiele
oder Marschlieder, wie sie der deutschnationalgeprägte Léon Jessel in großer
Zahl komponierte, sind sicher nicht die ersten Assoziationen, die sich
einstellen, wenn von ihm die Rede ist. Dass er Texte vertont hat wie »Wenn sich
Nigger mopsen tut, tut dem Nigger hopsen gut« (aus seiner Operette Das
Detektivmädel), erscheint aus heutiger Perspektive – wo Verlage in einem Akt
der political correctness aus der Kinderliteratur Vokabeln wie
»Chinesenmädchen« oder »Neger« eliminieren – nur auf den ersten Blick
befremdlich; es passt durchaus in die Zeit der ersten zwanzig Jahre des letzten
Jahrhunderts. Jessel feierte damals seine großen Erfolge und orientierte sich
ästhetisch und ideologisch am aufkommenden Nationalkonservativismus. Er war ein
Sympathisant von Mussolinis Faschismusumtrieben in Italien (der Marsch Morgenröte
ist ihm gewidmet), doch scheint ihm dessen antisemitische Grundhaltung
nicht bewusst gewesen zu sein. Es gehört zu den unbestrittenen Verdiensten der
Exilmusikforschung, dass sie die Lebensläufe verfolgter Musiker aufspürt und –
wie in diesem Fall besonders augenscheinlich – sie in allen (Un-)Tiefen
auslotet. Albrecht Dümling ist ein ausgewiesener Experte in diesem Fach, und er
arbeitet auch hier mit gewohnter Qualität alle Facetten dieses höchst
ambivalenten Komponistenlebens und dessen Verhaftetsein in den Zeitumständen
heraus. Die überaus spannend und informativ zu lesende Biografie, die in erster
Auflage bereits 1992 erschienen ist, wurde hier erweitert und stark
überarbeitet … Mit einem Werkverzeichnis und diversen Registern im Anhang
vorbildlich erschlossen, setzt dieses Buch Maßstäbe für weitere.
Claudia Niebel, in: Forum Musikbibliothek 2/2013
Zwei
zerrissene Lebensläufe – zwei sehr lesenswerte Studien zu deutschen
Komponisten, denen das Dritte Reich ihr Selbstverständnis raubte [gemeint sind
die Publikationen: Albrecht Dümling: »Verweigerte Heimat« und Christian
Lemmerich: »Winfried Zillig«]. Dem einst populären Operettenkomponisten und
getauften Juden Leon Jessel, der vehement und aus innerster Überzeugung für
seine Aufnahme in die Reichsmusikkammer stritt und 1942 Opfer der Gestapo
wurde, wird hier eine erste umfangreiche Würdigung geschenkt … Wichtige
Arbeiten für eine differenzierte Sicht auf die brutalen Zeitläufe einer noch
jungen Vergangenheit.
Michael Wackerbauer, in: neue
musikzeitung, 3/13 – 62. Jahrgang