Erik Straub
Ein Bild der Zerstörung
Archäologische Ausgrabungen im Spiegel ihrer Bildmedien

Visualisierungen in Wissenschaften haben Hochkonjunktur. Gemessen daran ist deren Rolle in der Archäologie immer noch unterbelichtet. Sie ist wie kaum eine Disziplin abhängig von Bildmaterial, leidet aber deutlichen Mangel an Untersuchungen zu dessen Bedeutung. Insofern ist es erfreulich, dass mit der Dissertation von Erik Straub, im Rahmen des Forschungsprojektes »Archive der Vergangenheit« am Winckelmann-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin entstanden, eine Arbeit erschienen ist, die sich den visuellen Verfahren in der Archäologie zuwendet.
Erik Straubs Arbeit trägt den treffenden Titel »Ein Bild der Zerstörung« (der mit einer ansprechenden Einbandgestaltung korrespondiert) und beschreibt damit sogleich ein Paradox: Die Ausgrabung macht einen wesentlichen Kern archäologischer Arbeit aus, gleichzeitig jedoch wird das, was sie an Informationen aufnimmt, durch die Tätigkeit des Ausgrabens zerstört. Die Untersuchung konzentriert sich (wenn auch nicht ausdrücklich) auf die deutschsprachige Klassische Archäologie, vereinzelt werden Beispiele aus der Prähistorischen Archäologie herangezogen. Ihr Ziel ist es, Bilder vor dem historischen Kontext nach ihren gesellschaftlichen und ästhetischen Bedeutungen zu befragen.
Nach einem allgemein gehaltenen, fototheoretischen Kapitel betrachtet Straub das in der seit 1843 erschienenen Archäologischen Zeitung (später: Archäologischer Anzeiger), einem der wichtigsten Veröffentlichungsorgane in der Klassischen Archäologie, verwendete Bildmaterial. Anschließend wird die Ausgrabung eines römischen Feldlagers in Haltern/Westfalen von 1899 bis 1916 anhand der Grabungspublikation auf die Verwendung visueller Verfahren hin untersucht, danach werden einzelne fotografische Aufnahmen von Grabungen auf ihren ästhetischen und wissenschaftlichen Gehalt hin diskutiert. Der zeitliche Fokus der Untersuchungen wird nicht näher expliziert, liegt aber in der zweiten Hälfte des 19. und im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts, während einzelne Beispiele bis in die 1940er-Jahre reichen.
Eingangs ruft Straub eine Reihe von Gewährsleuten des 19. 
(Dominique François Arago, William Henry Fox Talbot, Oliver Wendell Holmes) und 20. Jahrhunderts (Siegfried Kracauer, Walter Benjamin, Susan Sontag) auf, die zum Kanon der Fototheorie zu zählen sind. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern deren Ansätze für die Interpretation der archäologischen Bildpraxis hilfreich sind. Texte des 20. Jahrhunderts, deren Gegenstand vor allem das Massenmedium Fotografie war, scheinen nur bedingt relevant für die archäologiegeschichtliche Diskussion. Einzig bei den abschließend angeführten Wissenschaftshistorikern (Jonathan Crary, Lorraine Daston, Peter Galison) werden die von Daston und Galison entwickelten Ansätze zur Untersuchung von bildgebenden Verfahren und deren historischen Kriterien auch im weiteren Verlauf des Buches fruchtbar gemacht. Hier stellt sich die Frage, ob neuere Diskussionen, wie sie in der Literatur zu Visualisierungen in den Naturwissenschaften entwickelt wurden, nicht näher gelegen hätten.
Die Bildtafeln der Archäologischen Zeitung werden von Straub quantitativ nach der Art der Darstellung untersucht, dabei werden sieben Kategorien entwickelt, die von der Umrisszeichnung über verschiedene mehr oder weniger plastische zeichnerische Wiedergaben bis hin zur Fotografie reichen (auch wenn sie nicht an Abbildungsbeispielen erläutert werden). Für Bilder von Aktivitäten oder Zuständen auf Ausgrabungen konstatiert Straub vor allem einen Mangel, die ohnehin seltenen Architekturdarstellungen zeigten lediglich Pläne und Grundrisse. Er kommt darüber hinaus zu weiteren erhellenden Ergebnissen: Bildliche Wiedergaben antiker Plastik und Reliefs, die jeweils ca. 1/5 der Abbildungen einnehmen, werden verstärkt dreidimensional reproduziert; bei diesen Gattungen treten auch seit 1870 die ersten fotografischen Verfahren auf. Dagegen werden die prozentual am häufigsten Vasenbilder in Umrisszeichnung abgebildet.
Findet zunächst vor allem die Lithografie als Druckverfahren Verwendung, dominieren ab 1885 Lichtdrucke nach Fotografien. Straub stellt hier die einleuchtende These auf, dass die Einführung der Fotografie auch die anderen Darstellungen beeinflusst haben könnte. Er sieht generell das »Bemühen nach einer möglichst authentischen Darstellung der Objekte in ihren Material-, Oberflächen- und Formeigenschaften« (S. 51), mit dem die Durchsetzung der Stilkritik als Methode einhergehe, die von vielen Archäologen der Zeit in Abhängigkeit von der Fotografie begriffen worden sei. Straub erkennt eine Tendenz der verstärkten ,Objektivierung' im Umgang mit dem Material; hierunter versteht er das Prinzip des Nichteingreifens, erreicht durch technische Apparaturen und die Kontrolle der ausführenden Zeichner. Aus dem Fehlen an Grabungsfotografien schlussfolgert er, dass der Befundkontext eines Objektes innerhalb der klassischen Antike lange nicht für abbildungswürdig gehalten worden sei.
Anhand der Ausgrabung von Haltern, die sich durch reiches Bildmaterial wie durch textliche Ausführungen zum Stellenwert der Fotografie auszeichne, wird die These Straubs weiterentwickelt, dass die Fotografie das dominante Verfahren zur Dokumentation eines Grabungsbefundes gewesen sei, da nur sie, im Vergleich zur Zeichnung, die Totalität der Information wiedergeben könne und nur »überall dort wo die Photographie nicht ausreicht, die Zeichnung wieder hinzugezogen wird.« (S. 81) Dabei eigneten sich bestimmte Grabungsverfahren besser zu einer fotografischen Wiedergabe als andere. In diesem Zusammenhang hätte der Leser von einer stärkeren Berücksichtigung der Geschichte der Grabungstechniken profitiert. Die Schlussfolgerung Straubs, dass sich die »Archäologie [...] während dieser Ausgrabung von einer Messkunst in eine Augenkunst« gewandelt hätte (S. 95), ist sehr überzeugend. Diese Entwicklung setzte allerdings nach Einschätzung der Rezensentin schon weit früher ein, denn bedeutsam für die archäologische Ausgrabung insgesamt ist gerade der hohe Stellenwert, welcher der optischen Einschätzung von Färbung und Beschaffenheit von Erdschichten und Fundzusammenhängen gegeben wird. Ob man seiner Einschätzung folgt, dass nur die Fotografie »dem optischen Eindruck des Gesehenen am nächsten« sei und erst mit ihr einzelne Grabungszustände erfasst worden seien, während die Zeichnung demgegenüber es an Anschaulichkeit fehlen lasse und zu vereinfachend sei, muss fraglich bleiben (S. 100). Gegen die auch anfänglich (S. 12) aufgestellte These, die Integration von Fotografie auf der Grabung sei als ein linearer Prozess anzusehen, der die Zeichnung verdränge, ließe sich auch aufgrund der Quellen aus Haltern einwenden, dass die diversen Darstellungsverfahren komplementär gebraucht worden sind.
Die letzten Kapitel zur »Grabung als ästhetischer Raum« und »Grabung als wissenschaftlicher Raum« sind die stärksten des Bandes und fordern zum Weiterdenken heraus. Zunächst beschäftigt sich der Autor mit der Ästhetisierung von Grabungsfotografien, deren landschaftliche Aufnahmen sich an ästhetischen Mustern der Landschaftsmalerei und ihren Stilmitteln orientierten. Zugleich emotionalisierte sich der Moment der Entdeckung eines Fundes im Anschluss an ältere Beispiele seit dem 18. Jahrhundert. In archäologischen Fotografien, die den Moment des Auftauchens eines Fundes, zumeist einer Skulptur, als »archäologische Urszene« (S. 125) zeigten, werde der Grabungszusammenhang und -raum aufgelöst, um dem archäologischen Fund den Anschein des zufällig Gefundenen zu verleihen. Hieran anschließend betrachtet Straub, wie sich die Grabung selbst in ihrer Wissenschaftlichkeit darstellte. Dazu untersucht er Fotografien, die Aktionen bzw. Handlungen auf einer Grabung zeigen. Seine Analysekategorien dabei sind das Verhältnis der verschiedenen Personengruppen (Archäologen, Arbeiter) zueinander, die Funktion von technischem Gerät und die Frage, ob und in welcher Form die Ausgrabungsfläche für die Aufnahmen geordnet und präpariert wurde.
Die Arbeit löst ihren Anspruch, sich mit der Wechselwirkung von verschiedenen medialen Verfahren wie Fotografie, Zeichnungen und Aquarellen zu beschäftigen, nur punktuell ein. Vielmehr steht die Fotografie deutlich im Vordergrund, wo sie den teleologischen Gipfelpunkt der Abbildungsverfahren zu bilden scheint; in der engen Verschmelzung von Fotografie und Objektivität, die der Autor gegeben sieht (z.B. S. 149), wird nicht immer klar, wer welche Aussagen über die Fotografie und die ihr zugeschriebenen Charakteristika tätigt. Dieser Punkt wird noch verstärkt durch den Umstand, dass Druckverfahren in ihrer Bedeutung von zeichnerischen nicht unterschieden werden. So wird in einem Atemzug von »Zeichnung, Stich, Aquarell, Lithographie und Photographie« gesprochen, ohne auf die historische Entwicklung der Druckverfahren oder die für den Einsatz der Fotografie in gedruckten Werken entscheidenden Verfahren (Lichtdruck, Autotypie) einzugehen. Leider fehlt auch in den Abbildungen des Bandes die Beischrift der Verfahren, was bei einer Arbeit, die sich gerade diesem verschrieben hat, etwas überrascht.
In Entsprechung dazu wäre eine stärkere historische Einbettung und Kontextualisierung von Bild- und Textbeispiele wünschenswert gewesen. Der Autor ist dort überzeugend, wo er bildimmanent argumentiert, die zeitliche und räumliche Verankerung erfolgt jedoch nicht immer ausreichend, so dass kontextuelle und methodische Eckdaten vermisst werden. Etliche formale Punkte erschweren zudem das Lesen: Die Argumentation überzeugt nicht immer und ist nicht immer stringent, Prämissen bleiben unausgesprochen. Viele interessante Beobachtungen und Thesen des Autors erfahren im Text keine weitere Durchführung und Untermauerung. Besonders die Fußnoten bedürfen einer Revision, Vereinheitlichung und Komplettierung. Literaturverweise sind zum Teil offensichtlich versehentlich aus dem Literaturverzeichnis am Ende gelöscht worden oder passen teilweise nicht zum Text. Dass für den Nicht-Archäologen wichtige Fachbegriffe (z.B. Profil, Planum) und Protagonisten nicht hinreichend erläutert werden, ist verständlich; für ein Buch, dass sich in breiter wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive dem Feld der Archäologie zuwendet, wäre hier jedoch viel für den interdisziplinärem Diskurs gewonnen worden. Man hätte dem Band ein sorgfältiges Lektorat gewünscht, um das Thema und die guten Ideen des Autors angemessen zur Geltung zu bringen. Dagegen bleibt es sehr verdienstvoll, dass erstmals im deutschsprachigen Bereich Fragen nach medialen Bedingungen auch auf Ausgrabungen angewendet worden sind.

Stefanie Klamm in »H-Soz-u-Kult«, 10.02.2009