Friedhelm Greis, Stefanie Oswald (Hg.)
Aus Teutschland Deutschland machen
Ein politisches Lesebuch zur »Weltbühne«

 

 

Prägend war die Zeitschrift, die Siegfried Jacobsohn am 7. September 1905 in Berlin gründete, für das öffentliche Leben in Deutschland im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts. Spätestens seit dem Ende des Ersten Weltkriegs sprach sie alle an, die im weitesten Sinne links waren. Die Schaubühne, wie das wöchentlich erscheinende kulturelle Magazin bis 1918 hieß, stieß Diskussionen über die Wirklichkeit an, wie sie durch Literatur und Kunst vermittelt wurde. Die Weltbühne, wie Jacobsohn das »Blättchen« ab 1918 nannte, ging auf geistige, politische und gesellschaftliche Strömungen direkt ein. Die Be­trachtung von Theater und Kunst war endgültig zugunsten der Analyse dessen, was die Welt im Innersten zusammenhält, in den Hintergrund getreten.
Daher haben Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt, die im vergangenen Jahr ein Lesebuch mit Texten aus Schaubühne und Weltbühne zusammenstellten, auf die einst so typischen Rezensionen und auch weitgehend auf feuille-tonistische Betrachtungen verzichtet. Ihr Band »Aus Teutschland Deutschland machen« versammelt – in neun thematische Kapitel eingeteilt – Betrachtungen und Bemerkungen, die so typischen »Antworten«, Traktate, auch zeitbezogene Gedichte, Wirtschaftsanalysen und Auslandsberichte. Unter den Autoren befinden sich außer den Redakteuren Jacobsohn, Ossietzky und Tucholsky (mit all seinen PS) unter anderen Axel Eggebrecht, Lion Feuchtwanger, Kurt Hiller, Erich Kästner, Leo Lania, Heinz Pol und Ernst Toller - um nur das Spektrum anzudeuten.
Die Herausgeber haben in unglaublichen 48 000 Heftseiten der Jahre 1905 bis 1933 einige »Juwelen«, wie sie es nennen, wiederentdeckt. So manche Debatte wird hier, aus heutiger Sicht klug kommentiert, noch einmal angestoßen. Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt waren erstaunt, wie vieles doch mit heutigen Problemen korrespondiert. Stefanie Oswalt: »Wir waren verblüfft, Texte zu finden, die schon vor fast hundert Jahren über die Probleme der Globalisierung reflektierten, über Probleme der Massenarbeitslosigkeit, über Niedriglöhne und dergleichen mehr. Das hatten wir nicht erwartet. Dann gibt es Texte im Politikteil zum Beispiel, wo es um die Frage der Einigkeit derLinken geht. Also: Müssen sich Kommunisten und Sozialisten gegenseitig das Wasser abgraben?«
Im Kapitel »Gegen Krieg, Militarismus und Nationalwahn«, ein Themenkomplex, in dem die Weltbühne besonders engagiert war, kann man Ignaz Wrobels programmatische Sätze von 1928 lesen: »Wir halten den Krieg der Nationalstaaten für ein Verbrechen, und wir bekämpfen ihn, wo wir können, wann wir können, mit welchen Mitteln wir können. Wir sind Landesverräter. Aber wir verraten einen Staat, den wir verneinen, zugunsten eines Landes, das wir lieben, für den Frieden und für unser wirkliches Vaterland: Europa.«
»Der Kampf um die erste deutsche Demokratie« heißt das Kapitel um die Irrwege und Fehlentwicklungen der Weimarer Republik, die die Weltbühne kritisch begleitete. Das Meinungsspektrum wird angedeutet durch einen Schmäh­artikel gegen Rosa Luxemburg, den Johannes Fischart (d. i. Erich Dombrowski) Tage vor ihrer Ermordung verfaßte: »Aufs Konspirieren und Revolutionieren hat sie sich seit jeher verstanden. Sie müßte nicht aus Russisch-Polen gekommen sein, um nicht in der Schule politischer Minierarbeit etwas gelernt zu haben.« Am Ende des selben Jahres nennt die Weltbühne Rosa Luxemburg eine »revolutionäre Heldin«.
Meinungsstreit, der erfrischend sein könnte, ginge es nicht um den Um­gang der Revolution mit Menschenleben, findet sich in dem Kapitel »Europa und die Welt«. Arnold Zweig und Bruno Frei, zwei Publizisten, die auch noch in den zweiten Nachkriegsjahrzehnten Weltbühnen-Autoren blieben, beteiligten sich an einer hitzig geführten Debatte um den Umgang der sowjetischen Führung mit vermeintlichen Regimegegnern. Bruno Frei schrieb an Zweig im Dezember 1931: »Die Saboteure in der Sowjetunion sind ein Teil des Kriegsapparates, der gegen den Sowjetstaat organisiert wird. Sie (gemeint ist Arnold Zweig, F.B.) protestieren gegen ihre Erschießung. Die ganze Welt hallt wider von dem Kriegsgeschrei gegen die Sowjetunion, und Sie entrüsten sich über die Phraseologie der Kriegsberichterstattung. Jawohl, es ist Krieg, und er wird dadurch nicht aus der Welt geschafft, daß man sich auf die Ofenbank legt und die Augen zumacht.«
Ein weiteres Kapitel beschäftigt sich mit »Judenheit, Zionismus und Antisemitismus«, ein Thema, zu dem seit Schaubühnen-Zeiten Meinungsverschie­denheiten im »Blättchen« ausgetragen wurden. Auch über die Geschichte Palästinas kann man hier vergessene Details auffrischen, so über das Verhalten der britischen Mandatsmacht wie der Zionisten gegenüber der arabischen Bevölkerung. Dazu wurde ein Beitrag von L. Goldberg von 1926 aufgenommen, einem Verfasser, über den nichts Näheres bekannt ist. Doch Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt machten es sich zum Prinzip, nicht nur prominente Autoren in ihrer Auswahl zu Wort kommen zu lassen, die in Kurzbiographien vorgestellt werden.
Natürlich vermißt der Kenner auch den einen oder anderen Autor. Warum fehlt Rudolf Arnheim? Wo sind Robert und Jürgen Kuczynski? Bei einer Buchvorstellung im Berliner Brecht-Zentrum im Frühjahr gab es Zuschauer, die sich als DDR-Bürger herabgesetzt fühlten, weil die Nachkriegsjahrzehnte in diesem Band keine Rolle spielten. Doch das muß eine andere Edition leisten, die es hoffentlich einmal geben wird. Das vorliegende Buch ist ein Lesevergnügen, ein anregender Unterricht in Geschichte und Stilkunde, eine Fundgrube seltener Art.
Frank Burkhard in Das Blättchen vom 31. August 2009

 

 

»Die Weltbühne« [The World Stage] was a small but influential weekly which existed from 1905 (initially entitled »Die Schaubühne«) until 1933; it was banned after the Nazis took power. Though each edition contained only around 30 pages and no photographs, the political insights of its contributors, the incorruptibility of its editors Siegfried Jacobsohn, Kurt Tucholsky and Carl von Ossietzky and the stylistic quality of its writing made the weekly into a beacon in dark times for Germany and the rest of Europe. A complete reprint of »Die Weltbühne« was issued by the Athenäum Verlag in 1978, but at a price which only university professors and libraries could afford. Now Friedhelm Greis and Stefanie Oswalt, journalists from Berlin, like the weekly’s original editors, have produced a ›best of‹ anthology, containing chapters on »Die Weltbühne’s« history, its anti-war stance, the battle for democracy in the Weimar Republic, the economy between capitalism and socialism, citizens’ rights and civil society, Europe and the world, the struggle for a more truthful, uncensored press, anti-Semitism and Zionism and Germany’s final descent into the barbarism of the Third Reich. Each article is briefly set in context and each chapter is preceded by an explanatory introduction which transports the readers of the noughties back into the world of the 1920s. A short supplement follows on the efforts made to continue publishing the journal in exile – in Vienna, Prague and Paris – and the post-war East German publication, a pale shadow of its predecessor. Brief biographies of the contributors to the anthology and an impressively detailed bibliography round off the volume.
»
Die Weltbühne’s« position was on the left, but independent of political parties. Its authors, with the exception of the Social Democrat Robert Breuer, later press spokesman for President Friedrich Ebert, were generally critical of the compromises made by the Sozialdemokratische Partei Deutschlands (Social-democratic Party of Germany) (SPD) leaders during the 1918–1919 Revolution. Though Jacobsohn and his colleagues had little enthusiasm for a Communist dictatorship or a planned economy based on the Soviet model, they recognized even at the time that Ebert, Noske and their colleagues had missed the chance to establish German democracy on a suitably solid basis, by removing its opponents in the military, judiciary, civil service and education system from their positions of power. As a result, the Republic remained weak, a prey to its ruthless, reactionary enemies. The bloody crushing of left-wing risings in the first half of 1919 also entrenched a dangerous split in the labour movement, which made it impossible for SPD and Kommunistische Partei Deutschlands (Communist Party of Germany) (KPD) supporters to unite in defence of democracy in its hour of need.
The weekly’s role as a strong supporter of parliamentary democracy becomes clear in these pages, as does the disillusionment of many contributors when their compatriots in 1925 elected the former commander-in-chief Paul von Hindenburg as head of state. The reactionary and increasingly senile monarchist did indeed betray the Republic, first to a series of unelected governments ruling by emergency decrees and then to Hitler. Ossietzky, already the victim of one miscarriage of justice at the hands of vengeful Defence Ministry officials and biased judges 18 months earlier, stayed at his post, was arrested on the night of the Reichstag fire and sent to a succession of concentration camps. His works, and those of his exiled colleague Tucholsky, were burned in the auto-da-fé of 10 May 1933, and, along with seven other prominent »Die Weltbühne« contributors, their German citizenship was revoked in August of that year. Although his former colleagues organised an ultimately successful campaign to have him awarded the Nobel Peace Prize, Ossietzky’s martyrdom at the hands of the SS continued until just before his death in 1938; Tucholsky had committed suicide in Sweden some two and a half years before.

The particular merit of this volume is that it takes readers well beyond this tragic, but also well-trodden path. Articles on France and Mussolini’s Italy, the problems and promise of the Soviet Union and controversies over the future of Zionism in Palestine cover lesser known areas of the journal’s activities, as does the chapter on press bias and the dangers of censorship – officially outlawed by the liberal Constitution, but reintroduced by the back door in the form of a law ostensibly to protect minors from the evils of pornography. (In the view of several »Die Weltbühne« contributors, legislation to outlaw the glorification of militarism and to discourage future wars would have been more sensible.) Captains of industry such as the steel magnate August Thyssen and the conglomerate king of the post-war inflation era Hugo Stinnes are demystified by the economists Alfons Goldschmidt and Felix Pinner, while the myth that Germany was brought to its knees through excessive reparations payments to the Allies is exposed by Fritz Sternberg.
On the rise of Nazism the editors reveal that the »Die Weltbühne’s« authors did not always get their forecasts right. For all his undoubted courage, Ossietzky underestimated Hitler as a ›mollycoddled pyjama character‹. Tucholsky likewise failed to perceive any demonic presence and was oblivious to the strength conferred on the Führer by his mass movement and private armies, something which the traditional German right-wing Nationalists could not match. On the other hand, the dramatist Ernst Toller, already the victim of an unjust five year prison sentence in Bavaria in the early 1920s, had no illusions as to what would happen if the Nazis were ever permitted to come to power: naked, brutal terror against socialists, communists, pacifists and the few remaining democrats was forecast as early as the Nazis’ first election success in October 1930. The anarchist Erich Mühsam, another former victim of Bavarian injustice, a year later revealed the only antidote to fascist poison: working class unity in defiance of their quarrelling leaders and a general strike to begin on the day the first swastikas were hoisted on public buildings. Like Ossietzky, Mühsam paid for his articles with arrest, torture and death, while Toller took his own life in exile. Germany’s Republican politicians went down without a fight: the responses of Hellmut von Gerlach or Hanns-Erich Kaminski to Chancellor von Papen’s summary and unconstitutional removal of the elected Prussian government in July 1932 are among the few noteworthy omissions from this volume. But in an age when the sword was mightier than the pen, »Die Weltbühne« fought the good fight beyond the call of duty. In demonstrating the weekly’s role to a new generation, revealing the integrity of editors and contributors, and not least in producing this book at an affordable price. Greis and Oswalt have performed a service to the history of German democracy; in focusing on the struggle against authoritarian rule and wars of aggression they show that the journal’s aims and values remain painfully relevant today.

Ian King, in: Journal of Contemporary European Studies, Vol. 16. Issue 3, 2008

Großmutter, die Kluge, sagte: Bücher sind Lehrmeister, die nicht brummen! Großmutter, die Kluge, war eine emsige und gewissenhafte Leserin der »Weltbühne«. Über Siegfried Jacobsohn, Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky sprach sie wie über Verwandte. »Weltbühnen«-Leser waren Verwandte im Geiste. Sie waren Teil der Familie des linksbürgerlich, intellektuellen Deutschlands. Wie die Vorfahren, haben die Nachkommen der »Weltbühnen« Leser eine besondere Beziehung zu dem »Blättchen«, das Jacobsohn 1905 als »Schaubühne« gründete.
Über die »Weltbühne« schreibt anders, wer seine besondere Beziehung und somit Bindung zu der Zeitschrift hat. Anders als es Friedhelm Greis, Jahrgang 1966 und Stefanie Oswalt, Jahrgang 1967, tun. Sie schreiben, etwas ungerecht geurteilt, beziehungslos und bindungslos. Greis und Oswalt haben den voluminösen Band »Aus Teutschland Deutschland machen« herausgegeben, der »Ein Politisches Lesebuch zur ›Weltbühne‹« ist. Gut, weil auch gefühlt, ist das Vorwort, das Heribert Prantl von der »Süddeutschen Zeitung« verfasste. In Prantls Worten ist der Geist der Weltbühnen-Autoren, die ihren Lesern die Bühne der deutschen Welt auf eine so beispielhaft-anschauliche Art präsentierten. Etwas von diesem Gehalt wäre den begleitenden Zwischentexten zum Buch zu wünschen gewesen. Nicht Jammern, was nicht ist, ist nicht! Es ist in dem Band genug, was ihn wichtig und wertvoll macht. Nicht für die letzten Mohikaner der »Weltbühnen«-Zeit, die erst endete, als sich Neu-Deutschland in die Zeitgeschichte drängte. (Worüber, auch, einmal nachzudenken wäre!) Das Lesebuch ist im besten Sinne ein Buch zum Nach-Lesen für die Nachgeborenen. Das Lesebuch, das vorliegt, ist eine Chronik zur Geschichte Deutschlands, die die tragischen Entwicklungen während der ersten Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts in Deutschland nicht nur auflistete.
Die Autoren, die für die Weltbühne schrieben, sind allesamt analysierende Individualisten gewesen, die von Demokratie nicht schwafelten, sondern in jedem ihrer publizistischen Beiträge Demokratie praktizierten. Sie lebten das Wagnis Demokratie mit jeder Zeile. Sie lebten ihr Engagement, das den Geist entgrenzte und die Grenzen des Geistes ganz schnell offenbarte. Ohne Häme ist, nach über einem dreiviertel Jahrhundert, zu lesen, wie oft die drei Großen (Jacobsohn, Ossietzky, Tucholsky) irrten und so mancher Kollege mit ihnen. Und mit Genugtuung wird gelesen werden, welche – prophetische? – Welt-Weit-Sicht die meisten Schreiber der »Weltbühne« hatten. Ein Satz von Alfred Polgar könnte täglich über allen Tageszeitungen stehen: »Die Erde zahlt mächtig drauf«. Was wäre möglich in dieser Welt, wäre dieser Satz im Sinn aller Handelnden?
Weinen, weil die Welt nicht schlauer geworden ist? Auch nicht mit der schlauen »Weltbühne« vor der Nase. Erwarten, dass die Welt schlauer wird durch die Nach-Lesenden? Man muss von so einem Lesebuch nicht mehr erwarten, als so ein Lesebuch vermag. Es ist kein Ratgeberbuch. Es ist ein Buch nie versiegender Anregungen, die die Vergangenheit fortgesetzt der Gegenwart gibt. Als Polemiker, Propagandisten, pastorale Prediger sind die Schreiber der »Weltbühne« Publizisten einprägsamer Stimmen gewesen, die mit keinem gleichmütigen, gleichgültigen, Ton einschläferten. Die ausgewählten Texte haben eine Lautstärke, die nicht verhallt ist. Es sind viele der Texte in dem Band, von denen die Altvorderen schwärmten, wenn sie von ihrer »Weltbühne« schwärmten. Aus guten Grund! Zu Recht! »Weltbühne«-Texte sind wieder und wieder zu lesende, lesbare Texte. Sie gehören zum Besten der deutschen Publizistik des 20. Jahrhunderts. Einiges vom Besten ist in dem Band »Aus Teutschland Deutschland machen«. Ein für das Land immer programmatisch gebliebener Titel. Warum macht Teutschland nicht aus Teutschland Deutschland? Sicher hätte sich Großmutter, die Kluge, diese Frage vor zwei Jahrzehnten gestellt. Und sicher hätte sich Großmutter, die Kluge, gewundert, dass ihre »Weltbühne« just in dem Moment von der Bühne verschwand, als die Chancen gut schienen, die Frage endlich zu beantworten.
Bernd Heimberger auf »Literaturmarkt.info« am 11.05.2009.

 

ZEIT-Mitarbeiter empfehlen Bücher zu Weihnachten – Rubrik »Auch für junge Leser«: Jacobsohn, Tucholsky, Ossietzky – die beste aller Journalistenschulen.
Benedikt Erenz in: »Die Zeit«, Nr. 51 vom 11. Dezember 2008

 

[…] Jetzt haben Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt, welche bereits eine spannende Biografie über Siegfried Jacobsohn geschrieben hat, einige dieser Texte in einem Lesebuch veröffentlicht. Sehr gut eingeleitet, nach Themen zugeordnet und kommentiert, kann man das Ringen um ein besseres Deutschland nachverfolgen und bekommt einen Eindruck vom Kampf der kleinen Zeitschrift ums Überleben, den Tucholsky, der Vielschreiber mit fünf Pseudonymen, 1926 (noch) heiter glossiert […]
Irene Armbruster in: »aufbau 11«, November 2008

 

 

Obwohl sie in ihren besten Zeiten nur eine Auflage von gerade mal 15 000 Exemplaren zählte, schrieben die besten Autoren der Weimarer Republik für die »Weltbühne«. Deren Chefredaktion übernahm, nach dem Tod ihres Gründers Siegfried Jacobsohn, der später ins KZ gesperrte Carl von Ossietzky. Die »Weltbühne«, die seit 1905 zunächst als »Schaubühne« erschien, war bis zu ihrem Verbot im März 1933 das Forum der intellektuellen Linken. Hier durften sie politisieren, provozieren, polemisieren. Die Zeitschrift war »ein großer Ort der Pressefreiheit«, wie Heribert Prantl im Vorwort zu dem »politischen Lesebuch« schreibt, das Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt jetzt herausgegeben haben. Mit ihrer Auswahl an Texten wollen sie unter anderem die damaligen Entwicklungen aus der Perspektive der »Weltbühne«-Autoren aufzeigen, deren Analysen sich zum Teil als verblüffend aktuell erweisen.
»journalist«, 9/2008

 

 

»Leisetreter, befreit mich von euerm Lesertum!« – war eines der Motti von Siegfried Jacobsohn, der die legendäre »Weltbühne« (sein »geronnenes Herzblut») 21 Jahre lang bis zu seinem Tod herausgab und zusammen mit seinen sprachgewaltigen Autoren zu einem scharfen Schwert in den politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit machte. Das Blatt erschien von September 1905 bis März 1933, kurz bevor die Bücher zahlreicher ihrer Autoren im Feuer brannten. Von den rund 48 000 Seiten Text sind in der Anthologie »Aus Teutschland Deutschland machen« 200 Beiträge von 79 Autoren (von Bab über Kästner, Mühsam, Polgar und Tucholsky bis Zweig) vereint. Sie spiegeln das linksliberale, bürgerliche Denken der Weimarer Republik wider, sind zugleich aber verblüffend aktuell und modern. Die Herausgeber beschränkten sich bei der Auswahl auf Themengebiete wie Militarismus, Wirtschaft, Europapolitik, Demokratie (zu jedem Kapitel gibt es einen einführenden Text zur Zeit- und Zeitungsgeschichte), zu denen auch heutige Leser noch Bezüge herstellen können. Da »wimmelt« es vor geschichtsträchtigen Namen wie Sacco und Vanzetti oder Luxemburg und Daten wie die missglückte Novemberrevolution oder »Zehn Jahre Rote Armee« und um Themen, die heute noch oder wieder diskutiert werden - vom Schwangerschaftsabbruch bis zur Pressefreiheit. Ein Kapitel vereint kontroverse Beiträge (der oft jüdischen Autoren) zu jüdischen Fragen: die Hetze gegen jüdische Soldaten, das Schicksal der Ostjuden, das Experiment der neu gegründeten Kibbuzim in Palästina oder die Anbiederung deutscher Juden an nationalistische Organisationen.
Heribert Prantl schreibt in seinem Vorwort: »Die Autoren der »Weltbühne« haben die Entsetzlichkeiten der Hitlerei vorhergesehen und waren trotzdem keine Hellseher; manchmal haben sie geschrieben, ja geschrien wie die Propheten, sie waren aber keine. Sie gehörten zu den klügsten Köpfen, die es in Deutschland gab, und trotzdem war ihr Urteil oft nicht das klügste. Die »Weltbühne« ist daher auch eine Bühne gewaltiger Irrtümer, eine Menagerie falscher Hoffnungen, ein Ort der politischen Phantasmagorien … sie ist wie ein Vulkan, ein Vulkan, von dem man Generationen später noch spürt, wie aktiv er war.«

Jüdisches Berlin, September 2008

 

»Es gibt ein Kunstgesetz, das ewig ist: Wir wollen nicht gelangweilt werden!«, schrieb Kurt Tucholsky. »Die Weltbühne«, das Forum der intellektuellen, bürgerlichen Linken der Weimarer Republik, zu deren wichtigsten Mitarbeitern Tucholsky neben Carl von Ossietzky, Erich Kastner, Kurt Hiller, Hellmut von Gerlach und vielen anderen prominenten Schriftstellern und Journalisten zählte, war nie langweilig. In neun thematisch gegliederten Kapiteln präsentiert dieser Band eine gelungene Auswahl: politische Leitartikel, kritische Analysen, Essays, Reportagen, Porträts. Man staunt und fragt sich, warum es ein Periodikum dieser Qualität heutzutage nicht mehr gibt. Heribert Prantl hat recht: »Die ›Weltbühne‹ ist kein Lehrbuch für politische Ausgewogenheit; sie ist wie ein Vulkan, ein Vulkan, von dem man Generationen später noch spürt, wie aktiv er war.«

Volker Ullrich, in: Die Zeit, Nr. 35, 21.08.2008.

 

»Von allen Souveränitätsrechten liegt dem edlen Fürstentum natürlich weitaus am meisten an der Steuerhoheit. Dank ihrer konnten sich 579 Aktiengesellschaften auf drei Quadratmeilen ansiedeln.« Ein »Parasit« sei Liechtenstein, so Hellmut von Gerlach, eine »Eiterbeule«, die aufgestochen werden müsse. So in der Weltbühne, am 21.2.1933. Man war dort nicht zimperlich. Bissig gegen alles, was politisch oder kulturell irgend nach Reaktion oder Stumpfsinn klang. Und das war sehr viel. Nur Weniges aus der Ägide des legendären Carl von Ossietzky der Jahre 1918–1933 ist in dieser engagierten Auswahl versammelt, doch ist es ein mächtiger Band, dem man gerne mehr Leser als der Weltbühne damals wünschte. Denn niedriger als die Auflage des Freitag heute war das: ganze 15 000. Doch welche Namen, welch scharfe Intelligenz und prägnante Sprache. Welch Zorn und Spott! »Es braucht ein hohes Ideal / der nationale Mann, / daran er morgens allemal/ein wenig turnen kann. / […] Das Dritte Reich? / Bitte sehr! Bitte gleich!« - spöttelte Theobald Tiger. 1936 turnte in Deutschland die Welt zu Gast, olympische Nazifreunde und Opportunisten. Da gab's im Exil die Neue Weltbühne ,inzwischen unter dubiosen Besitzverhältnissen und arg moskautreu.

Freitag, 33, 15.08.2008.

 

Wer alte Weltbühnenhefte – jene legendären, ziegelroten, mit Bauchbinde verzierten, aus den Jahren 1905 bis 1933 – lesen will, muss heute keine Antiquariate mehr bemühen. Es gibt eine Reprintausgabe, in guten Bibliotheken erhältlich. Wem aber das eigenhändige Stöbern darin zu mühsam ist, für den erschien jetzt ein »Politisches Lesebuch«.
Der Band hat reichlich zwei Pfund Lebendgewicht, herausgegeben von zwei Experten, Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt: »Aus Teutschland Deutschland machen«. Der Titel stammt – wie sollte es anders sein – von Kurt Tucholsky, aus dem Jahre 1930. Er leitete das Blättchen fünf Monate lang 1926 und 1927.
»Wir verzichten darauf, die Originaltexte zu illustrieren. Bis zuletzt hat die »Weltbühne« ganz auf die Kraft des Wortes vertraut…« heißt es in der editorischen Notiz der Herausgeber. Ganz aufs Bild verzichtete man in diesem Buch aber nicht – die jeweiligen Einleitungsartikel von neun Komplexen sind mit Fotos und Faksimiles durchaus angereichert. Die Komplexe selbst heißen dann beispielsweise »Wirtschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus«, »Bürgerrechte und Zivilgesellschaft« oder »Judenheit, Zionismus, Antisemitismus« – jeder Original-Artikel wird sodann kurz in seinem Zusammenhang kommentiert, die Personen der Zeitgeschichte werden dem Unkundigen vorgestellt.
Das Buch wendet sich also betont politischen Themen zu, weshalb die Kunst, insbesondere das Theater und die vielen Schnurrpfeifereien, die besonders Kurt Tucholsky so sehr liebte, gar nicht auftauchen. Alfred Polgar zum Beispiel, der immerhin 742 Beiträge für die »Weltbühne« schrieb, ist hier nur ein einziges Mal abgedruckt. Die vor genau 25 Jahren erschienene, nach 1990 neu aufgelegte, ebenfalls dickleibige Arbeit von Ursula Madrasch-Groschopp war da weitsinniger – zumal dort die gesamte Weltbühnengeschichte, also auch die der Exilzeitschrift und der Nachkriegsweltbühne in der DDR, abgehandelt wird. Hier also bewusste Eingrenzung auf Originaltexte der Blütejahre der »Weltbühne«, samt redaktionellen Antworten, die trotz kleinen Umfangs oft große Sprachkunstwerke sind. Es gibt dabei ein ausführliches Autorenverzeichnis – wo man dann solche Fakten wie die 742 Beiträge Polgars findet. Da liest man auch von einem Emil Rabold, geboren am 25. Juni 1886 im thüringischen Wurzbach bei Bad Lobenstein, vermutlich in Großbritannien gestorben. Elf Texte veröffentlichte er im Blättchen und schrieb 1926 über den »Volksentscheid zur entschädigungslosen Fürstenenteignung«. Wäre das nicht für die Literaturlandkarte Thüringens – zum Beispiel anlässlich des »Tages der Literatur« am 6. September – ein lohnendes Forschungsobjekt?
Heribert Prantl liefert dem Band ein freundliches, für unsere Gegenwartspublizisten hingegen bissiges Vorwort. (»Dichter und Denker… politisieren mit einer Verve, die heute fehlt.«) Im lediglich siebenseitigen herausgeberischen »Nachgang« wird all das summiert, was bei Madrasch-Groschopp mehr als die Hälfte ihres Bandes ausmacht. Immerhin erfährt man hier durchaus faktensicher, dass die Einstellung der »Weltbühne« 1993 durch den jetzt ins Gerede gekommenen Aufbau-Verleger Bernd F. Lunkewitz vielleicht doch nicht dem hochherzigen Motiv, »einen jüdischen Besitzer nicht ein zweites Mal zu enteignen«, entsprang. Die Weltbühnenredaktion titelte im Juli 1993 in ihrem letzten Heft groß »Ein Scheißspiel«.
Kurzum: »Aus Teutschland Deutschland machen« ist ein lesenwertes Buch für viele auch heute aktuelle politische Weltfragen. Für alle Fragen aber, die noch lebende Leser der »Weltbühne« über deren Rolle vor sechzig, dreißig oder fünfzehn Jahren haben – das sind nun mal vor allem DDR-Leser – wäre ein zweites Buch nötig.

Matthias Biskupek, in:Thüringer Allgemeine, 12.08.2008.

 

Die kleinen roten Hefte im A5-Format waren Legende. Für die »Weltbühne« schrieben über zweitausend Autoren. Tucholsky, Polgar, Kästner, Ossietzky zählten dazu. Mit brillanten Reportagen, Essays und Gedichten kommentierten sie Ereignisse ihrer Zeit. Die Jahrgänge der »Weltbühne« und ihrer Vorgängerin umfassen rund 48 000 Seiten. Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt wählten aus: gedankenscharfe, kritische, engagierte Texte über Bürgerrechte, Zivilgesellschaft und Demokratie. Manche sind von verblüffender Aktualität. Was für ein Stil! Wie viel Witz! Welche Radikalität! Und kein Autor schmeißt sich ans Publikum ran. Fazit: Journalismus kann richtig Spaß machen.

Karin Großmann, in: Sächsische Zeitung, 09.07.2008.

 

Dieses Buch ist eine faszinierende Schatzkiste. Bisher wusste man zwar,
welche herausragende Bedeutung die deutsche Wochenzeitschrift »Weltbühne« in
der Weimarer Republik für die Demokraten hatte. Und natürlich ist bekannt,
was für publizistische Hochkaräter für das Berliner Blatt bis zum Verbot
1933 schrieben: Carl von Ossietzky, Kurt Tucholsky, Arnold Zweig, diese
Liste, man ahnt es, ist lang. Aber ahnen ist das eine, diese
wunderbar-abgründigen Texte heute im Original zu lesen ist etwas ganz
anderes.
Man greift also in die Schatzkiste und findet überall Gold - und Geist und
Schrecken. Das Lesebuch umfasst Bemerkungen, Satiren, Essays aus der Feder
von 79 Autoren, sie wurden ausgewählt aus 48 000 Druckseiten – so
umfangreich sind die insgesamt 29 Zeitschriftenjahrgänge gewesen.
Natürlich, manchen Text kennt man schon. Zum Beispiel Erich Kästners mutiges
Antikriegsgedicht »Die andere Möglichkeit« von 1929 mit den Schlusszeilen:
»Wenn wir den Krieg gewonnen hätten – zum Glück gewannen wir ihn nicht!«
Dafür hat ihn die nationale Rechte gehasst. Und weil die Zeiten schlecht
waren für Skeptiker und andere vaterlandslose Gesellen, mischt sich die
Satire mit der Verzweiflung, der Scherz mit dem Schmerz. »Wer weiterliest,
wird erschossen«, heißt es in Axel Eggebrechts Beitrag vom Januar 1932, der
sich mit der Pressezensur befasst. Da ahnt der Autor bereits, dass ein
Menschenleben bald nichts mehr wert ist. Ein anderes großes Thema ist der
Judenhass. »Der Antisemitismus ist eben älter als sämtliche
Internationalen«, meint die Journalistin Hilde Walter. Das ist lange vor
1933.
Doch Hitler steht ante portas. Tucholsky schreibt, unter dem Pseudonym
Kaspar Hauser, einen Schulaufsatz darüber, warum Hitler besser als Goethe
ist. Man kann diese todtraurige Satire nicht nacherzählen. Wer selber liest,
stolpert über den Kalauer, der die Katastrophe vorwegnimmt: »Wenn wir zur
Macht gelangen, schaffen wir Goethe ab.«
Das Buch, das für jeden Geschichtsunterricht eine Bereicherung ist, endet
mit Walter Mehrings Sage vom Großen Krebs. »Lasst ihn nicht frei // Sonst
geht es rückwärts und verquer // Wir Alle, Alle hinterher.« Da ist der Krebs
Hitler längst durch die Tür gekrochen und das Schiff Weimar gesunken.

Marcus Sande, in: Stuttgarter Zeitung, 27.06.2008.

 

Sie war eine kleine Zeitung, 15 000 Auflage, ein Drittel nur von dem, was heute selbst tageszeitung oder Titanic zustande bringen, aber sie hatte die besten Autoren der Weimarer Republik: Alfred Polgar, Kurt Tucholsky, Franz Blei, Kurt Hiller, Ernst Toller, Arnold Zweig und nach dem Tod Siegfried Jacobsohns, der die Zeitschrift 1905 als Schaubühne gegründet hatte, als Chefredakteur den unvergleichlichen Carl von Ossietzky. Die Weltbühne war mutig, als Mut noch nicht der Name einer rechtsgewirkten abendländischen Dauerandacht war, sondern das Leben, ja: das Leben kosten konnte.
Von sechzehn Fememorden berichtete die Weltbühne, aber deswegen wurden sie noch lange nicht geahndet, gar gesühnt. Denken war gefährlich, besonders, wenn es im Zweifel links formuliert wurde. In einer schlichten Aufstellung aus dem Jahr 1927 lässt sich vergleichen, wie es für die Bedrohung eines Polizisten durch Kommunisten vier Monate Gefängnis gibt, aber nur zweihundert Reichsmark Strafe fällig werden, wenn Rechtsradikale einen Zentrumsmann halbtot schlagen. Das Muster gilt nebenbei gesagt bis heute: Der Kommunist Erich Mielke wurde 1993 wegen Mordes an zwei Polizisten verurteilt, 62 Jahre nach der Tat. Doch kann die deutsche Justiz auch anders, ganz anders: Hauptmann Waldemar Pabst reiste noch in den sechziger Jahren durch deutsche Universitäten und rühmte sich, dass er im Januar 1919 im Auftrag des großen Sozialdemokraten Friedrich Ebert die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht organisiert hatte. Dadurch konnte er zum Helden (im Dritten Reich) und Waffenhändler (danach) aufsteigen, aber zu bestrafen gab es da nichts, hatte Pabst doch nichts weiter als eine »standrechtliche Erschießung« vorgenommen, wie Felix von Eckardt 1962 erklärte, der Pressechef des verehrungswürdigen Herrn Bundeskanzlers Adenauer.
Die kleine große Weltbühne war wehrkraftzersetzend, manchmal prokommunistisch, dann wieder antispartakistisch, beizeiten SPD-verachtend und selbstverständlich asphaltliterarisch gegen die auftrumpfenden Nazis und nie gefeit vor grotesken Fehleinschätzungen wie dieser: »Die nationalsozialistische Bewegung hat eine geräuschvolle Gegenwart, aber gar keine Zukunft.« Zweieinhalb Jahre nach diesem Satz war die Zukunft da und der Autor, wieder Ossietzky, wurde eingesperrt, verhaftet nach einer Liste, die der Gestapo-Gründer Rudolf Diels schon vor der Machtübernahme bereithielt.
Einen wie Ossietzky mussten die Nazis hassen, einen Mann, der es wagte, in seinem »Blättchen« dem Vaterland und der Welt zu verraten, dass die Reichswehr entgegen dem Vertrag von Versailles doch aufrüstete, einen Redakteur, der den Prozess um eine gedruckte Erkenntnis des Mitarbeiters Kurt Tucholsky durchfocht und sogar gewann, nämlich dass Soldaten - aber was denn sonst! - Mörder seien.
Natürlich mussten sie einen Journalisten zum Schweigen bringen, der den Dr. Goebbels schmähte und dem Revolutionär Hitler über die Weltbühne bescheinigte, dass er doch bloß »ministrabel« werden wolle. Sie sperrten ihn ins Konzentrationslager, und dass sie ihn dort nicht gleich aufhängten wie den Anarchisten Erich Mühsam, hatte Ossietzky dem weltweiten Aufschrei zu verdanken und dass ihm das norwegische Parlament den Friedensnobelpreis verlieh. (Da half ein vaterlandsverräterischer Flüchtling mit, der sich im Exil Willy Brandt nannte, und nie soll es ihm vergessen sein.) So durfte er, zerschlagen an Haupt und Gliedern, 1938 im Hospital den Gnadentod des Lungenkranken sterben.
2680 Beiträger der Weltbühne sind namhaft, viele berühmt noch heute, die meisten vergessen. Eine kleine, aber eindrückliche Auswahl bringt jetzt das »politische Lesebuch«, das der winzig kleine Berliner Lukas-Verlag unter dem Titel »Aus Teutschland Deutschland« machen herausgebracht hat. Rudolf Augstein, den der Ehrgeiz eines Rüstungsministers und der Verdacht des Landesverrats wie Ossietzky ins Gefängnis gebracht hatte (allerdings nur 103 Tage), meinte vor dreißig Jahren die Weltbühne zu den »Totengräbern« der Weimarer Republik rechnen zu müssen. Aber was schrieb die Weltbühne 1931? »Es gibt keine Demokratie mehr zu retten, weil keine da ist, wohl aber eine zu schaffen.« Es wollte bloß keiner, links nicht und rechts sowieso nicht.
»Der ernste Spaß, die kantige Härte, peitschender Hieb, der die empfindlichen Stellen trifft – sie haben kaum Platz in der Zeitung«, schrieb ein Pseudonymus namens Ignaz Wrobel nicht 2008, sondern 1927, und ergänzte sarkastisch: »Gott segne die Presse, denn sie kann nichts dafür.« So stark, so lebendig, so streitlustig, so wund wurde vor achtzig Jahren in Deutschland und nicht bloß von Tucholsky gedacht. Viel genannt und wenig gekannt ist die Weltbühne, die ihre staatsgefährdenden Umtriebe 1933 einstellen musste; es waren zu viele Juden und Nazi-Gegner dort. Allen ihren Autoren gemein war eine journalistische Leidenschaft, die heute fremd klingt, wo zum Glück weit weniger Anlass dafür ist, sich für das Recht auf Abtreibung zu verwenden, für das Menschenrecht auf Homosexualität zu streiten, für den Pazifismus zu kämpfen und sich gegen die Feldwebel in Verwaltung, Regierung, Kirche und natürlich im Militär zu empören. Es will auch keiner.
Für manche fand in der Weltbühne der letzte Auftritt statt, für andere war’s der Beginn der Karriere. Selbst spätere Redakteure der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gehörten zum Schreiber-Kreis wie beispielsweise der gern überschätzte Friedrich Sieburg, dem bei Asta Nielsen, die in einem Film den Hamlet spielte und sich deshalb die Haare abschneiden ließ, nur spätpubertäre Herrenwitze einfielen: »Während unsere Väter noch mit Nanas gewaltigen Hüften und ihrem strotzenden Busen alle Hände voll zu tun hatten, greifen wir bereits dem ›bubenschlanken‹ und ›knabenhaften‹ Typus gegenüber ins Leere.« Zeitgerecht und schon 1925 nennt Sieburg das eine »Entartung«.
Auch wenn er von Totengräberei sprach, wusste der Journalist Augstein doch um den Rang des Vorbilds, dem der Spiegel 1978 noch nacheiferte: »Da es den schlechthin freiheitlichen Staat nicht gibt - auf deutschem Boden hatten wir schon freiheitlichere Zustände als eben jetzt -, ist eine Zeitung oder Zeitschrift ganz ohne subversive, unterminierende, destruktive Tendenzen ein Unding.« Auch Augstein war damit bald widerlegt, denn (auch das nur ein Beispiel) Focus ist genau das nicht: destruktiv, subversiv, negativ. Sechzig Mal größer als die der Weltbühne ist die Auflage von Focus und Landesverräterisches ist dort nicht zu befürchten. Gott segne die Presse, sie kann ja nichts dafür.
Willi Winkler, in: Süddeutsche Zeitung, Nr.155, 05.Juli 2008

 

»Die Weltbühne ist kein akademisches Organ, kein weltfremdes Poesiealbum, sie hat keine Schlafmütze auf dem Kopf und kein Jäckchen aus Gesundheitswolle am Leib.« Was, bitteschön, bringt einen gescheiten Publizisten wie Heribert Prantl dazu, solche Dementis – eins überflüssiger als das andere – zu Papier zu bringen? Es ist die vermeintliche Notwendigkeit, Sozialdemokraten wie den Historiker Heinrich August Winkler zu beschwichtigen, die immer noch beleidigt sind, weil Kurt Tucholsky der Weimarer SPD einige Wahrheiten entgegengehalten hat. Wenn die Beleidigten – deren Parteiführung immer recht gehabt haben muß, auch und gerade bei der Bekämpfung der Linken (s. Noske) – schimpfen, Tucholsky und seine Freunde hätten einen Kampf »gegen die parlamentarische Demokratie« geführt (Winkler), schlimmer noch: ein »Zerstörungswerk an der Republik« begangen (Kurt Sontheimer), dann sollte man so kühl wie möglich klarstellen, wie schamlos sich dieser Traditionsverband gegenüber denjenigen verhält, die frühzeitig die Entwicklung der Weimarer Republik und die aufkommenden Gefahren erkannten und darstellten und die ersten Opfer wurden.
Hat es Jacobsohns, Tucholsky, Ossietzkys Weltbühne im Jahre 2008 immer noch nötig, verteidigt zu werden? Prantl erkennt, nachdem er sich leider schon allzu betulich aufs Verteidigen eingelassen hat: »Im Übrigen verteidigt sich die Weltbühne selbst.« Das ist wahr, und gerade deswegen ist es erfreulich und dankenswert, daß Friedhelm Greis und Stefanie Oswalt eine Auswahl von Texten der Jahre 1905 bis 1933 mit kurzen Kommentaren, Biographien der Autoren und bibliographischen Hinweisen vorgelegt haben, zu der Prantl dieses Vorwort geschrieben hat. Die Rudolf-Augstein-Stiftung hat das Werk gefördert; die beiden Herausgeber bedanken sich besonders bei Jakob Augstein (dem neuen Freitag-Verleger).
Und wie ist die Auswahl gelungen?
Greis und Oswalt haben sich auf »Politik, Wirtschaft und Gesellschaft« konzentriert und in neun Kapiteln wie »Wirtschaft zwischen Kapitalismus und Sozialismus« oder »Judenheit, Zionismus, Antisemitismus« jeweils rund 20 Texte in zeitlicher Reihenfolge zusammengestellt. So erklärt es sich, daß einige wichtige Autoren wie Rudolf Arnheim oder Theodor Lessing, die sich mehr mit Literatur und Kunst beschäftigten, nicht vorkommen. Nicht erklärlich ist mir, daß sich auch für die fleißige Milly Zirker kein Plätzchen gefunden hat und nicht mal ihr Name fällt. Und dringend hätte ich Ossietzkys Texte über »Monopolkapitalismus« und »Ein runder Tisch wartet« empfohlen; gerade von CvO sind nicht die klarsichtigsten Beiträge aufgenommen worden – so als hätte bewiesen werden müssen, daß auch er mal schwächere Momente hatte.
Gleichwohl: Dies ist ein sehr gutes, durchdachtes, kluges, nützliches, informatives und dabei auch unterhaltsames Buch, in dem sich so scharfsinnige Beiträge finden wie Ernst Tollers »Reichskanzler Hitler« vom Oktober 1930 oder Hellmut von Gerlachs »Hitlers sehr lange Nacht« vom Oktober 1932. Und die Aktualität mancher Artikel wie Gerlachs »Raubstaat Liechtenstein« vom Februar 1933 kann heutige Leser schmunzeln oder frieren machen. Nachdem dieses Werk gelungen ist, möchte ich die Herausgeber, die sich beide schon seit Jahren mit dem Gegenstand befassen (wovon zum Beispiel Stefanie Oswalts Jacobsohn-Biographie zeugt) zu neuen Werken ermutigen. Wünschenswert erscheint mir unter anderem eine vergleichende Darstellung der Weltbühne und anderer Blätter jener Zeit, weil dann erst ihr besonderer Wert zu ermessen wäre. Und es fehlt eine Präsentation der im Exil erschienenen Neuen Weltbühne. An den zahlreich von den Nazis vertriebenen Autoren ist noch vieles gut zu machen – kein »Bund der Vertriebenen« nimmt uns das ab –, und wir haben noch viel von ihnen zu lernen.
Eckart Spoo, in: Ossietzky,11. Jg., 12/2008,