Jörn Düwel, Niels Gutschow
Fortgewischt sind alle überflüssigen Zutaten
Hamburg 1943: Zerstörung und Städtebau

Dann und wann braucht man diesen erschreckenden Blick zurück, zum Beispiel auf Hamburg nach den Flächenbombardements und dem »großen Feuersturm« von 1943: auf eine deprimierend zertrümmerte Stadt. Neigten die einen erschüttert zur Resignation, hatten andere, nicht zuletzt Architekten und Stadtplaner, sogleich »Visionen einer besseren Zukunft«, die ihnen kein anderes Ereignis eröffnete als: diese Zerstörung. Einer von ihnen, Richard Zorn, sammelte umgehend Fotos von diesem »gebauten Hamburg im Schutt« und fahndete in den vielen vor den ausgebrannten Häusern stehengebliebenen, seltsam malerisch wirkenden »Anhaltspunkten für die Gestalt eines neuen Hamburgs«, genauer: »nach überzeitlichen, endgültigen Werten architektonischer Gestaltung«, um auf dem ruinierten Werk der Väter »eine neue, andere, moderne Bau-Welt« zu gründen, die sich auf die malerischen Reste stützt. Es kommen noch andere zu Wort, vor allem der Kupferstecher Alexander Friedrich, denn »auch er«, schreibt Jörn Düwel, »sah in der Zerstörung einen höheren Sinn«. Ihm und Niels Gutschow ist damit ein merkwürdig faszinierendes Buch geglückt.
Manfred Sack in: Die Zeit, 17, 16. April 2009, S. 56.

 

 

Man muss sich die großformatige, dem Buch beigefügte Karte der Zerstörung der Stadt Hamburg einmal ansehen, um zu ermessen, was 1943 geschehen ist: Die nachträglichen Bezeichnungen vom »Feuersturm« oder der »Hamburger Katastrophe« werden dem nicht annähernd gerecht; »Unternehmen Gomorrha« nannten es die Alliierten, die in mehreren Angriffen im Juli und August 1943 mit ihren Bombergeschwadern eine Stadt von fast zwei Millionen Einwohnern auf die Hälfte ihres baulichen Bestandes zusammenbombten.
Man muss sich diese Karte ansehen, auf der die Stadtteile östlich der Alster fast vollständig rot schraffiert sind, weil sie ausradiert waren, und auf der die Quartiere westlich der Alster aussehen wie ein Flickenteppich der Zerstörung. Erst dann kann man verstehen – wenn auch nicht begreifen –, was der Stadt geschah und was heute noch in den Köpfen der Älteren lebendig ist (und im gebauten Stadtkörper ohnehin sichtbar): Ein nur in biblischen Begriffen zu fassendes Inferno, das jenseits all dessen lag, was die Menschen bis dahin erlebt hatten. Ob da der eine oder der andere »Schuld« hatte, war eine nicht relevante Frage.
Historiker haben es einfacher als diejenigen, die es erleben, was nicht heißt, dass sie weniger empathisch sind – die zeitliche Distanz ist nur größer. Immerhin: Einer der beiden Autoren, Niels Gutschow, wurde 1941 in Hamburg geboren; seine frühesten Erinnerungen beziehen sicherlich die Trümmerlandschaft ein. Sein Vater, Konstantin Gutschow, arbeitete als »Architekt des Elbufers«, später als »Architekt für die Neugestaltung der Hansestadt Hamburg« und seit den ersten Bombenangriffen 1941 an Wiederaufbauplänen für die Stadt.
Dieser »Wiederaufbau« war im Einzelnen durchaus umstritten zwischen Pragmatikern und Visionären; 100 000 Notunterkünfte forderten die einen (eine davon ist noch heute als Museum in Hamburg zu sehen), eine Chance für eine neue, bessere Stadt sahen die anderen. Alle Architekten einte aber eines: Die Ablehnung der Großstadt, wie sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden war. Eine neue »gegliederte und aufgelockerte Stadtlandschaft« sollte nicht nur Luftschutz bieten, sondern allen Menschen bessere Wohnbedingungen - das war das Versprechen des Nationalsozialismus für die Zeit nach dem Krieg, das von diesem ablenken sollte; es galt für ganz Deutschland, aber eben auch für Hamburg.
Spätestens seit den Arbeiten Werner Durths über »Deutsche Architekten. Biografische Verflechtungen« (1986) und seinem zweibändigen Werk »Träume in Trümmern« (mit Niels Gutschow, 1988) sind diese Zusammenhänge weitgehend bekannt; die biographische Kontinuität zwischen den zwanziger Jahren und der Zeit des Nationalsozialismus sowie zwischen dieser und der Wiederaufbauphase nach 1945 ist untersucht. Die Ablehnung der Stadt des 19. Jahrhunderts, der heute so beliebten Gründerzeitquartiere, war einhellig unter den Architekten jenseits stilistischer Zuordnungen - und zwar zu Recht, denn jene Stadt war nicht das urbane Paradies von heute, mit ein, zwei Bewohnern pro Wohnung, sondern verdreckt, überfüllt, laut, umweltverschmutzt.
Durth, Gutschow und Düwel haben in unterschiedlichen Kombinationen mehrfach zusammengearbeitet. Was bietet also das hier besprochene Buch an neuer Erkenntnis?
Die beiden Autoren bauen ihre Arbeit nicht als lineare Geschichtsschreibung auf, sondern stellen zwei Dokumente ins Zentrum. Das ist zum einen der Text des Kriegsberichterstatters und Kupferstechers Alexander Friedrich als »Versuch über die Zerstörung Hamburgs«, der sein eigenes Erleben wenige Tage nach den Bombenangriffen aufschreibt. Der Text ist in einer merkwürdigen Mischung aus apokalyptischer Endzeitrhetorik und Flapsigkeit geschrieben (»Die Hamburger Hochbahn-Aktiengesellschaft erfreut sich beim Volk keiner großen Beliebtheit, und auch ich kann ohne Anteilnahme in das große Loch (eines Bom-bentrichters in den Schienen) hineinblicken«) – vermutlich kann man ohne diese scheinbare Distanz das Erlebte und Gesehene nicht beschreiben.
Das andere Dokument ist eine fast skurrile Sammlung von Fassadenfotos ausgebrannter Häuser, die der Architekt Richard Zorn im Dezember 1943 mit architekturtheoretischen Kommentaren versehen hat: »Gebautes Hamburg in Schutt«. Sie sollten »alte hamburgische Bautraditionen« zeigen, um beim Wiederaufbau daran anknüpfen zu können - eine recht eigenartige Vorstellung, erst die Zerstörung abzuwarten, bevor man aus der Architektur lernen könne. Entstanden ist eine absurd-zynische Schau, in der über ausgebrannte Fassaden unter dem Aspekt »nachgerade vollendeter Proportionen« räsoniert wird, wenige Monate nach der Zerstörung einer Stadt, bei der über 40 000 Menschen getötet wurden: »Auf den Wegen durch die Schadensgebiete überraschen architektonische Eindrücke von unerhörter Eindringlichkeit«
Um die beiden, kritisch eingeführten Texte herum, die mehr als die Hälfte des Buches einnehmen, werden auf zwanzig Seiten der »Städtebau in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts« abgehandelt sowie verschiedene Wiederaufbauplanungen – »schöner als je zuvor« – in ausführlichen Zitaten vorgestellt.
Die Frage ist, warum die beiden Dokumente so ausführlich dargestellt werden. Es gibt bereits eine hervorragende Sammlung mit Texten zum »Untergang« Hamburgs, und die Kommentierung von Fotos der Zerstörung mag ein bestimmtes Denken der Architekten jener Zeit spiegeln, die die Zerstörung als Chance eines besseren Wiederaufbaus sahen. Aber das ist bereits ausführlich analysiert.
Dennoch lohnt der ausführliche Abdruck als Ausweis dieses Denkens. Das Problem des Buches steckt aber in einem Etikettenschwindel im Untertitel, der auf eine falsche Fährte führt: »Hamburg 1943: Zerstörung und Städtebau« heißt es dort. Dem wird das Buch nicht gerecht; ein Untertitel etwa »zwei Zeitzeugen und deren Einordnung in einen historischen und städtebaugeschichtlichen Zusammenhang« wäre zwar holprig, aber ehrlicher gewesen.
So ist das Buch zwar editorisch hervorragend gemacht, auch im Hinblick auf Druck, Abbildungen und großformatig beigefügte Pläne, hinterlässt jedoch den Leser unbefriedigt, wenn der sich auf den Titel verlässt.
Gert Kähler, Süddeutsche Zeitung (online), 3.12.2008