Gerhard Ringshausen
Hans-Alexander von Voß
Generalstabsoffizier im Widerstand

Eine der breiten Öffentlichkeit bislang – zu Unrecht – eher unbekannte Persönlichkeit des militärischen Widerstands würdigt der Lüneburger Theologieprofessor Gerhard Ringsleben in seiner Biografie über Hans-Alexander von Voß. Sehr eindrücklich schildert er, wie der Generalstabsoffizier wegen seiner Verwurzelung im christlichen Glauben zum Gegner des Nationalsozialismus wurde. Den Mut zum Widerstand bezahlte Voß am 20. Juli 1944 mit seinem Leben, als er nach dem Scheitern des Attentats auf Hitler den Freitod wählte.
Entscheidung,07/08, 57.Jg., Juli/August 2009

 

[…]»Viele unter ihnen hatten geholfen, den Mächtigen«, das heißt Hitler, »zu stärken, ihn mit der fragwürdigen Gloriole seiner Siege zu schmücken; nun erhoben sie sich gegen ihn, gegen ihr eigenes Werk.« An diese Worte Reinhold Schneiders wird gemahnt, wer die vom Theologen und Kirchenhistoriker Gerhard Ringshausen verfasste Biografie über Hans-Alexander von Voß, einen Generalstabsoffizier aus Tresckows Freundes- und Verschwörerkreis in der Heeresgruppe Mitte, liest. Fabian von Schlabrendorff hatte in Offiziere gegen Hitler bereits 1946 Voß als Vertrauten Tresckows erwähnt. Sein Name figurierte auch stets auf der Totentafel des 20. Juli. Dennoch fehlte bisher eine Lebensbeschreibung dieses Mannes, der einem stockkonservativen deutsch-nationalen Preußentum entstammte, Deutschlands Wiederaufschwung und Aufrüstung unter Hitler durchaus begrüßte und noch bis in den Zweiten Weltkrieg vom Wunsch nach einem deutschen Sieg und zugleich der zunehmend verspürten moralischen Pflicht zum Widerstand hin und her gerissen wurde.
Am Umsturzversuch vom 20. Juli war er nicht direkt beteiligt, und die Untersuchungsberichte der Gestapo nach dem Attentat erwähnten seinen Namen nicht. Seine Mitwisserschaft, seine engen Freundschaftsbande zu vielen Verschwörern und zudem allerlei Konspirationsaktivität schon im Stab des Feldmarschalls von Witzleben im besetzten Frankreich bis zum Frühsommer 1942 hatten ihn in einer Weise exponiert, die ihn nach dem Scheitern des Attentats das Schlimmste befürchten ließ. Obwohl er bis fast zuletzt mit einer Wiederverwendung als Chef des Stabes eines Armeekorps im Westen rechnete, schied er dann in Befürchtung einer drohenden Verhaftung und Folterung, die in die Preisgabe der Namen von Mitverschwörern hätte münden können, am 8. November 1944 durch Freitod aus dem Leben. Bei der Überführung seines Leichnams standen Waffen-SS-Soldaten Ehrenspalier, da sein Tod auf Belastung durch Fronterlebnisse zurückgeführt wurde und seine Mitwirkung an Umsturzplanungen den Nazischergen verborgen blieb.
Bloßer Anschein
Schweigen und die Kunst der Verstellung gehören zur Konspiration. Voß soll spätestens im Frühjahr 1944 mit seiner Frau, einer Tochter des Generals Joachim von Stülpnagel, verabredet haben, in seinen Briefen bei politischen Äußerungen das Gegenteil seiner wahren Meinung zu schreiben. Im Hinblick darauf sowie auf die Notwendigkeit, Verdachtsmomente zu zerstreuen und Spuren zu verwischen, sind seine am 21. Juli 1944 brieflich niedergelegten »Empfindungen der Empörung« über »dieses unvorstellbar teuflische Attentat« zu lesen. Dennoch mutet es geradezu gespenstisch an, wie Voß nur fünf Tage nach dem Attentat als Begleiter des Feldmarschalls Model, des Oberbefehlshabers der unter der Sowjetoffensive zusammengebrochenen Heeresgruppe Mitte, in Hitlers ostpreußischem Hauptquartier zum Vortrag erscheinen muss und anschließend seiner Frau berichtete: »Der Führer ist frisch und gesund und im Vollbesitz seiner Kraft. Er erzählte uns genau den Hergang des Attentats.« Und zwei Tage darauf nach einem neuen Besuch im Hauptquartier: »Es war wieder sehr interessant. Das Erfreulichste ist, dass beim Oberkommando der Wehrmacht eine feste und zuversichtliche Stimmung herrscht.« Für unnachsichtige nachgeborene Interpreten und Hohepriester einer allein seligmachenden Aktengläubigkeit, denen schon eine Paraphe auf einer »Bandenbekämpfungs«-Meldung als Beweis aktiver Mitwirkung an den Verbrechen des Vernichtungsfeldzugs in Russland gilt, bieten solche Briefpassagen vielleicht ungeahnte Perspektiven zur weiteren Diskreditierung von Männern des 20. Juli.
Diesen verabscheuungs-würdigen Irrweg beschreitet man nicht, wenn man umgekehrt nicht alles für bare Münze nimmt, was mündliche Überlieferungen, spätere Zeugenberichte oder auch sich bloß den Anschein historischer Information gebende Spekulationen als feststehende Tatsachen vermitteln möchten. Der Schleier über der wahren Rolle und Bedeutung des Oberstleutnants von Voß, der mit sechsunddreißig Jahren aus dem Leben schied und weitgehend dem Vergessen anheimfiel, erscheint auch nach dieser Biografie noch ziemlich dicht. Dass im Stabe Witzlebens, wo beispielsweise auch der nach dem 20. Juli hingerichtete Ulrich-Wilhelm Graf von Schwerin-Schwanenfeld diente, allerlei regimekritische Meinungen vertreten und dann auch Erwägungen über einen Staatsstreich angestellt wurden, steht außer Frage. Dass dies aber auch bereits ein geplantes Attentat auf Hitler einschloss und zudem Voß sich im November 1941, als er Abschiedsbriefe an seine Frau und seine Kinder verfasste, zu dessen Ausführung bereit erklärt haben soll, ist auch eine von Ringshausen keineswegs als unzweifelhaft überlieferte Version.
Dass wie viele anderen späteren Verschwörer auch Voß schon im Polenfeldzug über Massenverbrechen an polnischen Intellektuellen und Juden entsetzt und erschüttert war, vermag man hingegen als durchaus glaubwürdigen Hinweis aufzunehmen. Die Zugehörigkeit zu einem »Kreis aktiven Widerstands« schon Ende 1940 in Witzlebens Stab erscheint jedoch vor allem deshalb nicht zufriedenstellend verbürgt, weil Zweifel daran nur schwer zu entkräften sind, ob damalige oppositionelle Auffassungen und Bestrebungen in Witzlebens Umgebung mit der Bezeichnung als aktiver Widerstand eine zutreffende Einschätzung erfahren. Zusammen mit dem Adjutanten des Feldmarschalls von Rundstedt, des Nachfolgers von Witzleben im Frühjahr 1942, habe sich Voß an »erneuten Attentatsplanungen« beteiligt, schreibt Ringshausen, bevor er dann mit überraschender Leichtigkeit diese Aussage durch den Zusatz relativiert: »Aber vielleicht waren es auch nur Gespräche, zumal Rundstedt sich nicht auf das Werben der Widerstandskämpfer einließ.« Rundstedt machte zwar nie ein Hehl aus seiner Geringschätzung des »größten Feldherrn aller Zeiten«, stand ihm jedoch bis zum bitteren Ende stets stramm und gehorsamst zur Verfügung, wann immer Hitler auf den von ihm mehrmals seines Kommandos enthobenen Heerführer zurückzugreifen beliebte. Gespräche, Gespräche und nochmals Gespräche - dazu gehörte auch eines von Voß mit dem Generalstabschef Halder, der nach dem Krieg seine eigene Rolle schönmodellierte. Voß gelangte schließlich im Februar 1943 in den Stab der Heeresgruppe Mitte unter die Fittiche Tresckows, der sich gerade zum ersten ernsthaften Attentatsversuch der Offiziersverschwörung anschickte. Freundschaft und Zusammenarbeit mit Henning von Tresckow legen Zeugnis ab für das heimliche Wirken des Oberstleutnants von Voß, auch wenn viele Spuren von dessen Lebensweg verschüttet erscheinen oder noch immer Rätsel aufgeben.[…]
Christian Müller in: »Die Politische Meinung«, Februar 2009

Als ich am 8. Mai 2008 als Mitglied der Totenwache an den Trauerfeierlichkeiten für Freiherr Philipp von Boeselager, des bis dahin letzten noch lebenden Widerstandskämpfers des 20. Juli 1944, teilnehmen durfte, erfüllte mich dies sichtlich mit Stolz. Obwohl man sich als aktiver Offizier natürlich intensiv mit dieser Thematik beschäftigt, weckte dies mein Interesse, sich noch tiefer mit den Protagonisten dieser Gruppe zu beschäftigen. Bekanntermaßen erschien über 60 Jahre nach den Ereignissen des 20. Juli 1944 eine Vielzahl von Literatur zum Deutschen Widerstand. Während jedoch meist die Widerstandsgruppe »Die Weiße Rose« und im Rahmen des militärischen Widerstandes die Hauptakteure um Stauffenberg im Mittelpunkt standen, wurde die Denkweise und Motivation der Männer im Hintergrund bis dato wenig untersucht und publiziert. Nun legt Gerhard Ringshausen eine eindrucksvolle Biographie über den Widerstandskämpfer Hans-Alexander von Voß vor.
Hans-Alexander von Voß entstammte einer im preußischen Militarismus tief verwurzelten Familie (auch sein Vater war ein bereits im Ersten und auch im Zweiten Weltkrieg hoch dekorierter Offizier), so dass sein beruflicher Werdegang eigentlich schon früh feststand. Auch wenn er eigentlich Forstmann werden wollte, wurde er auf Wunsch seines Vaters Infanterieoffizier. Seine zweite familiäre Orientierung, vor allem tief geprägt durch die Mutter, lag in einer tiefen Religiosität. Sein Glaube, so der Autor, war bestimmt durch eine persönliche innige Frömmigkeit mit einer spezifisch preußischen Prägung.
Schon bevor er sich entschloss, wie sein Vater die Offizierlaufbahn einzuschlagen, war er bereits auch politisch im »Jungnationalen Bund« aktiv und verstand sich so immer als politisch mitdenkender Soldat – eine Tugend, die von heutigen Soldaten als »Staatsbürger in Uniform« im Rahmen der »Inneren Führung« erwartet wird und als selbstverständlich gilt. Früh schon interessierte er sich für Clauswitz, der ihm vor allem hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Menschenführung, dem Respekt vor geistigen Werten und seinem Berufsethos ein Vorbild war.
Bereits zu Beginn seiner militärischen Laufbahn beim Infanterieregiment 9 schloss er Kontakte zu Personen, die auch später eine Schlüsselrolle im militärischen Widerstand spielten. Ebenso sein Schwiegervater, General a. D. Joachim von Stülpnagel, eröffnete ihm schon frühzeitig Kontakt zu den Köpfen des Widerstandes, Generaloberst Beck und Ulrich von Hassel. Auch wenn er zunächst wie fast alle Offiziere im Hochgefühl des durch Hitler wiedererweckten Selbstwertgefühls der Wehrmacht den Krieg gegen Polen aktiv unterstützte, war von Voß, im Gegensatz zur Mehrzahl seiner Kameraden, schon frühzeitig sehr reserviert gegenüber den Expansionsplänen des Führers. Bereits 1934 im Zuge des »Röhm-Putsches« hatte er so seine Zweifel an den verbrecherischen Methoden des Regimes. Spätestens die Operation »Gelb«, also der »Blitzkrieg« gegen Frankreich stieß bei ihm auf Bedenken, die Operation »Seelöwe« gegen England auf völliges Unverständnis. Er begriff den Krieg als einen Feldzug und nicht als einen auf Völkermord ausgerichteten Eroberungskrieg. Die Bindung an Jesus Christus sowie Gottes erhaltende Gnade gaben den letzten Antrieb, das verbrecherische System aktiv zu bekämpfen.
Spätestens Anfang 1941 ging von Voß, zu dieser Zeit im Stab von Witzleben tätig, in den aktiven Widerstand gegen Hitler über. Besonders kritisch äußerte er sich über gleich- oder höherrangige Kameraden, die nur der Beförderung und schnellen Karriere wegen meist ohne Hinterfragen der Sinn- und Zweckmäßigkeit von Befehlen handelten und nicht wie er der Sache wegen. Immer wieder, so Ringshausen, soll er sich über die Veränderungen des Geistes der Armee geärgert haben. Von Voß machte sein Verhalten im opportunistischen Sinne nicht wechselhaft abhängig von militärischen Siegen und Niederlagen, sondern einzig und allein von seinem persönlichen Empfinden und seinen Erfahrungen mit der grausamen Umsetzung der wahnwitzigen Ideologie Hitlers.
Immer wieder versuchten die Widerständler einen Generalfeldmarschall vom Schlage von Mansteins, Kluge, von Rundstedt oder von Bock eine aktive Mitarbeit abzuringen – vergeblich, deren Hörigkeit zu ihrem Führer war größer. Mitte 1943 wurde von Voß, wenn auch abseits der Front, in verschiedenen Verwendungen in der Heeresgruppe Mitte im Osten eingesetzt, wo sich der Widerstand weiter formierte. Geplante Attentate auf den Führer schlugen aber entweder fehl oder wurden im letzten Moment abgebrochen. Schließlich verlagerte sich das Zentrum des Widerstandes nach Berlin. Die weiteren Vorgänge um den 20. Juli sind hinreichend bekannt.
Nach dem 20. Juli 1944 geriet von Voß trotz enger Verbindung zu Henning von Tresckow nicht in den Verdacht der Mittäterschaft, während die Gestapo seinen Schwiegervater in Haft nahm. Allerdings hatte er aus ständiger Angst vor Verhaftung keine ruhige Nacht mehr. Auch machte er sich ständig Vorwürfe, ob er nicht doch noch aktiver im Widerstand mitarbeiten hätte sollen, um das Attentat erfolgreich durchzuführen. Sein militärischer Ehrgeiz war endgültig erlöscht. Wegen der Verhaftungen und Hinrichtungen seiner Freunde durch und durch verzweifelt, erschoss sich Voß am 8. November 1944 im Garten des Heinersdorfer Schlosses, nachdem er dort zuvor noch »scheinbar vergnügt« – wie Fotos zeigen – mit seinen drei kleinen Kindern gespielt hatte. Da er sich aber offiziell aufgrund der Fronterbelastungen das Leben nahm, wurde er mit militärischen Ehren beigesetzt.
Basierend auf insbesondere aus dem Jahre 1944 umfangreich vorhandenen Briefen von von Voß an seine Ehefrau Gisela, beschreibt Ringshausen feinfühlig aber auch mitfühlend dessen Lebensweg nach. Aufgrund der Zensur konnte er oftmals nicht offen schreiben, so dass selbst seine Frau seine genaue Rolle im Widerstand erst nach dem Krieg erfahren hat. In eindrucksvoller Art und Weise gelingt es dem Autor, die inneren Seelenkämpfe ausgelöst durch den Konflikt zwischen der von ihm erwarteten Unterstützung der Expansionspolitik seines Führers, auf den er als preußischer Offizier seinen Eid abgelegt hat und den Anblick der vor allem an der jüdischen Bevölkerung begangenen Genozid, oftmals aktiv unterstützt durch eigene Kameraden der Wehrmacht, darzustellen. Umfangreiche Zitate und Bilder runden die Darstellung ab. Darüber hinaus liefert das Buch ein anschauliches Bild über die Lebensumstände eines Stabsoffiziers, einerseits das Bestmögliche für die Männer an der Front zu erreichen andererseits immer wieder die Gedanken abschweifend bei der durch alliierte Bombenangriffe bedrohten Familie. Die Wiedergabe der persönlichen Empfindungen aus den Briefen an seine Frau ist jederzeit ehrlich und aufrichtig und grenzt sich somit von Autobiographien vieler Wehrmachtsgenerale ab, die in ihren Büchern die Realität bewusst verkannten, um eigenes Handeln zu rechtfertigen oder in das richtige Licht zu rücken. Dafür gebührt dem Autor Dank.
Hans-Alexander von Voß war ein Widerstandskämpfer, der sich – und das soll an dieser Stelle nochmals verdeutlicht werden – nicht wegen einzelner militärischer Katastrophen wie in Stalingrad oder aufkommenden Zweifeln am Endsieg dem Widerstand anschloss, sondern der schon wesentlich früher das verbrecherische Handeln im Krieg und vor allem die Zerstörung des preußischen Militärethos durch das nationalsozialistische Regime verurteilte. Die Frage, was passiert wäre, wenn die Widerständler einige der Hitler willfährigen Feldmarschälle für ihre Sache hätten gewinnen können, bleibt offen und ist in der Literatur weiter heftig umstritten.
Andreas Pickel

 

 

Am 25. Juli 1944 begleitete Oberstleutnant Hans-Alexander von Voß den Generalfeldmarschall Walter Model zum Vortrag ins »Führerhauptquartier« Wolfsschanze. »Der Führer ist frisch und gesund und im Vollbesitz seiner Kraft. Er erzählt uns genau den Hergang des Attentats«, schrieb Voß anschließend seiner Frau Gisela. Was muss damals in dem 36 Jähre alten Generalstabsoffizier vorgegangen sein, zumal er seit Ende 1941 Hitler nach dem Leben trachtete und sich im März 1943 selbst für ein Pistolenattentat bereitgehalten hatte? Gerhard Ringshausen zeichnet einfühlsam den – auch immer wieder von Hoffnungen auf militärische Erfolge überlagerten – Weg des Widerstandskämpfers nach, der eigentlich Förster werden wollte, jedoch auf Wunsch seines Vaters in das traditionsreiche IR 9 in Potsdam eintrat. Eine Frömmigkeit spezifisch preußischer Prägung brachte ihn »in Opposition zum Nationalsozialismus«; diese soll sich während des Polen-Feldzuges 1939 »formiert« haben, sei aber erst seit 1940 »belegbar«. Aufschlussreich ist ein Briefzitat vom Frühjahr 1941: »Man muß immer den Blick nach oben richten, um auf das gefaßt zu sein, was Gottes Willen ist.« Nach dem 20. Juli 1944 geriet Voß trotz enger Verbindung zu Henning von Tresckow nicht in Verdacht, während die Gestapo seinen Schwiegervater Joachim von Stülpnagel bis zum 2. November 1944 in Haft nahm. Wegen der Verhaftungen und Hinrichtungen seiner Freunde durch und durch verzweifelt, erschoss sich Voß sechs Tage später im Garten des Heinersdorfer Schlosses, nachdem er dort zuvor noch »scheinbar vergnügt« – wie Fotos zeigen – mit seinen drei kleinen Kindern gespielt hatte.
Rainer Blasius, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.2008.

 

 

 

Selbst 64 Jahre nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 trägt Deutschland noch schwer an dem Erbe des militärischen Widerstandes gegen Hitler. So hätte das Grünflächenamt des Berliner Bezirks Mitte beinahe ein öffentliches Rekrutengelöbnis vor dem Reichstag verhindert, das die Bundeswehr in die Tradition des Widerstands stellen sollte. Die richtige Zeit also, um neue Fragen an die Vergangenheit zu stellen. Fragen, wie sie Prof. em. Dr. Gerhard Ringshausen in seiner Biographie über den Generalstabsoffizier Hans-Alexander Voß beantwortet, der ein prägender Teil der Verschwörergruppe war.
Hans-Alexander von Voß, Vater der Lüneburger Pastorin Ellen Ringshausen und damit Schwiegervater des Autors, entstammte preußischem Adel mit starken christlichen Wurzeln. Hierin war er typisch für die Widerständler aus dem Militär: Fast die Hälfte der Verschwörer vom 20. Juli war adelig. Die engen familiären Bande – Voß heiratete 1936 die Generalstochter Gisela von Stülpnagel – begünstigten die Konspiration. Außergewöhnlich war, wie früh von Voß sich in Gegnerschaft zum Regime sah. Während anderen Offizieren erst die Niederlagen an der Ostfront die Augen öffneten, ging Voß schon eher auf Distanz: Im Juli 1939 traf er auf dem Truppenübungsplatz Bergen Generaloberst Werner Freiherr von Fritsch, der 1938 als Oberbefehlshaber des Heeres gestürzt wurde, nachdem er fälschlicherweise der Homosexualität bezichtigt worden war.
Über diesen Vertreter des preußischen Konservatismus, der 1937 Widerspruch gegenüber Hitler wagte, als der seine Kriegspläne vorgestellt hatte, schrieb Voß an seine Frau: »Ein Jammer, dass dieser anständige Mann so von uns gehen musste.«
Gerhard Ringshausen, bis Oktober 2007 Professor für evangelische Theologie/Religionspädagogik an der Leuphana Universität Lüneburg, arbeitete die gesamten Restbestände des Briefwechsels von Voß mit seiner Frau durch. Zwar blieb Voß in seinen Feldpostbriefen vage, um Zensoren zu täuschen. Voß' direkte Teilhabe an den Attentatsplänen kann also nur aus anderen Quellen erschlossen werden. So erinnerte sich seine Frau, wie tief betroffen ihr Mann über die Massenerschießungen von Juden und Intellektuellen im Polen-Feldzug war. Anfang 1940 häuften sich in Briefen kritische Äußerungen, bis hin zum Urteil: »Wir leben in einer Zeit von Halunken!«
Überzeugend arbeitet die Biographie heraus, wie schnell und entschlossen Hans-Alexander von Voß von der Distanz zum Regime zur Bereitschaft zum Attentat kam. Prof. Ringshausen: »Das ist eher untypisch für diese Generation. Hier kommt wohl zu seinen preußisch-christlichen Wurzeln noch die Verankerung in der Jugendbewegung.«
Voß empfahl seiner Frau das Neue Testament als »Kraftquelle«. Für ihn war es ein fester Anker. Debatten über die »Volkszugehörigkeit Christi und seine Abstammung« – wie sie die regimetreuen »Deutschen Christen« führten – waren für ihn »wesenloses Geschwätz«.
Voß war an mehreren Attentatsplanungen beteiligt, sein Weg, um als Adeliger »den guten Namen in Ehren zu halten und nicht unterzugehen in diesem Schlamm«.
In das Attentat vom 20. Juli war Voß wohl nicht direkt eingebunden, er fürchtete dennoch, dass die Verhaftungswelle auch ihn erfassen würde. Am 8. November wählte er den Freitod, um unter der Folter nicht seine Mitstreiter in der Heeresgruppe Mitte zu verraten. In seinem Abschiedsbrief riet er seiner Frau, sich von der »Flachheit unserer Zeit und ihren Schlagworten nicht unterkriegen zu lassen.«
Prof. Ringshausen zeichnet in seinem Buch das faszinierende Porträt eines charakterstarken Menschen, der sich gegen die niedrige Gesinnung um ihn herum bis zum Einsatz seines eigenen Lebens wehrte.

Landeszeitung Lüneburg, 19/20.07.2008.