Gerd-Helge Vogel (Hg.)
Die Welt im Großen und im
Kleinen
Kunst und Wissenschaft im Umkreis von Alexander von Humboldt und
August Ludwig Most
Im Kunsthistorischen Institut der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald fand vor zwei Jahren eine rege Vortragstätigkeit statt. Aufmerksam beobachtete die breite Öffentlichkeit zwei Romantikkonferenzen. Dank seiner Verbindungen
zu ausländischen und hiesigen Experten bzw. Forschern
gelang es Gerd-Helge Vogel – unter ihm stand die fachliche und organisatorische
Regie der Konferenzen –, ein breit gefächertes
wissenschaftliches Programm anzubieten. Was diese Konferenzen vertieften,
stellt jetzt eine Publikation beeindruckend dar. Die XI. Greifswalder Konferenz
beschäftigte sich mit Romantikern und ihren
Entdeckungen der Neuen Welt, deutschen Künstlern in Amerika 1800-1850,
während das 1. Zürcher Symposium zur
wissenschaftlichen Illustration (im Umkreis Alexander von Humboldts) führte. Durch die Thematik einerseits, indem deutsche Maler Nord-
und Südamerika bereisten und zum anderen die Beschäftigung mit dem einheimischen Biedermeiermaler Ludwig Most (1807-1883)
entsteht unweigerlich ein Spannungsfeld. Denn bei der nachfolgenden XII. Romantikkonferenz
stand dieser Stettiner Maler »zwischen regionaler
Identität und europäischem Geist: Biedermeier
in Pommern und Europa« im Mittelpunkt. In dem reich illustrierten Sammelband
finden sich 21 Autoren mit insgesamt 27 Beiträgen, die hier leider
nicht alle erwähnt werden können. Gerd-Helge Vogel eröffnet die Themenbreite
mit dem Überblick »Deutsche Künstler der Romantik als Forscher und Exilanten in der Neuen Welt«.
Auf »Über 100 Jahre Kunstgeschichte in Greifswald« geht
Michael Lissok ein, indem er einen summarischen Rückblick vermittelt und
auf Traditionen verweist. Mit dem Untertitel »Süd- und Mittelamerika« beginnt Reiner Zeeb über Georg Forster und Alexander von Humboldt einen Bereich, welchen
Klaus Haese mit dem Maler Ferdinand Bellermann fortsetzt. Bald ließ Bellermann von den Motiven rügenscher Landschaft,
indem er sich länger künstlerisch in Venezuela betätigte. Ein
Reisestipendium des preußischen Königs ermöglichte dies. Hier
erfasste er die faszinierende Pflanzenwelt und die eigentümliche Landschaft. Ebenfalls in der Nachfolge Humboldts unternahm
der preußische Maler Eduard Hildebrandt ausgedehnte
Reisen. Hannelore Gärtner schildert das
Leben und Schaffen Hildebrandts, der sich in seinen pittoresken
Landschaftsmotiven u. a. mit Rio de Janairo auseinandersetzte, wofür er stets Bewunderung erntete. Seine authentischen und vielfältigen Darstellungen waren für das Brasilienbild
Europas im 19. Jahrhundert von großer Bedeutung. In Stettin
fand er seine ewige Ruhe. Bellermann und Hildebrandt wurden jetzt durch ihre
Arbeiten zum kunstgeschichtlichen Thema, obwohl sie enge Bindung an die Naturwissenschaften
haben. Manfred Nitzschke gibt neue Informationen über den fast unbekannten
sächsischen Künstler Ludwig Friedrich
Nitzschke (1822-1850) und Thor-kild Kjaergaad führt mit seinem Aufsatz »A German Romantic in Greenland« näher zum Geologen Karl
Ludwig Gieseke. An die deutschen Künstlerinnen mit ihren
Beziehungen zu Amerika erinnert Bärbel Kovalevski:
Friedericke Charlotte Louise Riedesel Freifrau zu Eisenach, Louise von Panhuys,
Elisabeth Ney oder die Malerin Elisabeth Jerichau-Baumann. Der Titel des
Beitrags von Matthias Gärtner »Die Reisen eines Preußen zu den Western
Frontiers« bezieht sich auf Balduin Möllhausen (1825-1905),
der sich bei Eduard Hildebrandt im Zeichnen vervollkommnete und Fauna, Flora,
Indianer sowie Landschaften malte und zeichnete. Zudem war er in seiner Zeit
meistgelesener Schriftsteller und bedeutender Autor des deutschen ethnographischen
Abenteuerromans. Beides ist mit der Geschichte des amerikanischen Westens stark
verknüpft.
Das 1. Zürcher Symposium beschäftigt sich beispielsweise mit der Frage »Gibt es bei Humboldt ein ästhetisches System?« –
so der Titel des Vortrags von Joäo Vicente Ganzarolli de
Oliveira –, oder auch wie Referent Lutz Harms mit von Humboldts medizinischem
Wirken. Speziell fielen Humboldts physikalische Experimente in eine Zeit
zwischen Aufklärung und Romantik,
welche starke Wirkungen auf die Medizin ausübten. Nur kurzfristig
scheint er auf diesem Gebiet tätig gewesen zu sein,
wird aber nachfolgende Forscher angeregt haben. Zwei Aufsätze von Gerd-Helge Vogel über »Willdenow, Usteri und Humboldt. Ein deutsch-schweizerisches
Dreigestirn im Dienste der Botanik« und über »Aspekte botanischer Illustration von Maria Sybilla Merian bis
Alexander von Humboldt« behandeln abschließend das 1. Zürcher Symposium. Seine zuletzt vorgestellten Beispiele entstammen
jener Entwicklungsphase, in der sich die Botanik endgüItig zur eigenen Fachdisziplin verselbständigte. Auf der XII. Romantikkonferenz im November 2007 war allein
August Ludwig Most und sein Schaffenswerk Thema, dem wohl herausragendsten
Exponenten spätromantisch-biedermeierlicher Malerei in
Pommern. Als Autoren im Band sind nach der Reihenfolge zu nennen: Ewa
Gwiazdowska, Gerd-Helge Vogel, Bärbel Kovalevski, Klaus Haese,
Claudia Seiheim, Ludwig Most und Eckhard Wendt. Für den Unbedarften mag es
normal sein, dass zum 200. Geburtstag eines Malers etwas ausgestellt und
publiziert wird. Für den Kenntnisreichen
ist es in diesem Fall eine Sensation, zumal die zurückliegenden Zeiterscheinungen nicht immer rosig waren. Daher war
es die erste Personalausstellung des Künstlers! Sogar ein
zweisprachiger, umfangreicher Ausstellungskatalog war erschienen. – Angesichts
der voranschreitenden Industrialisierung schuf Most Genres des dörflichen Lebens zwecks Identifikation der Stadtbevölkerung und hielt Ethnographisches fest. Zudem beinhaltet sein Œuvre
die Porträtmalerei. – Most wurde in der Stettiner Ausstellung
und in der Tagung wiederentdeckt.
Ein umfangreiches Inhaltsverzeichnis sowie Personenregister schließen den anspruchsvollen Band auf. Insgesamt liegt ein ansehnlicher
Sammelband vor, der als herausgearbeitetes Ergebnis das kunstgeschichtliche
Wissen in der ersten Hälfte des 19.
Jahrhunderts in seinen einzelnen Beiträgen interdisziplinär erweitert und vertieft, wobei die Definition »Romantik« fließend gefasst ist. Die
Symposien befruchteten die wissenschaftliche Forschung, wobei diese Konferenzen
aus erster Hand der Universität Greifswald zugute
gekommen sind. Wieder setzten beide Symposien Maßstäbe. Somit erfüllt das daraus
entstandene Werk in seinen vielen Facetten das Erhoffte. Nicht nur den
Kunstinteressierten sondern allen ist dieses Buch bestens zu empfehlen.
Eckhard Wendt, in: Pommern. Zeitschrift
für Kultur und Geschichte, Heft 4, 2009