Erhard Frommhold

Ein unerschöpfliches Thema

Texte zur Kunst- und Kulturgeschichte Sachsens,
hg. von
Hildtrud Ebert

In Dresdens Kunstszene gehörte er zu den Charakterköpfen. Für Jahrzehnte prägte er argumentationskräftig den renommierten Verlag der Kunst und seinen kosmopolitischen Habitus. Frommhold, der aus einer antifaschistisch-proletarischen Familie stammte, war, wie er gern betonte, ein »in der Wolle gefärbter« Linker, der gleichwohl als hoch gebildeter Intellektueller mit starkem Bezug zur anarcho-syndikalistischen Szene der Weimarer Republik in einem fast natürlichen Dauerstreit lag mit den mächtigen Dogmatikern seiner DDR-Um­gebung. Aber auch das bürgerliche Dresden hielt eher respektvolle Distanz zu dem unkonventionellen Denker, der sich zur Tarnung gern »Heimatforscher« nannte, dieweil er als couragierter Idealist nicht müde wurde, europäischen Geist ins Elbtal einzuschleusen. Ein Mann also zwischen vielen Stühlen, wenngleich genau dort ganz nah an seinem Lebenszentrum – bei den verehrten Künstlern. Wer ihn kannte, wird das hier annoncierte Buch womöglich längst besitzen, wem der Name wenig sagt, dem ist aber heute wohl kaum noch zu vermitteln, welche besondere Spezies der vor gut zwei Jahren verstorbene Frommhold repräsen­tierte: Mann einer verschwundenen Welt. Oder auch nicht? Der vorgelegte Auswahlband über das »unerschöpfliche Thema« Kunst liefert die beste Möglichkeit, eben dies zu überprüfen. Welcher Art sind seine Texte, wie haltbar und produktiv über die eigene Zeit hinaus waren seine Deutungen?
Dazu kann man nur einladen – nämlich zu kräftiger Kost.
Frommholds Interesse lag ganz beim 20. Jahrhundert und den Repräsentanten Dresdner Kunst. Das beginnt mit Aufsätzen über Kokoschka und Christoph Voll, Miron Sima und Lasar Segall-Exponenten des Expressionismus also, der folgenreiche Energie in die Dresdner Szene brachte. Frommhold entwickelt ihre Eigenart aus zeitkritischer Analyse und politischem Akzent. Lapidar im Stil, argumentiert er schon in seinen frühen Texten ganz aus der Polarität der Verhältnisse und mit geschickt montierten Zitaten - ein schließlich für ihn typisch werdender Ansatz. Mit der Dresdner »Asso«, deren Schwächen ihm selbstredend klar sind, kommt ein zweiter großer Themenkreis in den Blick: Kunst im Widerstand, Das gleichnamige Buch, das zu den wichtigsten von Frommholds Arbeiten gehört, wird zitiert und ergänzt mit Aufsätzen über die beiden Grundigs und konfron­tiert mit quasi antipodischen Studien: »... und Anpassung«. Diese klischeefreien Reflexionen hatten in ihrer Stringenz innerhalb der DDR-Kunstwissenschaft Seltenheitswert, sie lesen sich heute wie ein Gegen-den-Strom-Schwimmen. Geistig entfalten sie aber jenes Instrumentarium, mit dem dann die Zeitgenossen porträtiert werden: die ältere Generation mit Wilhelm Rudolph, der zum bestechenden Schilderer der zerstörten Stadt wurde, mit Otto Griebel, mit den großen Zeichnern Joseph Hegenbarth und Gerhard Kettner und den »Farbensuchern« Querner und Rosenhauer- Eckpfeiler also der Dresdner Tradition. Sie wird für Frommhold weitergeführt z.B. mit den Malern Siegfried Klotz, Hubertus Giebe und Wolfgang Petrowsky.
Die Auswahl hat hier ihre Stimmigkeit, benennt implizit aber auch eine Grenze. Denn Frommhold, der energische Verteidiger eines Wertmaßstabes in der Kunst, war eher irritiert von der rebellischen Jugend der achtziger Jahre, die den offenen Bruch mit dem System riskierte, und blieb ihrem Gestus gegenüber oft reserviert. Noch zurückhaltender wurde er schließlich bei der großen Zeitenwende 1990/1991, die ihm ein Trauerfall war, wenngleich ein unabweislicher. Schade, dass das sonst so kluge Nachwort hierzu schweigt. Den Bruch in der Kunst wollte er nicht mehr öffentlich reflektieren (was allerdings schon deshalb kein Vorwurf sein kann, weil, abgesehen von einigen Soziologen, auch die gesamte professionelle Dresdner Kunstwissenschaft bis heute das heikle Thema nobel umgeht). Produktiv blieb der Essayist aber trotzdem, was auch die für das Buch so wichtige Auswahlbibliographie belegt.
Seine nach 1990 entstandenen, eher geistesgeschichtlich orientierten Studien über Kunsthandel in Dresden, die Internationale Kunstausstellung von 1926, den Carl Reissner Verlag, Martin Raschke und Fritz Löffler (allesamt geschrieben für die Dresdner Hefte) gehen noch einmal hinein in die Tradition. Besonders an einem Text wie dem über Alice Rühle-Gerstel wird dann auch der Schmerz spürbar, derfür Frommhold mit dem Scheitern aller emanzipatorischen linken Hoffnungen in der stalinistischen Diktatur verbunden war. Dies bezeich­net zugleich einen Zentralpunkt der Geistesgeschichte der DDR, die solcherart (man denke an Volker Brauns Gedicht »Der Eisenwagen«) noch immer der Aufbereitung harrt. Erhard Frommhold wird darin, und nicht nur weil Biermann ihn einst zu dem kleinen Häuflein der »Aufrechten« zählte, eine wesentliche Rolle spielen. Das u.a. machen diese Texte deutlich.
Ein besonderes Bedürfnis nach Verbindlichkeit prägt alle seine Arbeiten. Ihre Sachkenntnis und Intelligenz sind bestechend, ebenso seine Argumentationsfähigkeit, die historisches und psychologisches Denken geschickt für das eine Ziel nutzt: Verständnis für die Eigenart eines Kunstwerkes zu vermitteln. Denn das war seine Passion, die Verteidigung der Kunst.
Hans-Peter Lühr, in: Dresdner Hefte, 28. Jg. Heft 102, 2/2010

 

Den Kunsthistoriker Erhard Frommhold hatte er für den Kraftfahrer von Willi Sitte gehalten, als er ihm das erste Mal begegnete, erzählte der Philosoph Bernd Rosner am Donnerstagabend im Dresdner Stadtmuseum zur Premiere eines Buches, in dem Frommholds Texte zur Kunstgeschichte Sachsens versammelt sind. »Er hatte nichts gemein mit den Malerfürsten der DDR und den Verbandsfunktionären. Und die konnten ihm auch nicht das Wasser reichen.« Rosner beschrieb Frommhold als Linksintellektuellen proletarischer Herkunft. Ein Schwejk, ein Genießer und ein Augenmensch sei er gewesen, der wusste, dass große Kunst im kleinsten Winkel der Provinz entstehen kann. Frommhold half, sie zu entdecken und in die Welt hinauszutragen. Von 1952 bis 1991 war er Lektor im Dresdner Verlag der Kunst, die meiste Zeit sogar Cheflektor. Er schrieb Katalogtexte, publizierte Aufsätze, arbeitete als Kunstkritiker für die Sächsische Zeitung. Dabei behielt er seine Meinung nicht für sich, hatte Mut zum Urteil – und unterschätzte niemals seine Leser.
Vor zwei Jahren starb Erhard Frommhold im Alter von 79 Jahren in Dresden. Ende 2006 drehten Jutta Hercher und Wolfgang Petrovsky den Film »Zu Besuch bei Erhard Frommhold«. Ausschnitte waren am Donnerstag zu sehen.
»Was mir zukommt, ist die Provinz«, hatte Frommhold einmal über sich gesagt. Herausgeberin Hildtrud Ebert meinte: »Es war an der Zeit, die Erinnerung an das geistige und ethische Engagement dieses Heimatforschers, wie er sich selbst nannte, wachzuhalten.« Er habe an der Auswahl für das Buch selbst mitgearbeitet und dabei sein reiches publizistisches Werk auf wenige Aufsätze zusammengestrichen. »Ich bin dieser Liste nicht streng gefolgt«, sagte Frau Ebert. Sie traf die Auswahl großzügiger. Das ist ein Glück für die Leser.
Birgit Grimm in der »Sächsische Zeitung« am 24/25.10.2009