Dieter Hoffmann-Axthelm
Das Wunderblut von Beelitz
Die Wallfahrt hat im
Zeitalter des (Massen-) Tourismus eine Renaissance erfahren und sich dabei
stark verändert. Nicht mehr ein religiöses Erlebnis, Heilung und Erlösung,
sondern die Selbstfindung steht für viele moderne Pilger im Vordergrund. Doch
ist so ein Interesse an den Erlebnissen früherer Wallfahrer entstanden, deren
Wege zu den europäischen Wallfahrtszentren man wieder zu begehen wünschte. Die
Suche erstreckte sich bald auch auf Gebiete, in denen als Folge der Reformation
zwischen dem 16. und dem 20. Jahrhundert keine Wallfahrtstradition mehr
bestand. Es musste zur Rekonstruktion mittelalterlicher Wallfahrtswege
gegriffen werden. Ein Jacobsweg ist freilich für den Brandenburger Raum nicht
genannt. Ausdrückliche Pilgerwege sind – außer einzelnen zufälligen Angaben
über Pilger, am ehesten über die Romwegkarte von Erhard Etzlaub aus dem
16. Jahrhundert zu erschließen – nicht überliefert.
Für den östlichen Teil des Landes Brandenburg hat diese Aufgabe der Lehrstuhl
für mittelalterliche Geschichte an der Europa-Universität Viadrina in Form
eines Projektes »Jacobswege östlich und westlich der Oder« für Studierende und
Absolventen des Studienganges Kulturwissenschaften übernommen und die
Ergebnisse in dem hier vorliegenden Band veröffentlicht. Grundannahme ist wohl,
dass mittelalterliche Fernreisewege dem Kaufmann ebenso wie dem Pilger dienten.
Diese scheint – ohne in dem Büchlein explizit genannt zu werden – eine der
Grundlagen für den rekonstruierten Pilgerweg zu sein. In der Literaturliste
wird immerhin als einziger Hinweis auf die regionale Altstraßenforschung Gerd
Heinrich »Handelsstraßen im Mittelalter« genannt, allerdings ohne Hinweis
darauf, dass die Karte im Zusammenhang mit dem Historischen Handatlas von
Berlin und Brandenburg erschienen ist. Die Kriterien, nach denen schließlich
zwei Wege, der eine von Frankfurt südlich über Fürstenwalde und Erkner nach
Berlin sowie der zweite über Sieversdorf, Falkenhagen, Müncheberg, Strausberg
und Werneuchen nach Bernau, ausgesucht wurden, werden hier nicht genannt. Sie
fuhren beide an zahlreichen, touristisch interessanten und gut beschriebenen
Sehenswürdigkeiten vorbei. Von den beiden vor Berlin liegenden Endpunkten kann
dann der Pilger; wie ihm empfohlen wird, die regionalen Pilgerrouten oder die
überregionalen Wanderwege weiter benutzen. Entstanden ist ein Wanderbuch, das
den Besucher von kirchlichen Institutionen und Sehenswürdigkeiten auf der Route
fuhrt. Eine siedlungs- und wegegeschichtliche Einleitung fehlt allerdings. So
erfährt der Leser nicht, warum Falkenhagen keine Stadt mehr ist, oder er erhält
für den Barnimbesitz des Klosters Zinna die Erklärung, dass »die frommen
Ordensbrüder die menschenleere Landschaft durchstreiften und urbar machten«,
sowie nach »einer mündlichen Überlieferung« Mönchwinkel seinen Ursprung in
einer »Strafkolonie« für Mönche, »die gegen die strengen Ordensregeln
verstießen«, hätte. Wüstungsvorgänge, z.B. bei der temporären Wüstung Pagram,
werden auf den »Hussiteneinfall« von 1432 zurückgeführt, ohne dass der
spezielle Wüstungsvorgang und eine modernere Literatur über Wüstungen in
Brandenburg herangezogen wurde.
Sehr gut und instruktiv sind dagegen die touristischen Hinweise, die durch
einen »Serviceteil« benannten Anhang mit nützlichen Adressen, Ratschläge und
Tipps und Literaturhinweisen ergänzt werden.
Das von einem Beeliaer evangelischen Pfarrer aus dem späten
16. Jahrhundert überlieferte Urkunde mit der Jahreszahl 1247 für das
Wunderblut von Beelitz hätte – wäre dieses auch anderweitig belegt – der
kleinen märkischen Stadt eine Vorreiterrolle in der Sakramentsverehrung in
Mitteleuropa beschert. Dieter Hoffmann-Axthelm geht dieser Frage nach und
verbindet die wenigen, vor allem aus dem 14. Jahrhunden stammenden
schriftlichen Zeugnisse mit den in Beelitz nachzuweisenden Baubefunden an der Stadtkirche
St. Marien mit ihrer im späten 14. Jahrhundert achteckigen Kapelle,
die, wie Hoffmann Axthelm überzeugend darstellt, am Ort des Blutwunders auf dem
Kirchhof gebaut wurde. Bauherr war die Stadtgemeinde, die auf einen großen Pilgerstrom
hoffte, der aber spätestens ab 1383, als Wilsnack zu einem überragenden
Wallfahrtsort wurde, nahezu versiegte. Der Versuch, mit einer antijüdischen
Legende dem Wallfahrtsort aufzuhelfen, wird vom Autor mit Recht mit
gleichartigen Versuchen im Kloster Heiligengrabe aus dem 16. Jahrhundert
parallelisiert.
Felix Escher, in: Jahrbuch
für brandenburgische Landesgeschichte, 61. Band, 2010