Nicole Glocke

In den Fängen von StB, MfS und CIA

Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit

 

 

Nicole Glocke schildert das Leben des Eugen Mühlfeit, eines Dissidenten aus der Tschechoslowakei, der in die Fänge der Geheimdienste geriet. Mühlfeit war an einem illegalen Kunsthandel beteiligt, in den auch, so sagt er es, Robert Havemann involviert war. Eine Behauptung, die nun möglicherweise deutsche Gerichte beschäftigen wird.
»Das Schlimmste ist die maßlose Unmenschlichkeit. Ich kann heute noch nicht damit leben, wenn ich daran denke, was ein Mensch einem anderen antun kann.«
Die Geschichte von Eugen Mühlfeit hört sich an, wie aus fernsten Zeiten. Doch sie ereignete sich in den achtziger Jahren, mitten in Europa und mitten im sogenannten Entspannungsprozess zwischen Ost und West. Eine Geschichte, jetzt durch das Buch erstmals veröffentlicht, die Abwehrreflexe hervorruft. In aller möglichen Kürze: Eugen Mühlfeit, Jahrgang 1952, ist Tscheche mit deutscher Abstammung. Die Familie blieb nach dem Krieg von Vertreibung verschont, weil sie Juden geholfen hatte. Er erlebte den Prager Frühling und seine Niederschlagung 1968. Auf dem Titelfoto des Buches sieht man ihn mitten in einer Menschenmenge, die sowjetische Panzer umringt. Mit 19 unternahm er den ersten Fluchtversuch und landete für eineinhalb Jahre im Gefängnis. Ende der 70er-Jahre beteiligte er sich dann an einem geheimen Transfer von Bildern und Grafiken tschechoslowakischer Künstler über Ostberlin nach Westberlin. Dabei soll auch der DDR-Dissident Robert Havemann ab und zu involviert gewesen sein. Dessen Witwe Katja Havemann aber bestreitet das. Ihr Dementi ist auch im Buch zu lesen. Trotzdem ist um diese Passage des Buches nun ein massiver Streit entbrannt.
Doch der Reihe nach: Der tschechoslowakische Staatssicherheitsdienst StB erfuhr damals von dem geheimen Bilder-Transport und setzte Mühlfeit unter Druck. Der erklärte sich schließlich zur Zusammenarbeit bereit, aus taktischen Gründen, wie er heute sagt. Von diesem Zeitpunkt an geriet Mühlfeits Leben immer weiter aus den Fugen, ihm wurde zunehmend die Kontrolle über sein Handeln genommen. Nach einem von der tschechischen Stasi genehmigten Aufenthalt in Westberlin kehrte er zusammen mit Frau und Sohn nicht in die CSSR zurück. Stattdessen offenbarte er im Durchgangslager Marienfelde in West-Berlin dem Vertreter eines US-Dienstes, vermutlich CIA, seine Stasi-Kontakte. Und zwar in der Hoffnung, dadurch unter den Schutzschirm eines West-Geheimdienstes zu treten. Doch das Gegenteil war der Fall.
»Mein größter Fehler, denk ich mir im Abstand, war die Naivität. Ich hätte niemals geahnt, dass die Geheimdienste sich jeglicher Justiz entziehen, dass sie ihre eigenen Gesetze haben.«
Die langen Arme der tschechischen Stasi reichten nämlich bis in den Westen. Durch Drohungen, die in der Tschechoslowakei zurückgebliebenen Verwandten zu bestrafen, wurden Mühlfeits Frau genötigt, mit ihrem Sohn nach Prag zurückzukehren. Mühlfeit blieb in Berlin und wurde am 31. Oktober 1981 von einem Kommando der DDR-Staatssicherheit aus seiner Wohnung entführt und in die CSSR gebracht. Dass es noch in den achtziger Jahren solche Verschleppungen gab, war bisher nicht bekannt. In Prag wurde er als Verräter zu verschärfter Lagerhaft verurteilt. Was Eugen Mühlfeit nun schildert und was die Biografin Nicole Glocke in dem Buch niedergeschrieben hat, verschlägt einem die Sprache: Misshandlungen, Folter, körperliche Arbeit bis zum Zusammenbruch, Häftlinge, die von Wärtern zu Tode geprügelt wurden.
Mühlfeit ist seit der Haft zu 100 Prozent schwerbehindert. Seit 1990 lebt er mit Frau und Sohn in Berlin. Er ist strafrechtlich zwar rehabilitiert, auf die Haftentschädigung wartet er aber bis heute vergeblich. Doch jetzt wird das Buch von unerwarteter Seite angegriffen. Katja Havemann sieht ihren verstorbenen Mann, den DDR-Dissidenten Robert Havemann, diffamiert. Er werde durch das Buch mit – so wörtlich – »illegalen Kunstschiebereien« in Verbindung gebracht, erklärt sie und greift dabei auf Logik und Diktion der DDR-Gesetze zurück. Doch Mühlfeits Bilderhandel – und damit auch Robert Havemanns behauptete Beteiligung daran, ließen sich auch ganz anders deuten. Nämlich als legitimer Einsatz zugunsten von Künstlern, denen es im kommunistischen System verboten war, über ihre Kunstwerke frei zu verfugen und sie zu verkaufen, an wen sie wollten.
Obwohl ihre Position im Buch wiedergegeben wird, verlangt Katja Havemann jetzt, die Stellen über ihren Mann zu streichen. Außerdem will sie eine Entschädigung in Höhe von 50 000 Euro. Der Lukas Verlag und seine Autorin lehnen dies ab. Der Streit zieht mittlerweile Kreise: Die Stiftung Aufarbeitung, die die Herausgabe des Buches finanziell unterstützte, verlangt von Nicole Glocke eine Stellungnahme zu Katja Havemanns Vorwürfen. Und die Stasi-Unterlagen-Behörde, die Glocke und Mühlfeit für September zur Vorstellung ihres Buches eingeladen hatte, hat beide wieder ausgeladen. Ohne Begründung. Die Biografin Nicole Glocke.
»Mein Befremden bezieht sich auch auf die Tatsache, dass ein Buch, das über die Machenschaften der Geheimdienste ja berichtet, dass ausgerechnet eben solch ein Buch bekämpft wird.«
Thomas Moser im Deutschlandfunk vom 24. August 2009

 

Ganz und gar nicht lustig ist die außergewöhnliche Lebensgeschichte des sudetendeutschen Oppositionellen Eugen Mühlfeit, der Ende der 70er Jahre ins Visier der Geheimdienste sowohl der CSSR und der DDR als auch der USA geriet und schließlich in den tschechoslowakischen Kerkern auf der Todesliste stand. »In den Fängen von StB, MfS und CIA« heißt die erschütternde, gründlich recherchierte Biografie der Autorin Nicole Glocke.
Morgenpost Sachsen am 19. Juli 2009

 

Die schier unglaubliche Lebensgeschichte eines oppositionellen Einzelgängers, der 1952 als Sohn eines nicht vertriebenen Sudetendeutschen in der Tschechoslowakei geboren wurde, als Kind deutschsprachig aufwuchs, seit seiner Schulzeit ein Außenseiter war. Als »Deutscher« in seiner tschechischen, sozialistischen Umgebung gemieden und als renitenter Unangepasster »abgeschrieben«, fordert der tschechoslowakische Staatsbürger von Jugend an demokratische Freiheitsrechte, gepaart mit einer Sehnsucht nach einem Leben in seiner »wahren Heimat«, dem freien Teil Deutschlands. Er erlebt den »Prager Frühling« 1968, den Einmarsch der sowjetischen Panzer und die brutale Niederschlagung des Strebens nach mehr Freiheit und einem »Sozialismus mit menschlichem Antlitz«. Nach der Ablehnung mehrerer Ausreiseanträge versucht Mühlfeit im Mai 1971 die Flucht nach West-Berlin. Sie scheitert und führt zu Haft in Ost-Berlin und Prag, wo er vorübergehend in eine psychiatrische Klinik eingewiesen wird.
Der inzwischen verheiratete Mühlfeit, Vater eines Sohnes und ausgebildeter Koch, taucht tief in die Untergrundkultur ein, wird 1977 Betriebsleiter eines bekannten Prager Jazzlokals, eines Treffpunkts nonkonformistischer Musikgruppen. Dort lernt er einen Universitätsprofessor aus West-Berlin kennen, der ihn als Dolmetscher zu dem Schriftsteller und avantgardistischen Künstler Jiri Kolar mitnimmt, einem der geistigen Väter der »Charta 77«. Der Professor, dessen Name im Buch »aus rechtlichen Gründen« geändert wurde, stellt sich als leidenschaftlicher Kunstsammler vor, der in seiner West-Berliner Galerie Werke vorwiegend tschechoslowakischer Künstler ausstellen und verkaufen will. Die Bilder und Grafiken sollen über Ost- nach West-Berlin geschmuggelt werden und die Verkaufserlöse auf demselben Weg zurück nach Prag. Dort sollen sie den verfolgten Künstlern im Umkreis der »Charta 77« zugutekommen. Mühlfeit lässt sich für den Kunsttransfer ab 1979 von Prag nach Ost-Berlin gewinnen.
Nicole Glocke ist die Erste, der Mühlfeit seine Lebensgeschichte ausführlich zu Protokoll gegeben hat. Zur Verifizierung seiner Angaben hat die Autorin nicht nur mit Zeugen gesprochen, die über den »Deutsch-Böhmen« und seine Handlungen Auskunft geben können, sondern auch in den einschlägigen Archiven recherchiert und dabei Dokumente gefunden und publiziert, die Mühlfeits Angaben stützen. Sie zitiert aber auch Aussagen, die seiner Darstellung widersprechen. So widerspricht Katja Havemann, die junge Witwe des DDR-Regimekritikers Robert Havemann, der Darstellung, ihr Mann sei eine der beiden Kontaktpersonen in Ost-Berlin gewesen, der Mühlfeit Kunstwerke aus Prag zur Weiterleitung nach West-Berlin übergeben und von ihm Verkaufserlöse erhalten habe. Sie könne sich vorstellen, dass der Kunsttransfer nur über die andere Kontaktperson, eine bekannte Professorenwitwe, gelaufen sei. In den Akten der östlichen Geheimdienste sind freilich Kontakte Mühlfeits mit Havemann verzeichnet, sogar eine Übernachtung in seinem Haus im Januar 1979, als Havemann noch unter Hausarrest stand. Offenbar war es auch der Kontakt mit Havemann, der die Stasi veranlasste, Mühlfeit bei seinen Aufenthalten in der DDR unter operative Kontrolle zu stellen.
In Prag wird er gezwungen, für die »nachrichtendienstlichen Organe des föderalen Innenministeriums« den Professor und Kunsthändler aus West-Berlin auszuforschen. Mühlfeit unterschreibt mit Billigung des Professors eine entsprechende Verpflichtung. Das Material wird ihm von einem »Tutor« des Professors, den er für den Mitarbeiter eines westlichen Geheimdienstes hält, geliefert. Mühlfeits Ziel ist es, mit Hilfe des östlichen Dienstes nach West-Berlin zu gelangen. Sein tschechischer Führungsoffizier schickt ihn am 1. April 1981 tatsächlich nach West-Berlin. Er darf seine erblindete Frau und seinen Sohn mitnehmen. Die Familie beschließt, nicht nach Prag zurückzukehren. In West-Berlin, wo Mühlfeit befürchten muss, als östlicher Agent festgenommen zu werden, bemüht er sich um die Anerkennung als Flüchtling und um einen deutschen Pass. Im Notaufnahmelager Marienfelde offenbart er sich dem amerikanischen Geheimdienst, der ihn nun seinerseits für sich einsetzt. Nach Mühlfeits Bericht soll er eine junge Tschechin, die an der tschechoslowakischen Botschaft in Rom gearbeitet hat, zur Mitarbeit für die CIA gewinnen. Zuvor war im Mai 1981 Mühlfeits Frau mit dem Sohn aus West-Berlin verschwunden. Sie war nach Prag zurückgekehrt, nachdem sie von östlichen Agenten aufgesucht und massiv bedroht worden war.
Mühlfeit, der auf Hilfe der Amerikaner hofft, lässt sich auf eine Liebesbeziehung mit der ehemaligen tschechischen Botschaftsmitarbeiterin ein, die sich freilich weigert, für die Amerikaner zu arbeiten. Am 31. Oktober 1981 wird Mühlfeit von zwei Männern, die einen West-Berliner Polizeiausweis vorweisen, aus West- nach Ost-Berlin entführt, dort im Ministerium für Staatssicherheit verhört und schließlich vom tschechoslowakischen Geheimdienst »übernommen«. In Prag wird er verhaftet, durch mehrere Lager geschleppt, wo er körperlich und seelisch gequält und gefoltert wird. Ab 1983 finden mehrere Gerichtsverfahren gegen ihn statt. Er wird zu Zuchthausstrafen, Vermögenseinzug, Zwangsarbeit und anschließender Einweisung in eine psychiatrische Einrichtung verurteilt. Im März 1985 wird Mühlfeit aus dem Lager, ein halbes Jahr später aus der Psychiatrie als gebrochener Mann zu Frau und Sohn entlassen.
Nicole Glocke schildert den Leidensweg des Eugen Mühlfeit durch die Hölle der Lager auf Grund seiner Berichte in allen Einzelheiten. Sie zieht ärztliche Gutachten über seine Verletzungen heran, bemüht sich um Aufklärung und beschreibt auch seinen Kampf um Rehabilitierung und Entschädigung nach dem Untergang der kommunistischen Regime in der Tschechoslowakei und in der DDR. Sie verschweigt aber auch nicht den Eigensinn, den Freiheitswillen und die Naivität des jungen Tschechen, die ihn in die geheimdienstlichen Verstrickungen und die folgenden, aller Menschlichkeit hohnsprechenden brutalen Racheakte in den tschechischen Lagern führten. Ihr Buch ist die erschütternde Darstellung eines Opferschicksals, auch wenn manche Fragen zu dieser Geschichte offenbleiben.
Peter Jochen Winters, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. Juni 2009.