Peter M. Kaiser (Hg.)

Mut zum Bekenntnis

Die geheimen Tagebücher des Hauptmanns Hermann Kaiser 1941/1943

[…] Wenn über das Attentat vom 20. Juli 1944 die Rede ist, so stehen die Namen von Claus Schenk Graf von Stauffenberg, Carl Goerdeler und Generaloberst Ludwig Beck im Vordergrund. Der Name Hermann Kaiser ist demgegenüber nur wenigen bekannt. Zu Unrecht. Bereits Roland Freisler hatte die herausragende Stellung Hermann Kaisers für den Widerstand gegen das NS-Regime erkannt und ihn in seiner Einschätzung damit auf eine Stufe mit Stauffenberg, Beck und Goerdeler gestellt. Worin lag die bis heute noch immer verkannte Bedeutung Hermann Kaisers? Er war einer der wichtigsten Organisatoren des Attentats auf Hitler, der allerdings mehr im Hintergrund wirkte. Hermann Kaiser war es, der die eigentlichen Ver­bindungen zwischen den verschiedenen Kreisen des Widerstandes, zwischen Militärs und Zivilisten herstellte und durch seine ständigen Vermittlungen aufrechterhielt. Was Hermann Kaiser zwischen 1941 und 1944 maßgeblich für die Vorbereitung des Staatsstreichs geleis­tet hat, lässt sich insbesondere seinen Tagebüchern entnehmen, die sein Neffe Peter M. Kaiser in einer vorzüglichen Edition veröffentlicht und so erstmals einem größeren Kreis interessierter Historiker zugänglich gemacht hat. […]

Von diesen Tagebüchern sind diejenigen aus den Jahren 1941 und 1943 erhalten. Aufzeichnungen von 1942 und 1944 fehlen. Die Tagebücher befinden sich heute im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg. In mühsamer, mehrjähriger Arbeit hat Peter M. Kaiser die schwer lesbaren Aufzeichnungen transkribiert, die von Hermann Kaiser benutzten geheimen Abkürzungen für die zahlreichen Vertreter des Widerstandes ›aufgelöst‹ und Personen und Ereignisse in Fußnoten ausführlich beschrieben. Zusätzlich hat er ergänzende Dokumente und Berichte aufgenommen, um die zeitlichen Lücken zu schließen. Um dem Leser die zeitlichen und örtlichen Zusammenhänge nachvollziehbar zu machen, auf die Hermann Kaiser unter dem jeweiligen Datum Bezug nimmt, hat der Herausgeber vor jeden Monat des Tagebuchs eine ergänzende militärhistorische Einleitung hinzugefügt. Besonders schmerzhaft ist allerdings der Verlust der Tagebücher von 1944 mit den sicher aufschlussreichen Aufzeichnungen über die unmittelbaren Vorbereitungen des Attentats vom 20. Juli.
Neben den Schilderungen der zahlreichen Begegnungen mit den Vertretern des Widerstandes, aber auch mit fanatischen Anhängern des Regimes, die ihn dienstlich aufsuchten, und den täglichen Notizen zur militärischen Lage, die alle Kriegsschauplätze betreffen, auf denen deutsche Soldaten kämpften, erwähnt Hermann Kaiser natürlich auch sehr private Treffen, Konzert- und Vortragsbesuche. Bemerkenswert ist, dass der Weinkenner Hermann Kaiser auch in Kriegszeiten stets über einen ausreichenden Vorrat exklusiver Weine aus dem Rheingau verfügte und davon gegenüber seinen Mitarbeitern und auch gegenüber Besuchern sehr großzügig Gebrauch machte, was er penibel notierte. Besonders hervorzuheben sind die Eintragungen, aus denen sein Unverständnis darüber hervorgeht, dass die militärischen Führer, die sich dem Widerstand angeschlossen hatten, nicht rascher handelten, sondern dass es immer wieder zu neuen Verzögerungen kam, ehe dann endlich losgeschlagen werden konnte.
Die Aufzeichnungen von Hermann Kaiser lassen auch 70 Jahre nach den Ereignissen immer wieder erkennen, dass wir in ihm einen glühenden Idealisten vor uns haben, der aus seiner tiefen christlichen Grundhaltung von der Unrechtmäßigkeit und der Unmenschlichkeit des NS-Regimes überzeugt war und aus dieser Erkenntnis heraus bereit war, sein Leben für die Beseitigung des Diktators einzusetzen und sich für die Errichtung eines Rechtsstaats in Deutschland zu opfern. Mit der Herausgabe der Tagbücher hat Peter M. Kaiser nicht nur seinem Onkel das ihm angemessene, bleibende Denkmal gesetzt, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur Geschichte des deutschen Widerstandes geleistet.
Rolf Faber, in: Nassauische Annalen, 123, 2012

 

Es ist schon erstaunlich, dass die Tagebücher des nationalkonservativen Widerstandskämpfers Hermann Kaiser (1885–1945) erst jetzt publiziert worden sind, sechseinhalb Jahrzehnte nach der militärischen Niederringung des »Dritten Reiches« durch die Armeen der Anti-Hitler-Koalition. Unser Wissen über den Umsturzversuch vom 20. Juli 1944 stützt sich zwar durchaus auf etliche weitere authentische Zeugnisse, so auf die den faschistischen Verfolgern in die Hände gefallenen Befehle, Aufrufe, Denkschriften und Memoranden der Verschwörer und dergleichen mehr, wie auch auf die diesbezüglichen Ermittlungs- und Strafprozessakten. Hinzu kommen z.B. die Tagebücher Ulrich von Hassells und noch diverse, allerdings in der Regel nach 1945 verfasste Berichte, Briefe und Artikel von Aktivisten der Erhebung. Ein Schattendasein gefristet haben hingegen die privaten Tagebücher Hermann Kaisers, im Zivilberuf Gymnasiallehrer in Wiesbaden und seinerzeit als Hauptmann der Reserve Kriegstagebuchführer im Stab von Generaloberst Fritz Fromm, dem Chef der Heeresrüstung und Befehlshaber des Ersatzheeres im Oberkommando des Heeres (OKH). Nur gelegentlich sind sie von Historikern für Arbeiten zum »20. Juli« herangezogen worden. Keiner mochte sich jedoch dazu bereitfinden, diese einzigartige zeitgeschichtliche Quelle systematisch zu erschließen und zu veröffentlichen, da eine editorische Sisyphusarbeit abschreckte.
Dieser kolossalen Kraftanstrengung hat sich nun Peter M. Kaiser unterzogen, aus dessen Feder bereits einige der leider nur raren biografischen Beiträge über seinen Onkel Hermann stammen, der im Zuge der Staatsstreichaktion zunächst als Verbindungsoffizier im Wehrkreis XII (Wiesbaden), anschließend in leitender Funktion im Kultusministerium hätte hervortreten sollen. Das Editionsprojekt wurde bereits 1998 in Angriff genommen und nun mit Bravour zu einem guten Abschluss gebracht. Die einzigen erhalten gebliebenen Kaiser-Tagebücher, nämlich jene für die Jahre 1941 und 1943, wobei Letzteres bereits Anfang August endet, liegen damit in geradezu vorbildlich erschlossener Form vor.
Während seine sonstigen Aufzeichnungen von den faschistischen Fahndern beschlagnahmt worden sind und als Beweisstücke in den Schauprozessen gegen die Verschwörer vor dem »Volksgerichtshof« Verwendung gefunden haben, konnten diese beiden Tagebücher dem Zugriff der NS-Behörden entzogen werden. Zusammen mit einigen weiteren Unterlagen Hermann Kaisers gelangten sie nach dem Krieg in den Besitz seines Bruders Ludwig, der sie bereits vor Jahrzehnten an das Bundesarchiv abgegeben hat. Da es nur unzulängliche Abschriften gab, war es unumgänglich, die unzähligen Schreibfehler und Fehldeutungen, die sich eingeschlichen hatten, durch eine mehrfache, akribische Abgleichung mit den Originaltexten zu korrigieren. Allein dies hat Jahre in Anspruch genommen.
Die Edition enthält darüber hinaus knappe Vermerke, die das Zwischenkapitel »Chronik der wichtigsten Ereignisse 1942« bilden, so dass über drei Kriegsjahre hinweg lückenlos berichtet wird. Vor jedem Monat werden detaillierte Vorbemerkungen des Herausgebers präsentiert, vorwiegend solche über das militärische Vorgehen, etwa gegen die Sowjetunion, in Nordafrika oder auf dem Balkan. Besondere Kleinode für die Widerstandsforschung sind Kaisers im Anhang wiedergegebene Notizen über »Wesen und Aufgaben der Politik« sowie über das »Verhältnis des Staates zur Kirche«; vielleicht waren sie für Fromm bestimmt, womöglich auch für Carl Goerdeler, dessen »Aufruf an das deutsche Volk« Kaiser mitverfasst hatte.
Seine meist nur stichpunktartigen Einträge beinhalten neben einer Fülle von Hinweisen zur Kriegslage sowie zum Rüstungsstand auch Einschätzungen der außenpolitischen Entwicklungen. Außerdem bergen sie viele Hinweise anderer Art, nicht zuletzt auf die vielfältigen Kontakte der Widerständler und ihre langwierigen Attentats- und Staatsstreichplanungen. Wegen der Brisanz seiner Aufzeichnungen musste Hermann Kaiser Decknamen verwenden, um deren Entschlüsselung sich sein Neffe in besonderer Weise verdient gemacht hat.
Als rühriger Mittler zwischen zivilem und militärischem Arm der Umsturzbewegung kooperierte Kaiser speziell mit Carl Goerdeler aufs Engste, der im Fall eines Machtwechsels an die Spitze der alsbald zu bildenden Zivilregierung hätte rücken sollen. Häufige Erwähnung finden daneben viele andere zivile Oppositionelle, ebenso solche aus dem Militär, mit denen Kaiser beim OKH Kontakt hatte, so Hans Oster, Friedrich Olbricht, Ludwig Beck, Henning von Tresckow, Fabian von Schlabrendorff usw. Auffällig ist, dass der spätere Hitler-Attentäter Claus Graf Schenk von Stauffenberg nur selten erwähnt wird, und dies, obwohl die beiden doch mehrmals aufeinander getroffen sind. Und der als künftiger Vizekanzler eingeplante Arbeiterführer Wilhelm Leuschner hat sogar nur in einem einzigen Hinweis eine Spur in Kaisers Diarium hinterlassen.
Zum besseren Verständnis werden in den Anmerkungen die Beziehungen der Personen untereinander erklärt und zudem weitere Hintergrundinformationen mitgeteilt. Die Häufigkeit der Eintragungen, welche Widerstandsaktivitäten betreffen, offenbart die ganze Intensität, mit der Kaiser am Netzwerk der Verschwörung gearbeitet hat.
Peter M. Kaisers wichtige Quellenedition, bei der er manche Unterstützung anderer Wissenschaftler erfahren hat, wird gewiss zu weiterer Forschungsarbeit anregen. Damit wird dem Widerständler Hermann Kaiser, der sich zum Schluss zum strikten Befürworter eines Verfassungsstaates mit frei gewählter Regierung emporgearbeitet hatte, endlich eine angemessene historiografische Würdigung zuteil.
Nazlı Ilhan, Axel Ulrich, in: informationen Nr. 74, November 2011, 36. Jg.