Rüdiger von
Voss
Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944
Politische Rezeption und Traditionsbildung in der Bundesrepublik
Deutschland
Mit dem Attentat auf Hitler und dem daran gekoppelten
Staatsstreichversuch vom 20. Juli 1944 ist der Autor in mehrfacher
Hinsicht verbunden, vor allem durch seinen Vater Hans-Alexander von Voss,
welcher zuletzt als Oberstleutnant im Generalstab selbst dem militärischen
Widerstand gegen Hitler angehört hat. […]
Rüdiger von Voss, seit 2009 Ehrenvorsitzender des Kuratoriums der »Stiftung
20. Juli 1944«, hat schon etliche Arbeiten zum »20. Juli« veröffentlicht.
Anders als der viel weiter gefasste Untertitel nahe legt, konzentriert sich
sein neuestes Werk auf die diesbezügliche öffentliche Rezeption, auf die
entsprechende Traditionsbildung innerhalb der Bundeswehr, auf Entstehung und
Geschichte der Stiftung sowie der »Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944«.
Zunächst jedoch wird auf die »geistige und politische Dimension des
20. Juli 1944« eingegangen, und zwar indem dieser spezielle
Widerstandsbeitrag als Gewissensentscheidung und insofern in seiner moralischen
und politischen Legitimierung betrachtet wird. Hierbei vermag der Autor
bemerkenswerte Verbindungslinien von der Vorstellungswelt jener Widerständler
zur Bundesrepublik aufzuzeigen. Die damaligen »Vorarbeiten für ein ›anderes
Deutschland‹« haben »wichtige Impulse beim demokratischen und rechtsstaatlichen
Neubeginn« gegeben, konstatiert von Voss im Gegensatz zu nicht wenigen anderen
Widerstandsforschern völlig korrekt.
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Nazli
llhan und Axel Ulrich, in: informationen. Wissenschaftliche Zeitschrift des
Studienkreises Deutscher Widerstand 1933–1945, Nr. 75, Mai 2012
Der Staatsstreich vom 20. Juli 1944 liegt 67 Jahre zurück.
Das aktuelle Gedenken folgt einer Tradition, die sich in der Bundesrepublik
seit 1952 geformt hat. Der Bundestagspräsident legte einen Kranz am Ehrenmal im
Bendler-Block nieder, nachdem er, zusammen mit hohen Repräsentanten des
Staates, die wegweisende Tat in der Gedenkstätte Plötzensee gewürdigt hatte.
Vor dem Reichstag wurden Rekruten, erstmals Freiwillige und keine
Wehrpflichtigen, vereidigt. Der Bundespräsident forderte für die Bundeswehr,
daß sie in »die Mitte der Gesellschaft« gehöre und warnte vor einer »neuen
Gleichgültigkeit« gegenüber den Soldaten. Mit diesem feierlichen Gedenken
scheint der »20. Juli 1944« als Synonym für das gescheiterte Attentat auf
Hitler und den mißlungenen Staatsstreich im historischen Gedächtnis der
Bundesrepublik verankert zu sein. Doch die Auffassung, daß diese aus sittlicher
Verantwortung begangene Widerstandstat hinreichend legitimiert sei, war nach
der totalen Niederlage im Zweiten Weltkrieg im geteilten Deutschland lange
keine mehrheitsfähige oder gar staatstragende Überzeugung. Rüdiger von Voss,
der dem Thema durch seine Biographie und sein ehrenamtliches Wirken in der
»Stiftung und Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944« eng verbunden ist,
verdeutlicht, wie das »geistige Vermächtnis« des deutschen Widerstandes in
sechs Jahrzehnten Bundesrepublik von Bundespräsidenten, Bundeskanzlern,
Verteidigungsministern und Generalinspekteuren der Bundeswehr aufgefaßt,
interpretiert und öffentlich vermittelt wurde. Nach der Erörterung der
geistigen und politischen Dimensionen des 20. Juli 1944 im ersten Kapitel,
werden im nachfolgenden Kapitel die politischen Gedenkenreden analysiert. Das
Bekenntnis zur Tradition des Widerstandes gegen die verbrecherische Nazi
Diktatur prägt das Selbstverständnis der Bundeswehr bis heute. Der Autor
zeichnet diese Traditionsbildung vom Tagesbefehl 1959 des ersten
Generalinspekteurs der Bundeswehr, General Adolf Heusinger, über den von
Verteidigungsminister Hans Apel am 20. September 1982 in Kraft gesetzten
Traditionserlaß bis heute nach. Scharf kritisiert der Autor, daß »diese
Richtlinien von 1982 bis heute gültig sind und trotz ihrer sachlichen Dürre
offenbar Material zur allgemeinen Auslegung von Traditionsfragen und einem
entsprechenden Verhalten« darstellen. Mit großer Anteilnahme liest man im
vierten und fünften Kapitel die Geschichte der »Stiftung und Forschungsgemeinschaft
20. Juli 1944«. Die Rolle der Frauen im militärisch-konservativen
Widerstand ist lange übersehen worden. Der Selbstmord und Tod der Ehemänner,
Familienmitglieder und Freunde in den Hinrichtungsstätten und KZ’s, die
Verfolgung und Not bis zum Kriegsende und die soziale Isolierung in den
Nachkriegsjahren lösten psychische und mentale Belastungen aus, die die Frauen
und ihre Familien zutiefst getroffen haben. Eine wichtige Aufgabe der Stiftung
war es, die soziale Isolierung der betroffenen Familien aufzubrechen und die
Erinnerung an die gemordeten Menschen aufrecht zu erhalten, denn »nie zuvor gab
es in Deutschland einen solchen Aufstand für Befreiung, für Recht und
menschliche Würde«. Rüdiger von Voss hat ein wichtiges Buch über die politische
Rezeption, Traditionsbildung und die Geschichte der Stiftung zum 20. Juli
1944 geschrieben. Seine Arbeit ist den Frauen und Männern des deutschen
Widerstandes gewidmet, die ihr Leben gegen die Diktatur und als Sühne für
geschehenes Unrecht eingesetzt haben. Ihr Andenken darf nicht in den Nebeln der
Geschichtsvergessenheit versinken.
Sigurd Hess, in: Das Historisch-Politische Buch, Jahrgang 59, 2011, Heft 4
Der langjährige Vorsitzende des Kuratoriums der »Stiftung 20. Juli
1944« und der »Forschungsgemeinschaft 20. Juli 1944« hat ein hochinformatives
Buch verfasst über den Aufstand gegen Hitler im Spiegel politischer Reden und bei der
Herausbildung eines »kritischen Traditionsbewusstseins in der Bundeswehr«.
Rüdiger von Voss, Sohn eines Widerstandskämpfers, konzentriert sich zunächst
auf die Bundespräsidenten und Kanzler. In den fünfziger Jahren .sei es darum gegangen, »den konservativ-militärischen Widerstand aus dem Zwielicht von Landesverrat und
fehlendem Patriotismus« zu befreien. Dabei machte sich Theodor Heuss 1954
verdient, aber auch Heinrich Lübke,
der 1964 »in aus heutiger Sicht erstaunlicher Offenheit« den »gesamten
Widerstand deutscher Menschen, bis hin zu den Kommunisten« gewürdigt habe.
Überhaupt weiß Voss, dass das linksorientierte Lager des Widerstandes» im
westlichen Teil Deutschlands allzu lange vernachlässigt worden sei.
Das letzte Drittel des Buches widmet Voss
der »Stiftung 20. Juli« als »Vereinigung zur Bewahrung und Verteidigung
des geistigen wie politischen Vermächtnisses
des Widerstandes, ohne dass sie dafür einen Alleinvertretungsanspruch erhoben
hätte«. Hierzu wünscht er sich nun eine »wissenschaftlich fundierte
Geschichte«.
Rainer Blasius, in: FAZ am 18.07.2011
Auch wenn am Ende der Gedanke des
Verfassungsstaates gesiegt hat, kann das 20. Jahrhundert keineswegs als
»Jahrhundert der Demokratien« bezeichnet werden. In viel stärkerem Maße wurde
es durch Diktaturen geprägt, gegen die sich freiheitliche Verfassungsstaaten zu
wehren hatten. Sowohl die Erleichterung, Diktaturen überstanden zu haben, wie
auch die Verpflichtung, künftig staatliches Handeln am Einsatz für die
Menschenwürde zu messen, bestimmt das geschichtspolitisch reflektierte
Selbstverständnis postdiktatorischer Gesellschaften. Bis heute gilt, dass nicht
nur Diktaturen Widerspruch und Widerstand verlangen, sondern dass sich im
Widerstand gegen diktatorische Systeme zugleich auch der Einsatz des Lebens für
das Ziel einer menschenwürdigen Ordnung manifestiert.
Neben dem Wogegen steht das Wozu, vor allem aber das Wofür! Daran
erinnert eine Studie des langjährigen Kuratoriums- und jetzigen
Ehrenvorsitzenden des Hilfswerks 20. Juli 1944: Rüdiger von Voss, Der
Staatsstreich vom 20. Juli 1944. In den fünfziger Jahren gegründet, war
das »Hilfswerk« von entscheidender Bedeutung, als es darum ging, das Bild vom
Widerstand im Geschichtsbild der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zu
verankern und den Nachfahren des Widerstands trotz der Gleichgültigkeit der
Gesellschaft und auch des Gesetzgebers angemessen zu helfen.
Heute bezweifeln wir nicht, dass nicht nur Deutschland ganz entscheidend durch
den Widerstand der dreißiger und vierziger Jahre geprägt worden ist. Im
antidiktatorischen Widerstand wurde stets die Alternative zur Diktatur
sichtbar. Deshalb haben die Nachlebenden, die sich zu Recht auf Widerstand
bekannten und darin ein Zeichen des anderen Deutschland sahen, immer versucht,
an
die Erfahrung des Widerstands anzuknüpfen. So gesehen, sind Feiern zum 20.
Juli 1944 ein demokratischer und rechtsstaatlicher Besinnungsversuch. Heute
findet am 20. Juli in der Regel das Gelöbnis statt, auch um zu beweisen, dass
jeder Einsatz für eine wertgebundene Ordnung erfolgen muss und Befehl und
Gehorsam deshalb immer Grenzen haben. Diese Erkenntnis war das Ergebnis eines
langen Weges politischer Reflexion, die nicht zuletzt politischrhetorisch
vermittelt wurde. Hier setzt die Dokumentation an. Denn sie wertet die
wichtigen Gedenkreden aus, bezieht die geistige und politische Dimensionierung
auf die Entstehung eines kritischen Traditionsbewusstseins der Bundeswehr und
stellt zugleich mit der Stiftung 20. Juli 1944 und der mit ihr eng
zusammenhängenden Forschungsgemeinschaft einen entscheidenden Akteur aktiven
Gedenkens vor das Auge der Nachlebenden. […]
Das Attentat auf Hitler wurde von den Regimegegnern
gewagt, obwohl sie keineswegs ihres Erfolges sicher waren. Sie wollten das
Zeichen eines anderen Deutschland setzen, das vielleicht einmal gerade wegen
dieser Tat den Weg in den Kreis der zivilisierten Nationen zurückfinden
könnte. Daran erinnern die Reden zum 20. Juli 1944, und man spürt, wie sehr die
Reden für diese Überzeugung warben, wie langsam ihre Deutung von der
Nachkriegsgesellschaft angenommenwurde.
In den meisten Reden drückte sich eine Hoffnung aus, die den überlebenden
Regimegegnern bald zur Brücke wurde. In bewegenden Zitaten, die Rüdiger von
Voss einfühlsam interpretiert, erfüllt sich nicht zuletzt eine Hoffnung der
Regimegegner, die ein Zeichen setzen wollten, ohne des Erfolgs ganz sicher zu
sein. Die Nachlebenden übernehmen diese Hoffnung und erliegen nicht selten der
Gefahr der Selbstgerechten. Denn in der Absicht Henning von Tresckows, die Tat
zu wagen und so ein nachwirkendes Zeichen zu setzen, verbirgt sich eine Gefahr.
Sie liegt darin, dass aus der Hoffnung auf den Umbruch in dunkler Zeit nach dem
Ende des NS-Staates sehr bald ein Anspruch, schließlich eine Behauptung werden
konnte: der Widerstand habe die Existenz eines anderen und besseren Deutschland
bewiesen. Deshalb sei Deutschland unter Hinweis auf den Widerstand auch berechtigt,
positive Erwartungen bei seinen Nachbarn zu wecken, ja der Widerstand gegen den
Nationalsozialismus eigne sich zur Begründung des Anspruchs, neuen Respekt zu
verlangen. So ist dieser Satz aber niemals gemeint gewesen. Es ist eine besondere
Leistung von Rüdiger von Voss, dass er diese Überheblichkeit vermeidet und zur
Bescheidenheit angesichts einer Tat mahnt, die eigentlich folgende Reaktion der
Nachlebenden nahe legen könnte: »Wer bin ich, dass ich sagen könnte, eine
heroische Tat?« […]
Für mich ist es überdies mehr als ein Buch. Denn ich betrachte es als das
Vermächtnis von Rüdiger von Voss, der die Koordinaten seiner politischen und
kulturellen Orientierung aus dem fortwährenden Nachdenken über den deutschen
Widerstand ableitete. Es muss als Buch eines Menschen gelesen werden, der im
Widerstand gegen den Nationalsozialismus die entscheidenden Koordinaten seines
Denkens und Handelns entwickelte und so auch unsere Erinnerung an den
Widerstand gegen den NS-Staat prägen könnte. Ihm verdankt auch die Gedenkstätte
Deutscher Widerstand viel, denn er war in den 1980er Jahren an ihrer
Neukonzipierung im Rahmen des wissenschaftlichen Beirats beteiligt und hat
immer in der Vielfalt und Breite, in der Auseinandersetzung mit der
Widersprüchlichkeit des Widerstands im Spannungsverhältnis der damals bestehenden
beiden deutschen Staaten einen wichtigen Bezugspunkt der Neugestaltung
gesehen. Dafür gebührt ihm bis heute unser Dank.
Peter Steinbach, in: Die Mahnung, Nr. 7,
58. Jahrgang, 2011
Zur Rezeption des Widerstandes gegen die NS-Diktatur hat Rüdiger
von Voss recherchiert. Voss, selbst Sohn eines Widerstandskämpfers, hat dazu
die in den Nachkriegsjahrzehnten gehaltenen politischen Reden hoher Würdenträger
des Staates auf ihren Gehalt hin abgeklopft. Er hält die immer deutlichere
Anerkennung fest, die den Widerstandskämpfern von Seiten der Politik zuteil
wurde und greift bemerkenswerte Passagen aus diesen Reden heraus. Erfreulich
ist, dass der Autor immer auch die anderen, nicht-militärischen Formen des
Widerstands erwähnt, etwa den Kreisauer Kreis, die Weiße Rose oder die Rote
Kapelle.
Über die Rezeption des Widerstands im Dritten Reich in der Bevölkerung und in
der bald neu entstehenden Bundeswehr sinniert der Autor ebenfalls. Wie ist es
zu erklären, dass in weiten Teilen der Bevölkerung die Aufständischen noch
lange als Verräter galten, wo doch die Verbrechen des Regimes bald
offensichtlich waren? Wie kam es zu dem gewandelten Bewusstsein, das die Männer
um Stauffenberg heute zu Recht als aufrechte Kämpfer gegen das Unrecht
verinnerlicht? Diesen Fragen widmet von Voss ein eigenes Kapitel. Dennoch
bleibt die endgültige Beantwortung einer wissenschaftlichen Aufarbeitung
vorbehalten, die soziale, massenpsychologische und entwicklungshistorische
Aspekte in den Blickpunkt rücken müsste.
Das Werk gibt wertvolle Einblicke in die Veränderungen, denen zumindest die
Staatsraison in den ers-ten Nachkriegsjahrzehnten mit Blick auf den Widerstand
unterlag.
Frank Henning, in: Die Bundeswehr, 5/2011