Matthias Donath
Architektur in Berlin 1933–1945
Ein Stadtführer
»Architekturzeugnisse der NS-Zeit erhalten, um zu erinnern«
schreibt Landeskonservator Professor Dr. Jörg Haspel im Vorwort des
anzuzeigenden »Führers« und weist auf die Problematik hin, wie fragil eine
intensive Auseinandersetzung mit »unbequemen Baudenkmalen« aus der Zeit der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft ist. Über eine angemessene Form eines
kritischen Umgangs mit der Vergangenheit der Jahre 1933 bis 1945 ist selbst
nach fast einer Menschengeneration nach Kriegsende kein Konsens in Aussicht.
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Orell Witthuhn, Wissenschaftlicher
Literaturanzeiger (14.04.2012)
In Berlin sind
erstaunlich viele architektonische Spuren aus den zwölf Jahren zwischen 1933
bis 1945 erhalten geblieben. In allen Stadtteilen trifft man auf
Industriebauten und Firmenzentralen, Kirchen und Siedlungen, Bunker und
Kasernen des »Dritten Reichs«. An manchen Orten haben sie sich beinahe
unverändert erhalten: auf dem Reichssportfeld, wo sich bis 1994 das britische
Hauptquartier befand, im ehemaligen Gebäude der Berufsgenossenschaft der
Chemischen Industrie in Wilmersdorf oder auf dem weiträumigen Kasernengelände des Regiments
»General Göring«, das als »Quartier Napoleon« die französischen Streitkräfte in
Berlin beherbergte. Die zeittypischen Gestaltungsweisen sind noch immer zu
erleben. Das Reichsministerium des Innern, das Reichssportfeld sowie das
Reichsluftfahrtministerium fallen im Berliner Stadtbild auf. Doch wem ist
bekannt, daß in Mariendorf eine Martin-Luther-Gedächtnis-Kirche, in Wannsee
eine Reichsluftschule oder in Niederschöneweide ein Fremdarbeiterlager stehen,
die während des Nationalsozialismus errichtet wurden und bis in die Gegenwart
erhalten geblieben sind? Der Kunstgeschichtler und freie Autor Matthias Donath
stellt in seinem Buch »Architektur in Berlin 1933 bis 45« über achtzig dieser
Bauten vor und leistet damit einen Beitrag der besonderen Art zur Bewältigung
einer schwierigen Materie. Sein Anliegen ist, mit vertieftem Blick ein
grundlegendes Verständnis dafür zu vermitteln, wie Architektur »Dritten Reich« benutzt wurde, um Macht
zu transportieren – inklusive der Tatsache, daß es
eine »Ideologie nationalsozialistischer Architektur« eigentlich nicht gab, wie
er ausdrücklich betont.
Donath präsentiert zum einen die Vielfalt der Architektur im Dritten Reich und
erläutert auch für den architekturkundlichen Laien sehr gut lesbar anhand
vieler Fotografien die unterschiedlichen Funktionen und die intendierten
politischen Botschaften der Bauten. Ein Verdienst des Autors ist es, daß er den
Schwerpunkt auf Bauwerke legt, die bisher noch gar nicht oder selten behandelt
worden sind, zum Beispiel die erhaltenen oberirdischen Bunker sowie die Heime
der Hitlerjugend. Das Buch will ein
Stadtführer sein. Sicher handelt es sich nicht oder nicht in erster Linie um
Sehenswürdigkeiten im Sinne der Kunst- und Reiseführerliteratur, auch nicht um
Besichtigungsempfehlungen in der Art des Standortmarketings oder einer
Berlin-Werbung mittels Architekturgeschichte, wie Landeskonservator Jörg Haspel
im Vorwort betont. Haspel zitiert die Formulierung von Norbert Huse, dem langjährigen Mitglied des Berliner
Landesdenkmalamtes, der von »unbequemen Baudenkmalen« oder »schwierigen
Erbschaften« sprach. Das Buch ist keine flächendeckende und systematische
Bestandserfassung der Bau- und Gartenanlagen aus dem »Dritten Reich« in Berlin.
Eher ist es im Hinblick auf die Baujahre 1933–1945 eine vertiefende
Zwischenbilanz der Stadtteilinventarisation der Denkmalpflege, wie sie im
ehemaligen Westteil von Berlin noch vor dem Mauerfall aufgenommen und nach 1990
auf den Ostteil ausgedehnt worden war. Diese hatte erstmals auch ausdrücklich
die Architektur zwischen 1933 und 1945 sowie Zeugnisse der
Nachkriegsarchitektur in Ost und West zu
berücksichtigen. So stellt der Stadtführer Objekte aus der NS-Zeit vor, von denen die Mehrzahl auch in der Berliner
Denkmalliste verzeichnet ist. Es handelt sich um eine subjektive Auswahl, die
das gesamte Spektrum charakteristischer Planungs- und Bauaufgaben in Berlin
während des »Dritten Reichs« dokumentieren soll.
Im ersten Teil des Buches beschreibt Matthias Donath
kenntnisreich die Rahmenbedingungen, die Stadtplanung, die handelnden Akteure,
Behörden und Auftraggeber der Architektur im nationalsozialistischen Berlin.
Der zweite Teil stellt nach Art eines Stadtführers in geographischer Ordnung
gemäß den Berliner Ortsteilen die Bauten vor, die noch heute in der Metropole
zu sehen sind. Bekanntes steht neben Unbekanntem Sachlich-technisches neben
Monumentalem: die Kasernen, das Verwaltungsgebäude der Berliner Wasserwerke,
Egon Eiermanns Fabrik- und Verwaltungsbau für die Auergesellschaft, die
Reichskanzlei mit dem Führerbunker, der Flughafen Tempelhof und das
Reichsluftfahrtministerium, Fabriken, Schulungsbauten für das Militär, Villen,
Wohnanlagen und Kirchen. Besonders an den Kirchen »bewährt sich die klug
überlegte Auswahl, räumt Donath doch hier mit dem älteren Klischee auf der
Kirchneubau sei im Dritten Reich unterdrückt worden«, wertet der
Kunsthistoriker Ulrich Härtung.
Allerdings ergeben die aufgeführten Bau- und Gartenanlagen
in der Zusammenschau kein geschlossenes Bild für einen »Nazi-Stil« oder eine
spezifische NS-Architektur. Nazistisch war der Bedingungs- und
Wirkungszusammenhang, in dem die Architektur dieser Zeit entstand und stand.
»Ihr Gestaltungsspektrum läßt sich allein und zwingend weder aus dem NS-System
noch aus der NS-Ideologie ableiten, schon gar nicht die Wahl einzelner
Gestaltungsmittel, wie sie auch vor 1933 und nach 1945 oder während der NS-Zeit
außerhalb der Einflußsphäre des nationalsozialistischen Regimes zur Anwendung
kamen«, sagt Jörg Haspel.
Matthias Donath hat einen sehr interessanten, gut
fotografierten und anschaulich geschriebenen Band vorgelegt. Was der Autor zur Architektur der NS-Zeit darstellt, geht
über den Kreis regional interessierter Leser weit hinaus und ist also auch sehr lesenswert für den Nicht-Berliner.
Olaf Thomsen in: »Das Grundblatt«, 13. Jg., September 2006
Wenn Steine schweigen.
Da Steine bedauerlicherweise nicht sprechen, muß ihnen jemand seine Stimme
leihen. Im vorliegenden Fall ist dieser jemand der promovierte Kunst- und
Bauhistoriker Matthias Donath, und er beschreibt die »Architektur in Berlin
1933–1945.« Donath profitiert dabei von den Erfahrungen durch seine Mitarbeit
bei mehreren Denkmalführern.
Die Architektur des Nationalsozialismus, insbesondere in Berlin, ist schon
recht gut erforscht, nicht zuletzt durch das Opus magnum von Wolfgang Schäche
über »Architektur und Städtebau in Berlin zwischen 1933 und 1945« Was bisher
fehlte, war eine profunde, gut illustrierte und allgemein verständliche
Überblicksdarstellung.
Donaths Buch stellt neben den ȟblichen
Verdächtigen«, wie der Reichskanzlei, dem, Reichsluftfahrtministerium, dem
Reichssportfeld und dem Flughafen Tempelhof typische Vertreter ihrer Gattung
wie Kasernen und Verwaltungsgebäude vor. Spannender wird es aber bei Bauten,
die man nicht ohne weiteres mit nationalsozialistischem »Baustil« – wenn es
einen solchen denn überhaupt gab – identifizieren würde, wie der Fabrik- und
Verwaltungsbau für die Auergesellschaft von Egon Eiermann, aber beispielsweise
auch der AVUS - Beobachtungsturm, die Ernst-Moritz-Arndt-Kirche, das Haus
Mohrmann von Hans Scharoun oder die Siedlung Gehsener Straße in Köpenick Diese
»subjektive Auswahl« von insgesamt 86 Bauten umfaßt somit auch gemeinhin
unbekanntere Fabriken, Villen, Wohnanlagen und Kirchen. Besonders interessant
sind die aufgeführten Kirchen, denn hier räumt Donath mit dem Klischee auf, daß
der Kirchenbau im Dritten Reich faktisch nicht statt gefunden habe. Einen
einheitlichen NS-Stil gab es in der Tat nicht, wie bereits das vor knapp 30
Jahren entstandene und von Donath ebenfalls heran gezogene Werk von Joachim
Petsch nachwies. Folglich weist Donath auf die »modernen wie antimodernen Züge«
und den vorhandenen Widerspruch zwischen traditionalistischer und
funktionalistischer Architektur hin. Doch spürt man sowohl bei ihm, als auch
beim Verfasser des fünfseitigen Vorworts, Berlins Landeskonservator Prof. Dr.
Haspel, das Unbehagen, dem Nationalsozialismus moderne Züge zubilligen zu
müssen, gilt »moderne Architektur« doch weithin als »fortschrittlich« und
moralisch einigermaßen lauter.
Haspel begründet, warum auch Architekturzeugnisse der NS-Zeit zu erhalten sind,
nämlich »um zu erinnern«. Das sei angesichts der mit diesen Bauten verbundenen
Geschichte zwar nicht einfach und Haspel blendet das »Einschüchterungs- oder
Verharmlosungspotential, das Eingeständnis eventuell faszinierender
Wirkungsmöglichkeiten« nicht aus, doch lasse sich – so Donath – die Baukunst
nicht mit moralischen Kriterien bewerten In seiner 32-seitigen Einleitung
schreitet der Autor die besprochenen Bauten und den historischen Kontext ab,
wobei er mit »Hitlers Hauptstadtplanung« beginnt und über Architektur unterm
Hakenkreuz, Bauaufgaben in Berlin bis zum Umgang mit diesen Bauten alle
relevanten Themenfelder in gebotener Kürze zumindest anreißt.
Der Hauptteil ist als »Stadtführer« nach Ortsteilen gegliedert. Jedes der 86
Bauwerke wird auf ein bis vier Seiten vorgestellt, beginnend bei der
Bezeichnung, der heutigen Nutzung, mit Adresse und Anfahrtsmöglichkeiten,
endend mit weiter führenden Literaturhinweisen, naturgemäß nicht immer
vollständig. Neben historischen Fotografien aus zeitgenössischen Publikationen
haben Fotografen des Denkmalamts sowie Robert Conrad und der Autor die
Aufnahmen besorgt. Bei den historischen Fotos fehlt allerdings leider die
Quellenangabe. Statt dessen werden sie mit »Matthias Donath Archiv«
nachgewiesen.
Positiv ist hervorzuheben, daß Donath es nicht bei einer kunsthistorischen
Stilanalyse beläßt, sondern auch die einzelnen Bauten in den historischen
Kontext einordnet. Einzelne Inkorrektheiten (der Rennbetrieb der AVUS wurde
nicht 1962 eingestellt; das letzte Rennen fand im Mai 1998 statt) können den
guten Gesamteindruck nicht nachhaltig trüben.
Nützlich wäre – bei einer wünschenswerten Neuauflage – zusätzlich zum
vorhandenen Personen- auch ein Straßenregister. Durchaus läßlich bei solch
einer Überblicksdarstellung ist die Ausweitung archivischer Quellen, finden
sich zu den einzelnen Bauten und in der zweiseitigen Bibliographie doch
genügend Hinweise auf entsprechende Literatur. Nützliche Überblicks- und
Detailkarten runden das Buch ab, auch wenn das Buch aufgrund seines Formats ein
eher sperriger Stadtführer ist. Dafür bekommt man aber schließlich auch
inhaltsreichen Text und instruktive Fotos an die Hand.
Die bisher fehlende, profunde, gut illustrierte und allgemein verständliche
Überblicksdarstellung hat Matthias Donath geschrieben und damit die Steine zum
Sprechen gebracht. Auf seine nächsten Veröffentlichungen darf man gespannt
sein.
Oliver Sander in: »Jb. des Vereins
für die Geschichte Berlins«, 54. Folge 2005
Steine schweigen. Architektur verrät darum nie
die ganze – historische – Wahrheit. Noch weniger kann sie für die in ihr
begangenen Verbrechen oder die mit ihr beabsichtigten Überwältigungen. Was also
unterscheidet den Bombastneoklassizismus des 1922 vollendeten Lincoln-Memorials
in Washington von den gewaltigen Pfeiler- und Fensterreihen des
Reichsluftministeriums, das Ernst Sagebiel 1936 in Berlin errichtete? Sakrale
Überhöhung verstört hier wie dort, ebenso könnte von Unterwerfung unter eine
hierarchische Ordnung geredet werden, zumindest in ästhetischem Sinne. Läßt
sich, muß demnach gefragt werden, das von 1933 bis 1945 in Berlin Gebaute mit
Stilkategorien fassen? Matthias Donath sagt nein. Für ihn ist das Phänomen der
nationalsozialistischen Architektur ein klarer Fall von Unklarheit.
Zunächst widerspricht er damit Adolf Hitler, der sie in der Tat als »Wort aus
Stein« feiern zu müssen meinte. Zugleich bewegt sich der junge Kunsthistoriker
auf der Höhe des aktuellen Forschungsstandes, für den das Erscheinungsbild der
Bauten des Dritten Reichs ein disparates ist, changierend zwischen Albert
Speers Staatsmonumentalismus, den Industriebau-Experimenten (eines Egon
Eiermann!) und dem Heimatstil [von Hanns Dustmann & Co] und – das ist
besonders wichtig – durchweg wurzelnd in Kaiserreich und Weimarer Republik. Ob
Muschelkalkfassade, Turmkubus oder Ziegeldach, Donath entdeckt nahezu überall
und zu Recht Tendenzen der Sachlichkeit, Prägungen durch die Moderne.
Insgesamt 86 Gebäude beziehungsweise Gebäudekomplexe hat er für seinen
»Stadtführer« ausgewählt: angefangen mit Reichskanzlei, »Reichssportfeld« und
Flughafen Tempelhof über Jürgen Bachmanns bauhäuslerisches Haus Friedrichstadt
von 1935 und die Kaserne der SS-Leibstandarte in Lichterfelde bis hin zur
Zehlendorfer Ernst-Moritz-Arndt-Kirche, die beweist, daß der Kirchenbau unter
Hitler mitnichten unterdrückt war. Die Qualität der vorzüglich recherchierten,
in der Beschreibung sauber analysierenden, erfrischend pathos- und
ideologiefreien Texte korrespondiert mit jener der Illustrationen, welche die
Fachfotografen vom herausgebenden Denkmalamt, Wolfgang Bittner und Wolfgang
Reuss, und der Autor selbst beigesteuert haben. Der einzige Makel: Für einen
Guide ist dieses Bild-Lese-Buch denn doch zu unhandlich. Für Erkundigungen vor
Ort taugt die sich im Wesentlichen auf die Hauptstadtmitte konzentrierende und
für diesen Zweck auch adäquat abgespeckte Broschurvariante weitaus besser.
Woraus folgt, daß wir den Besitz beider Bände empfehlen.
Frank Kallensee
in: »Die Märkische Allgemeine«, 17./18. Dezember 2005
»Die
Architektur zwischen 1933 und 1945 kann hinsichtlich des Stils als heterogen
beschrieben werden... Mit der monumentalen, der funktionalistischen und der
traditionalistischen Bauweise waren drei Strömungen vorherrschend, die sich vor
dem Ersten Weltkrieg herausgebildet und in den 1920er Jahren verbreitet
hatten.« Auf diese knappe Formel bringt der Autor die Architektur unter dem
Hakenkreuz. Genuin nationalsozialistisch ist sie also allenfalls in der
Übersteigerung, wie insbesondere die von Albert Speer gemeinsam mit Hitler für
Berlin entworfene Nord-Süd-Achse der erträumten »Welthauptstadt Germania« mit
ihrer 290 Meter hohen »Halle des Volkes« als Abschluß zeigte.
Das
architektonische Monstrum wurde nicht gebaut, Hitlers »Neue Reichskanzlei« ist
zerstört, aber vieles ist geblieben: Görings Reichsluftfahrtministerium, der
Flughafen Tempelhof, die Bürobauten am Fehrbelliner Platz etwa, auch das
»Reichssportfeld« mit dem Olympiastadion, Kasernen, Fabriken, Wohnanlagen,
Siedlungen im Heimatstil, fast im Verborgenen auch eine Villa Hans Scharouns;
selbst sechs Kirchenbauten unterschiedlichen Stils sind zu nennen - eine
Kirche, in
Mariendorf,
im Figurenschmuck damals mit NS-Symbolik vom Hakenkreuz, Hitlerjungen und
SA-Mann bis zur Hitler-Büste ausgestattet.
Vorläufer
hat dieses Buch vor allem in Wolfgang Schaches Arbeiten zu Architektur und
Städtebau im Berlin der NS-Zeit, doch findet man bei Donath auch vieles, was
dort nicht aufgeführt ist. Und es gibt einen wesentlichen Unterschied. Donaths
Buch ist ein »Stadtführer« der besonderen Art. Es ist – nach einer
systematisierenden Einleitung – nicht nach Stilen oder Bautypen, sondern nach
Ortsteilen gegliedert. Das lädt zu regionalen Spaziergängen ein und schärft den
Blick für nicht unbedingt auf Anhieb erkennbare architektonische
Hinterlassenschaften jener zwölf Jahre im lokalen Umfeld.
Jürgen Schmädeke in: »Historische Zeitschrift«,Band 281/2005
Olympiastadion,
Flughafen Tempelhof, Finanzministerium - die Architektur aus der Zeit des
Nationalsozialismus ist in Berlin sehr präsent, auch wenn man es
nicht immer sofort erkennt. Längst nicht alle Gebäude aus der Nazi-Zeit sind protzig-monumentale Repräsentationsbauten mit endlosen Fensterreihen, schweren Säulen und einem Reichsadler obendrauf. Im Wohnungsbau, bei
Industrie- und Verkehrsbauten sowie bei Kasernen und HJ-Heimen kamen auch
traditionelle, heimattümelnde oder sogar
moderne Stile zum Ausdruck. Der Kunst- und Bauhistoriker Matthias Donath zeigt
in seinem interessanten und reich bebilderten Buch die unvermutete Vielfalt der
Architektur jener Jahre.
In der Art eines Stadtführers stellt er über 80 Bauwerke aus allen Bezirken vor und beschreibt die
Architektur des »Dritten Reichs«, ohne
sie zu verharmlosen oder zu dämonisieren. Doch den
Satz »Baukunst läßt sich nicht mit
moralischen Kriterien bewerten« hätte das Landesdenkmalamt
als Herausgeber dem Autor nicht durchgehen lassen dürfen. Zu deutlich prägten zum Beispiel im
Wohnungsbau Planungsideologien wie die »NSDAP-Ortsgruppe als
Siedlungszelle« und die »luftschutzgerechte
Stadt« das Bauen in jenem Regime, das auf Unterdrückung und Krieg
basierte.
Js in »PANORAMA«, Juni/Juli 2005
Der Architekturführer des Bauhistorikers Matthias Donath
stellt 86 zwischen 1933 und 1945 in Berlin entstandene Bauwerke und Anlagen
vor, nicht nur die großen Staats- und Verwaltungsbauten, die gigantomanen
Entwürfe Albert Speers, sondern auch Alltagsarchitektur wie Siedlungen und
Hitlerjugend-Heime. Donath will keine Analyse des Nationalsozialismus oder der
nationalsozialistischen Baupolitik bieten; er will vielmehr informieren statt
tabuisieren oder dämonisieren. Dennoch charakterisiert er unmißverständlich die
Geschichte, die Nutzungen und baulichen Zeichen sowie die Symbolhaftigkeit der
NS-Zeit und macht deutlich, daß der »Architektur unter dem Hakenkreuz« die
gesellschaftliche Aufgabe zugewiesen wurde, politische Botschaften zu
transportieren und der Propaganda zu dienen. Er blendet nicht aus, daß
zahlreiche Orte mit dem Schrecken nationalsozialistischer Gewaltherrschaft
behaftet sind, in Fabriken für Hochrüstung und Krieg produziert wurde, in den
Verwaltungsgebäuden diejenigen saßen, die für das Funktionieren des Regimes
verantwortlich waren. »Aufarbeitung und Aufklärung durch Begegnung« ist, wie
der Landeskonservator Jörg Haspel im Vorwort des Stadtführers anmerkt, Donaths
besonderes Anliegen.
Im ersten Teil des Stadtführers diskutiert Donath die Rahmenbedingungen,
Hitlers Hauptstadtplanung, die handelnden Akteure, die
Albert-Speer-Architektur, Behörden und Auftraggeber im nationalsozialistischen
Berlin. Überdies bemüht er sich um eine Analyse der architektonischen
Strukturen. Er registriert drei Hauptströmungen, die monumentale, die
funktionalistische und die traditionalistische Bauweise. Zu jeder dieser
Bauweisen nennt Donath Vorgänger und Vorbilder. Im zweiten Teil seines Buches
stellt er, geographisch geordnet, die Bauten des Dritten Reichs vor, nicht nur
die Monumentalbauten, den Flughafen Tempelhof, das Reichsluftfahrtministerium
»Hermann Göring« (heute Finanzministerium), das Olympiastadion oder die
ehemalige Reichsbank (heute Auswärtiges Amt), sondern auch Rathäuser, Fabrikgebäude,
Postämter, Militäreinrichtungen und
Bunker in den Berliner Ortsteilen Dahlem, Schöneberg,
Treptow, Marzahn oder Adlershof.
Die meisten erhaltenen NS-Bauten stehen in Berlin-Mitte und im Ortsteil Tiergarten.
Zu den bereits erwähnten gesellen sich das von Joseph Goebbels geleitete
Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (heute Bundesministerium
für Wirtschaft und Arbeit), das Reichsministerium des Inneren (heute
Verwaltungsgebäude des Deutschen Bundestages), die Reichsmünze (heute Münze
Berlin, Deutsch-Französisches Jugendforum), die Städtische Feuersozietät von
Berlin (heute Neues Stadthaus), Städtisches Verwaltungsgebäude C (heute
Senatsverwaltungen für Finanzen), Berliner Städtische Wasserwerke (heute
Berliner Wasserbetriebe) und Postamt N 4 (heute Briefzustellungszentrale). Auch
am Diplomaten-Viertel in Tiergarten dokumentiert Donath die NS-Vergangenheit,
an der wieder genutzten Spanischen, Italienischen und Japanischen Botschaft sowie
an der ehemaligen Dänischen Botschaft, die heute von der Telekom genutzt wird.
Donath beschreibt auch zahlreiche Architekturen, die nicht auf den ersten Blick
als nationalsozialistisch zu erkennen sind, so etwa die ehemalige Degea AG
(heute Ausländerbehörde) des Modernisten Egon Eiermann am
Friedrich-Krause-Ufer, den S-Bahnhof Bornholmer Straße, die
Nordstern-Versicherung am Fehrbelliner Platz, das Postamt SW 11 am Kreuzberger
Anhalter Bahnhof oder das Jugendfreizeitheim im Volkspark Rehberge, ein für die
Hitlerjugend 1937 errichtetes Musterhaus.
Die Vielfalt der nationalsozialistischen Architektur und die
unterschiedlichen Funktionen sowie die intendierten politischen Botschaften
erläutert Donath beispielhaft auch am Wohnungs- und Siedlungsbau, am Industrie-
und Verkehrsbau, an Kasernen und militärischen Einrichtungen, Flakbunkern,
HJ-Heimen und Kirchen. Es gelingt ihm der Nachweis, daß die Nationalsozialisten
und Hitlers oberster Baumeister Albert Speer kein geschlossenes
Architekturprogramm hatten: Neben neoklassizistischen Kolossalbauten und
ideologisch-heimatverbundenen Architekturen standen Industrie- oder
Verkehrsbauten der Moderne. Ein geschlossenes »Architekturprogramm« sieht
Donath jedoch in der architektonischen Zeichensprache (Hakenkreuz, Reichsadler,
völkische Symbole) des Dritten Reichs. Derartige NS-Spezifika vermag er
zahlreich auszumachen, z. B. am Neuen Stadthaus an der Kloster-Straße, an der
heutigen Julius-Leber-Kaserne, in mehreren Reliefs am Fehrbelliner Platz oder
an der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf, deren Schmuck von der
nationalsozialistischen Ideologie geprägt wurde durch nationalsozialistische
Symbole (Reichsadler, Hakenkreuz, Eisernes Kreuz, Signet der Arbeiterwohlfahrt)
und Darstellungen von Hitlerjungen sowie eines SA-Mannes.
Donaths Stadtführer ist eine exzellente, aufschlußreiche Dokumentation von
beachtlichem Informationswert mit durchweg gelungenen Fotos. Donaths auch als
grundsätzliche Darstellung der NS-Architektur zu lesendes Buch lehrt, mit der
Architektur unter dem Hakenkreuz sachlich umzugehen, ohne die Problematik der
Begegnung mit dem schwierigen Erbe zu verschweigen.
Fritz Wagner in
»Zeitschrift für Geschichtswissenschaft«, Heft 5, 2005
Berlin
ist mehr als jede andere deutsche Stadt auch ein einzigartiges Panorama
deutscher Architekturgeschichte. Noch immer ist es möglich, die deutsche Vergangenheit in ihren Bauten unmittelbar
nachzuempfinden. Aus den Jahren 1933-1945 seien stellvertretend genannt die
auch heute noch imposanten Großbauwerke wie Reichsbank,
Reichsluftfahrtministerium, Flughafen Tempelhof und das Reichssportfeld. Aber können Bauten aus sich heraus tatsächlich »politisch
belastet« sein oder reflektieren sie nicht vielmehr das, was der Betrachter in
sie hineininterpretiert? Der Kunst- und Bauhistoriker Matthias Donath erklärt in seinem Stadtführer Architektur in Berlin von 1939-1945 detailliert und
sachkundig 86 prominente und weniger bekannte, überwiegend auf der
Berliner Denkmalliste verzeichnete Bauten. Das vom Landesdenkmalamt Berlin
herausgegebene Buch ist sorgfältig editiert und wird höchsten Ansprüchen gerecht. Die
Bauwerke werden detailliert beschrieben, aktuelle bzw. zeitgenössische Fotos und einige Baupläne illustrieren die auch
für eine breitere Öffentlichkeit verständlichen, prägnanten Texte. Die
vorgestellten Bauten repräsentieren die gesamte
gestalterische Vielfalt der Architektur dieser Zeit, die zu Unrecht auf die
Planungen für die »Welthauptstadt Germania« reduziert worden
ist. Auch in der Berliner Stadt- bzw. Hauptstadtplanung begannen die Säuberungen bereits nach 1933. Daß die Hauptstadtplanung (erst) am
01.01.1937 mit der Ernennung Albert Speers zum Generalbauinspektor für die Umgestaltung der Reichshauptstadt formell gleichgeschaltet
und dem »Führer« unterstellt wurde, ist richtig, vernachlässigt aber die schleichende Übernahme durch die
Nationalsozialisten. Bauhistorisch stellt die damalige funktionsorientierte und
sachliche Bauweise keinen Bruch dar, sondern folgt in ihrer reduzierten
Formensprache bereits früher angelegten Strömungen. Selbst die der NS-Architektur zugeschriebene monumentale
Stilrichtung geht bereits auf die Reformarchitektur vor und nach dem ersten
Weltkrieg, verkörpert v.a. von Peter Behrens, zurück. Bleibt die Frage, ob Architektur aus sich heraus, wie Donath
fragt, »böse« sein kann oder ob sie politische Verhältnisse widerspiegelt, die kritikwürdig sind. Nach dem
Krieg wurde diese Frage (vor dem Hintergrund des Erlebten verständlicherweise) undifferenziert mit »Ja« beantwortet, über »NS-Architektur (sei) jedes Wort zuviel« (Pevsner). Heute
wird auch bei Bauten aus der NS-Zeit ein kritischer Umgang bevorzugt, der
Authentizität bewahren, aber in einen kritischen politischen
Gesamtzusammenhang stellen will. Bleibt zu hoffen, daß die Unbekümmertheit, mit der westdeutsche Politikbetrieb die Mitte Berlins
nach seinen Vorstellungen umgestaltet (hat), die Authentizität der Vergangenheit mit ihren Brüchen und Verwerfungen,
die das Berliner Stadtbild einzigartig machten, respektiert.
Hendrik Wassermann in »Recht und Politik«
Juni 2005
Das Verdienst der
Veröffentlichung besteht darin, daß sie die erhalten gebliebenen, obgleich
nicht vollständig erfaßten Zeugnisse der Architektur dieser schicksalhaften
Zeitspanne nicht in einem allgemeinen Architekturführer Berlins gewissermaßen
»untergehen» läßt. Gleichermaßen anerkennenswert ist die Solidität der
Darstellung, die weder verschämt heroisiert noch Sachverhalte unterdrückt. Es
ist ein richtiges Buch und eigentlich mehr als ein «Stadtführer«
Denkmalspiegel, Januar 2005
Dieser
Architekturführer zeigt 86 zur Zeit des 3. Reiches in Berlin entstandene
Bauwerke und Anlagen, die noch heute existieren, in geographischer Ordnung.
Ausgewählt wurden nicht allein spektakuläre und zentrale Bauten, sondern Bauten
aus vielen Stadtteilen und mit unterschiedlichen Funktionen wie
Verwaltungsgebäude, Siedlungsgebäude, Bahnhöfe, Bunker, Schulen und Heime. Der
Autor erliegt nicht der Faszination der pompösen Albert-Speer-Architektur, von
der ohnehin mehr entworfen als durchgeführt wurde, sondern dokumentiert, was
seinerzeit wirklich gebaut wurde, und das war recht unterschiedlich: je nach
Funktion der Bauten teils monumental, teils geometrisch-funktionalistisch,
teils traditionalistisch. Die ausgezeichnete Einleitung legt sehr verständlich
Ideologie und Intentionen der nationalsozialistischen Architekturplanungen dar.
Aufschlußreiche Dokumentation mit vielen Abbildungen und sachkundigen
Erläuterungen.
ekz-Informationsdienst, Nr. 50/2004
Des
Nationalsozialismus war architektonisch keineswegs so einseitig und monumental,
wie es die prominenten Staatsbauten suggerieren. Diese verblüffende Erkenntnis
eröffnet sich dem Nutzer des neuen Stadtführers Architektur in Berlin
1933–1945. Der Nationalsozialismus war eben kein Stil – auch wenn der brutalisierte
Klassizismus relativ leicht als Nazi-Architektur auszumachen ist, etwa beim
ehemaligen Reichsluftfahrtministerium (heute Finanzministerium) oder beim
Flughafen Tempelhof. Aber Berlin bietet genug Beispiele dafür, daß der
Nationalsozialismus sich ganz verschiedener Ausdrucksformen bediente. Autor
Matthias Donath liefert in seinem Buch über 80 detailliert beschriebene
Architekturen, von denen viele nicht auf den ersten Blick nazistisch wirken.
Etwa die ehemalige Degea AG (heute Ausländerbehörde) am Friedrich-Krause-Ufer
des Modernisten Egon Eiermann. Oder der S-Bahnhof Bornholmer Straße mit seiner
Fortschreibung der sachlichen 20er Jahre.
Innerhalb einer gewissen Bandbreite konnten nämlich die bereits vor 1933
existierenden Architekturströmungen weiterexistieren, inklusive des eigentlich
als links geltenden Neuen Bauens mit seinen auf der Funktion fußenden
Gestaltungskriterien. Von Pluralismus zu reden wäre aber dennoch verfehlt. Denn
erstens nahmen selbst noch private Wohnhäuser Rücksicht auf die staatlicherseits
geltenden Vorlieben (ganz zu schweigen von der stilistischen Anpassung bei den
Konzernzentralen), und zweitens unterstanden die Stile einer Art ständischem
Anwendungsprinzip: Die offiziellen Staatsbauten waren monumental,
klassizistisch und – zumindest äußerlich – aus Stein. Wohnsiedlungen und
HJ-Heime gaben sich traditionalistisch, heimattümelnd und verwendeten teilweise
sogar Fachwerk. Die Industrie- und Fabrikbauten wiederum wurden modern,
funktional und aus unverputztem Backstein errichtet.
Während Albert Speer nach Hitlers Ideen Berlin bis 1950 zur Welthauptstadt
Germania umbauen sollte, deren überdimensionierte Steinkulissen mit
Triumphbogen und Prachtstraßen nicht in erster Linie der Funktion sondern der
Repräsentation gehorchen mußten, wurde ab 1939 tatsächlich nur noch in der
kriegswichtigen Industrie in nennenswerter Größenordnung gebaut. Eine der
wenigen typischen, aber sehr beredten Bauaufgaben des NS war dabei der
Bunkerbau. Einige dieser in der Kriegszeit mehr psychologisch wirksamen als
praktisch schützenden Bauwerke sind erhalten – etwa an der Reinhardstraße in
Mitte.
Stilistisch weit vom repräsentativen Klassizismus entfernt waren die Baracken
der Arbeitslager und KZs. Hier kommt die hierarchische Ordnung des Systems in
Führung und Gefolgschaft, von Überwacher und Überwachten so klar heraus wie
nirgends sonst. 600 Zwangsarbeiterlager gab es allein in Berlin. Nur wenige
dieser Bauten existieren noch heute. Ein so gut wie vollständig erhaltenes
Relikt des NS-Sklavenstaats findet sich in Niederschöneweide an der Köllnischen
Straße beziehungsweise Britzer Straße. Ausgerechnet dieses wichtige
Geschichtszeugnis ist in seinem Bestand gefährdet. Ganz im Gegensatz übrigens
zu anderen Bauten des Nationalsozialismus. Vieles wurde auch nach 1945
unhinterfragt benutzt – etwa das zu den Olympischen Spielen 1936 angelegte
Reichssportfeld mit Olympiastadion, Waldbühne und Glockenturm. Durch
permanenten Gebrauch sind Berührungsängste im Umgang mit diesem »Wort aus
Stein« (Adolf Hitler) offenbar schnell verflogen. Auch die Exekutivorgane der
bundesrepublikanischen Demokratie hatten nach ihrem Umzug nach Berlin sichtlich
kein Problem, sich in den Machtzentralen einer menschenverachtenden Diktatur
einzurichten. Ob das Finanzministerium mit dem Sitz von Görings
Luftfahrtministerium, ob das Auswärtiges Amt in der ehemaligen Reichsbank, ob
das Arbeitsministerium in Goebbels Propagandazentrale. Die Zeit des
Tabuisierens und des Dämonisierens scheint vorbei. Es gibt kaum einen NS-Bau,
der nicht nach 1945 weiterbenutzt worden wäre, ob im West- oder Ostteil
Berlins. Man begnügte sich mit dem Abschlagen der steinernen Hakenkreuze, die
Reichsadler konnten mitunter sogar bleiben. Ein solches Riesenviech thront noch
immer auf dem Landesarbeitsamt in der Kreuzberger Friedrichstraße.
Der Autor Matthias Donath hält sich mit moralischen oder politischen Wertungen
zurück, ohne allerdings die Problematik im Umgang mit dem schwierigen Erbe zu
verschweigen. Als Denkmalpfleger sieht er hier natürlich vor allem die Verluste
und drohenden Verluste. Neben dem noch nicht gesicherten Ort der Opfer in
Niederschöneweide steht die Verdrängung eines prominenten Täterortes. Es ist
der 1990 entdeckte und schnell wieder zugeschüttete Bunker der
SS-Fahrbereitschaft, letztes verbliebenes Zeugnis der Neuen Reichskanzlei von
Albert Speer, dem Amtssitz Hitlers. Die Nähe dieses mit Kitschbildern zur
Verherrlichung der SS ausgemalten Bunkers zum Holocaustmahnmal veranlaßte den
Senat seinerzeit wohl zu dem Entschluß, lieber Gras über die Sache wachsen zu
lassen. Aber dazu besteht kein Grund. Die immer wieder beschworene Gefahr eines
Wallfahrtsortes für Neonazis hat sich in der Realität bislang noch stets als
Fiktion entpuppt. Von nationalsozialistischen Bauwerken geht keine Gefahr mehr
aus, eher wohl von Unwissenheit und Verdrängung.
Ronald Berg in der »ZITTY« Nr. 1/2005, S.
30
Ein Führer durch
unsere Hauptstadt, der sich speziell den baulichen Delikatessen des »Dritten
Reichs« widmet – ein solches Buch mußte ja irgendwann irgendwo erscheinen,
nachdem wir die »Revision der Moderne« hinter uns gebracht haben und inzwischen
auch erfolgreich gegen die »andere Moderne« abgehärtet worden sind. Immerhin
tritt als Herausgeber das Landesdenkmalamt auf, was ein gewisses Maß an
Seriosität erwarten lassen darf – und das wird von Landeskonservator Jörg
Haspels Vorwort auch bestätigt. Doch die Einleitung des Autors Matthias Donath
weiß schon auf der ersten Seite zu irritieren. »Baukunst läßt sich nicht mit
moralischen Kriterien bewerten«, heißt es da, und später: Falsch sei es, aus
den gesellschaftlichen Bedingungen »eine Geringschätzung der architektonischen
und städtebaulichen Hinterlassenschaften abzuleiten. Für die Architektur der
DDR ist eine solche Herangehensweise mittlerweile anerkannt.« Wofür es auch
gewisse Gründe gibt, Herr Donath (siehe unten), und damit sei die Lektüre
beendet. Wer NS und DDR gleich behandelt sehen will, auf dessen Qualitätsurteil
verzichte ich im Hinblick auf Architektur durchaus dankend. Nur dies noch: Für
einen Architekturführer, der das Buch sein will, sind Format und Gewicht
reichlich unpraktisch; die Übersichtskarten dienen allenfalls der groben
Orientierung.
U[lrich] B[rinkmann] in StadtBauwelt, Nr.
48/2004, S. 72
Was ist Nazi-Architektur? Meist stehen uns Bilder der
monumentalen Hauptachse vor Augen, die Hitler und sein Hausarchitekt Alfred
Speer durch die westliche Innenstadt Berlins brechen wollten, oder Bilder des
Reichssportfelds in Berlin und des Reichsparteitagsgeländes in Nürnberg – ein
proportionsloser, imposant wirkender Neuklassizismus. Aber die NS-Zeit, die
ihre Propaganda ja auf gewaltige Bau- und Infrastrukturprogramme stützte, hat
weit mehr hinterlassen.
Vor zehn Jahren versuchte das Münchner Architekturmuseum unter der Leitung
Winfried Nerdingers, das »Bauen im Nationalsozialismus« in Bayern wie in einem
gewaltigen Kataster zu erfassen. Schon der Titel verriet: Es ging nicht nur um
die Monumentalarchitektur, sondern auch um Denkmäler und Siedlungen, kleine
Kanalwärterhäuschen, Industrieanlagen, Schulen, Kirchen, Konzentrationslager
und ihre Nebenstellen, Jugendherbergen und Autobahnbauten. Die enzyklopädische
Gründlichkeit von Nerdinger ist bisher für andere deutsche Bundesländer leider
unerreicht geblieben. Aber der Berliner Kunsthistoriker Matthias Donath hat sie
sich offensichtlich als Vorbild genommen für seinen nun vorgelegten
»Stadtführer« zur Architektur Berlins zwischen 1933 und 1945. Zwar ist der Band
zu unhandlich, um als Begleiter bei Ausflügen zu dienen. Doch öffnet er die
Augen, wie viele Bauten aus der Nazizeit es in Berlin trotz aller Zerstörungen
und Abrisse gibt.
Es sind Bauten wie die Nordstern-Versicherung am Fehrbelliner Platz, die mit
ihrer Teppichfassade in die Nachkriegszeit vorausweist, oder das Postamt SW 11
am Kreuzberger Anhalter Bahnhof, das die Architektur der Weimarer Moderne
weiterführte. Wer vermutete, daß das fachwerkelnde Jugendfreizeitheim im
Volkspark Rehberge ein 1937 für die Ausstellung »Gebt mir vier Jahre Zeit«
errichtetes Musterhaus für die Hitlerjugend war? Wer kennt den Flughafen Gatow,
in dem sich reinstes weißes Bauhaus mit achsenstrengem Heimatstil verband? Oder
das Haus Vollberg von Egon Eiermann – jenem Eiermann, der nach dem Krieg zum
führenden Architekten der leichten Stahl- und Glas-Nachkriegsmoderne wurde und
hier schon 1937 eine locker asymmetrische Ziegelsteinvilla plante, wie sie
später die skandinavischen Architekten populär machten? Die Reste der
Flakbunker werden erklärt und die des Botschaftsviertels und seiner
Veränderungen. Auffällig ist allerdings, daß die Fotografien die Häuser
durchaus unterschiedlich darstellen: Je konservativer, traditionalistischer und
monumentaler ihre Gestalt ist, desto grauer, härter, kantiger erscheinen sie
auch auf den Abbildungen, je mehr angelehnt an die Klassische Moderne, desto heller,
asymmetrischer, dynamischer wurden sie aufgenommen. So scheint es, als wenn die
vier Fotografen die Moderne aus der Vereinnahmung durch die Nazis zu befreien
versuchen, selbst wenn gerade dieser Band zeigt: Modern, das war auch die
Nazi-Zeit.
Dies ist ein verdienstvolles, bis in die Sprache angenehm unpathetisches Buch,
das uns einen oft ignorierten Ausschnitt der Stadtgeschichte zeigt. Noch in den
neunziger Jahren wollte die damalige Bundesbauministerin Adam-Schwaetzer nicht,
daß Bundesbehörden in Nazi-Bauten einziehen. Zu Recht wurde das damals nicht
nur aus ökonomischen Gründen abgelehnt, sondern auch als Flucht vor der
Geschichte. Inzwischen haben wir uns allerdings, hat man den Eindruck, so sehr
an die Nazi-Bauten gewöhnt, daß sie und ihre Gewaltgesten gar nicht mehr
auffallen – der Flughafen Tempelhof etwa wird nur noch als moderner Bau
wahrgenommen, nicht mehr als Propagandainstrument. Donath öffnet hier wieder
die Augen.
Nikolaus Bernau in der »Berliner Zeitung« am 20. Dezember 2004
Olympiastadion, Flughafen Tempelhof oder das
Reichsluftfahrtministerium (heute Bundesfinanzministerium) – solche
Monumentalbauten fallen einem ein, wenn man an Nazibauten in Berlin denkt. Daß
die Nazizeit noch weit mehr an Bauten hinterlassen hat, als man gemeinhin wahrnimmt,
ist einem Architekturführer zu entnehmen, der jetzt im Lukas Verlag erschienen
ist. Kunsthistoriker Matthias Donath stellt über 80 Objekte vor, die man heute
noch in fast allen Teilen der Stadt antrifft, vom Bunker über Heime der
Hitlerjugend, Wohnanlagen bis zum Zwangsarbeitslager. Manche davon sind als
Zeugnisse der NS-Architektur allenfalls noch für Fachleute zu erkennen, wie
etwa die Wohnanlage in der Greifswalder Straße 52–62 oder die idyllische
einstige SS-Kameradschaftssiedlung in Zehlendorf. Bei anderen Bauten weisen
Ornamente und Plastiken deutlich die Herkunft aus. Im
Bundestags-Verwaltungsgebäude in der Dorotheenstraße, einst
Reichsinnenministerium, sind in einem Türrelief Hakenkreuze integriert, die
Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf zieren Terrakotten, auf denen
Hitlerjungen und Soldatenköpfe zu sehen sind. Ein Hitlerkopf wurde in der
Nachkriegszeit durch Hindenburg ersetzt.
Mit dem Buch will Donath die »Vielfalt der vermeintlich uniformen
NS-Architektur« verdeutlichen. Er widerlegt die Auffassung vom »einheitlichen
NS-Baustil«. Allerdings folgte die Architektur vor allem einem Zweck: »Der
Architektur wurde im ›Dritten Reich‹ die gesellschaftliche Aufgabe zugewiesen,
politische Botschaften zu transportieren. Die Baukunst diente der Propaganda.«
Bernd Kammer im »Neuen Deutschland« vom
30.11.2004
In jüngster Zeit sind sogenannte Stadtwanderungen überaus
populär geworden. An Gebäuden aus Vergangenheit und Gegenwart läßt sich leicht
die Geschichte einer Stadt, ja bei Hauptstädten auch die Geschichte des ganzen
Landes ablesen. In Berlin mit seinen Zeugnissen aus der Kaiserzeit, aus der
Weimarer Republik, dem NS-Regime und aus den beiden deutschen Staaten nach 1945
wird fast jeder Gang zu einem Erlebnis. Der Kunsthistoriker Matthias Donath hat
zur Architektur in Berlin zwischen 1933 und 1945 einen wahrlich spannenden
»Stadtführer« veröffentlicht. Darin stellt er nicht nur die bekannten Bauten in
Mitte vor, sondern er führt den Leser hinaus in die Vororte – von Dahlem und
Schöneberg bis hinüber nach Treptow, Marzahn und Adlershof hin zu Rathäusern,
Fabrikgebäuden, Post- und Finanzämtern, Militäreinrichtungen und Bunkern. Zu
größeren Bauten folgen auf Bild und ausführlichen Text oft erstaunlich
umfangreiche Literaturhinweise; bei kleinen, heute auf den ersten Blick kaum
ins Auge fallenden Häusern ist selbst der langjährige Bewohner erstaunt, was
sich erhalten hat. Berlin war ein Experimentierfeld im Wohnungs- und
Industriebau auch noch in den 30er Jahren, wie dieser ungemein anregende Band beweist.
Ausgewählt haben wir ein Bild der ab 1935 in großem Stil erweiterten
Flughafenanlagen von Berlin-Tempelhof.
[ks] in »Das Parlament« vom 22.11.2004
Die architektonischen Spuren aus der
Zeit des »Dritten Reichs« sind in Berlin zahlreicher und vielfältiger als
gemeinhin bekannt. Gegliedert nach Ortsteilen stellt der vorliegende Band nicht
nur die großen Staats- und Verwaltungsbauten, sondern auch Alltagsarchitektur
vor. Jenseits der gigantomanen Entwürfe Albert Speers für die Welthauptstadt
entstanden Siedlungen und HJ-Heime, aber auch nicht wenige Kirchen, an deren
Beispiel der Autor mit dem Vorurteil eines einheitlichen NS-Stils aufräumen
kann.
[vau] in »monumente. Magazin für
Denkmalkultur in Deutschland, Heft 11+12/2004
Der Berliner Lukas Verlag legt mit
diesem Buch einen Architekturführer in fast idealer Form vor. Er enthält eine
Übersichtskarte und eine Karte des Berliner Zentrums mit der Kennzeichnung der
beschriebenen Objekte, er ist kenntnisreich geschrieben und gut nach Ortteilen
gegliedert und informativ bebildert. Lediglich das Format und Gewicht könnte
einem Führer, den man doch auf seine Tour mitnehmen will, praktikabler sein.
Entscheidend ist der Ansatz des Autors. Er macht deutlich, daß Dämonisierung
und Tabuisierung dieses erstaunlich vielfältigen und weitgehend erhaltenen
Gebäudebestands falsch ist, verdrängt und nicht aufklärt, durch Erinnerung
sensibilisiert. Im Betonen der im Zeitraum von 1933 bis 1945 möglichen
stilistischen Vielfalt bleibt dabei der Autor beim Herausarbeiten des steingewordenen
Machtausdrucks und des Menschenbildes vieler Beispiele dieser Architektur etwas
hinter den Notwendigkeiten zurück. Aber schon die Fotoauswahl im Buch und erst
recht das durch diesen Führer erleichterte direkte Erleben der Einschüchterung,
Uniformität, gar Menschenverachtung dieser Machtarchitektur wirkt deutlich.
Jörg Raach im Onlinedienst http://www.berliner-kulturbrief.de,
11+12/2004
Wer an Nazi-Architektur in Berlin denkt,
hat gewöhnlich Monumentalbauten vor Augen: den Flughafen Tempelhof etwa, das
Reichsluftfahrtministerium (heute Finanzministerium) oder das Olympiastadion.
Vielleicht auch die ehemalige Reichsbank (heute Auswärtiges Amt). Anhand
solcher Beispiele könnte man meinen, es habe einen NS-Stil gegeben. Ein neues
Buch zeigt jetzt, daß diese Vorstellung in die Irre geht. Denn die Architektur
der zwischen 1933 und 1945 errichteten Gebäude ist gerade nicht von einem
einheitlichen Stil geprägt. An rund 80 Beispielen zeigt Kunsthistoriker
Matthias Donath, wie vielfältig die Bauten aus dem Dritten Reich auch heute im
Stadtbild sind. Denn bis auf ein Beispiel existieren alle von ihm ausgewählten
Bauten noch. Die Ausnahme ist die Neue Reichskanzlei von Albert Speer, die
1938/39 errichtet und 1949 abgeräumt wurde. Spannender sind jedoch die nicht
auf den Blick als NS-Bauten erkennbaren Gebäude. Zum Beispiel das ehemalige
Hitlerjugend-Heim, das im Volkspark Rehberge steht und bis heute als
Jugendfreizeitheim benutzt wird. Oder das Rathaus Tiergarten, 1935–37
errichtet. Nur für Fachleute ist die NS-Vergangenheit erkennbar.
Die größte Zahl von erhaltenen NS-Bauten steht wahrscheinlich im
Diplomatenviertel im Tiergarten. Erhalten sind unter anderem die spanische und
die italienische Botschaft, die wieder genutzt werden. Die japanische
Vertretung ist ein Neubau in alter Gestalt, während die ehemalige dänische
Botschaft heute der Telekom dient. Gerade an diesen Bauten wird deutlich, daß
viele vermeintlich typische Merkmale von NS-Architektur – die starke Betonung
der Fenster durch Rahmungen aus Werkstein oder die kräftigen Konsolgebälke – in
Wirklichkeit zeittypisch waren. Wer sich in skandinavischen Hauptstädten oder
zum Beispiel auch in Washington D.C. Regierungsbauten aus den späten zwanziger
und frühen dreißiger Jahren anschaut, entdeckt ganz ähnliche Merkmale. Übrigens
hat eine der besten Schulen Berlins, das private katholische Canisius-Kolleg,
ihren Sitz ebenfalls in einer Art Botschaft - nämlich der 1936-38 errichten Konzernrepräsentanz
der Friedrich Krupp AG an der Tiergartenstraße.
Natürlich gibt es trotzdem NS-Spezifika, die aber weniger architektonisch sind
als vielmehr die »Kunst am Bau« betreffen. Viele NS-Bauten haben Ornamente oder
Plastiken im wirklich typischen, vergröberten Realismus, den Hitler so
schätzte. Beispiele finden sich in Donaths Buch zuhauf: Etwa am »Neuen
Stadthaus« an der Klosterstraße, errichtet Mitte der dreißiger Jahre für die
Städtische Feuersozietät. Oder in der heutigen Julius-Leber-Kaserne, jahrzehntelang
Sitz der französischen Schutzmacht nahe dem Flughafen Tegel. Auch am
Fehrbelliner Platz sind zahlreiche ästhetisch eher zweifelhafte Reliefs
erhalten und an der Martin-Luther-Gedächtniskirche in Mariendorf, wo der Kopf
eines SA-Mannes und eines Wehrmachtssoldaten in Terrakotta bis heute auf die
Gläubigen herabschauen. Und im Bundestagsgebäude an der Dorotheenstraße ist ein
marmorner Türsturz sogar mit Hakenkreuzen »geschmückt«.
Donaths sehr gelungenes, sowohl als Stadtführer zu weniger bekannten Berliner
Bauten als auch als grundsätzliche Darstellung der NS-Architektur zu lesendes
Buch lehrt, entspannt mit diesem ideologisch überfrachteten Thema umzugehen.
Denn nur wer um diese Geschichte der Gebäude weiß, kann mit ihnen souverän
umgehen, statt zu verdrängen oder zu dämonisieren.
Sven Felix Kellerhoff in der »Berliner
Hitler
als Massenmörder, brüllender Feldherr, zittriger Greis im Bunker der Reichskanzlei
– und jetzt noch Hitler als Stadtplaner. Bei der aktuellen Hitlerei wird dieser
Aspekt in der Biographie des Diktators ausgeklammert. Der Bauwahn des »Führers«
wäre sicher auch ein toller Filmstoff. Doch wen interessieren schon die
himmelschreienden Architekturvisionen des Möchtegernkünstlers, der ganz in der
Tradition früherer Potentaten ein steinernes Erbe hinterlassen wollte.
Allein in Berlin haben an die 100 vom »Führer« und seinem
Lieblingsarchitekten Albert Speer entworfene oder in ihrem Geiste errichtete
Häuser, Straßen und Plätze die Kriegs- und Nachkriegszeit überstanden. Die
monströsen Staats-, Partei- und Militärbauten entlang eines in die Stadt
geschlagenen Achsenkreuzes wurden in der Kriegszeit zum Glück nicht
verwirklicht. Nach dem »Endsieg« sollte Berlin zur Welthauptstadt Germania
erhoben werden. Die ersten Stadtteile waren deshalb schon dem Erdboden
gleichmacht.
In seinem vom hauptstädtischen Landesdenkmalamt
herausgegebenen Buch über die NS-Architektur in Berlin analysiert der Kunst-
und Architekturhistoriker Matthias Donath die Umbaupläne von Hitler und Speer
für Berlin und zeigt, was dort von den unterm Hakenkreuz errichteten Bauten
heute noch steht. Es ist erstaunlich viel. Die abgezirkelten, oft monotonen
Fronten, die eckigen Säulen und kleinen Balkone mit schmiedeeisernen Gittern,
die aufwendigen Natursteinverkleidungen geben leicht ihre Herkunft preis. Zu
den Staats-, Partei- und Militärbauten, den Konzernzentralen und
Verwaltungseinheiten gesellen sich über die Stadt verteilte Wohnsiedlungen mit
viel Fachwerk und allerlei kunsthandwerklichem Zubehör. In ihnen lebt es sich
gut; nur selten kennen die Bewohner die Entstehungsgeschichte. Das Buch gibt
dazu den notwendigen Nachhilfeunterricht.
Donath macht deutlich, daß Architektur im Hitlerreich politische Botschaften zu
transportieren hatte. Er informiert sachlich, dämonisiert nichts, meidet
Hau-drauf-Formulierungen. Gesprochen wird von »maßstabslosen Visionen« und
»monumentalen Neubauten«, denen gegenüber das historische Architekturerbe auf
Spielzeuggröße geschrumpft wäre.
Nach 1945 kam man im kriegszerstörten Berlin nicht auf
die Idee, die baulichen Zeugnisse des untergegangenen Nazistaates abzureißen,
obwohl man ihre politische Bedeutung kannte. Lediglich die nach Speers Plänen
erbaute Neue Reichskanzlei und weitere stark beschädigte Regierungspaläste an
der Wilhelmstraße wurden beseitigt. Das gleiche widerfuhr der SS- und
Gestapozentrale, auf deren Gelände die Gedenkstätte Topographie des Terrors die
Nazi-Verbrechen dokumentiert. Doch das im Stadtzentrum gelegene ehemalige
Reichsluftfahrtministerium, das Propagandaministerium und die Reichsbank, aber
auch das Reichssportfeld sowie zahlreiche Verwaltungsgebäude und Kasernen
wurden aus- und umgebaut und weiter genutzt. Nach der Wiedervereinigung fanden
Organe des Bundes und der Länder nichts dabei, in die »belasteten« Gebäude
einzuziehen.
Viele Gebäude waren Orte des Schreckens. Leider erinnern
nur selten Tafeln an das, was in ihnen geschah. Der Verfasser nennt
Auftraggeber und Architekten und schildert viel zu kurz, was aus den Bauwerken
geworden ist. Es lohnt sich, alte Fotos und neue Aufnahmen zu vergleichen.
Dabei zeigt sich, daß die heute als nazitypisch bemerkte Monotonie mit viel
bildhauerischem Beiwerk aufgelockert war. Wo früher NS-Symbole und Heldenbilder
angebracht waren, ist heute glatter Stein.
Für Matthias Donath sind die baulichen
Hinterlassenschaften des »Dritten Reichs« unbequeme und störende Orte der
deutschen Geschichte. Sie zu erhalten, diene der Aufarbeitung, weshalb sie
bewahrt werden sollten. Der reich illustrierte Band hilft bei dieser
notwendigen Erinnerungsarbeit und könnte auch Basis weitergehender Forschungen
vor allem zur Rolle des Bauwesens in Diktaturen sein.
Helmut Caspar in der »Märkischen Allgemeinen
Zeitung« vom 13. Oktober 2004
Weitaus mehr, als auf
den ersten Blick erkennbar, sind in Berlin die architektonischen Spuren aus den
zwölf Jahren Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 erhalten geblieben. Gemessen
an den Zerstörungen durch die Bomben des Zweiten Weltkriegs und die
ideologischen oder städtebaulichen Abrißarbeiten danach, trifft man in beinahe
allen Stadtteilen auf Wohnungsbauten und Siedlungen, Industrie- und
Gewerbearchitekturen, ehemalige Kasernen und Parteiheime, Sportbauten oder Verwaltungs-
und Firmenzentralen, die unzerstört und unverändert seit der NS-Zeit das
Stadtbild mitprägen.
Als Zeugnisse nationalsozialistischer Architektur sind viele davon jedoch bis
dato unterbelichtet, unerkannt oder unterbewertet geblieben – was teilweise
ihrer mangelhaften Bedeutung und Zeichenhaftigkeit geschuldet ist. Wesentlich
zu ihrer Marginalisierung beigetragen hat, daß sich die Baugeschichte,
Publikationen und die Sicht auf die Großbauten der NS-Macht und -Mächtigen, des
Terrors und der faschistischen Repräsentation konzentriert haben: das
Olympiastadion, den Flughafen Tempelhof, die Reichsbank, die Ministerien an der
Wilhelmstraße oder die Straße des 17. Juni.
Mit dem Buch »Architektur in Berlin 1933 bis 1945« sucht der Kunsthistoriker
Matthias Donath nun diese Lücken zwischen den bekannten NS-Großbauten aus
Speers Hauptstadtplanung, den kleineren Nazi-Gebäuden und der
Alltagsarchitektur jener Zeit zu schließen. Donath tut dies mit einer guten
Auswahl von über 80 Gebäuden aus den Bezirken, kommt es ihm doch darauf an,
»Aufarbeitung und Aufklärung durch Begegnung« zu leisten, wie Jörg Haspel, Chef
des Landesdenkmalamts, im Vorwort anmerkt.
Hinzu kommt, daß Donath sehr klar die Geschichte, die Nutzungen sowie die
baulichen Zeichen und die Symbolhaftigkeit der NS-Zeit aufreißt. »Der
Architektur wurde im ›Dritten Reich‹ die gesellschaftliche Aufgabe zugewiesen,
politische Botschaften zu transportieren. Baukunst diente der Propaganda.«
Dennoch stellt auch Donath heraus, daß die Nazis oder Speer selbst kein
»geschlossenes Architekturprogramm« hatten. Neben den neoklassizistischen
Kolossalbauten wie der Reichskanzlei oder dem Olympiastadion und den
ideologisch-heimatverbundenen »Blut-und-Boden-Architekturen« im bäuerlichen
Stil standen die Industriebauten oder Verkehrsbauten der Moderne. Daß sich die
Zeichensprache der Nazis dennoch auch in diese schleicht – wie etwa bei der
Pfeilerhalle im Arbeitsamt Charlottenstraße (1934/37), dem »süddeutschen
Traditionalismus« bei den Wohnsiedlungen Krumme Lanke (1938/40) oder der
Greifswalder Straße (1938) sowie bei den monumental inszenierten
Verwaltungsbauten am Fehrbelliner Platz (1935 bis 1938) –, deutet Donath als
gewollte Überformung, den gewollten Neuaufbau Berlins als Reichshauptstadt
durch Hitler ab 1937 – von der nicht alles in Schutt und Asche fiel. »Ein
Stadtführer« nennt Donath sein Buch, das im Lukas Verlag für 29,80 Euro
erscheint. Allein das gelungene Werk hat ein Manko: Ein paar Kilo im
DIN-A4-Format schleppt man nicht quer durch Berlin.
Rolf Lautenschläger in der »taz« (Berlin)
vom 13. Oktober 2004
Die Architektur der Nazizeit wurde, bis
weit in fachliche Kreise hinein, lange Zeit allein mit der maßstabslosen
Monumentalität der Speer-Entwürfe für Berlin und Nürnberg identifiziert. Das
Feindbild war klar umrissen, eine empörte Distanzierung selbstverständlich –
und auch wohlfeil.
Seit Jahren wissen Forschung, Kunstwissenschaft und Baugeschichte, daß die
deutsche Architektur der Jahre 1933 bis 1945 nicht auf die vermeintlich so
bekannten und eng umgrenzbaren Speer-Muster zu reduzieren ist. Zahlreiche
Autoren, von Teut über Durth/Gutschow bis zu Nerdinger und Schäche, haben
nachgewiesen, daß diese Architektur vielmehr aus einer vielschichtigen
Parallelität mehrerer Strömungen und Traditionen bestanden hat – Kontinuitäten
aus der voran gegangenen Epoche ebenso einschließend wie solche, die in die
Nachkriegsarchitektur weisen.
Inzwischen gilt diese differenzierte Sichtweise sogar fast schon wieder als
Binsenweisheit, so daß man am liebsten wiederum hieran rütteln und eben doch
einen gewissen gemeinsamen Kanon an Formen und Haltungen ausmachen wollte.
Jedenfalls sind Bauten der Nazizeit mit viel Seherfahrung im Stadtbild relativ
leicht zuzuordnen und zu datieren – auch wenn die Unterscheidungsmerkmale zu
ähnlichen Bauten anderer Epochen nur winzig sein mögen.
Der Autor des vorliegenden Bandes hält sich auf der sicheren Seite des
aktuellen Forschungsstandes. Mehr noch: Er bündelt in seinem klugen
Einleitungsaufsatz die Einflußgrößen der Architektur jener Jahre in drei
Hauptströmungen: in die monumentale, die funktionalistische und die
traditionalistische Bauweise. Zu allen Strömungen nennt er Vorgänger und
Vorbilder. Mit dieser Unterteilung kann man leben; sie deckt die vorhandene
Bandbreite ausreichend ab.
Etwas verwundert liest man nach dieser meinungsfreudigen Hinführung dann die
meist im Stile einer Baubeschreibung rein deskriptiv gehaltenen Texte zu den
einzelnen Bauten, in denen der Autor sich nicht mehr die Mühe macht, die
gefundenen Kriterien anzuwenden und die Bauten den genannten Strömungen
zuzuordnen. Hier wechselt die stilkritisch-politische Betrachtung zu der
Sichtweise eines Denkmal-Inventarisierers. Das muß kein Nachteil sein, sei aber
angemerkt.
86 Objekte aus dem Stadtgebiet Berlins hat der Autor sich ausgesucht; die
Aufbereitung des Buches entspricht bewußt dem Genre »Architekturführer«, auch
wenn es für das ganz leichte Reisegepäck etwas zu schwer geraten ist. Wert
wurde offenbar auf »die gute Mischung« gelegt: Bekanntes neben Unbekanntem,
Sachlich-Technisches neben Monumentalem neben Heimatschutz, Spandau neben
Zehlendorf.
Herausgekommen ist eine Zusammenstellung von beachtlichem Informationswert und
großer Anschaulichkeit weit über Berlin hinaus; aussagekräftige Bücher über die
Architektur der Nazizeit sind häufig regionaler Natur. Somit ist es auch für
Leser zu empfehlen, die keinen engen Bezug zur deutschen Hauptstadt haben.
Ein perfektes Layout, durchweg gute Fotos – immerhin 350 Stück! –, sauber
recherchierte Daten und eine immer klare Sprache sind die weiteren Vorzüge
dieser gediegenen Veröffentlichung, die zudem mit knapp dreißig Euro erfreulich
erschwinglich kalkuliert ist.
-tze [
Hakenkreuze,
Reichsadler und völkische Symbole wurden gleich nach dem Ende des Nazi-Staates
beseitigt, viele seiner Bauten stehen aber bis heute. Ein neues Buch schildert,
was aus der Zeit von 1933 bis 1945 in Berlin erhalten geblieben ist. Von den
Regierungs-, Partei- und Militärbauten sowie den über die ganze Stadt verteilten
Wohnsiedlungen und Wirtschaftsgebäuden, die nach der Errichtung der
Nazidiktatur entstanden, haben erstaunlich viele Krieg und Nachkriegszeit
überstanden.
Nicht immer sind die Bauten als Hinterlassenschaften aus der Nazizeit zu
erkennen, zu stark sind die inneren und äußeren Veränderungen. Deshalb ist es
verdienstvoll, daß der Bau- und Kunsthistoriker Matthias Donath sie in diesem
Bild-Text-Band einer kritischen Durchsicht unterzieht. Viele Gebäude waren Orte
des Schreckens, selten erinnern Tafeln daran, welche Verbrechen dort geplant
wurden, wen man dort folterte oder ermordete. Donath holt das Versäumnis nach,
nennt Auftraggeber und Architekten und schildert, was aus den Bauwerken
geworden ist und wie man sie heute nutzt.
Das Buch macht deutlich, daß die Architektur im Hitlerreich politische
Botschaften zu transportieren hatte. Hitler fühlte sich ja selbst als Künstler
und Baumeister, der in riesigen Dimensionen dachte und plante. Nur der Zweite
Weltkrieg verhinderte die Ausführung der monströsen Baupläne für die
»Welthaupstadt Germania«, deretwegen Hitlers oberster Baumeister Albert Speer
bereits zahlreiche Altbauten hatte niederlegen lassen.
Im kriegszerstörten Berlin kam kaum jemand auf die Idee, die baulichen
Zeugnisse des untergegangenen Dritten Reichs abzureißen, auch wenn sie nicht
mehr ins Bild der neuen Zeit paßten. Lediglich die nach Plänen von Speer
erbaute Neue Reichskanzlei und weitere stark beschädigte Regierungspaläste an
der Wilhelmstraße wurden dem Erdboden gleichgemacht. Das Gleiche widerfuhr der
Gestapozentrale in der Wilhelmstraße, auf deren Gelände die Topographie des
Terrors die Verbrechen der Nazis dokumentiert. Doch das im Stadtzentrum
gelegene ehemalige Reichsluftfahrtministerium und das Propagandaministerium,
die Reichsbank und Münze, aber auch das Reichssportfeld sowie Botschaften,
Kasernen, Firmenzentralen, Verwaltungsgebäude wurden auf- und umgebaut und
weiter genutzt. Auch bei zahlreichen Wohnsiedlungen im heimattümelnden Baustil
ist die Herkunft aus der Nazizeit nicht mehr ohne weiteres auszumachen.
Matthias Donath hat über 80 Einzelgebäude und Ensembles erfaßt. Indem er alte
und neue Ansichten gegenüberstellt, zeigt er, welche Botschaften die Bauten
übermitteln sollten und welche Rolle sie im System der politischen »Gleichschaltung«
und der Ausrichtung der Deutschen spielten.
Fritz Arnold im »Nordkurier« vom 09./10.
Oktober 2004
Soldaten mit Stahlhelmen und
Hitler-Jungen in Uniform sind garantiert nicht der richtige Schmuck für eine
Kirche – heute nicht und eigentlich noch nie. Vor 70 Jahren sah man das
allerdings anders: Damals arrangierten sich viele evangelische Gemeinden
bereitwillig mit dem Dritten Reich. In der Martin-Luther-Gedächtniskirche in
Mariendorf fand diese Verirrung ihren Ausdruck in »Kunst am Bau«. Die Kirche,
im Oktober 1933 begonnen und im Dezember 1935 eingeweiht, zeigt bis heute noch
die Ideologie der NS-treuen »Deutschen Christen«. So finden sich an dem mit
Terrakotta-Fliesen verzierten Triumphbogen, also dem Bauteil zwischen
Kirchenschiff und Altarraum, Soldatenköpfe im typischen NS-Stil. An der Kanzel
sind uniformierte HJ-Mitglieder erkennbar – ausgerechnet als Teil einer
Darstellung der Bergpredigt Jesu. Weitere NS-Symbole, Hakenkreuze etwa, wurden
nach 1945 ersetzt. Eine Hitler-Büste im Vorraum wurde ebenfalls ausgetauscht –
jedoch durch einen Kopf des früheren Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Auf
diesen zweifelhaften Kirchenschmuck macht der Kunsthistoriker Matthias Donath
in seinem gerade erschienen Buch »Architektur in Berlin 1933 bis 1945« aufmerksam.
Er stellt einen repräsentativen Querschnitt bis heute erhaltener Bauten der
NS-Zeit vor.
Das exzellente Buch, das zugleich Stadtführer und Studie über NS-Bauten ist,
enthält bemerkenswerte Einsichten. So betrachtet Donath nicht nur die
Martin-Luther-Kirche genauer, sondern auch noch fünf weitere Kirchen, die alle
zwischen 1933 und dem Stopp aller Neubauten 1940 entstanden. In keiner fanden
sich so direkte Einflüsse der völkischen Ideologie wie in Mariendorf. Spannend
sind sie dennoch, denn in ihren äußeren Formen nähern sie sich vielfach dem
vergröbernden Stil an, der für die NS-Architektur so typisch ist. Das
illustriert die vielleicht wichtigste Erkenntnis in Donaths Buch: Einen
spezifisch nationalsozialistischen Baustil gibt es eigentlich nicht. Natürlich
werden viele Monumentalbauten wie der Flughafen Tempelhof, das
Reichsluftfahrtministerium oder das Olympiastadion von der Kombination von
Werksteinfassaden, vergröbernden Formen, massiven Fensterrahmungen und massiven
Gebälken geprägt. Doch all diese Elemente finden sich bei gleichzeitig
entstandenen Repräsentativbauten in demokratisch regierten Ländern auch – etwa
Norwegen oder Dänemark. Typisch nationalsozialistisch waren dagegen der
Bauschmuck, die Statuen und Reliefplatten. In der Julius-Leber-Kaserne nahe dem
Flughafen Tegel ist die »Kunst am Bau« sogar weitgehend erhalten, weil die dort
jahrzehntelang stationierten französischen Truppen sich daran nicht störten. An
der Einfahrt zum Bundesarchiv in Lichterfelde (lange Kaserne der US Army) dagegen
wurden die ebenso monumentalen wie häßlichen Standbilder der
»Reichsrottenführer« mit Beton ummantelt. Immerhin »bewachten« sie einst die
Kaserne der »SS-Leibstandarte Adolf Hitler«.
Vor etwas mehr als zehn Jahren, auf dem Höhepunkt der Debatte um den Umzug der
Regierung nach Berlin, wurde erregt gestritten, ob Dienststellen eines
demokratischen Staates in Bauten ziehen dürften, die von einer
menschenverachtenden Diktatur errichtet wurden. Zu Recht fragt Jörg Haspel,
Berlins Landeskonservator und Herausgeber des Buches: »Wer, wenn nicht
demokratische Institutionen, soll sich mit der Geschichte solcher Bauten
auseinander setzen?« Donaths Band ist ein hervorragender Ausgangspunkt für ein
tieferes Verständnis der Architektur und vor allem ihrer Abgründe. Die
Abrißbirne hilft sicher nicht.
Sven Felix Kellerhoff in der »Welt am
Sonntag« am 3. Oktober 2004
Die Bautätigkeit des
NS-Regimes in Berlin blieb wegen des Krieges weit hinter den größenwahnsinnigen
Planungen zurück. In der Reichshauptstadt kamen allerdings einige beispielhafte
Vorhaben zur Ausführung. Reichsbank und Reichsluftfahrtministerium haben durch
die Umnutzung als Sitz des Außen- und des Finanzministeriums neuerlich
Beachtung gefunden. Unbeachtet ist hingegen der Großteil der NS-Bautätigkeit. Das
war dem Landesdenkmalamt Anlaß, den Kunsthistoriker Matthias Donath mit der
Bearbeitung dieses historischen Erbes zu betrauen. Jetzt liegt sein ganz
vorzüglich geratener Stadtführer vor, der über 80 Objekte, nach den Bezirken
Berlins geordnet, ausführlich vorstellt.
Der neutrale Buchtitel ist angebracht, da auch Nicht-Nazi-Bauten
Berücksichtigung finden, wie etwa die Ernst-Moritz-Arndt-Kirche in Nikolassee.
Daß anfangs durchaus noch im Sinne des »Neuen Bauens« entworfen werden konnte,
belegt etwa die heutige Ausländerbehörde in Tiergarten (1937/38) von Egon
Eiermann. Doch dominieren natürlich die großen Komplexe in Mitte oder am
Fehrbelliner Platz. Gerade in Wilmersdorf wird deutlich, daß sich die
NS-Baukunst auf einen dünnen Akademie-Klassizismus stützte, der in ganz Europa
heimisch war.