Ulrich Waack

Kirchenbau und Ökonomie

Zur Beziehung von baulichen Merkmalen mittelalterlicher Dorfkirchen auf dem Barnim und dessen Wirtschafts- und Siedlungsgeschichte.

 

 

Der Zusammenhang zwischen Architektur und Ökonomie leuchtet jedem ein. Trotz der engen Verknüpfung wurden Fragen zu den finanziell Grundlagen mittelalterlicher Architektur bislang nur selten, und erst in der jüngeren Forschung vereinzelt aufgegriffen. Dies ist umso bedauerlicher, da gerade Umfang (zum Beispiel Größe und Typ) und Ausstattung (Dekor) eines Bauwerks in nicht unerheblichem Maße vom wirtschaftlichen Spielraum des Bauherrn bestimmt werden. Ein Grund, weshalb die systematische Erforschung der Relationen zwischen Formenwahl und ökonomischen Voraussetzungen bislang eine Randerscheinung blieb, mag neben der schwierigen Quellenlage auch die Vorliebe der Architekturgeschichte für die hochrepräsentativen Bauten sein, deren mannigfache Kunstäußerungen effizienterweise eher bauarchäologischen, stilistischen und ikonologischen Fragen unterworfen werden. Daher ist es erfreulich und für die Architekturgeschichte anregend, ddss sich mit Ulrich Waack ein Historiker den wirtschaftlichen Grundlagen des ländlichen Kirchenbaus mit interdisziplinären Fragestellungen gewidmet hat.
Die Ausgangspunkte des Autors sind nicht prim
är auf kunst- und bauhistorische Beschreibungsmuster angelegte Fragestellungen, sondern eine auf den Formenapparat im ländlichen Kirchenbau fokussierte wirtschafts- und siedlungsgeschichtliche sowie bodenkundliche Herangehensweise. Das nur 148 Textseiten und zahlreiche Tabellen umfassende Buch, das als Magisterarbeit der Humboldt-Universität Berlin in die bekannte Reihe des Lukas-Verlages zum Dorfkirchenbau aufgenommen wurde, ist für Architekturhistoriker wie für Siediungskundler interessant. So erfährt man etwas über bautypologische und technologische Phänomene ebenso wie über Gebäudeproportionen, mittelalterliche Gemarkungsgrößen, Bodenertragskoeffizienten, Siedlungsformen oder Straßenverläufe.
Die eiszeitlich geformte Hochebene des Barnims, die sich nord
östlich von Berlin erstreckt und Teile des heutigen Hauptstadtgebietes einschließt bietet sich aus mehreren Gründen für eine derartige Studie an. Zum einen gehörte sie im hohen Mittelalter zu den zentralen Gebieten der deutschen Ostkolonisierung östlich der Elbe und weist mit 116 Orten eine hohe Dichte an überkommenen Dorfkirchen auf. Ein weiterer Glückfall ist die Überlieferung des Landbuches von Kaiser Karl IV, aus dem Jahr 1375. Es zählt in Form eines Urbars alle für die kaiserliche Verwaltung wirtschaftlich relevanten Merkmale der Mark Brandenburg auf, mit der die Luxemburger 1373 belehnt worden waren. Hieraus schöpft der Autor die Daten zu den Gemarkungsgrößen der dörflichen Siedlungen, Wüstungen, Mühlen oder Dorfkrügen. Zum anderen konnte der Autor für seinen interdisziplinären Ansatz auf eine Reihe von wichtigen Arbeiten zurückgreifen; So historische Studie zum erzstiftisch-magdeburgischen Einfluss im Gebiet um Berlin von Rolf Barthel von 1982, die besiedlungskundliche Studie von Wolfgang Fritze von 2000 sowie die 2001 veröffentlichte architektur-historische Studie zum mittelalterlichen Kirchenbau von Matthias Friske.
F
ür den Architekturhistoriker sind vor allem die bautypoloqischen Aspekte von Interesse. Waack generiert aus dem Bautenbestand zunächst zwölf Bautypen, die sich aus der Kombination von schiffsbreitem Turm, saalförmigem Langhaus, Chorquadrat und Apsis bilden. Diese dienen ihm als Grundlage für den Vergleich mit den siedlungskundlichen Daten der Ortschaften. Interessant ist, dass alle Typen direkte Bezüge zu dörflichen Gemarkungsgrößen, Dorfformen oder Bodenqualitäten aufweisen. Dies ermöglicht es dem Autor, die Bautypen sinnvoll in Kostenaufwandsgruppen einzuteilen. So finden sich beispielsweise vierteilige (»vollständige«) Apsiskirchen aus Westturm, Saal, Chorquadrat und Apsis fast ausschließlich in Angerdörfern mit deutschen Ortsnamen in den größten Gemarkungsgrößen mit fortschrittlichen Hufengewannfluren auf relativ hochgelegenen und ertragreichen Lehm-Sand-Soden. Aufgrund dieses Vergleichs kann etwa die Hypothese von Barthel relativiert werden, nach der sich das magdeburgische Besiedlungsengagment auch durch diesen Bautyp vor den Bauten von anderen Territorialgewalten besiedelten Gebieten des Barnims abgrenzte. Einfachere Kirchen, etwa Saalkirchen ohne Turm und Apsis, liegen der wirtschaftlichen Logik folgend in Orten mit kleineren Gemarkungsgrößen, älteren Hufenformen und schlechteren Böden, die sich nicht bestimmten poIitischenTerritorien unterordnen lassen. Das geomorphoiogiscbe Modell hat sich damit in Bezug auf architekturtopographische Fragen zumindest im ländlichen Raum verlässlicher als das territorialpolitische erwiesen. Es überrascht hingegen, dass Marktfunktionen von Ortschaften, die Größe von Kirchen-und Pfarrbesitz oder die Existenz von anderen Wirtschaftfaktoren, etwa Dorfkrügen, sich nicht auf den Bauaufwand auswirkten.
Die Studie kommt weiterhin zu dem Ergebnis, dass der jeweilige Chortyp (Chorquadrat mit Apsis, Chorquadrat ohne
Apsis oder fehlendes Chorquadrat), wie es in der älteren Forschung vertreten wurde, ein Unterscheidungsmerkmal für die höchste Kostenaufwandgruppe ist. Es kann gezeigt werden, dass Chorquadratkirchen mit Turm ebenfalls in Dörfern mit den besten wirtschaftlichen Merkmalen auftreten. Dieses Ergebnis überrascht insofern, da in der Forschung bislang flache Chorschlüsse als günstige Varianten vor allem im Neusiedelgebiet östlich der Elbe und Saale und mit einem niedrigeren Repräsentationsniveau angesehen worden sind, zumal diese Form außerhalb dieser Gruppe fast ausschließlich bei Bettelordenskirchen aufgegriffen wurde, denen ebenfalls eine bewusste Reduktion des Formenapparates, der architektonischen Repräsentation sowie des Bauaufwandes unterstellt werden kann.
Waack kann anhand von Bauvermessungen hingegen nachweisen, dass der Bauaufwand in Bezug auf Mauertechnik und -menge als Hauptunterscheidungsmerkmal der Kostenaufwandsgruppen gelten muss. So f
ällt der Kostenaufwand für gequadertes Mauerwerk bei den Bautypen mit flachem Ostschluss größer aus als denen mit Apsiden, da die Mauergrößen beim ersten Typ signifikant größer gegenüber dem letzten ausfallen. Dies impliziert ästhetische Entscheidungen bei der Wahl zwischen vergleichbar kostenaufwendigen Bautypen. Außerdem nahm der Bauaufwand bei Kirchen mit Türmen gegenüber den Bauwerken ohne Türme um ca. 80 Prozent zu. Das Auftreten von spätgotischen Gewölben als zusätzlicher Kostenaufwand korreliert interessanterweise mit dem Auftreten vonTürmen. Türme und Gewölbe können daher als ökonomische Leistungsmerkmale von Ortschaften angesprochen werden. Ähnliche Tendenzen bezüglich des Aufwandes iassen sich bei den Dekor-formern oder Glocken feststellen. So befinden sich beispielsweise ornamental gestaltete Kalksteine und mittelalterliche Glocken nur an Bauwerken in der ökonomisch starken Südosthälfte des Barnim. Lediglich zwei von 116 Kirchen fielen mit einem höheren Bauaufwand als in ökonomisch vergleichbaren Orten auf. Sie ließen sich anhand von Quellen besonderen Bauherren zuordnen. So gehörten die Dörfer, deren Kirchen aufwändiger gestaltet waren, landsässigen Klöstern, die offenbar die fehlende Wirtschaftskraft auf Grund kleinräumlicher Beziehungen wie den Sichtbezug zwischen den Ortschaften ausglichen.
Am Ende des Buches wirft der Autor eine Reihe von offenen Fragen auf, die sich speziell auf das ländliche Untersuchungsgebiet und siedlungskundliche Forschungsfelder beziehen. Darunter die schwierig zu beantwortende Frage nach den tats
ächlichen wirtschaftlichen Verhältnissen im Mittelalter wie dem Bodenertrag als finanzielle Grundlage der Bauwirtschaft. Weiterhin werden die Finanzierung und die Bauherrenschaft angesprochen, da nicht klar sei, wie die Bauorganisation im ländlichen Raum aussah. Zumindest die Finanzierung dürfte aufgrund der engen Wechselbeziehung von Bodenertrag und Kirchentyp von der gesamten Dorfgemeinschaft getragen worden sein. Da anhand der Rekonstruktion des mittelalterlichen Straßensystems der Fernhandel in den angeschlossenen Markflecken keine Spuren im Bauaufwand der Kirchen hinterließ, vermutet der Autor den Nahhandel als wichtigste ökonomische Komponente. Ebenso ist der Finanzierungsablauf für den ländlichen Kirchenbau ungeklärt sowie die Formenwahl und wer die Verantwortung dafür trug. Zumindest ist ein markgräflicher Einfluss auf die Formenwahl unwahrscheinlich, da die Formen des ländlichen Kirchenbaus auf dem Barnim insgesamt heterogen ausfallen und eher auf nahräumliche Beziehungen hinweisen. Der Autor vermutet lediglich bei den Turmbauten wie Ernst Badstübner und Friedrich Möbtas markgräfliche Rechte, da sowohl bei Dorf- als auch Stadtkirchen im märkischen Raum die Türme durch Umbauten nicht angetastet wurden. Darauf könnten auch die Forschungen von Friske hinweisen, der an älteren Glocken des Barnim häufig Adlermedailions beobachte.
Das Buch stellt den Untersuchungsgegenstand auf eine angemessen breite Materialgrundlage. Alle Daten sind pr
äzise recherchiert, statistisch nachvollziehbar und in klar strukturierten Tabellen und Grundrissschemata anschaulich ausgewertet. Der Studie ist sehr anzurechnen, in deutlicher Form gezeigt zu haben, wie präzise typologische und dekorative Merkmale als gesellschaftliche Symptome wirtschaftliche und siedlungskundliche Phänomene des ländlichen Raumes widerspiegeln können. Es wäre wünschenswert, wenn ähnliche interdisziplinäre Ansätze auch bei der Erforschung anderer Architekturgattungen zum Tragen kämen.
Achim Todenhöfer, in: Befund und Rekonstruktion, 22.2010