Mark Escherich, Christian Misch, Rainer Müller (Hg.)

Entstehung und Wandel mittelalterlicher Städte in Thüringen
(Erfurter Studien zur Kunst- und Baugeschichte, Bd. 3)

Der vorwiegend archäologisch, bau- und kunsthistorisch ausgerichtete Sammelband behandelt im ersten Teil Beispiele städtebaulicher Entwicklung im ma. Thüringen und widmet sich im zweiten, hier nicht anzuzeigenden Teil dem Umgang mit dem städtebaulichen Erbe des MA im 19./20. Jh. Nach den Überblicksbeiträgen von Cord Meckseper, »Stationen und Tendenzen stadtbaugeschichtlicher Forschung«, Hartmut Wenzel, »›villa seu oppidum Neuwenmarckt‹. Über Marktflecken und kleine Städte in Thüringen«, und Carsten Liesenberg, »Elemente mittelalterlicher Planstädte. Überlegungen zu städtebaulichen Motiven anhand ostthüringischer Beispiele«, macht Matthias Rupp, »Zur Entwicklung urbaner Bau- und Siedlungsstrukturen in Jena im 13./14. Jahrhundert«, mit den jüngsten archäologisch-bauhistorischen Befunden zu Anfängen und Ausbau von Straßenstruktur, Parzellierung und Stadtstruktur in Jena von 1200 bis zur Mitte des 14. Jh. bekannt und zeigt Lutz Scherf, »Haus- und Grundrissentwicklung vom Mittelalter bis zum Beginn der Neuzeit in Jena«, den Wandel des Wohnhausbaues von 1400 bis 1600 auf. – Karin Sczech, »Die mittelalterliche Stadtentwicklung Erfurts nach den archäologischen Befunden«, teilt aufschlußreiche Ergebnisse zur Parzellenstruktur und deren Nutzung und Bebauung im hoch- und spätma. Erfurt mit. – Rainer Müller, »Erfordia turrita – das turmreiche Erfurt. Gestalt, Funktion und Bedeutung mittelalterlicher Kirchtürme«, nimmt nach einer Bestandsaufnahme und Typisierung der über 60 Erfurter Türme eine Deutung ihrer Funktion für das Selbstverständnis und die Heilsvergewisserung des Bürgertums vor. – Eine knappe Übersicht über 1000 Jahre Nordhäuser Geschichte gibt Hans-Jürgen Grönke, »Nordhausen – die Stadtentwicklung vom 9. bis 19. Jahrhundert im Überblick«. – Ernst Badstübner, »Das Werden von Eisenachs Stadtgestalt im Mittelalter«, sucht die von den ludowingischen Stadtherren für ihre wichtigste Stadt Eisenach geplante Stadtstruktur vorwiegend anhand des ma. Stadtgrundrisses zu erschließen. – Gerhard Werner, »Zur topographisch-historischen Entwicklung der Stadt Saalfeld im Mittelalter«, faßt die aktuellen archäologischen, bauhistorischen und historischen Forschungsergebnisse zur Entwicklung Saalfelds vom karolingischen Königshof des 9. Jh. bis zur staufischen Reichsstadt und schwarzburgischen Landstadt des 13. Jh. zusammen.
Der Band dokumentiert die bemerkenswerten Fortschritte der Stadtarchäologie und Bauforschung seit 1990 in Thüringen und bietet damit für die noch vor zahlreichen Forschungsdesideraten stehende engere historische Stadtgeschichtsforschung Thüringens wichtige Anstöße.
Matthias Werner, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters, Bd. 67,2

 

Der vorliegende Sammelband ist der dritte von inzwischen insgesamt fünf Bänden der 2003 begonnenen Reihe, die sich zum Ziel gesetzt hat, den Forschungen zu Archäologie, Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege in Thüringen ein Forum zu bieten. Liegt den Herausgebern der Reihe die Stadt Erfurt besonders am Herzen, so richtet sich nun der Blick neben Erfurt auch auf die thüringischen Städte Jena, Nordhausen, Eisenach und Saalfeld sowie das nahe Naumburg.
Die erste Gruppe von Beiträgen widmet sich der »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter« aus archäologischer und baugeschichtlicher Sicht. Die zweite Gruppe thematisiert den Umgang mit dem steinernen mittelalterlichen Erbe im späten 19. und 20. Jahrhundert. Ein Vorwort von Cord Meckseper über die »Stationen und Tendenzen stadtbaugeschichtlicher Forschung« gibt einen Überblick über die Forschungslage und ist gleichzeitig ein Plädoyer für eine Städteplanung, die sich nicht an »ästhetischen Idealbildern aus zweiter Hand«, sondern der »baulich reale[n] Wirklichkeit der historischen Stadt« orientiert.
Einen Schwerpunkt des Bandes bildet Jena. Matthias Rupp setzt sich mit der Frage nach der mittelalterlichen Stadt als planvoll strukturierter Erstanlage durch die Herren von Lobdeburg auseinander und bestätigt anhand der baulichen Befunde,dass um 1200 die älteren Verhältnisse im Hinblick auf die »Realisierung einer städtebaulichen Grundkonzeption« bewusst verändert wurden. Lutz Scherf stellt im Anschluss an Rupp die baugeschichtlich noch greifbaren Jenaer Häuser des 14. bis 16. Jahrhunderts vor und zeigt an ihnen die Entwicklung neuer Wohnformen auf. Auch im zweiten Teil des Bandes befassen sich zwei Aufsätze ausführlich mit Jena. Birgitt Hellmann stellt die schwierigen Anfänge des aktiven Denkmalschutzes durch den Kunsthistoriker Paul Weber vor. Mit großer Präzision zeichnet Rüdiger Stutz den ausgeprägten Konflikt zwischen einem weltanschaulich überfrachteten Wunsch nach Bewahrung der mittelalterlichen Stadtgestalt und dem Drang nach einer industriellen und verkehrstechnischen Modernisierung der Stadt vom Beginn des Nationalsozialismus bis in die fünfziger Jahre nach.
Einen anderen Schwerpunkt legt Ulrich Wieler, der am Beispiel des im Nationalsozialismus massiv industrialisierten und im Krieg weitgehend zerstörten Nordhausen die Diskrepanz zwischen drängenden privaten Initiativen zum Wiederaufbau nach 1945 und den Planungsbemühungen an der Hochschule Weimar, »die Nordhausen als Experimentierfeld für den neuen Städtebau begriff«, hervorhebt. Erst 1950 sicherte die geplante wirtschaftliche Bedeutung der Stadt den Vorrang beim Wiederaufbau in Thüringen, der sich wiederum durch Kapitalmangel um weitere Jahre verzögerte. Dem Beitrag voran geht ein aus der Literatur gewonnener Überblick über die geschichtliche und baugeschichtliche Entwicklung von Nordhausen vom 9. bis zum 19. Jahrhundert von Hans-Jürgen Grönke.
Eine Zusammenfassung der archäologischen Befunde zur mittelalterlichen Stadtentwicklung Erfurts bietet Karin Sczech. Nach einem kurzen Überblick über die Forschungsgeschichte bespricht sie die zentralen Ausgrabungsorte am Domberg und Petersberg sowie im Stadtgebiet am Huttenplatz, Compthurhof und im Andreasviertel. Rainer Müller hebt die Bedeutung der insgesamt 39 Kirchtürme für das mittelalterliche Stadtbild hervor. Am Beispiel des Angers untersucht Mark Escherich, wie sich die Sicht auf die Altstadt im Laufe des 20. Jahrhunderts gewandelt hat. In der Debatte standen die Frage nach der Einheitlichkeit des Erscheinungsbildes, die historisch freilich nie gegeben war, und der Dauerkonflikt zwischen der Bewahrung von Bausubstanz und der Modernisierung.
Mehr am Rande beschäftigt sich der Band mit Eisenach, Saalfeld und Naumburg, deren Beiträge im ersten Teil ohne neuzeitliches Pendant bleiben. Eine Betrachtung des Werdens von Eisenachs Stadtgestalt im Mittelalter bietet Ernst Badstübner. Bei seiner Argumentation für eine »Planstadt« beruft er sich neben der Literatur im wesentlichen auf Auffälligkeiten im Stadtgrundriss und auf die Aussagen des Johannes Rothe, denen er recht großes Vertrauen entgegenbringt. Gerhard Werner gibt einen fundierten Überblick über die topographisch-historische Entwicklung der Stadt Saalfeld im Mittelalter vom karolingischen Königshof bis hin zur staufischen Stadtgründung und verweist angesichts vieler noch offenstehender Fragen auf eine noch zu leistende umfassende archäologische Stadtkernforschung. Eine Zusammenfassung der jüngsten Forschungen und archäologischen Befunde in Naumburg bietet der Beitrag von Klaus Jestaedt, der die Diskrepanz zwischen dem Mythos von Naumburg als der idealen mittelalterlichen Stadt und seiner tatsächlich vorhandenen mittelalterlichen Bausubstanz hervorhebt. Der Beitrag von Hartmut Wenzel beschreibt die Vielzahl und Vielfalt kleinerer Städte, Marktorte und -flecken, die im Schatten der größeren Städte in ihrer Bedeutung, gar Existenz übersehen würden. Der Autor verwendet unter anderem Flurkarten aus dem 16.–19. Jahrhundert. Diese dienen Carsten Liesenberg als wesentliche Grundlage für seine Überlegungen zu mittelalterlichen »Planstädten«. Abgesehen von diesem Methodenproblem ist es fraglich, inwiefern diese Fragestellung überhaupt weiterführend ist, zumal der Begriff der Planung vom Autor so weit gefasst wird, dass er kaum noch Aussagekraft besitzt.
Beigefügt sind dem Band noch als »eine persönliche Momentaufnahme« ein Rückblick auf die Städtebauausbildung an der Architektur-Hochschule Weimar Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre sowie ein etwas launischer Artikel über vermeintliche oder tatsächliche städtebauliche Sünden nach 1989, ein recht subjektiver Versuch, die Denkmalpflege vor und nach 1989 miteinander zu vergleichen. Abgeschlossen wird der Sammelband durch einen Beitrag von Olaf Langlotz und Antje Thiel, der die Ergebnisse des Programms »Städtebaulicher Denkmalschutz« für die neuen Bundesländer darlegt.
Insgesamt zeigt sich das Buch mit zahlreichen farbigen Abbildungen gut ausgestattet. Die Konzeption der Herausgeber, die in ihrer Bausubstanz und Topographie noch greifbare mittelalterliche Stadt den Irrungen und Wirrungen des neuzeitlichen Umgangs mit dem mittelalterlichen Erbe gegenüberzustellen, erscheint bedacht und entspricht einem konkreten, gegenwartsbezogenen Anliegen – nämlich einer Städteplanung, die sich nicht einem Mittelalterbild, sondern dem tatsächlich Greifbaren verpflichtet fühlt. Dass nicht alle Beiträge in Fragestellung und Qualität der Konzeption entsprechen, liegt in der Natur von Sammelbänden und mindert keineswegs seine Qualität.
Stephanie Wolf, in: Zeitschrift für Thüringische Geschichte Band 65 (2011)

 

Thüringen nördlich des Rennsteigs ist für diesen Sammelband ein dankbares Untersuchungsgebiet, um sich dem Phänomen der »Alten Stadt« anhand einer Reihe von unterschiedlich gewachsenen Beispielen zu widmen. Das Thema hat zwei Seiten, nach denen auch die insgesamt 18 hier versammelten Beiträge zu zwei Sektionen gruppiert sind: Zum einen geht es um die »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter«, zum anderen um »Mittelalterliche Städte im späten 19. und im 20. Jahrhundert«. Dem Leser steht es jedoch frei, von der Reihenfolge des Inhaltsverzeichnisses abzuweichen und sich etwa anhand geographischer oder methodischer Zugänge seinen eigenen Pfad durch den inhaltsreichen Band zu bahnen.
Vorangestellt ist eine erhellende Einleitung des Altmeisters Cord Meckseper über »Stationen und Tendenzen stadtbaugeschichtlicher Forschung«, die manches Rüstzeug vermittelt. Dem an Erfurt interessierten Leser wird von Katrin Sczech ein nützlicher Überblick über die archäologischen Befunde im mittelalterlichen Stadtgebiet geboten. (Nicht nur dieser Beitrag fährt auch die Ernte der Altstadtsanierungen seit 1990 ein.) Rainer Müller thematisiert Entstehung und Verlust der das Erfurter Stadtbild über Jahrhunderte prägenden Vielzahl von Türmen. Mark Escherich betrachtet die Wandlungen des Angers seit dem Bau der Hauptpost, wobei die Ausgangslage hier wegen des Brandes von 1660 schon keine mittelalterliche mehr war. Ein weiterer Schwerpunkt ist Jena: Matthias Rupp und Lutz Scherf betrachten in zwei aneinander anschließenden Beiträgen die Wechselwirkungen von Parzellierung und Hausbau in der Stadtstruktur zwischen dem 13. und dem 16. Jahrhundert. Birgit Hellmann widmet sich dem konservatorischen Wirken des Jenenser Kunsthistorikers Paul Weber (1868-1930) in seiner Stadt. Rüdiger Stutz' aus intensiver Archivarbeit geschöpfte Studie über städtebauliche Erneuerungs- und Wiederaufbaukonzepte in Jena vor und nach 1945 ist ein Glanzlicht, insbesondere durch die überzeugende Nachzeichnung konzeptioneller und personeller Kontinuitäten. In der Gestalt des Stadtplaners Joachim H. Schultze, der trotz NS-Belastung in seinem Fach bleiben konnte, erschließen sich interessante Querverbindungen zu den Wiederaufbauplänen im schwer zerstörten Nordhausen, mit denen sich Ulrich Wieler ebenfalls sehrerhellend auseinandersetzt. Auch der Architekt Paul Schultze-Naumburg (1869-1949) begegnet mehr als einmal im zweiten Teil dieses Sammelbandes: Klaus Jestedt zeichnet sein einflußreiches Wirken als Teil eines Netzwerkes nach, das eifrig bestrebt war, Naumburg an der Saale (damals preußische Provinz Sachsen, heute Sachsen-Anhalt) zum Idealbild der mittelalterlichen deutschen Stadt zu stilisieren - und kontrastiert diese Mythenbildung instruktiv mit dem Verlust an mittelalterlicher Bausubstanz in Naumburg im 19. und im 20. Jahrhundert. Faßbar wird aus diesen Aufsätzen der geistesgeschichthehe Hintergrund, vor dem sich der Umgang mit der »Alten Stadt« bis 1945 und noch darüber hinaus vollzog, einschließlich der Ideologisierung durch den National­sozialismus. Leider enthält der Band keine entsprechenden Aufsätze zur Behandlung dieses Erbes in der DDR vor allem seit den 1960er Jahren, die bekanntlich den flächigen Abriß gut erhaltener Quartiere zugunsten maßloser Neubau- und »Restrukturierungs«-Pläne einschloß. Harald Keglers persönlich gehaltene Erinnerungen an die „Städtebauausbildung an der Architektur-Hoch­schule Weimar" um 1980 sind als solche instruktiv, können diese Lücke aber nicht füllen, ebensowenig die engagierten Ausführungen Hermann Wirths, die auch denkmalpflegerische Problemfälle aus der Zeit ab 1990 wie das Erfurter Angereck einschließen. Die gegenwärtigen Probleme des Denkmalschutzes im Rahmen des nicht zuletzt durch den demographischen Wandel und die Abwanderung erzwungenen »Stadtumbaus« in Thüringen erläutern zum Abschluß des Bandes Olaf Langlotz und Antje Thiel.
Zurück zur »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter«: Mit Ernst Badstübner verfolgt ein ausgewiesener Kenner der Materie das Leitthema am Beispiel Eisenachs durch die bewährte Kombination der Untersuchung des Stadtgrundrisses mit Ergebnissen der Bau- und Kunstgeschichte. Die flankierenden Beiträge von Hans-Jürgen Grönke und Gerhard Werner zur Entwicklung von Nordnausen und Saalfeld schreiben in hohem Maße die ältere stadtgeschichtliche Literatur und den Thüringen-Band aus der Reihe der »Deutschen Königspfalzen« aus. Hartmut Wenzels deskriptiver Überblick über Klein- und Kleinststädte in Mittelthüringen ist kursorischer Art; ein einheitlicher und stringenter methodischer Zugriff hätte seinen Wert erhöht. Darin liegt die Stärke von Carsten Liesenbergs Ausführungen zur Bedeutung des planerischen Elements im mittelalterlichen Städtebau, doch auch seine Schwäche, denn Liesenberg nutzt allein die Quellengruppe der neuzeitlichen Flurkarten. Die methodischen Probleme dieses Ansatzes werden zwar reflektiert, können aber nicht ausgeräumt werden.
Wie bei vielen Sammelbänden, drängt sich auch bei der vorliegenden Veröffentlichung der Eindruck eines »Gemischtwarenladens« auf. Das liegt in der Natur der Sache, wird hier aber durch die interdisziplinäre Verteilung der Beiträge auf unterschiedliche Fachwissenschaften besonders spürbar. In sich geschlossener und aussagekräftiger scheint dem Rezensenten der zweite Teil des Bandes zu sein. Gewiß zeichnet der erste Teil ein interessantes Panorama des mittelalterlichen Städtebaus in einer Landschaft, die vielleicht mehr als andere davon geprägt ist. Das Bild bleibt indessen fragmentarisch und kann dem Leser, der nicht in Bauforschung, Kunstgeschichte, Archäologie und Geschichtsforschung gleichermaßenbewandert ist, kaum ein zusammenhängendes Bild des Forschungsstandes rund um die »Alte Stadt« vermitteln. Deutlich wird dieses Manko etwa im Vergleich mit Thomas Nitz' ausgezeichneter Monographie über Stadtentwicklung und Wohnbau in Erfurt, in der das gesamte Methodenbündel der interdisziplinären Stadt­forschung mit reichem und instruktivem Ertrag auf einen einzelnen Untersuchungsgegenstand angewandt wurde. Dieser Vergleich soll den vorliegenden Band freilich nicht entwerten, mit dem die »Erfurter Studien« ihr Blickfeld über die namensgebende Stadt hinaus erweitert haben. Die gute Ausstattung des vorliegenden Bandes steht seinem Vorgänger in nichts nach; auch sinnvolle Farbtafeln konnte der engagierte Verlag ermöglichen.
Holger Berwinkel, in: Jahrbuch für Erfurter Geschichte, Bd. 4, 2009

 

Der anzuzeigende Sammelband umfasst 18 sehr unterschiedliche Einzelbeiträge und macht es allein dadurch dem Rezensenten schwer, einen Gesamteindruck zu vermitteln. In einem knappen Editorial benennen die Herausgeber den Ansatz, durch Fallstudien zu einigen der 129 sehr unterschiedlichen Städte Thüringens »sowohl das Typische als auch das Spezifische städtebaulicher Entwicklung im Mittelalter dar[zustellen], aber auch d[en] Umgang mit diesem baulichen Erbe seitdem 19. Jahrhundert [zu thematisieren]«. Dieser Ansatz ist auch am programmatischen Titelbild und in der Gliederung des Bandes mit den zwei Hauptkapiteln »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter« mit 9 Beiträgen und »Mittelalterliche Städte im späten 19. und 20. Jahrhundert« mit 8 Beiträgen ablesbar, die eine inhaltliche Klammer durch den einleitenden Beitrag Cord Mecksepers zu »Stationen und Tendenzen der stadtbaugeschichtlichen Forschung« erhalten. Insgesamt muss konstatiert werden, dass sich ein wirklicher Zusammenhang trotz teilweise herausragender Einzelbeiträge nicht ergibt.
Dies mag am trotz einzelner jüngerer Arbeiten insgesamt dürftigen Forschungsstand zu Thüringer Städten liegen, ist jedoch auch der thematisch zu weit gestreuten Bandbreite der Einzelbeiträge geschuldet. Es sei dem Rezensenten erlaubt, einige Einzelbeiträge subjektiv herauszugreifen: Neben dem bereits erwähnten, sehr lesenswerten Überblick von Cord Meckseper ist dies der erste Beitrag des leider jüngst verstorbenen Hartmut Wenzel »Über Marktflecken und kleine Städte in Thüringen«. Dieser Aufsatz ist besonders erhellend, da er sich einem für Thüringen sehr prägenden und dennoch sonst kaum wissenschaftlich untersuchten Siedlungstyp kenntnisreich widmet und eine bedenkenswerte Klassifizierung vorschlägt. Es folgen »Überlegungen zu städtebaulichen Motiven anhand ostthüringischer Beispiele« von Carsten Liesenberg und zwei Beiträge zur Wohnhausentwicklung in Jena im hohen und späten Mittelalter anhand archäologischer und bauhistorischer Untersuchungen von Matthias Rupp und Lutz Scherf. Für Erfurt von großem Interesse ist der Beitrag von Karin Szcech »Zur mittelalterlichen Stadtentwicklung Erfurts nach den archäologischen Befunden«, in dem erstmals präzise Rekonstruktionen von Hausstättenstrukturen auf Grundlage archäologischer Befunde vorgestellt werden. Ebenfalls am Beispiel Erfurt behandelt Rainer Müller die »Gestalt, Funktion und Bedeutung mittelalterlicher Kirchtürme«. Er kann für die Zeit um 1500 in der wahrlich türmereichen Stadt 60 Kirch- und sonstige Türme nachweisen, wobei die meisten in der überlieferten Form erst ab dem 13./14. Jahrhundert entstanden. Es folgen im ersten Hauptteil drei Beiträge mit aktuellen Zusammenfassungen des Kenntnisstandes zu »Nordhausen – die Stadtentwicklung vom 9. bis 19. Jahrhundert im Überblick« von Hans Jürgen Grönke, »Das Werden von Eisenachs Stadtgestalt im Mittelalter« von Ernst Badstübner und »Zur topographisch-historischen Entwicklung der Stadt Saalfeld im Mittelalter« von Gerhard Werner, die den Themenbereich »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter« abschließen.
Den zweiten Hauptteil eröffnet der aufschlussreiche Beitrag von Klaus Jestaedt »Das deutsche Wunder – oder: Wie mittelalterlich ist Naumburg an der Saale wirklich?«. Jestaedt gelingt es in seinem sehr lesenswerten Aufsatz, das »gespaltene Bewusstsein« deutlich zu machen, mit dem es (im Falle Naumburgs besonders plakativ nachvollziehbar) gelang, die »mittelalterliche Stadt Naumburg« als allgemein akzeptiertes öffentliches Bild publizistisch zu erzeugen, während gleichzeitig die nur noch gering vorhandene mittelalterliche Substanz real beseitigt wurde (mit einer hierzu passenden Abbildung vom Abbruch einer Bastion der Stadtmauer um 1901). Vor allem die Arbeiten Walter Heges und Paul Schultze-Naumburgs ebneten den Weg zum »gefühlten Mittelalter« und weiter zum »touristischen Mittelalter«, dessen zwei Sehnsuchtspole die von »Frau Uta« angeführten Stifterfiguren im Dom und die im Zweiten Weltkrieg nicht zerstörte »historische Altstadt« bilden. Der Autor weist hierbei daraufhin, dass der in den 20er bis 40er Jahren aufgebaute Mythos der Uta als personifiziertes Mittelalter in den Nachkriegsgenerationen allmählich verblasst und noch unklar ist, ob die nicht eindeutig definierte »historische Altstadt« als Identifikationsort weiterhin für so viel Anziehung sorgen wird. In den folgenden beiden Beiträgen werden anhand der Stadt Jena zwei wichtige Etappen im Umgang mit der überkommenen Stadtsubstanz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in kenntnisreichen Detailstudien vorgestellt: »Die Bemühungen Paul Webers um die Erhaltung mittelalterlicher Teile des Stadtbildes von Jena« von Birgitt Hellmann und »Herzkammer oder Barriere der Stadtentwicklung? Zum Widerstreit um die Erneuerung von Alt-Jena in der NS- und frühen Nachkriegszeit« von Rüdiger Stutz. Der nun wieder Erfurt betreffende Aufsatz »Das neue Erfurt ist eine alte Stadt. Wandlungen der Sicht auf die Erfurter Altstadt am Beispiel des Angers« von Mark Escherich zeigt eine zunächst mit den Jenaer Beiträgen vergleichbare Entwicklung der Mittelalterrezeption in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die er jedoch über die Planungsphasen der 1960er Jahre bis in die 1970er Jahre weiterverfolgt, in denen der Gedanke des Baudenkmals als Geschichtsquelle den Substanzerhalt aller Teile auch in ihrer Verschiedenheit und die Ergänzung des Alten durch das bewusst Neue ermöglichte. Im folgenden Beitrag »Nordhausen wie es war. Diskussionen um den Wiederaufbau in Nordhausen im Harz 1945-1955« zeigt Ulrich Wieler am Beispiel der Wiederaufbauplanungen zur weitgehend kriegszerstörten Stadt Nordhausen »die Bandbreite möglicher Entwicklungsrichtungen [...], wie sie das 20. Jahrhundert auch für eine mittelgroße Stadt wie Nordhausen bereithielt«. Den Bogen zur Gegenwart schlagen schließlich die drei abschließenden Beiträge »Aufbruch in die alte Stadt. Zur Städtebauausbildung an der Architektur-Hochschule Weimar Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre – eine persönliche Momentaufnahme« von Harald Kegler, die zeitlich und inhaltlich an den Beitrag von Escherich anknüpft. Diesem folgt »Die alte Stadt als Flächendenkmal. Urbanistische Denkmalpflege in Thüringen, Anspruch und Wirklichkeit« von Hermann Wirth mit einer gewohnt meinungsstarken Polemik, die inhaltlich unter anderem auch die jüngsten Wandlungen am Erfurter Anger beleuchtet. Der abschließende Beitrag »Das Programm Städtebaulicher Denkmalschutz im Fokus des Stadtumbaus in den Thüringer Städten« von Olaf Langlotz und Antje Thiel bringt zunächst einen guten Überblick über die seit 1990 ergriffenen administrativen und planerischen staatlichen Maßnahmen zum Erhalt historisch wertvoller Stadtkerne in Thüringen. Darüber hinaus bietet er eine präzise Beschreibung des momentanen Zustands der Stadt-Landschaft Thüringen und einige Thesen zum künftigen Umgang mit »historischen Altstädten« in einem Prozess nachhaltiger Stadtentwicklung. Bei allen nachvollziehbaren Vorschlägen fehlt ganz wesentlich der Hinweis auf die notwendige Kenntnis um »Entstehung und Entwicklung der Städte im Mittelalter«, die erst nachvollziehbare Kriterien zur Bewertung und zum Umgang mit der historischen Substanz an die Hand geben.
In diesem Sinne ist der vorliegende Band sehr erhellend, indem er den Mangel an Kenntnis und den seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts dadurch stets problematischen Umgang mit dem nur als Gefühl und Ahnung vorhandenen subjektiven Bild von der mittelalterlichen Stadt deutlich vor Augen stellt. Hier ist noch viel zu tun.
Thomas Nitz, in: Mitteilungen des Vereins für die Geschichte und Altertumskunde von Erfurt, Heft 70, 2009.