Pressemeldung

9783867320528Katja Havemann geht juristisch gegen das Buch von Nicole Glocke »In den Fängen von StB, MfS und CIA. Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit«, das im Februar 2009 im Berliner Lukas Verlag erschienen war, vor. Auf den Versuch des Verlages, mit ihr zu einer gütlichen außergerichtlichen Einigung zu gelangen, ist sie nicht eingegangen. Seit dem 29.9.2009 liegt dem Verlag eine entsprechende Klageschrift vor.

Aktualisierung (8.4.2010): Am 2.2.2010 wurde vor dem Berliner Landgericht Tegeler Weg die Klage Katja Havemanns gegen Eugen Mühlfeit, die Autorin Dr. Nicole Glocke und den Verleger Dr. Frank Böttcher verhandelt. Das Gericht entschied, die Klage abzuweisen. Anders als vor Gericht angekündigt, verzichtete die unterlegene Gegenseite auf ein Berufungsverfahren.

Nur wenige Wochen nach dem Prozess verstarb im Alter von nur 58 Jahren völlig unerwartet unser Rechtsanwalt Dr. Niels Kolle. Wir sind ihm für sein weit über das professionell Notwendige hinausgehendes Engagement sehr dankbar und um so mehr tief betroffen von seinem jähen Tod.

Aktualisierung (24.3.2011): Am 11.3.2011 wurde eine weitere gegen das Buch gerichtete Klage, diesmal wegen weniger darin enthaltener Sätze in Bezug auf den 2004 verstorbenen Staatssekretär und Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR Günter Gaus, die dessen Witwe Erika Gaus beim Landgericht Hamburg eingereicht hatte, abgewiesen.

 


Die von der Autorin Nicole Glocke (u.a. »Verratene Kinder«, Ch. Links Verlag, Berlin 2003) verfasste Biographie schildert den Lebensweg des 1952 geborenen sudetendeutschen Tschechen Eugen Mühlfeit. Der Prager Frühling 1968 und dessen Niederschlagung haben Mühlfeit frühzeitig politisch geprägt und in die Opposition zur poststalinistischen Diktatur getrieben. Er beschließt, nach West-Berlin zu fliehen. Doch am Bahnhof Friedrichstraße wird er festgenommen und verhört. Dann übergibt man ihn der tschechoslowakischen Staatssicherheit, die dafür sorgt, dass Mühlfeit verurteilt und in die Psychiatrie eingewie­sen wird. Nach seiner Entlassung fasst er Fuß in der inoffiziellen Prager Musiker- und Literatenszene. Von 1979 bis 1981 beteiligt er sich an einem riskanten Bildertransfer zwischen Ost und West, um Künstler im Umkreis der »Charta 77« finanziell zu unter­stützen. Der Transfer erfolgt Mühlfeit zufolge zum Teil auch unter Mithilfe Robert Have­manns. Zwangsläufig gerät Mühlfeit ins Visier der östlichen und westlichen Geheim­dienste. Wieder flieht er in den Westen. Doch diesmal wird er von der Stasi aus West-Berlin entführt und zurück nach Prag verschleppt. In den tschechoslowakischen Gefäng­nissen kämpft er ums Überleben. Nach zwei Jahren Haft und schlimmster Folter wird er als körperlich gebrochener Mann entlassen. Bis heute ringt er um Entschädigung. Seine außergewöhnliche Lebensgeschichte ist von großem Freiheitswillen und dessen brutaler Unterdrückung geprägt. Ein eindrucksvoller, nachdenklich stimmender Bericht über Oppositionsarbeit im Hintergrund, geheimdienstliche Verstrickung und Verfolgung während des Kalten Krieges, aber auch über Eigensinn, Traumatisierung und Menschlichkeit.

 

 

Die letzte Ehefrau des 1982 verstorbenen DDR-Dissidenten Robert Havemann hat nun angekündigt, gegen die in dem Buch wiedergegebene Behauptung Mühlfeits zu klagen, der erwähnte Bildertransfer hätte mehrmals unter Einbindung Havemanns stattgefunden und Mühlfeit wäre zu diesem Zweck auch einige Male in dessen Wohnhaus in Grünheide gewesen. Die Tatsache, dass Katja Havemann dies entschieden bestreitet, wird im Buch ordnungsgemäß erwähnt. Dem Verlag liegt überdies die Kopie einer Mail vor, in der Katja Havemann ihre Gegendarstellung autorisiert hat und dem Buch viel Erfolg wünscht.

Um so befremdlicher ist die bloße Tatsache, aber auch der späte Zeitpunkt, dass sie nunmehr den Verlag zwingen will, die Verbreitung des von Eugen Mühlfeit Behaup­teten zu unterbinden – de facto das völlige Aus-dem-Verkehr-Ziehen des Buches verlangt –, und außerdem gesamtschuldnerisch von Eugen Mühlfeit, der Biographin und dem Verlag ein Schmerzensgeld in mindestens fünfstelliger Höhe fordert.

Im Zuge der Auseinandersetzung hatte Katja Havemann über ihren Rechtsanwalt dem Verlag eine Kopie aus ihrer Stasi-Akte betr. den 6.1.1979 zur Kenntnis gegeben. Sie legt nahe, dass eine im Buch zitierte und abgedruckte Stasi-Akte Eugen Mühlfeits insofern einen Irrtum des (tschechoslowakischen) Geheimdienstes enthält, als Mühlfeit zum frag­lichen Zeitpunkt nicht etwa in Havemanns Haus in Grünheide, sondern in der Villa von Lotte Franck in Berlin-Pankow übernachtet hat. Der Verlag hatte nach Kenntnisnahme des Dokuments angeboten, auf diesen erst nachträglich bekannt gewordenen Widerspruch der beiden Akten hinzuweisen, indem er auf eigene Kosten eine entsprechende Notiz in das Buch einlegen lässt. Frau Havemann ist jedoch nicht bereit, auf diesen Kompromiss­vor­schlag des Verlags einzugehen.

Eugen Mühlfeit beharrt nach wie vor auf seiner Version der von ihm erzählten und mit Belegen gestützten Geschichte, dass er – gleichgültig wie die Aktenlage in den Stasi-Unterlagen sich darstellt – damals in jedem Fall mit Robert Havemann zusammen­getroffen war. Schon deshalb sieht der Verlag keine Veranlassung, den Forderungen der Witwe Havemanns nachzukommen. Darüber hinaus sieht er in dem konkreten Streit grund­sätz­lich in Frage gestellt, dass in einer Biographie die beschriebene Person das Recht hat, die eigene Version historischer Erinnerung zu erzählen.

Die Robert Havemann betreffende strittige Episode ist in dem Buch letztlich nur ein Nebenaspekt einer offenbar komplizierten, von verschiedenen östlichen und westlichen Geheimdiensten beförderten bzw. observierten Transaktion unter den Bedingungen des Kalten Kriegs. Eugen Mühlfeit war hierin verstrickt und hat für diese Verstrickung ein großes Opfer auf sich genommen. Indem das Opfer der DDR-Staatssicherheit Katja Havemann jetzt gegen einzelne Erinnerungen des der tschechoslowakischen Bürger­rechtsbewegung verpflichteten Mühlfeit vorgeht, unterdrückt sie – womöglich schlecht beraten von Leuten, die daran ihr spezielles Interesse haben – nicht nur die Beschreibung des schweren Schicksals Mühlfeits insgesamt, sondern darüber hinaus der in der einschlägigen Literatur bisher nur selten erfassten Kooperation der ost-deutschen Stasi mit ihren Kollegen in den sozialistischen Bruderländern. Beides, das individuelle Schicksal Eugen Mühlfeits und diese historische Bedeutung, war für den Verlag seinerzeit Grund genug, das Buch zu veröffentlichen. Die Drucklegung wurde gefördert vom Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds sowie von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.