Liebe Freunde, Autoren und Kollegen,

dass der Tenor und der Inhalt dieses Rundbriefs mit Blick auf die Buchbranche ähnlich skeptisch ausfällt wie der vom letzten Jahr, liegt nicht so sehr an mangelnder Kreativität meinerseits, sondern an unverändert problematischen Rahmenbedingungen sowie an einschlägigen konkreten Erfahrungen und Erlebnissen. In der Tat war das Jahr 2013 für den Lukas Verlag ein durchwachsenes.

Das Wichtigste gleich zu Beginn: Wir haben die Welt um weitere 29 neue gute Bücher bereichert, darunter »Gestapo im OP« von Barbara Orth, »Kindheitsbilder. Alltagsfotografie in Brandenburg seit 1848« von Peter Walther, »unverfugt« von Therese Teutsch, »Rudolf Nehmer« von Gerd-Helge Vogel, »Max Lingner. Das Spätwerk 1949–1959« von Thomas Flierl, »Bäderbau in Berlin« von Uta Bräuer und Jost Lehne sowie »Die Kunst der Nächstenliebe« von Ursula Röper. Am Ende war auch der Jahresumsatz ganz passabel. Der tröstet freilich nicht darüber hinweg, dass ich einen fast fünfstelligen Verlust zu verkraften habe. Zwar sind dadurch die Kinder BAföG-berechtigt und muss ich eine Weile keine Steuern zahlen, aber das waren denn auch schon die einzigen positiven Aspekte der Malaise. Am ärgerlichsten ist, dass ich Jana Pippel zunächst nur noch als Teilzeitkraft und schließlich überhaupt nicht mehr beschäftigen konnte. Jana hat zum Glück schnell eine neue Stelle in Potsdam gefunden; aber wie ich die wesentlich von ihr abgedeckte Presse- und Vertriebsarbeit künftig allein bewältigen soll, ist mir ein Rätsel. Susanne Werner und ich werden jedenfalls allein schon damit ausgelastet sein, das wie immer ehrgeizige und eigentlich zu umfangreiche neue Programm zu realisieren.

Wenn trotz vieler hervorragender Titel und trotz großen Einsatzes aller Beteiligten am Ende doch nur ein Minus zu verbuchen ist, dann stimmt einen das natürlich nachdenklich. Was könnten Gründe für den Nackenschlag gewesen sein? Zu den plausibelsten Ursachen zählt, dass sich zwei, drei Titel, die einerseits von hohen Herstellungskosten und andererseits von großen Umsatzhoffnungen geprägt waren, schlechter verkauft haben als erwartet. Am markantesten war dies bei dem frei finanzierten Buch von Richard Schneider »Das Berliner Schloss in historischen Photographien« der Fall. Trotz großer und allerbester Presse (zuletzt Andreas Kilbs Weihnachtskauftipp in der F.A.Z.!) ging der preiswerte, wunderschöne Band keineswegs wie geschnitten Brot über den Ladentisch. Wobei das eigentliche Problem war, dass es das Buch viel zu selten überhaupt in die Läden geschafft hat. Zwar haben wir uns beinahe schon daran gewöhnt, dass Filialisten wie Hugendubel und Thalia kleinere Verlage grundsätzlich boykottieren. Bei denen lohnt es sowieso kaum anzuklopfen. Nicht einmal mehr teils seitengroße Jubelbesprechungen in der Berliner Zeitung, in der Morgenpost, im Tagesspiegel, in der taz oder in der Süddeutschen erzeugen ausreichend Druck auf die Einkäufer, den einen oder anderen unserer Titel probehalber zu listen. Denn ohne deren Verkaufbarkeit auch nur zu testen, weiß man in den Konzernen merkwürdigerweise stets von Anfang an, dass sie sich niemals »genug drehen« (O-Ton) werden. – Etwas anders liegen die Dinge bei der an und für sich bestens sortierten Buchhandlung Walther König, die bekanntlich neuerdings sämtliche der zwölf Museumsläden der Berliner Staatlichen Museen bespielt. Dort sind wir mit etlichen Titeln präsent, nicht aber mit dem Schlossbuch. Der Chefeinkäufer mochte es angeblich nur deshalb nicht ins Sortiment nehmen, weil er ein Gegner des Schlossneubaus sei! Das Argument, der Autor plädiere ja durchaus nicht pro oder contra Wiederaufbau, sondern dokumentiere lediglich die historische, verlorene Substanz des Schlosses, konterte er damit, dies allein würde schon zu viele Begehrlichkeiten wecken. – Ähnlich frustrierend verlief ein Telefonat mit der Medea GmbH, welche den Shop in der hässlichen blauen Humboldt-Box Unter den Linden betreibt. Die verantwortliche Dame sagte mir, sie nehme Bücher (neben dem üblichen Berlin-Kitsch) sowieso nur notgedrungen in den Verkauf. Dass ich ihr die bestmöglichen, für den Verlag schmerzhaftesten Konditionen bot und aus dem verbleibenden Rest nun einmal auch den Autor bezahlen und überhaupt die Produktion der Auflage refinanzieren muss, konterte sie mit dem lapidaren, schwer zu widerlegenden Satz: »Dann investieren Sie halt in das falsche Produkt!« – Zuguterletzt sei noch ein Telefonat mit dem Förderverein Berliner Schloss e.V. zitiert. Richard Schneider hatte – zunächst inkognito – im dortigen Vorzimmer nachgefragt, weshalb denn das einschlägige Buch aus dem Lukas Verlag noch immer nicht im Onlineshop des Vereins angeboten würde, und erhielt die Antwort: »Herr von Boddien möchte das nicht.« (Zu dessen Ehrenrettung sei erwähnt, dass er wenig später fünfzig Exemplare orderte. Im Shop ist es aber bis dato leider noch immer nicht zu finden.)

Gegenwind schlug uns und der gesamten Branche aber auch aus anderen Richtungen entgegen. Im Herbst etwa sorgte ein Gerichtsurteil für Aufregung, wonach nicht lizenzierte Rezensionsausschnitte aus Klappentexten, Vorschauen, Internetauftritten usw. zu entfernen seien und nicht länger werblich genutzt werden dürften. Was jahrzehntelang beiden Seiten: den Buchverlagen wie den Zeitungsverlagen, den Buchautoren wie den Journalisten, zugutekam, ist seither also rechtswidrig. Ob sich da die nachgeschobene Erlaubnis der zurückrudernden F.A.Z. als praxistauglich erweisen wird, dass zumindest »die Nutzung von Auszügen aus Rezensionen, die aus bis zu 25 aufeinanderfolgenden Wörtern bestehen«, statthaft sei, bleibt abzuwarten.

Überhaupt das Klageunwesen: Ein gegen die VG Wort klagender Autor obsiegte bisher in zwei Instanzen mit dem Ergebnis, dass die neben den Urhebern an der Ausschüttung der Verwertungserlöse ebenfalls partizipierenden Verlage nicht länger zu berücksichtigen seien. Sollte nicht länger gelten, was seit ewigen Zeiten üblich war, entgehen uns künftig (und rückwirkend) womöglich überlebenswichtige Zahlungen der VG Wort und der VG Bild-Kunst.

Wenn die Geschäfte nicht gut laufen, sucht man gern Schuldige – und irrt meist im Nebel herum. Klar dürfte jedoch sein, dass in einer deutschen Hauptstadt, wo an keiner der drei Universitäten mehr brandenburgische Landesgeschichte gelehrt wird, das an brandenburgischer Landesgeschichte interessierte Fachpublikum nicht sonderlich zahlreich und vor allem überaltert ist. Klar ist ferner, dass die rapiden Auflagenrückgänge nahezu aller Tageszeitungen zwangsläufig auch zur Folge haben, dass sich Rezensionen in geringerem Maß als früher positiv auf den Absatz eines Titels auswirken. Und klar ist schließlich auch, dass die diversen neuen Medien die traditionelle Deutungs- und ökonomische Hoheit des guten alten Mediums Buch längst pulverisiert haben. Andererseits kann ich nicht erkennen, dass das E-Book-Geschäft die Probleme beim Absatz der physischen Ware kompensieren würde. Ich bin gewiss kein Maschinenstürmer, aber worin der Fortschritt bestehen soll, identische Informationen in schlechterer Ästhetik auf schnöden Bildschirmen abzurufen, erschließt sich mir immer noch kaum. Der große Gewinner dieser Mode dürfte am Ende allein die IT-Industrie sein mit ihrer Software und vor allem mit ihrer alle zwei, drei Jahre technisch und moralisch verschlissenen, folglich teuer zu ersetzenden Hardware. Dass nebenher eine hochgradig entwickelte, ausdifferenzierte Buchhandels-, Verlags-, Presse-, Bibliotheks- und Wissenskultur den Bach runtergeht, ist sozusagen ein Kollateralschaden der unaufhaltsamen Entwicklung. Außenstehende mögen dies schulterzuckend akzeptieren oder gar gutheißen. Aber auch sie sollten sich fragen, wo bzw. ob die von ihnen erworbenen digitalen Inhalte in fünf oder zehn Jahren, wenn sich längst schon wieder neue Standards und Technologien etabliert haben, noch zugänglich sein werden. Schon heute nennen ja immer weniger Menschen eine ganze Bücherwand ihr eigen; irgendwann aber werden sie ihre virtuellen Bücher nicht einmal mehr auf der eigenen Festplatte abgespeichert haben, sondern irgendwo in einer ominösen Cloud verwalten. Aus gegebenem Anlass versuche ich mir vorzustellen, wie das dann einst so ablaufen wird, wenn jemand – wie justament ich selbst – Teile der Bibliothek der Großeltern und Eltern in die eigene integriert: Lädt man dann per großväterlicher Zugangskennung dessen mitunter fünfzig, siebzig, hundert Jahre alten Schwarten herunter und bewegt sie in das persönliche Cloud-Konto? Apropos Cloud: Kreiste nicht der mit Abstand bedeutendste Aufreger des Jahres 2013 um die Stichworte NSA, Datensicherheit, Persönlichkeitssphäre, Totalüberwachung? Man muss nicht unter Paranoia leiden, wenn man einen Zusammenhang zwischen dem E-Book-Trend, der forcierten Cloud-Technologie und den aktuellen und künftigen Datenskandalen erkennt, oder was meinen Sie?

Ein weites Feld, zugegeben. Ich mag es, in diesem Brief jedenfalls, nicht weiter beackern und wende mich wie üblich dem »Sonstigen« zu.

Das ganz Besondere unter dem Sonstigen war die nun endlich realisierte Reise mit meiner Frau durch Marokko. Ich weiß gar nicht mehr, wie viele wohlmeinende Freunde und Bekannte uns vorab warnten und wünschten, wir mögen uns doch bitte dort nicht entführen lassen! Wir waren dann im März und April vier Wochen lang per Bahn, Bus und Auto im ganzen Land unterwegs und kehrten nicht nur heil, sondern voll von wunderbaren Eindrücken und Erinnerungen zurück. Die Diskrepanz zwischen dem, was wir von Tanger bis Tafraoute, vom Atlantik bis zur Wüste an der algerischen Grenze erlebten, und der sogar von seriösen Massenmedien erzeugten Furcht vor dem Islamisch-Fremden könnte ärger nicht sein. Gewiss, auch nach vier Wochen des Kennenlernens blieb es eine uns recht fremde, spröde Kultur, blieb es ein Land mit schwierigen landschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen; vollkommen abwegig indes ist jedwede Angst. Ein marokkanischer Tourist in einer durchschnittlichen brandenburgischen oder sächsischen Kleinstadt dürfte bei weitem unfreundlicher empfangen werden und unwillkommener, ja gefährdeter sein als ein deutscher Tourist irgendwo im Maghreb!

Kommen wir zur üblichen Annotation wichtiger Kulturerlebnisse im vergangenen Jahr.

Im Kino fesselte mich sehr das in Norwegen spielende Ostseeflucht-Stasi-Heimkinder-Identitätsdrama »Zwei Leben«, gerade weil darin die Grenzen zwischen Täter und Opfer, zwischen verlorener, erfundener und gefundener Identität unauflösbar verschwimmen. Dieser Film ist viel besser als der viel erfolgreichere »Das Leben der Anderen«! – Mario A. zeigte in Rosenwinkel-Ausbau den Oscar-prämierten Dokumentarfilm »Searching for Sugarman«. Seither sind wir alle im Dorf große Fans von Sixto Rodriguez, der um 1970 herum zwei großartige, leider jedoch total erfolglose Platten aufnahm und sogleich die nie begonnene Karriere beendete und sein Geld wie zuvor auf dem Bau oder als Sozialarbeiter in Detroit verdiente. Unterdessen avancierten seine raubkopierten und zigfach gecoverten Songs in Südafrika (und in Australien) zu Hymnen der Bürgerrechtsbewegung – er selbst erfuhr davon jahrzehntelang nichts und erhielt auch keine Tantiemen dafür. Dass Rodriguez nun doch endlich so etwas wie ein Star ist, mag niemandem mehr gegönnt sein als ihm. – Und dann gab es da noch die durchgeknallte, grundsympathisch unvollkommene Leander-Haußmann-Klamotte »Hai-Alarm im Müggelsee«, in der Henry Hübchen, Katharina Thalbach, Sven Regner, Michael Gwisdek, Frank Castorf, Tom Schilling, Uwe Dag usw. in einer zauberhaft bekifften, blödsinnigen Story mit viel Spaß an der Freud herumalbern. Natürlich desavouiert man sich intellektuell, wenn man so etwas mag, aber dennoch, Gudrun und ich lieben den Film…

Zu meiner intellektuellen Ehrenrettung sei erwähnt, dass ich endlich Eugen Ruges Roman »In Zeiten des abnehmenden Lichts« gelesen habe und mich dieser präzise Abgesang auf die kommunistische Ideologie, diese offenbar aus intimer Kenntnis des Milieus geschriebene Abrechnung mit deren menschlichen Protagonisten sehr überzeugt hat.

Zu den wichtigsten Konzerterlebnissen zählten – zugegeben nicht originell – Neil Young in der Waldbühne sowie Bob Dylan im Tempodrom, aber auch Gianmaria Testa (stellvertretend für etliche andere dort) in Rudolstadt. Die lauteste und am heftigsten zum Tanzen inspirierende Mugge lieferten indes die jungen Burschen von Birth Of Joy – sozusagen Wiedergänger von The Doors – in Blumenthal ab.

Von den 2013 gekauften CDs waren meine Favoriten unter anderem »Cold Fact« und »Coming From Reality« des oben erwähnten Sixto Rodriguez, »Man & Myth« von Roy Harper (das ist der Typ, der einst bei Pink Floyd den Gesangspart von »Have a Cigar« übernahm) sowie »Hoodoo« des obercoolen Tony Joe White. Sie alle sind zwar alte Haudegen, für mich aber durchweg Neuentdeckungen. Ebenfalls leider erst jetzt zu mir gekommen ist die in Berlin lebende Sizilianerin Etta Scollo. Anspieltipps: »Cuoreszenza« von 2011 und und »Blu:« von 2005. Ebenfalls nicht mehr taufrisch ist Christiane Rösingers (ehedem Lassie Singers) Soloplatte »Songs Of L. And Hate« von 2010. Ich wüsste niemanden anders in deutschen Landen, der/die so ungeschützt und doch ganz souverän eine offensichtliche Depression in Poesie, in große Kunst transformieren kann. – Bob Dylans »Another Self Portrait 1969–1971« aus der Bootleg-Serie wurde in der Presse gefeiert, weil damit – oh Wunder, oh Wunder! – seine oft verrissenen Aufnahmen aus jenen Jahren nun urplötzlich in einem ganz anderen, strahlenderen Licht funkeln würden. Ich selbst hatte mit den Country-Sachen des Meisters noch nie meine Schwierigkeiten, doch stellt die neue Vierfach-Anthologie natürlich eine willkommene Ergänzung in meiner meterbreiten Dylan-Sammlung dar.

Und was gibt es aus Rosenwinkel zu berichten? Vielleicht dies: Ich fungierte erstmalig als richtiger Bauherr, nämlich eines an alter Stelle errichteten neuen Vorbaus, das ist der gemeinhin als Luftschleuse und Stiefelabstellraum fungierende Bau zwischen Hof und Hauseingangstür.

Ich wünsche allen, die dem Lukas Verlag oder/und mir persönlich gewogen sind, für das kommende Jahr wie immer von Herzen viel Kraft, Gesundheit und Zufriedenheit sowie intellektuellen Zugewinn und aufwühlende Kunsterlebnisse!

Frank Böttcher