Im Programm meines Verlages gibt es zum Beispiel mehrere Bücher, die sich aus unterschiedlicher Perspektive mit der Neugestaltung der vielfach lädierten historischen Berliner Stadtmitte befassen. Andere Werke widmen sich ländlichen Kirchen, wieder andere mittelalterlicher oder moderner Kunst. Angesichts der seit vier Wochen anhaltenden und bestimmt noch sehr lange währenden und immer furchtbareren Zerstörung ganzer ukrainischer Städte und zahlloser Kulturdenkmäler scheint solches Engagement allerdings auf einmal merkwürdig unpassend, ja beinahe luxuriös-obszön.

Andere Lukas-Titel handeln von den Tätern, den Opfern und den Widerständigen unterm Nationalsozialismus, wiederum andere von systemtreuen oder unangepassten Menschen in der DDR, allesamt also vom Leben und Scheitern in Diktaturen. Doch angesichts des putin-russischen Terrors nur wenige hundert Kilometer von hier und angesichts des die blutige Wirklichkeit in Tschetschenien, Georgien, Syrien und der Ostukraine jahrelang und sogar noch heute verharmlosenden Russland-Appeasements der bundesdeutschen Mehrheitsgesellschaft und ihrer sogenannten »Eliten«, zumal in deren sich »links« und »kritisch« definierendem Teil, scheint dieses aufklärerische verlegerische Engagement ganz umsonst gewesen zu sein.

Natürlich machen wir vom Lukas Verlag aus vielen guten inhaltlichen Gründen trotzdem irgendwie weiter mit unseren Büchern. Außerdem können wir kaum etwas anderes, und wir verdienen damit unsere Miete und unseren Feierabendwein. Zugleich machten sich mit dem Krieg in mir erst eine Schockstarre und eine Wut, danach eine fundamentale Unsicherheit, ja Resignation breit. Es gibt dunkle Stunden, da empfinde ich etliche Titel des eigenen Programms, aber auch diejenigen vieler anderer Verlage als aus der Zeit gefallene Spiegelfechtereien. Auch wenn ich anfangs sogar enttäuscht war, nicht zur Teilnahme eingeladen worden zu sein, bin ich insofern ganz froh, auf der neulich stattgefundenen Popup-Buchmesse unabhängiger Verlage in Leipzig nicht an einem Stand posiert zu haben. Denn seit dem verfluchten 24. Februar 2022 ist mir schleierhaft, wie unsereins dort unbefangen Bücher zur Berliner Stadtmitte, zur Kunst des Mittelalters oder gar zu fröhlichen sowjetischen Mosaiken in den ehemaligen Peripherierepubliken des zerfallenen Riesenreichs namens UdSSR hätte präsentieren können. Die zweifellos gutgemeinte Ersatzmesse, die den Corona-Verwerfungen etwas entgegensetzen wollte, wirkte auf mich mitsamt ihres schönen bunten Plakats auf einmal ganz anachronistisch.

Viel angemessener und stimmiger ist für mich jetzt, sich um die neulich von meiner Frau und mir aufgenommene Flüchtlingsfamilie aus Kiew zu kümmern. Das Büchermachen geschieht zwar nach wie vor engagiert und routiniert, doch ohne den heiligen Ernst und die branchenübliche Selbstüberhebung wie einst vor dem Krieg.

Frank Böttcher