Weil ich ein Inuk bin
     

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Mechtild Opel, Wolfgang Opel

Weil ich ein Inuk bin

Johann August Miertsching

Ein Lebensbild

470 Seiten, 142 Abb., 158 x 235 mm, 33 Farb- und 109 Schwarzweißabbildungen
August 2022
sofort lieferbar
ISBN 978-3-86732-411-3

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Im Januar 1850 bestieg Johann August Miertsching das Schiff »Investigator«, das nach der in der Arktis verschollenen Franklin-Expedition suchen sollte. Der damals Dreiunddreißigjährige war als Übersetzer angeheuert worden, damit man sich mit den Inuit verständigen konnte, von denen man sich wertvolle Hinweise bei der Suche erhoffte. Es folgten vier strapazenreiche Winter im Polarmeer, in denen man zwar nicht die gesuchten 129 Mann fand, aber die »Nordwestpassage« entdeckte. Miertsching wurde anschließend berühmt, doch ausgerechnet in seiner deutschen Heimat bald wieder vergessen.

Mechtild und Wolfgang Opel legen nun die Biografie des universell interessierten und begabten, vielschichtigen Charakters Miertsching vor, der der Herrnhuter Brüdergemeine angehörte und auch als Missionar tätig war. Sie folgten seinen Spuren um die halbe Welt und stießen dabei auf die Handschrift seines Arktis-Tagebuchs und bislang unbekannte Dokumente, die zeigen, dass er in Labrador ein für diese Zeit außergewöhnliches Vertrauensverhältnis zu den Inuit aufgebaut hatte und so deren Sprache erlernen konnte. Familienglück und -leid, aber auch Konflikte mit Missionaren begleiteten seinen späteren Dienst im Handel der Mission in Südafrika. War Miertsching als Oberlausitzer Sorbe in Denkweise und Haltung zu indigenen Völkern seiner Zeit womöglich weit voraus?

Mechtild Opel

Mechtild Opel

Mechtild Opel, geboren 1956, stammt aus der Oberlausitz und studierte Kulturwissenschaften an der Humboldt Universität Berlin. Ihren Interessen an Natur, Kultur, Ethnografie, Geschichte und Reisen folgend, veröffentlichte sie als freiberufliche Autorin Artikel über Nordamerika und die Arktis. 2008 erschien ihr Reiseführer »Kanadas maritime Provinzen mit Newfoundland und Labrador”, inzwischen erweitert und zuletzt in vierter Auflage unter dem Titel »Kanada – der maritime Osten« im Reise Know-How Verlag. Gemeinsam mit ihrem Mann Wolfgang Opel schrieb sie das Länderporträt »Alles, was Sie über Kanada wissen müssen« (2013; 3. Auflage 2019, ausgezeichnet mit dem ITB Book Award) und »Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis« (2014; beide im MANA-Verlag). Sie lebt in Berlin und Nova Scotia, Kanada.

Wolfgang Opel

Wolfgang Opel

Wolfgang Opel, Jahrgang 1951, wuchs in Warnemünde auf, studierte Technische Kybernetik in Rostock und arbeitete jahrelang als Ingenieur und IT-Spezialist. Reisen in viele Länder vertieften sein Interesse an Menschen und Landschaften, Kultur und Geschichte. Als Fotograf und Autor veröffentlichte er zahlreiche Artikel über Kanada und die Arktis. Gemeinsam mit seiner Frau Mechtild Opel schrieb er das Länderporträt »Alles, was Sie über Kanada wissen müssen« (2013; 3. Auflage 2019, ausgezeichnet mit dem ITB Book Award) und »Eisbären – Wanderer auf dünnem Eis« (2014; beide im MANA-Verlag). In der Reihe »Kanada – Highlights abseits der ausgetretenen Pfade« (Verlag 360° medien) erschienen seine beiden Titel »Nova Scotia« und »Atlantik-Provinzen«. Er lebt in Berlin und Nova Scotia, Kanada.

Leseprobe

»Weil ich ein Inuk bin« (S. 213–214)

Wir begannen gleich am nächsten Tag mit der Transkription. Es ist ein an »Herzlich Geliebten« gerichteter Gemeinschaftsbrief, der, zwar adressiert an Latrobe, sich sowohl an die Brüder in London und in Herrnhut als auch an seine Eltern richtete – denn Johann August durfte ja nur einen Brief mitgeben.

Nachdem er die Gnade und Barmherzigkeit des Herrn gelobt hatte, beschrieb er darin in ähnlicher Weise wie im Tagebuch die Ereignisse seit dem Verlassen von Cape Lisburne bis zur Annäherung an Cape Bathurst. Dann aber folgen Sätze, wie sie im Tagebuch nicht zu finden sind, die aber in besonderer Weise Aufschluss über seine Persönlichkeit geben.

An die Schilderung der Begegnung mit den Inuvialuit fügte er an: »Ich genoß besonders wieder Freundschaft, weil ich ein Inuk (Mensch) bin, und ferner, weil ich ihre Sprache verstehe und Eskimoh Kleidung trage.«

Um die Tragweite dieses Satzes völlig zu verstehen, muss man wissen, wie Inuit üblicherweise über »Weiße« denken. Das Wort für sie, »kablunat« oder »qallunaat« (Mehrzahl), ist über die Sachbezeichnung hinaus nicht gerade ein Kosename; die wenigsten möchten so sein wie ein »kablunak« oder»qallunaaq« (Einzahl); wenn aber ein Weißer von ihnen zu hören bekommt: »du bist ein Inuk«, dann hat er eine Art Ehrentitel erhalten und ist quasi in ihre Gemeinschaft aufgenommen. Mit der Aussage »…weil ich ein Inuk (Mensch) bin«, machte Johann August sich ganz bewusst mit den Inuit (Inuk ist die Einzahl von Inuit) – gemein, im eigentlichen Sinne des Wortes, also gleich. Spontan und hastig niedergeschrieben, ohne sie erst möglichen Erwartungen der Adressaten anzupassen, ist das die einzige bisher bekannte Stelle, in der sich Miertsching selbst als Inuk bezeichnete. Sie zeigt eine Position, die sich völlig vom üblichen paternalistischen Verhältnis der meisten Europäer dieser Zeit gegenüber den »Wilden« oder »Ungläubigen« unterscheidet. Natürlich war das ganz im Sinne der Brüdergemeine, bei der schon im Namen postuliert wird, alle Mitglieder seien gemein im Sinne von gleich. Das galt allerdings nicht automatisch auch für Nicht-Mitglieder – und für die zu missionierenden Ungläubigen zwar formal, nicht aber real. Man kann vermuten, dass in diese für seine Zeit sehr ungewöhnliche Haltung Miertschings nicht nur dessen Erlebnisse in Labrador, sondern auch seine Lebenserfahrungen als Sorbe eingeflossen waren. Die Sorben waren damals, und sind bis heute – ebenso wie die Inuit – eine Minorität in einer Mehrheitsgesellschaft, die bei vielen Gelegenheiten schikaniert, marginalisiert und unterdrückt wurde – und manchmal heute noch wird. Es ist möglich, dass er das Kompliment »Du bist ein Inuk« bereits von seinen Freunden in Labrador erhalten hatte und es auch deshalb so selbstverständlich verwendete – und vielleicht hatte er es auch von Kenalualik wieder gehört. Seine Selbstbezeichnung als Inuk weist übrigens Parallelen zum Dichter Johann Gottfried Seume auf, der sich in seinem späteren Leben als »Hurone« bezeichnete, nachdem er als junger Mann in Nova Scotia (Kanada) intensiven Kontakt mit den dortigen »Wilden« gepflegt und sie und ihre Werte schätzen gelernt hatte.

Darüber hinaus enthält Miertschings Brief eine vernichtende Kritik der Kolonialpolitik, wie sie durch das Agieren der Hudson’s Bay Company und ihre Profitinteressen vorangetrieben wurde und die er als Gegensatz zu den Bemühungen der Brüdergemeine empfand: »Was hat die aus gebildeten und vornehmen Christen bestehende Hudsons Bay Company seit ihrer Herrschaft in diesen Ländern zur Civilisation der Eingebohrenen gethan??? Statt Missionaire mit dem Worte Gottes sendet sie ihre Handelsbedienten mit dem Seele und Leib verderbenden Geträncke umher, um dadurch ihre Geldkassen zu füllen. Sir J.H. Pelly in London könnte dieses ändern wenn er wollte; und wird einst viel zu verantworten haben.« Dass Miertsching nicht zögerte, den Gouverneur der Hudson’s Bay Company in London direkt für den zielgerichteten Einsatz von Alkohol verantwortlich zu machen, ist bemerkenswert. Sir John Henry Pelly wurde dafür natürlich nicht zur Verantwortung gezogen; er starb 1852 im Alter von 75 Jahren. Einen Teil seiner Verantwortung übernahm jedoch ein direkter Nachfahre, den wir bei einer unserer Arktisreisen kennengelernt hatten. David Pelly verbrachte über vier Jahrzehnte lang als Lehrer, Historiker, Journalist, Expeditionsleiter und Unterstützer von Kulturprojekten bei den Inuit in der Arktis, er hat sich als Autor von Büchern über die Welt der Inuit verdient gemacht und fördert noch im Ruhestand Bildungsprogramme für jugendliche Inuit.

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